Rolf Bauerdick: Wie die Madonna (Roman)

Interessante Bewältigung eines komplizierten Stoffes

von Bernd Giehl

Rolf Bau­er­dick, Jahr­gang 1957, stu­dierte Lite­ra­tur­wis­sen­schaft und Theo­lo­gie, bevor er sich dem Jour­na­lis­mus zuwandte. Er hat Repor­ta­ge­rei­sen in rund sech­zig Län­der unter­nom­men – nun legt er mit “Wie die Madonna auf den Mond kam” sei­nen ers­ten Roman vor.

Von Mal zu Mal wird die Theo­rie atem­be­rau­ben­der, die die bei­den Hel­den des Buches, Ilja Botev und sein Freund, der Zigeu­ner Dimitru Gabor da zusam­men­spin­nen. Das Buch beginnt mit dem Flug des ers­ten, noch unbe­mann­ten Welt­raum­fahr­zeugs, des “Sput­nik 1” der gros­sen hel­den­haf­ten Sowjet­union am 5. Novem­ber 1957. Und schon an die­sem Tag wird die Ver­schro­ben­heit der bei­den Freunde deut­lich, die mit einem Trich­ter in den Welt­raum hor­chen, um die Signale des Sput­niks auf­zu­fan­gen. In was für einen Wahn sich diese bei­den lie­bens­wer­ten Män­ner aller­dings noch hin­ein­stei­gern wer­den, ahnt der Leser zu Beginn des Buches noch nicht.

Verflochtene Erzählstränge

Rolf Bauerdick: Wie die Madonna auf den Mond kam - Roman - Deutsche Verlags-AnstaltDenn erst ein­mal geht es um einen ande­ren Erzähl­fa­den, näm­lich das Ver­schwin­den der ver­sof­fe­nen und eigent­lich gar nicht so belieb­ten Leh­re­rin an der ein­klas­si­gen Volks­schule in Baia Luna, Angela Bar­bu­lescu, von allen nur “die Barbu” genannt. Fins­tere Mächte schei­nen ihre Fin­ger im Spiel zu haben, denn der Ich-Erzäh­ler, Pavel Botev, der Enkel Iljas, hat nicht nur ein Foto gese­hen, auf dem die junge, hüb­sche Barbu in einer Orgie mit dem (spä­te­ren) Par­tei­bon­zen Dr. Ste­fan Ste­fa­nescu zu sehen ist, son­dern er hat auch ihr Tage­buch gefun­den, das sie vor ihrem Ver­schwin­den im Pfarr­haus des Dor­fes ver­steckt hat. Und dann wird auch noch dem im Dorf belieb­ten Pries­ter Johan­nes Bap­tiste der Hals durch­ge­schnit­ten. Spä­ter, als die Barbu auf dem Mond­berg tot an einem Baum hän­gend gefun­den wird, glaubt das Dorf, die Leh­re­rin habe den Pfar­rer ermor­det. Nur Pavel ist davon über­zeugt, dass die kom­mu­nis­ti­sche Par­tei hin­ter den mys­te­riö­sen Todes­fäl­len steckt, und er beschliesst, den Auf­trag, den ihm die Barbu kurz vor ihrem Ver­schwin­den gege­ben hat, näm­lich Ste­fa­nescu zu ver­nich­ten, in die Tat umzusetzen.

Die Jungfrau Maria auf der Sichel

Rolf Bauerdick
Rolf Bau­er­dick

Das ist der eine Strang des Romans. Der andere ergibt sich aus der Theo­rie, die Dimitru in die Welt setzt, und der der Gross­va­ter Ilja mehr und mehr ver­fällt. Dimitru und Ilja glau­ben näm­lich, dass die Sowjet­union mit ihrem Schritt in den Welt­raum nicht nur bewei­sen wolle, dass sie den Ame­ri­ka­nern über­le­gen sind, son­dern dass sie viel­mehr Ame­rika und des­sen Wäh­rung, den Dol­lar, ver­nich­ten wol­len. Das würde den Sowjets dann gelin­gen, wenn sie bewei­sen könn­ten, dass Gott nicht exis­tiert. Schliess­lich steht ja auf jedem Dol­lar­schein “In God we trust.” Der Plan, den die Rus­sen aus­ge­heckt haben, ist äus­serst raf­fi­niert. Die Rus­sen wol­len näm­lich auf dem Mond lan­den und damit der Jung­frau Maria an den Kra­gen. Klar ist näm­lich, dass die Jung­frau Maria sich – nach ihrer leib­li­chen Him­mel­fahrt – nur auf dem Mond befin­den kann. Beweis: Die Madon­nen-Sta­tue, die viele Jahre in der Kir­che von Baia Luna stand, und die nun ver­schwun­den ist, stand auf einer Sichel. Und diese Sichel kann nur der Mond sein. Also tau­schen die bei­den, ange­sta­chelt von Pavel, den Fern­se­her, den Dimitru vor Jah­ren dem Gross­va­ter zu sei­nem 55. Geburts­tag geschenkt hat, in einem Geschäft der Pro­vinz­haupt­stadt gegen ein Him­mels­fern­rohr und die Aus­rüs­tung eines Foto­la­bors. Dass Pavel, der vor allem an dem Foto­la­bor inter­es­siert ist, dabei seine ganz eige­nen Absich­ten hat, ver­rät der natür­lich nicht. Das Foto­la­bor braucht Pavel für seine eige­nen Pläne mit Ste­fa­nescu, den er mit einem alten Foto ver­nich­ten will, was ihm aber nicht gelingt. Statt­des­sen bringt er seine eige­nen Leute in höchste Gefahr. Dann lan­den die Ame­ri­ka­ner 1969 auf dem Mond, aber lei­der im fal­schen Kra­ter, im “Mare Tran­qui­li­ta­tis” statt im “Mare Sere­ni­ta­tis”, wo Maria ihr letz­tes Domi­zil auf­ge­schla­gen hat, wie Dimitru es bei sei­nen theo­lo­gi­schen Stu­dien her­aus­ge­fun­den hat.

Der Papst als Mitglied einer weltweiten Verschwörung

Kurzum: die ganze Welt hat sich gegen die bei­den Freunde ver­schwo­ren. Sogar der Papst ist Mit­glied die­ser welt­wei­ten Ver­schwö­rung, weil er im Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil ver­kün­det hat, das Dogma von der leib­li­chen Auf­nahme Mari­ens in den Him­mel sei nicht wört­lich zu neh­men. Wie das Unglück es will, wird in die­ser Zeit ein neuer Pfar­rer in Baia Luna ein­ge­führt, und der erzählt den Leu­ten in sei­ner ers­ten Pre­digt davon, was Ilja Botev der­art auf die Palme bringt, dass er einen Eklat in der Kir­che ver­an­stal­tet. Es bleibt ihm nur noch die Mög­lich­keit, Prä­si­dent Richard Nixon, der gerade im Begriff ist, die Haupt­stadt “Trans­mon­ta­ni­ens” (“Hin­ter den Ber­gen”) zu besu­chen, mit einem per­sön­li­chen Brief vor den Fol­gen zu warnen…

Sehr schön und ziemlich schräg

Rolf Bau­er­dick ist ein sehr schö­ner und auch ziem­lich schrä­ger Roman gelun­gen. Natür­lich soll hier nicht ver­ra­ten wer­den, wie das Buch aus­geht. Nur so viel sei noch dazu gesagt: Es ist span­nend und komisch; manch­mal habe ich Trä­nen gelacht und andere Male das Buch nicht aus der Hand legen kön­nen, bis ich wusste, wie Pavel und die ande­ren sich aus der Gefahr ret­ten konn­ten. Es hat auch seine Wider­sprüch­lich­kei­ten – vor allem in der Per­son Dimit­rus, der einer­seits auf eine fast rüh­rend naive Weise an die Reli­gion glaubt und der ande­rer­seits, ohne mit der Wim­per zu zucken, Reli­quien wie die Mut­ter­milch aus den Brüs­ten der Hei­li­gen Jung­frau her­stel­len kann, die er dann gegen bares Geld an ortho­doxe Klös­ter ver­kauft, um zum Bei­spiel sei­nem Freund Ilja einen Fern­se­her zum Geburts­tag schen­ken zu kön­nen. Es ist ein Buch, das in einem fik­ti­ven Land, näm­lich “Trans­mon­ta­nien” spielt und das doch auf fast jeder Seite das reale Vor­bild, Rumä­nien, durch­schei­nen lässt. Wer seine (west­li­che) Über­le­gen­heit aus­spie­len will, der wird behaup­ten, dass die Men­schen in die­sem Buch ja wirk­lich “hin­ter den sie­ben Ber­gen woh­nen”, dass sie Hin­ter­welt­ler sind.

Religiöse Menschen mit einem grossen weiten Herzen

Aber offen­sicht­lich hat Bau­er­dick begrif­fen, dass reli­giöse Men­schen nicht per se Heuch­ler sein müs­sen. Hier zumin­dest ist es der christ­li­che Glaube, der seine Hel­den formt, so bibli­zis­tisch und aber­gläu­bisch er im übri­gen auch aus­ge­stal­tet sein mag. Zumin­dest die wich­tigs­ten Per­so­nen des Buchs, Pavel, sein Gross­va­ter Ilja und Dimitru, aber auch der Pries­ter Johan­nes Bap­tiste sind Men­schen mit einem gros­sen, wei­ten Her­zen; daran ändert alle Ver­schro­ben­heit nichts.
Mir gefällt, wie Bau­er­dick Leit­mo­tive schafft, die sich durch das ganze Buch durch­zie­hen. Die Madonna ist so ein Leit­mo­tiv; die Frei­heits­sta­tue in New York ein ande­res. An der Spra­che hätte, unter Mit­wir­kung eines umsich­ti­ge­ren Lek­to­rats, noch gefeilt wer­den kön­nen. Aber Bau­er­dick hat es geschafft, einen ziem­lich kom­pli­zier­ten Stoff so dar­zu­bie­ten, dass das Buch nir­gendwo ange­strengt wirkt. ♦

Rolf Bau­er­dick, Wie die Madonna auf den Mond kam, Roman, 516 Sei­ten, Deut­sche Ver­lags­an­stalt, ISBN 978-3-421-04446-4


Bernd Giehl - Glarean MagazinBernd Giehl

Geb. 1953 in Marienberg/D, Stu­dium der Theo­lo­gie in Mar­burg, zahl­rei­che schrift­stel­le­ri­sche und theo­lo­gi­sche Publi­ka­tio­nen, lebt als evang. Pfar­rer in Nauheim

Lesen Sie im Glarean Maga­zin auch über die Novelle von Peter Reut­te­rer: Siesta mit Magdalena

… sowie zum Thema Reli­gion in der Lite­ra­tur über den Roman von Amé­lie Not­homb: Die Passion

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