Inhaltsverzeichnis
Liebe auf der Nachtseite der Welt
von Bernd Giehl
“Es war Mord”. Das sind die letzten Worte des Romans “Malina” (1971) von Ingeborg Bachmann. Kurz zuvor ist das namenlose weibliche Ich in die Wand gegangen. Die Worte können also nicht von ihr stammen, sie müssen von einer ebenfalls anonymen Erzählerin gesprochen worden sein; aller Wahrscheinlichkeit von der Autorin selbst. Max Frisch hätte wissen können, mit was für einer schwierigen Person er sich da einließ.
Kurz bevor Max Frisch’s Beziehung zu Ingeborg Bachmann begann, hatte er in einem Studio des NDR ihr Hörspiel “Der gute Gott von Manhattan” gehört. “Der gute Gott” ist nicht ganz unkompliziert, aber seine Aussage ist doch klar erkennbar: Für die Liebe zwischen Mann und Frau darf es keine Kompromisse geben. Wenn ein Mann auch noch andere Bedürfnisse hat, tötet er damit die Frau. Am Ende verlässt (der Mann) Jan die gemeinsame Wohnung im 37. Stock, um in einer Bar ein Bier zu trinken, und Jennifer wird von den Eichhörnchen des “Guten Gottes” in die Luft gesprengt. Auch hier: ein Mord an einer Frau.
Komplizierte Persönlichkeiten
Klingt wie ein allzu schnell gefasstes Vorurteil: Alles ihre Schuld. Stimmt aber nicht. Auch Frisch ist eine komplizierte Persönlichkeit. Gleich im ersten Brief, den er an Bachmann schreibt, sagt er: “Du willst, dass wir verschwunden sind für einander…” (Brief am 5. Juli 1958). Da ist sie in Neapel und er wartet in Paris auf sie. Vier Wochen später heißt es dann: “Was ich dir schrieb heute und zerrissen habe: Über die Unmöglichkeit und Möglichkeit, mit einer Frau zu leben…”. Im selben Brief spricht er von seinem “Traumschloss mit dem großen Hof und den zwei Flügeln”.
Versailles wäre also eine Möglichkeit; da könnte man es mit einer geliebten Frau aushalten. Man müsste ihr ja nicht täglich begegnen. Gewöhnung ist das Schlimmste, was Frisch sich vorstellen kann.
Frühe Beziehungsrisse

Dem Briefwechsel nach zu urteilen scheint es, als ob die beiden nach dem Zusammenkommen im Juni 1958 ein paar Wochen zusammengewohnt haben und Frisch diesen Zustand beendet hat, ohne sich aber von Bachmann zu trennen.
Zwei hochkomplizierte Charaktere: Der eine hat eine Geliebte (Madeleine Seigner) und sich gerade von seiner Frau getrennt, mit der er aber noch verheiratet ist; die andere hat erst vor kurzem eine schwierige Beziehung zu dem deutsch-rumänischen Lyriker Paul Celan beendet. Beide erwarten sich Inspiration für ihr weiteres Werk, brauchen aber auch ihren privaten Schutzraum und wollen bei ihrer Arbeit nicht gestört werden.
Im Baukasten des Anderen
Wie schon angedeutet: Die Risse in der Beziehung sind früh spürbar. Frisch schreibt von der Möglichkeit und Unmöglichkeit des Zusammenlebens (“Gewöhnung!”), und Bachmann antwortet im darauffolgenden Brief: “Wenn ich’s Dir einen Augenblick vorklagen könnte… wenn ich einen Augenblick denken dürfte, dass das nicht wahr ist, dass es so nicht sein darf und kann, dass ich etwas Ganzes bin und nicht nur ein Ergänzungsstück im Baukasten eines anderen, manchmal fühl ich mich so erniedrigt – das ist das einzige Wort, das mir einfällt und manchmal kann ich’s hinnehmen und dann wieder nicht. Heute gar nicht.”
Es beginnt also mit einer Beinah-Katastrophe, und dann – leben sie zusammen.
Ruhelose Liebe

Vieles an dieser Beziehung bleibt ein Rätsel. Hatte sie je eine Chance? Bachmann hält Frisch vor, sie habe keinen Ort, wo sie bleiben und schreiben könne, da er sie nicht wolle (tatsächlich zieht sie immer wieder um), und fragt ihn, ob er sie als Frau nicht lieben könne, ob ihn ihr Körper abstoße. In einem Brief vom Juli 1958 schreibt er dann endlich, was Sache ist: Auch im Zusammenleben mit Bachmann habe er sich allein gefühlt. Er könne nicht mit einer Frau zusammenleben; selbst dann nicht, wenn er sie liebe.
Wahrscheinlich ist das ehrlich, vielleicht auch kein Wunder, nach zwei gescheiterten Beziehungen, aber zugleich ist das ein Gedanke, der wahrscheinlich das Ende jeder Liebesbeziehung bedeutet. So etwas kann nur in der Katastrophe enden.
Auf der Nachtseite der Welt
Aber erst einmal leben sie zusammen, und es gestaltet sich recht harmonisch, bis Bachmann im Juni 1963 Frisch gesteht, sie liebe einen anderen. Frisch schreibt ihr einen Brief, in dem er seine tiefe Verwirrung schildert und anbietet, sie dürfe mehr als einen Menschen lieben. Es scheint, als wolle er retten, was nicht mehr zu retten ist. Aber dann beginnt er selbst zwei Monate später ein Verhältnis mit Marianne Oellers.
“Die Liebe steht auf der Nachtseite der Welt”, formuliert der “Gute Gott” sein “Glaubensbekenntnis” vor dem Richter. Die Liebenden würden in die Luft gesprengt. Das müsse er tun, um die Welt im Gleichgewicht zu halten. Beide haben es gemeinsam erlebt. Um im Bild zu bleiben: Sie haben sich gemeinsam in die Luft gesprengt.
Intimsphäre zweier Menschen verletzt

Noch ein paar Sätze zu dieser Edition. Ich finde es ein ziemliches Wagnis, einen solchen Briefwechsel herauszugeben. Die Herausgeber dringen damit tief in die Intimsphäre von zwei Menschen ein. Es ist ja schon erstaunlich, dass die Erben von Ingeborg Bachmann und Max Frisch der Veröffentlichung zugestimmt haben. Im Nachwort des Herausgebers sind die Zweifel deutlich: Darf man das überhaupt? Zwei Menschen, und seien sie noch so berühmt, dem neugierigen, vielleicht voyeuristischen Blick von anderen aussetzen? Was würde Ingeborg Bachmann wohl dazu sagen? Wir können sie fragen. In einem Schreiben, etwa ein halbes Jahr nach der Trennung, bittet sie Frisch um Rückgabe aller Briefe, damit sie sie verbrennen könne. Niemand solle intime Details erfahren…
Als wäre man selbst dabei
Und Max Frisch? Am 3. März 1960 schreibt er in einer “letztwilligen Verfügung”: “Von einer Veröffentlichung privaten Briefwechsels ist abzusehen.” In einer späteren Fassung des Testaments hat er das wieder zurückgenommen.
Eins muss man diesen Briefen lassen: Es fühlt sich so an, als wäre man selbst dabei. Am liebsten würde ich alle Bücher von Bachmann und Frisch, die ich besitze, neben den Briefwechsel legen und noch einmal diese Erzählung von Bachmann oder jenen Roman von Frisch lesen, weil in den Briefen gerade davon die Rede ist. Nur: wer kümmert sich dann um den ganzen Rest? ♦
Ingeborg Bachmann – Max Frisch: Wir haben es nicht gut gemacht – Der Briefwechsel, 1036 Seiten, Suhrkamp/Piper Verlag, ISBN 978-3-518-43069-9
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Literarischer Briefwechsel auch über Jörg Schuster: Zur Kulturpoetik des Briefes
… sowie zum Thema Liebesbriefe über die Anthologie: Liebesbriefe berühmter Frauen
ich habe mich auch durch diesen “bestseller” gelesen – mein fazit fällt ebenso zwiespältig aus wie das ihres rezensenten herrn Giehl: auch ich bin der meinung, dass hier um des verkaufserfolges und der literarischen “sensation” willen eine grenze überschritten wurde. die intimität eines paares derart minutiös mit zahllosen privatbriefen zu “durchleuchten” kann auch mit literaturhistorischem interesse nicht entschuldigt werden. Ja, die briefe geben auskunft auch über die entstehungsprozesse einiger wichtiger Werke der beiden, das interessiert natürlich die literarische öffentlichkeit. aber das rechtfertigt solchen voyerismus in keiner weise! erschwerend kommt ja noch hinzu, dass die Bachmann ja ausdrücklich KEINE veröffentlichung wünschte! (viele schriftsteller schreiben ja ihre Briefe im hinblick AUF eine spätere publikation…) das erfuhr ich leider erst NACH meinem buchkauf – heute würde ich es nicht mehr kaufen! meine meinung: Sandra B. Frankf./M