Interview mit der Komponistin Kathrin Denner

Kultur ist wichtiger denn je

Kathrin Denner befragt von Jakob Leiner

Die deut­sche Kom­po­nis­tin Kath­rin Den­ner (*1986) ist eine pro­fi­lierte Ver­tre­te­rin jener jün­ge­ren Kom­po­nis­tin­nen-Gene­ra­tion, die sich für die Ver­brei­tung und Pro­fi­lie­rung der zeit­ge­nös­si­schen Kunst-Musik auch auf poli­ti­scher Ebene bemüht. Den­ner ist Preis­trä­ge­rin zahl­rei­cher Wett­be­werbe, für die Belange ihrer Berufs­gruppe setzt sie sich als Vor­stands­mit­glied des Deut­schen Kom­po­nis­ten­ver­ban­des sowie als Dele­gierte der GEMA ein.
Im Inter­view mit dem GLAREAN-Mit­ar­bei­ter Jakob Lei­ner äußert sie sich über einige Aspekte ihres per­sön­li­chen Schaf­fens und über ver­schie­dene Pro­blem­fel­der der aktu­el­len Kunstmusik-“Szene”.

Glarean Maga­zin: Was sind eigent­lich Ihre frü­hes­ten Erin­ne­run­gen an Klänge oder Musik?

Kathrin Denner - Komponistin - Musik im GLAREAN MAGAZIN
“Ich stelle dem Stück Fra­gen, und es ant­wor­tet mir”: Kom­po­nis­tin Kath­rin Denner

Kath­rin Den­ner: Eine kon­krete Erin­ne­rung habe ich nicht. Mir ist aber sehr prä­sent, dass wir zuhause immer Bay­ern 4 Klas­sik gehört haben. Das ist eine wirk­lich schöne Erin­ne­rung. Wir haben immer gera­ten, was wir da gerade hören. Damals wur­den noch ganze Sin­fo­nien gespielt und es gab wenig “easy listening”-Sendungen mit kur­zen Aus­schnit­ten. So lernte ich sehr viel klas­si­sche Musik und ihre Sti­lis­ti­ken kennen.

In Saar­brü­cken stu­dier­ten Sie zuerst Trom­pete und Musik­theo­rie. Gab es einen Schlüs­sel­mo­ment, der die Begeis­te­rung für die Zeit­ge­nös­si­sche Musik und das Kom­po­nie­ren weckte?

Ich muss vor­weg­neh­men, dass ich zeit­ge­nös­si­sche Musik durch mei­nen klas­sisch gepräg­ten Hin­ter­grund immer furcht­bar fand. Mein Herz ging auf bei Mahler, Bruck­ner und Beet­ho­ven. Die Zeit­ge­nös­si­sche Musik habe ich nicht ver­stan­den. Diese hatte für mich über­haupt kei­nen Sinn erge­ben. Es war nicht nur so, dass ich sie nicht mochte, ich habe mich mit Hän­den und Füßen dage­gen gewehrt.

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Dann hat mir glück­li­cher­weise ein Bekann­ter die Augen geöff­net, der mir das Ligeti-Requiem vor­ge­spielt hat. In einem dunk­len Raum mit Sur­round-Laut­spre­chern. Das war phä­no­me­nal. Ich habe erkannt, dass der Bruch zwi­schen der spä­ten Roman­tik und Ligeti nicht so groß war. Inner­halb kür­zes­ter Zeit habe ich dann alles Zeit­ge­nös­si­sche in mich auf­ge­so­gen und ver­sucht, alles ganz schnell ken­nen­zu­ler­nen. Ligeti ist mir bis heute wich­tig, aber es gibt nun natür­lich noch andere Kom­po­nis­tIn­nen, die mich inspi­rie­ren und die ich sehr mag und schätze.

Was macht für Sie den Reiz und die Fas­zi­na­tion am Kom­po­nie­ren aus?

Ich mache ein­fach wahn­sin­nig gerne Musik. Und es ist doch toll, wenn man noch mehr gestal­tet als das, was schon in Noten geschrie­ben steht: Wenn man selbst kreiert.

Gibt es eine grund­sätz­li­che Her­an­ge­hens­weise für die Arbeit an einem Stück?

Meis­tens mache ich mir sehr lange Gedan­ken dar­über, was ich eigent­lich für das Stück möchte. Und dabei scheint es immer so, als würde ich nichts kom­po­nie­ren. Der Pro­zess geht also schon lange vor­her nur im Kopf los. Ich stelle dem Stück Fra­gen: Obwohl es noch nicht in Noten exis­tiert, ant­wor­tet es mir. Das habe ich von mei­nem Leh­rer Johan­nes Schöll­horn gelernt.

Kathrin Denner - Komposition Autograph - Interview im Glarean Magazin
Auto­gra­phi­sches Zitat aus “Nyberga Ele­ven” für Trom­pete und Kla­vier von Kath­rin Denner

Ich schreibe vor dem eigent­li­chen Notie­ren sehr viel auf. Meist in Wor­ten und mit der Hand. Ich nehme mein Kom­po­si­ti­ons­buch nicht immer, aber oft mit nach drau­ßen, setze mich irgendwo hin und befrage mein Stück. Grund­sätz­li­che Fra­gen nach Dauer, Beset­zung, etc., aber auch Spe­zi­fi­sche­res: Wie ver­hält sich das eine Instru­ment zum ande­ren? Wenn ich weiß, was ich will, geht der Rest ver­hält­nis­mä­ßig schnell.

Kom­men Kom­po­si­ti­ons­blo­cka­den vor und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Ja, lei­der. Je älter ich werde, desto schwe­rer fällt es mir, zu kom­po­nie­ren. Frü­her habe ich die Stü­cke nur so “raus­ge­hauen”. Jetzt muss ich immer rich­tig arbei­ten, bis etwas ent­steht. Eine wirk­li­che Methode, die Blo­cka­den zu über­win­den, habe ich nicht. Meis­tens hilft es, wenn ich einen Auf­trag habe und die Zeit drängt.

Hat sich Ihr Anspruch an (eigene) Musik in den letz­ten Jah­ren verändert?

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Ja, ich bin wesent­lich kri­ti­scher mit mir und mei­ner eige­nen Musik gewor­den. Wahr­schein­lich geht das Kom­po­nie­ren des­halb nicht mehr so ein­fach von der Hand. Ob sich das posi­tiv auf meine Stü­cke aus­wirkt, ver­mag ich nicht zu sagen. Ich hoffe es natür­lich. An Musik gene­rell ist der Anspruch viel­leicht inso­fern gestie­gen, als dass ich gute Auf­nah­men und Auf­füh­run­gen bevor­zuge. Aber ich schätze immer die Leis­tun­gen, Bega­bun­gen und das Kön­nen ande­rer und kann auch über “Feh­ler” hin­weg­hö­ren, wenn mit Freude und Lei­den­schaft musi­ziert wird.

Werke von Kom­po­nis­tin­nen sind in den Pro­gramm­hef­ten der deutsch­spra­chi­gen Kul­tur­land­schaft noch immer unter­re­prä­sen­tiert. Zufall oder System?

Lei­der sind Kom­po­nis­ten in den Pro­gram­men noch deut­lich in der Mehr­heit. Obwohl die Frauen auf den Podien der zeit­ge­nös­si­schen Musik zuneh­mend sicht­ba­rer wer­den. Wäh­rend mei­ner Stu­di­en­zeit gab es eigent­lich immer rela­tiv aus­ge­gli­chene Geschlech­ter­ver­hält­nisse. Trotz­dem kön­nen wir noch nicht wirk­lich von einer Chan­cen­gleich­heit spre­chen. Auf­träge bekom­men lei­der immer noch bevor­zugt die männ­li­chen Kol­le­gen. Die ein­fluss­rei­chen Stel­len sind von Män­nern besetzt. Ich kann mir vor­stel­len, dass diese un- bzw. unter­be­wusst dann wie­derum das männ­li­che Geschlecht bevorzugen.

Gender-Diskussion in Musik und Tanz - Glarean Magazin
“Kom­po­si­ti­ons­auf­träge bekom­men immer noch bevor­zugt die männ­li­chen Kol­le­gen”: Anhal­tende Gen­der-Dis­kus­sion in der Musik

Noch gibt es Hand­lungs­be­darf für mehr Gen­der­ge­rech­tig­keit. Glück­li­cher­weise ist die­ses Thema mitt­ler­weile in den Köp­fen ange­kom­men, und es gibt ver­mehrt Fes­ti­vals, Kurse und Podien, die sich inten­siv mit Gen­der­fra­gen auseinandersetzen.

Sie sind auch kul­tur­po­li­tisch aktiv und set­zen sich für die Belange Ihrer Berufs­gruppe ein. Wie sieht diese Arbeit aktu­ell aus?

Im Moment bin ich im Vor­stand des Deut­schen Kom­po­nis­tIn­nen­ver­bands (DKV) sowie als Dele­gierte der außer­or­dent­li­chen und ange­schlos­se­nen Mit­glie­der der GEMA und im GEMA-Wer­tungs­aus­schuss tätig.
Der DKV ist ein Zusam­men­schluss von Kom­po­nis­tin­nen und Kom­po­nis­ten aller Gen­res und Stil­rich­tun­gen, die der soli­da­ri­sche Gedanke einer Inter­es­sen­ver­tre­tung für alle musi­ka­lisch Krea­ti­ven eint. Wir set­zen uns für die Belange der Krea­ti­ven in ver­schie­de­nen Berei­chen ein – im Moment natür­lich u.a. auch im Zusam­men­hang mit der Corona-Krise. Wir enga­gie­ren uns auf natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebene zum Bei­spiel im Auf­sichts­rat und ande­ren Gre­mien bei der GEMA, dem Kul­tur­rat, dem Deut­schen Musik­rat, der Künst­ler­so­zi­al­kasse, der Initia­tive Urhe­ber­recht und der ECSA mit­tels unse­rer zustän­di­gen Delegierten.

Die drei deutschsprachigen Musik-Urhebergesellschaften SUISA (Schweiz) GEMA (Deutschland) AKM (Österreich) - Glarean Magazin
Die drei deutsch­spra­chi­gen Musik-Urhe­ber­ge­sell­schaf­ten SUISA (Schweiz) GEMA (Deutsch­land) AKM (Öster­reich)

Die GEMA – Die Gesell­schaft für musi­ka­li­sche Auf­füh­rungs- und mecha­ni­sche Ver­viel­fäl­ti­gungs­rechte – ist eine Ver­wer­tungs­ge­sell­schaft für Kom­po­nis­ten, Tex­ter und Musik­ver­le­ger. Zu ihren Auf­ga­ben zählt es, die Nut­zungs­rechte ihrer Mit­glie­der zu ver­wal­ten und eine ent­spre­chende Ver­gü­tung zu gewähr­leis­ten. Stell­ver­tre­tend für den Urhe­ber sorgt die GEMA durch das Urhe­ber­recht für den Schutz der Werke. Seit nun­mehr drei Jah­ren bin ich Dele­gierte der ange­schlos­se­nen und außer­or­dent­li­chen Mitglieder.

Eigent­lich glaube ich immer, die Fal­sche für diese Art von Job zu sein, aber irgend­je­mand muss es eben machen. Ich ver­su­che, mich so gut wie mög­lich für meine kom­po­nie­ren­den Kol­le­gIn­nen ein­zu­set­zen. Es muss enga­gierte Men­schen geben, die die Inter­es­sen der – in mei­nem Fall – Musik­schaf­fen­den ver­tre­ten. Beson­ders in der heu­ti­gen Zeit, in der mög­lichst viel mög­lichst kos­ten­los sein soll. Es gibt viele andere Berei­che, in denen ich gerne noch akti­ver wäre, aber die Zeit ist begrenzt, und so habe ich mir mein Feld gesucht, in dem ich mein Wis­sen ein­brin­gen und als klei­nes Zahn­räd­chen mit­ge­stal­ten kann.

Ich würde mir wün­schen, dass sich noch mehr Men­schen für das Gemein­wohl ein­set­zen und nicht immer nur dar­auf ver­traut wird, dass da schon irgend­wer ist, der alles regelt. Jeder Mensch hat eine Bega­bung, die für einen bestimm­ten Bereich hilf­reich wäre. Es würde mich freuen, wenn diese Talente nicht unge­nutzt blieben.

Das Streit­wort der Kul­tur­szene im Jahr 2020 lau­tete “sys­tem­re­le­vant”. Gibt es ein Wort, das Sie pas­sen­der fänden?

Über­rum­pelt von der gan­zen Corona-Zeit habe ich mich aus den Debat­ten über die Sys­tem­re­le­vanz tat­säch­lich zum größ­ten Teil her­aus­ge­hal­ten. Ein bes­se­res Wort fällt mir auch nach län­ge­rem Nach­den­ken nicht ein. Unsere kul­tu­relle Viel­falt ist ein­zig­ar­tig, aber wir haben eine schwa­che Posi­tion – keine starke Lobby. Viel­leicht zeugt der Aus­schluss der Kul­tur von Igno­ranz, aber die Pan­de­mie ist für alle neu und die Poli­tik trifft die Ent­schei­dun­gen sicher­lich nicht leicht­fer­tig, auch wenn sich einige Ent­schei­dun­gen anschlie­ßend als falsch her­aus­stel­len wer­den oder schon her­aus­ge­stellt haben.

Leerer Musik-Konzertsaal in Corona-Zeiten - Glarean Magazin
Wegen Pan­de­mie geschlos­sen: Lee­rer Kon­zert­saal und de facto Berufs­ver­bot für Musiker

Dass die Kul­tur keine mar­gi­nale Rolle inne­hat, ist jetzt, nach über einem Jahr der Pan­de­mie, denke ich, allen bewusst gewor­den. Ich hoffe, dass wir mög­lichst schnell zu einer gewis­sen Nor­ma­li­tät zurück­keh­ren kön­nen. Noch sehe ich kein Licht am Ende des Tun­nels, aber ich ver­traue auf seine Existenz.

Wie hat Ihre kom­po­si­to­ri­sche Arbeit auf das zurück­lie­gende Corona-Jahr reagiert?

Eigent­lich hätte ich (viel) Zeit gehabt, viel zu arbei­ten. Und meine Arbeit fin­det ja sowieso meist allein statt. Aber ich habe mich der Ohn­macht voll hin­ge­ge­ben. Im Grunde habe ich meine Zeit ver­schwen­det mit Inhalts­lo­sig­keit. Mit Net­flix und Han­dy­ga­mes. Ich hatte eine ein­zige Auf­füh­rung – statt des geplan­ten gro­ßen Orches­ter­stücks mit über 80 Auf­füh­ren­den, wurde ein Stück für ein Solo­in­stru­ment gespielt. Alle ande­ren Kon­zerte wur­den abge­sagt. Frus­tra­tion ist hier das rich­tige Wort.

Musik und Corona - Rückzug ins Innenleben - Glarean Magazin
Musik in Zei­ten von Corona und Auf­füh­rungs­ver­bo­ten: Rück­zug ins “Innen, ins Bei-sich-sein”

Aber ewig kann man sich nicht hän­gen las­sen, es muss wei­ter­ge­hen. Glück­li­cher­weise haben mich ein paar Auf­träge wie­der moti­vie­ren kön­nen. Dabei war auch ein Auf­trag des Bun­des­ju­gend­cho­res, wel­cher sich the­ma­tisch im wei­tes­ten Sinne mit der Pan­de­mie beschäf­tigt. Mit dem “Innen” – also dem Innen im Geiste, aber auch dem Innen in den eige­nen vier Wän­den, mit die­sem Bei-sich-sein. Ich beschäf­tigte mich mit unter­schied­li­chen sozia­len Bezie­hun­gen (hier schwingt auch das „-Innen“ als Gen­der­form mit), Ver­hält­nis­sen und Inter­ak­tio­nen. Auch zwei wei­tere Kom­po­si­tio­nen haben sich direkt auf die Corona-Ohn­macht bezogen.

Wie eng lie­gen Angst und Hoff­nung beieinander?

Sehr eng. Manch­mal ist die Hoff­nung domi­nie­rend, manch­mal beherrscht mich die Angst.

Gibt es ein spe­zi­el­les Stück, das Ihnen schon län­gere Zeit vorschwebt?

Ich arbeite schon seit eini­ger Zeit an mei­nem Stück “Agnesma” für Trom­pete und Orches­ter. Ich schreibe es für den wahn­sin­nig tol­len Trom­pe­ter Simon Höfele. Aber es kommt immer wie­der etwas dazwi­schen, und so ist der Kom­po­si­ti­ons­pro­zess durch­lö­chert. Es ist kein Auf­trag, son­dern intrin­sisch moti­viert. Ich freue mich aufs Wei­ter­schrei­ben, wenn ich dann mal wie­der Zeit habe.

Wie wird sich  eigent­lich die Musik der Zukunft anhören?

Oh, das weiß ich nicht. Aber ich wäre gerne eine Zeit­rei­sende, die in der Zukunft vor­bei­schauen kann… Etwas zu erfin­den, was es noch nicht gibt, ist sehr schwer. Es gibt immer Ent­wick­lungs­pro­zesse, die sich auf Bekann­tes beziehen.
Einen oder sogar meh­rere Schritte zu über­sprin­gen, dazu wären wir viel­leicht gern in der Lage, aber ich glaube, das ist nicht mög­lich. Wir sind Kin­der unse­rer Zeit. ♦

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Zeit­ge­nös­si­sche Musik auch das Inter­view mit dem Schwei­zer Kom­po­nis­ten Fabian Mül­ler: Neue Musik?

Außer­dem zum Thema: Von den Kon­takt­schwie­rig­kei­ten der Neuen Musik (Ursula Petrik)


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