Helmut Krausser: Glutnester (Gedichte)

Beschäftigung mit dem Künstler-Dasein

von Stefan Walter

Hel­mut Kraus­ser, Jahr­gang 1964, ist Schrift­stel­ler, Kom­po­nist und Schach­spie­ler. Nach meh­re­ren Roma­nen hat er nun wie­der einen Gedichte-Band ver­öf­fent­licht mit dem Titel “Glut­nes­ter”.

Die Umschlag­ge­stal­tung der “Glut­nes­ter” ist etwas melan­cho­lisch aus­ge­fal­len, aber gelun­gen. Noch zum Äußer­li­chen: Die Ver­lags­wer­bung auf den letz­ten Sei­ten finde ich per­sön­lich bei einem Lyrik­band etwas unan­ge­bracht, aber Ver­lag und Künst­ler wol­len ja auch leben – dazu unten mehr.
Auf den über 100 Sei­ten fin­den sich etwa 90 Gedichte. Sti­lis­tisch geht es quer­beet, mal mit Reim, mal ohne, mal mit regel­mä­ßi­gem Metrum, mal ohne, mal mit Stro­phen­ein­tei­lung, mal – Sie ahnen es – ohne. Ein paar expe­ri­men­telle Texte sind dabei, ein paar Sonette.

Querbeet durch die Stile und Zeiten

Inhalt­lich setzt sich auf den ers­ten Blick diese Belie­big­keit fort. Da gibt es Alber­nes wie:
“Anfang­hund / (…) Freun­din sagt: Mach mehr Hund. / (…) Die Leute has­sen Gedichte, doch sie / lie­ben Hunde, das hebt sich auf, / (…) Endehund.”
Oder Satirisches:
“O wie sie Ravioli macht, / (…) Grün-rot-gelb leuch­tet ihr / Werk, und wie ver­dor­ben / müsste man sein, sich / diese exor­bi­tante Krea­tion ein­zu­ver­lei­ben (…) Ich foto­gra­fiere ihre / Ravioli, stelle sie auf / Face­book und Insta­gram / zur Schau (…)”.
Auch Bana­les wie:
“Mir fällt par­tout auf Reim kein / so zwin­gend gei­ler Reim ein (…)”
Oder Niveau­lo­ses wie:
“Dörte mi fa so lala, / schwörte mir Amore ma. / (…) Wann krichste wieda Lust, frag ichse, / weil ich seit April schon (…)”.

Helmut Krausser - Glarean Magazin
Hel­mut Krausser

Dazwi­schen fin­den sich jedoch die Texte, in denen Kraus­ser glän­zen kann:
“Unten macht der Plebs publik, / wie­viel er heut gesof­fen hat. / Oben schreib ich die Musik / der Zukunft auf ein Noten­blatt. (…)” ist eine hüb­sche Über­tra­gung von Schil­lers „Bitt­schrift“.
Im titel­ge­ben­den “Glut­nes­ter suchen” bezieht sich Kraus­ser – sicher nicht zufäl­lig – auf (Karl) Kraus, in Begriff­lich­keit, Stil und Ironie:
“(…) bis / ich Feuer fange, brenne, / wie­der Fackel bin und / zün­deln kann.”

Von Adorno bis Krausser

Über­haupt, diese vie­len Anspie­lun­gen des Intel­lek­tu­el­len Kraus­ser. Schost­a­ko­witsch bewun­dert er, über Adorno und die Beat­les macht er sich lus­tig. Auf den “Faust” weist er hin, oder auf Wil­liam Car­los Wil­liams berühm­tes “This is just to say”, auf die “Lore­ley”, das “Nibe­lun­gen­lied”, Dan­tes “Inferno”, auf “Jesaja”, auf Artaud, auf Clint East­wood und natür­lich immer wie­der auf Krausser.
Kraus­ser schreibt Gedichte im Stil des Expres­sio­nis­mus, des Sym­bo­lis­mus, der Min­ne­ly­rik – und schafft es in allen Fäl­len kon­se­quent, das Zitierte zu subvertieren.

Beschäftigung mit dem Künstler-Dasein

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Bleibt (als letzte große Gruppe von Gedich­ten) noch Kraus­sers Beschäf­ti­gung mit dem Künst­ler-Dasein. In “Glück­li­che Künst­ler” strei­ten die frisch bezahl­ten Titel­hel­den darum, wer die Rech­nung im Restau­rant über­neh­men darf: “(…) der Kell­ner bringt / Pizza”.
In “Vor etwa 6’000 Jah­ren” erzählt uns der Dich­ter von sei­nen Anfängen:
Er “(…) brachte / die Leute zum Lachen und / Wei­nen und bat am Ende um / ein wenig zu essen (…)”, wäh­rend eine junge Lite­ra­tin ihm erklärt:
“(…) sie schreibe für sich selbst / (…) Span­nungs­li­nien finde sie / ermü­dend (…)”. Mit wenig Begeis­te­rung stellt er dabei fest:
Sie “(…) lebt von Prei­sen und / Sti­pen­dien und lacht über / mich Knecht, der ich jeden Tag schufte (…)”.

Und in die­sem Sinne passt das wilde Durch­ein­an­der dann doch wie­der zusam­men. Kraus­ser bringt viel, um man­chem etwas zu brin­gen. Er stellt den anspruchs­vol­len Leser mit Artaud zufrie­den; den schnaps­vol­len mit der­ben Späß­chen; die Freun­din mit Hun­den; und den Ver­le­ger mit Füllmaterial.
Wir sind also gut unter­hal­ten, und der arme Poet kann sei­nen Magen füllen.♦

Hel­mut Kraus­ser: Glut­nes­ter – Gedichte, 112 Sei­ten, Piper/Berlin Ver­lag, ISBN 978-3827013941

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Neue Lyrik auch über Ines Oppitz: Hoff­nung (Drei Gedichte)


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