Peter Biro: Der Alligator im Delikatessen-Laden (Satire)

Der Alligator im Delikatessen-Laden

Peter Biro

Ob­jek­tiv be­trach­tet hat­te der erst fünf­jäh­ri­ge Al­li­ga­tor Al­fons Han­ni­bal von Ever­gla­de kei­nen zwin­gen­den Grund, um aus sei­nem schö­nen, gross­zü­gig ge­stal­te­ten und nach mo­derns­ten tier­psy­cho­lo­gi­schen Ge­sichts­punk­ten ein­ge­rich­te­ten Ge­he­ge im Bas­ler Zoo aus­zu­bü­xen. Im Ge­gen­teil, er war ein sehr wohl­ge­lit­te­nes Ex­em­plar sei­ner Gat­tung und galt als an­ge­neh­mer Kol­le­ge so­wohl un­ter sei­nen schup­pi­gen Art­ge­nos­sen als auch bei den ge­fie­der­ten Mit­be­woh­nern der Nord­ame­ri­ka-An­la­ge. Al­ler­dings un­ter­schied er sich von die­sen in ei­nem be­son­de­ren Punkt: er war sehr neu­gie­rig, weit mehr als es sich für wohl­erzo­ge­ne Rep­ti­li­en sonst geziemte.

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Satire Peter Biro - Der Alligator im Delikatessen-Laden - Alfons auf dem Weg zur Arbeit - Glarean Magazin
Mit Latz­ho­se auf dem Weg zur Ar­beit: Al­fons (Col­la­gen: Pe­ter Biro)

Des jun­gen Al­fons’ In­ter­es­se an der Welt aus­ser­halb sei­nes Stadt-Bas­ler Bio­tops wur­de da­durch ge­weckt, dass er ei­nes Nach­mit­tags ei­ni­ge Ge­sprächs­fet­zen aus dem be­nach­bar­ten Men­schen­af­fen­haus auf­schnapp­te. Von dort hat­te er mit­be­kom­men, was die Schim­pan­sen bei ih­rer don­ners­täg­li­chen Po­ker­run­de mit­ein­an­der be­spra­chen. Die­se pa­la­ver­ten über­wie­gend über das Auf und Ab der bör­sen­ko­tier­ten Roh­stoff­kur­se und den sich dar­aus er­ge­ben­den In­ves­ti­ti­ons­mög­lich­kei­ten. Das war ein The­ma, das un­se­rem Al­fons bis dato völ­lig am Schliess­mus­kel sei­nes Al­ler­wer­tes­ten vor­bei­ge­gan­gen war, so wie auch sonst je­der an­de­re Um­stand in der ihm un­be­kann­ten Aus­sen­welt. Wie soll­te es auch sonst sein? Sei­ne fünf Len­zen wa­ren mit nichts an­de­rem aus­ge­füllt als mit Schwim­men, Son­nen­ba­den, Her­um­lun­gern und bei den Schau­füt­te­run­gen um punkt vier­tel vor zwei das Maul weit auf­zu­reis­sen und nach den zu­ge­wor­fe­nen Cer­ve­lats mit Senf zu schnap­pen. Aus der Be­lau­schung der ge­schwät­zi­gen Pri­ma­ten muss­te er je­doch zwangs­läu­fig schlies­sen, dass an den heiss dis­ku­tier­ten Wirt­schafts­fra­gen et­was dran sein musste.
Die Neu­gier von Al­fons war ge­weckt, und er mach­te wei­te­re Er­kun­di­gun­gen bei den afri­ka­ni­schen Spring­bö­cken von der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te. Er er­fuhr da­bei ei­ni­ges Un­er­freu­li­che über den Schwei­zer Im­mo­bi­li­en­markt, der an­hal­ten­den Teue­rung im Ge­sund­heits­we­sen und die neu­es­ten Stil­brü­che in der Mo­de­bran­che. Da­nach wur­de es für Al­fons zur aus­ge­mach­ten Sa­che, dass er die­sen Din­gen selbst auf den Grund ge­hen muss­te. Nicht ganz un­ei­gen­nüt­zig woll­te er vor al­lem Nä­he­res über die letz­ten Trends bei der Kro­ko­dil­le­der-Hand­ta­schen­fer­ti­gung in Er­fah­rung brin­gen, was man ihm beim bes­ten Wil­len nicht ver­übeln konnte.

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Der ent­schei­den­de letz­te Trop­fen, der das Fass zum Über- bzw. Al­fons Han­ni­bal zum Ent­lau­fen brach­te, war eine in sei­ne Schlaf­mul­de ge­weh­te Sei­te des Lies­ta­ler Stadt­an­zei­gers mit Stel­len­an­ge­bo­ten für un­ge­lern­te Hilfs­kräf­te. Nun traf es sich vor­treff­lich, dass Al­fons Han­ni­bal ab­so­lut un­ge­lernt war, was durch­aus dem ge­such­ten und recht be­schei­den ent­lohn­ten Job­pro­fil ent­sprach, der da an­ge­zeigt wur­de. Gleich­zei­tig war er, trotz ge­wis­ser De­fi­zi­te in All­ge­mein­wis­sen und sehr be­grenz­ter Le­bens­er­fah­rung, ein sehr un­ter­neh­mungs­lus­ti­ges Tier – das muss man ehr­li­cher­wei­se zu­ge­ben –, das sich nur zu ger­ne neu­en Her­aus­for­de­run­gen stell­te. Zwar konn­te er ge­druck­te Tex­te – ganz nach Al­li­ga­to­ren­art – nur mit ei­ni­ger Mühe ent­zif­fern (Al­li­ga­to­ren kön­nen die Buch­sta­ben b von p und von d nicht un­ter­schei­den, und auch sonst las­sen sie sich leicht ein x für ein u vor­ma­chen), aber mit viel Ge­duld und Drü­sen­se­kret fand er tat­säch­lich her­aus, was dort stand: ein in sei­nen Au­gen ver­lo­cken­des An­ge­bot für eine un­ter­ge­ord­ne­te Stel­le als Hilfs­ar­bei­ter in ei­nem Lies­ta­ler Le­bens­mit­tel­la­den. Dort such­te man ei­nen un­ge­lern­ten Hand­lan­ger, der Kis­ten ent­lee­ren, ent­sor­gen, und alle hal­be Stun­de die auf­ge­sta­pel­ten Sa­la­te be­feuch­ten konn­te. Für un­se­ren Al­fons war das an­ge­sichts sei­ner recht ein­sei­ti­gen, je­doch ex­ten­si­ven Le­bens­er­fah­rung mit ei­nem von Grün­zeug über­wu­cher­ten Tüm­pel, eine sich auf na­tür­li­che Wei­se an­bie­ten­de Be­schäf­ti­gungs­mög­lich­keit. Ohne mit sei­nen wim­pern­lo­sen Au­gen­wüls­ten zu zu­cken, be­schloss er kur­zer­hand die­se Ge­le­gen­heit beim Schopf zu pa­cken und bei “Nötz­li & Mey­er De­li­ka­tes­sen” an­zu­heu­ern. Klei­ne Ne­ben­be­mer­kung: die in­zwi­schen kon­kurs­ge­gan­ge­ne Fir­ma hiess da­mals mit voll­stän­di­gem Na­men “Nötz­li & Mey­er De­li­ka­tes­sen-Es­sen zum Auf­es­sen GmbH”.

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An­zei­ge

Das wohl drän­gends­te Pro­blem von Al­fons war, recht­zei­tig so­wohl aus dem Ge­he­ge als auch aus dem Zoo zu ent­wi­schen. Die Ver­tu­schung sei­ner Iden­ti­tät als fleisch­fres­sen­des Rep­til schien da­ge­gen we­ni­ger pro­ble­ma­tisch zu sein; so ein Grün­schna­bel wie er konn­te schon mal ein we­nig selt­sam aus­se­hen, ohne gleich gros­se Auf­merk­sam­keit zu er­re­gen. Das war ihm von An­fang an klar, sonst hät­te er den Aus­bruch gar nicht ge­wagt. Aber ge­mäss sei­nem sorg­fäl­tig aus­ge­dach­ten Flucht­plan wür­de er sich mit der ab­ge­leg­ten Latz­ho­se des jüngst pen­sio­nier­ten Rep­ti­li­en-Pfle­gers Hans-Ru­dolf Brun­ner ver­klei­den, und so tun, als wäre er ein et­was ge­bückt ge­hen­der Nie­der­bay­er. Aus­ser­dem wuss­te er, dass er die für Al­li­ga­to­ren ty­pi­schen, ver­rä­te­ri­schen Grunz­lau­te tun­lichst ver­mei­den muss­te. Schwie­ri­ger war es, sei­nem Ar­beit­ge­ber klar­zu­ma­chen, war­um er vor­wie­gend auf al­len Vie­ren da­her­kam. Aber in Zei­ten von ge­sell­schaft­li­chen Um­brü­chen, Kli­ma­kri­se und al­lent­hal­ben nied­rig auf­ge­häng­ten Re­kla­me­ta­feln, war das auch bei Men­schen kein ab­so­lut sel­te­ner An­blick mehr.
Die lang­ersehn­te Ge­le­gen­heit zum Ent­fleu­chen er­gab sich an ei­nem be­son­ders be­su­cher­star­ken Sonn­tag im Mai letz­ten Jah­res, als eine Fuh­re von kom­post­fä­hi­gen Was­ser­pflan­zen aus dem Ge­he­ge aus­ge­schafft wer­den muss­te. Hier­bei kam Al­fons zu­gu­te, dass dies­mal die üb­li­chen Vor­sichts­mass­nah­men et­was lasch ge­hand­habt wur­den. Der neue, jüngst für Am­phi­bi­en, Schlamm­sprin­ger und Bart­gei­er zu­stän­di­ge Tier­pfle­ger, ein ge­wis­ser Fe­lix Ob­wal­der, war auf­grund schwer­wie­gen­der psy­chi­scher Pro­ble­me nicht all­zu auf­merk­sam bei der Sa­che; er muss­te ei­nen Trau­er­fall in sei­ner Fa­mi­lie ver­ar­bei­ten, na­ment­lich die An­kün­di­gung sei­ner Schwie­ger­mut­ter, über das kom­men­de Wo­chen­en­de zu Be­such zu kom­men. Er­schwe­rend für ihn kam die Aus­sicht hin­zu, da­heim ta­ge­lang nur Kraut­sa­lat vor­ge­setzt zu be­kom­men. So kam es, dass der mit sich und der Welt ha­dern­de Ob­wald­ner die vor­ge­schrie­be­ne Kon­trol­le des Kom­post­guts auf tie­ri­sche Tritt­brett­fah­rer un­ter­liess, und auf die­se Wei­se die Flucht un­se­res Al­fons Han­ni­bal von Ever­gla­de er­mög­lich­te. Die­ser hat­te sich gut ge­tarnt zwi­schen die grü­nen Stän­gel ge­zwängt und lan­de­te un­be­merkt im Kom­post­con­tai­ner aus­ser­halb der Zoom­au­ern. Da­mit be­gan­nen jene denk­wür­di­gen Er­eig­nis­se, die im wei­te­ren Ver­lauf auf alle Be­tei­lig­ten sehr ver­stö­rend ge­wirkt ha­ben – und es im­mer noch tun!

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Spä­tes­tens hier muss eine er­klä­ren­de Ein­las­sung kom­men. Mög­li­cher­wei­se wird sich der hu­ma­nis­tisch ge­bil­de­te Le­ser mit Grund­kennt­nis­sen des Brehm­schen Tier­le­bens fra­gen, seit wann Zoo­tie­re sich über Art­gren­zen hin­aus ver­stän­di­gen und kom­ple­xe Hand­lun­gen durch­füh­ren kön­nen. Und vor al­lem, wie sie über­haupt zu hö­he­ren in­tel­lek­tu­el­len Leis­tun­gen be­fä­higt sind, um sich im kom­ple­xen hel­ve­ti­schen Wirt­schafts­le­ben zu­recht­zu­fin­den. Nun, in der Tat, frü­her war das die längs­te Zeit nicht der Fall, aber seit Neus­tem hat der ra­san­te Ent­wick­lungs­schub bei der Künst­li­chen In­tel­li­genz auch in der Zoo­tier­hal­tung Ein­zug ge­hal­ten. Fin­di­gen Wis­sen­schaft­lern von der Eid­ge­nös­si­schen Tech­ni­schen Hoch­schu­le, Ab­tei­lung Neu­ro­ky­ber­ne­tik und Na­no­ge­fum­mel, ist es ge­lun­gen, Wir­bel­tie­ren mit ei­nem Hirn­vo­lu­men grös­ser als ei­ner Wal­nuss et­was von den un­ge­ahn­ten Ka­pa­zi­tä­ten die­ser Tech­no­lo­gie zu­gäng­lich zu ma­chen. Die­ser Fort­schritt ba­sier­te auf ein­ge­pflanz­te Mi­kro­chips un­ter die Schä­del­ka­lot­te, wo­bei es end­lich ge­lun­gen war, die An­schluss­punk­te des Im­plan­tats mit den Hirn­zel­len naht­los zu ver­knüp­fen. Das hier­für ei­gens ent­wi­ckel­te und welt­weit pa­ten­tier­te Ver­fah­ren be­stand aus dem Ein­schmie­ren der Kon­takt­flä­chen mit erd­nuss­but­ter­ge­puf­fer­tem Trüf­fel­öl. Die­se hoch­spe­zi­fi­sche Sub­stanz aus den Zür­cher La­bo­ra­to­ri­en, im Fach­jar­gon auch EnB-gpTo­e/017 ge­nannt, in­du­ziert das se­lek­ti­ve Ein­wach­sen von Ner­ven­enden in die elek­tri­schen Kon­tak­te und er­schliesst selbst ei­nem eher ärm­lich aus­ge­stat­te­ten Hirn­schmalz die wun­der­ba­re Welt der hoch­flie­gen­den Ge­dan­ken. Dank die­ser mas­si­ven Leis­tungs­stei­ge­rung im Denk­ap­pa­rat sind selbst eher un­be­darf­te Tie­re in der Lage, hö­he­re men­ta­le Leis­tun­gen zu er­brin­gen wie zum Bei­spiel abs­trak­te Mus­ter­er­ken­nung, mit­tel­schwe­re Arith­me­tik und li­te­ra­ri­sches Ver­ständ­nis. Ein­zel­ne, be­son­ders ta­len­tier­te Na­ge­tie­re schaff­ten be­reits acht Wo­chen nach dem Ein­griff den ge­wal­ti­gen Sprung vom An­knab­bern von Wur­zel­ge­mü­se zu feh­ler­frei­em Wur­zel­zie­hen von drei­stel­li­gen Zah­len – selbst un­ter gna­den­lo­sem Zeitdruck.

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Wie sich im Nach­hin­ein her­aus­stell­te, hat­ten die gut­ge­mein­ten Be­mü­hun­gen der Tier­ver­bes­se­rer ei­ni­ge un­er­wünsch­te Fol­gen nach sich ge­zo­gen. Ur­sprüng­lich soll­te der Ein­griff die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Tier­pfle­gern er­leich­tern, vor al­lem wenn schmerz­haf­te, aber not­wen­di­ge ve­te­ri­när­me­di­zi­ni­sche Mass­nah­men an­stan­den (aus­ser bei den Meer­kat­zen, die ka­te­go­risch jede Imp­fung ab­lehn­ten). Die ge­chipp­ten Tie­re konn­ten un­ter­ein­an­der fried­li­cher kom­mu­ni­zie­ren als frü­her, was die Zahl von Re­vier­kämp­fen deut­lich zu­rück­ge­hen liess. Doch mit der Zeit lern­ten die be­son­ders schlau ge­wor­de­nen Ex­em­pla­re auch das Aus­tau­schen von Nach­rich­ten, Ge­rüch­ten und Mei­nun­gen un­ter­ein­an­der und so­gar über Ar­ten­gren­zen hin­weg, was zu ei­ner zu­nächst ge­heim ge­hal­te­nen, spä­ter je­doch of­fen aus­ge­tra­ge­nen ge­samt­zoo­lo­gi­schen Ver­schwö­rung der Wir­bel­tie­re ge­führt hat­te. Die­se mün­de­te in im­mer dreis­te­ren For­de­run­gen nach bes­se­rer Ver­pfle­gung, Ver­sor­gung mit Kurz­weil ver­schaf­fen­den Plas­tik­spiel­zeu­gen, un­ge­hin­der­tem In­ter­net­zu­gang und letzt­end­lich zur Grün­dung ver­schie­de­ner In­ter­es­sen­grup­pen wie – um nur ei­ni­ge zu nen­nen – die “Eid­ge­nös­si­sche Hyä­nen- und Ko­jo­ten-Uni­on”, die “Ver­ei­ni­gun­gen der Phleg­ma­ti­schen Kriech­tie­re”, oder der recht bi­zar­re “Bund der Schrä­gen und Ei­ni­ger Ge­ra­den Vö­gel”. Es tut hier nichts zur Sa­che, aber der Voll­stän­dig­keit hal­ber sei noch er­wähnt, dass un­ter den ge­chip­ten Vö­geln stets Un­ei­nig­keit herrscht, wenn es um Or­ga­ni­sa­to­ri­sches geht; das nir­gend­wo hin­füh­ren­de Ge­schnat­ter nimmt ein­fach kein Ende.

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Satire Peter Biro - Der Alligator im Delikatessen-Laden - Affen beim Pokern - Glarean Magazin
Pro­fit durch In­tel­li­genz­schub: Af­fen beim Pokern

Es braucht nicht ex­tra be­tont zu wer­den, dass es die Men­schen­af­fen wa­ren, die den gröss­ten Pro­fit aus dem künst­lich be­feu­er­ten In­tel­li­genz­schub ge­zo­gen ha­ben. Sie wa­ren die ers­ten, die sich über die wich­tigs­ten Trans­ak­tio­nen der Zür­cher Gross­fi­nanz in­for­mie­ren lies­sen, und die­se Er­kennt­nis­se spä­ter in bare Mün­ze bzw. in nütz­li­ches Han­dels­gut ver­wan­del­ten. Da­her ver­wun­dert es in­zwi­schen die Be­su­cher des Bas­ler Zoos kaum, dass die Af­fen­an­la­ge zu­neh­mend ei­nem Fünf­stern-Ho­tel mit Well­ness-Oase, Ka­si­no und Ver­gnü­gungs­park ähnelt.
Was aber sich sonst noch er­gab, war viel ein­schnei­den­der. Nach län­ge­ren Strei­tig­kei­ten mit der Zoo­ver­wal­tung ha­ben die Bo­no­bos im Ver­ein mit Schim­pan­sen, Go­ril­las und ei­ni­gen äl­te­ren Orang-Utans durch­ge­setzt, sich von li­vrier­ten Ma­ka­ken be­die­nen zu las­sen. Nach­dem die­se frag­wür­di­ge Ge­pflo­gen­heit sich fest eta­bliert hat­te, ver­lang­ten die Af­fen von den Tier­pfle­gern, nur noch mit aka­de­mi­schen Ti­teln an­ge­re­det zu wer­den. Es war kein ge­rin­ge­rer als Dr. rer. nat., Dr. h.c. Her­bert Ha­ku­na-Mata­ta, das Al­pha­männ­chen der Zwerg­schim­pan­sen, das sich nach ei­ni­ger Zeit als Vor­sit­zen­der des Äl­tes­ten­rats der Men­schen­af­fen und Spre­cher sämt­li­cher Wir­bel­tie­re im gan­zen Halb­kan­ton bzw. im hal­ben Ganz­kan­ton durch­ge­setzt hat­te. Dies wohl­ge­merkt noch lan­ge be­vor er sich aus Kar­rie­re­grün­den in den Zür­cher Zoo ver­set­zen liess. Er war sich sei­ner Wich­tig­keit stets be­wusst, vor al­lem seit­dem ihm es als ein­zi­gem ob­lag, die In­ter­es­sen der Tier­ge­mein­schaft ge­gen­über der Zoo­lei­tung zu ver­tre­ten. Es ver­steht sich fast von selbst, dass der af­fi­ge Dok­tor sei­ne Po­si­ti­on hem­mungs­los nach in­nen und aus­sen aus­nutz­te und da­bei eine qua­si dik­ta­to­ri­sche At­ti­tü­de annahm.

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Wäh­rend alle an­de­ren Wir­bel­tie­re sich mit den neu­en Le­bens­um­stän­den und Ent­fal­tungs­mög­lich­kei­ten bes­tens ar­ran­giert ha­ben, war ein­zig Al­fons Han­ni­bal ir­gend­wie un­zu­frie­den. Ins­be­son­de­re wurm­te es ihn, dass die Pri­ma­ten den Ton an­ga­ben, und vor al­lem sei­ne ty­pisch al­li­ga­to­ri­sche Neu­gier­de weit­ge­hend un­be­frie­digt blieb. So kam es, dass er mehr über die Aus­sen­welt in Er­fah­rung brin­gen woll­te, nicht zu­letzt und al­lem vor­an über die ak­tu­el­len Ent­wick­lun­gen in der Lederwarenbranche.
Das Ver­schwin­den Al­fons Han­ni­bals blieb lan­ge un­be­merkt, denn der schlud­ri­ge Ob­wal­der un­ter­liess es lan­ge, die re­gel­mäs­si­ge Zäh­lung der Be­woh­ner sei­nes Ge­he­ges durch­zu­füh­ren – so wie das zu­vor vom al­ters­hal­ber aus­ge­schie­de­nen Brun­ner ak­ku­rat prak­ti­ziert wur­de. Aber halt! Ganz so un­be­merkt blieb die Sa­che auch nicht. Erich Bir­ken­stock, der Schuh­schna­bel und Aman­da Ar­ma­dil­lo, das Gür­tel­tier-Weib­chen, hat­ten sehr wohl ge­schnallt, was los war, be­hiel­ten aber ihr Wis­sen für sich, und drück­ten ih­rem ent­flo­he­nen Kol­le­gen al­les, was ei­nem Dau­men auch nur ent­fernt ähnelte.
Gleich­zei­tig ord­ne­te sich Al­fons sehr ge­schickt in das Ar­beits­le­ben bei Nötz­li & Mey­er De­li­ka­tes­sen ein, und er­le­dig­te sei­ne Auf­ga­ben zur volls­ten Zu­frie­den­heit des Fi­li­al­lei­ters. Die Kis­ten wur­den pflicht­ge­mäss ent­leert und zeit­ge­recht ent­sorgt, und die sorg­sam be­feuch­te­ten Sa­la­te er­schie­nen selbst der kri­tischs­ten ve­ga­nen Kund­schaft fri­scher denn je zu­vor. So ge­schah über mehr als drei Mo­na­ten nichts Be­son­de­res; Man be­merk­te we­der im Zoo das Feh­len ei­nes Rep­tils, noch er­reg­te der et­was selt­sam aus­se­hen­de Hilfs­ar­bei­ter in der ab­ge­wetz­ten Latz­ho­se ir­gend­ei­nen Ver­dacht bei den Mit­ar­bei­tern und Kun­den von Mey­er & Nötz­li De­li­ka­tes­sen. Die­ser Zu­stand hät­te wohl noch viel län­ger an­hal­ten kön­nen, hät­ten die tie­ri­schen In­stink­te von Al­fons nicht mit der Zeit überhandgenommen.
Schluss­end­lich stol­per­te er über sei­ne Er­näh­rungs­ge­wohn­hei­ten. Und das kam so:

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Be­kannt­lich be­nö­ti­gen Rep­ti­li­en le­dig­lich alle zwei bis drei Mo­na­te eine or­dent­lich sät­ti­gen­de Mahl­zeit, dann aber müs­sen sie auf ein­mal Un­men­gen von fleisch­li­cher Nah­rung ver­til­gen. An­fangs ge­lang es Al­fons recht gut, sein Hun­ger­ge­fühl zu un­ter­drü­cken, aber ei­nes Abends, konn­te er es kaum mehr aus­hal­ten. Statt wie sonst sich zur Über­nach­tung in die Ufer­bö­schung bei Rhein­fel­den zu­rück­zu­zie­hen, ver­steck­te er sich kurz vor Diens­ten­de hin­ter der Ge­frier­tru­he mit der in der Deutsch­schweiz be­son­ders be­lieb­ten Tief­kühl­kost, und liess sich zum La­den­schluss – selbst­ver­ständ­lich von den Mit­ar­bei­tern un­be­merkt – ein­sper­ren. Er rühr­te sich bis Mit­ter­nacht nicht aus sei­nem Ver­steck, zu­mal er sich als wech­sel­war­mes Tier in kal­ter Um­ge­bung kaum mehr re­gen konn­te. Aber der Fress­trieb war stär­ker als die ver­lang­sa­men­de Wir­kung des Nötz­li & Mey­er­schen Kühl­ag­gre­gats. Be­hut­sam und ziel­si­cher kroch er her­vor und mach­te sich über die wohl­do­tier­te Fleisch­aus­la­ge her, an der er bis da­hin über Mo­na­te, un­ter gröss­ter Über­win­dung und Wah­rung von Selbst­dis­zi­plin, schein­bar teil­nahms­los mit der Giess­kan­ne in der Pran­ke vor­bei­ge­schlen­dert war.

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Kurz und gut, am nächs­ten Mor­gen fand man den in tiefs­tem Ver­dau­ungs­schlaf hin­ge­streck­ten Hilfs­ar­bei­ter auf dem Bo­den vor der lee­ren Fleisch­the­ke, und er­kann­te ne­ben­bei, dass es sich um ei­nen Al­li­ga­tor aus dem Bas­ler Zoo han­del­te. Un­ter der auf­ge­platz­ten Latz­ho­se konn­ten ihn kun­di­ge Mit­ar­bei­ter ein­deu­tig an der klei­nen Blech­pla­ket­te, die an ei­nem sei­ner Rü­cken­schup­pe be­fes­tigt war, identifizieren.
Der bi­zar­re Vor­fall fand der­weil grös­se­re Be­ach­tung in den lo­ka­len Me­di­en und führ­te so­wohl im Zoo als auch im De­li­ka­tes­sen­la­den zu aus­ge­dehn­ten Nach­for­schun­gen dar­über, wie es zu die­sem be­dau­er­li­chen Er­eig­nis kom­men konn­te. Das hat­te meh­re­re frist­lo­se Ent­las­sun­gen zur Fol­ge, un­ter an­de­rem für den Tier­pfle­ger Ob­wal­der, sei­nem di­rek­ten Vor­ge­setz­ten vom Rep­ti­li­en­ge­he­ge und den Per­so­nal­ver­ant­wort­li­chen von Mey­er & Nötz­li De­li­ka­tes­sen-Es­sen zum Auf­es­sen GmbH.
Für Al­fons Han­ni­bal von Ever­gla­de, den neu­gie­rigs­ten Al­li­ga­tor bei­der Ba­sel, be­deu­te­te die­se Ent­wick­lung nichts an­de­res als eine tri­um­pha­le Rück­kehr zu sei­nen Art­ge­nos­sen, de­nen ge­gen­über er nur mit Mühe ei­ni­ge Kro­ko­dils­trä­nen der Rüh­rung un­ter­drü­cken konnte. ♦

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN von Pe­ter Biro auch die Satiren:
Ka­ma­su­tra mit Fleischzange
Schreib­blo­cka­de
Des Kö­nigs win­di­ge Ansprache

2 Kommentare

  1. Lie­ber Herr Carl, bes­ten Dank für den über­aus po­si­ti­ven feed­back. Bit­te schau­en Sie mal im Vor­bei­sur­fen bei mei­nen frü­he­ren Bei­trä­gen her­ein. Mög­li­cher­wei­se wer­den Sie auch eine ge­wis­se li­te­ra­ri­sche Ent­wick­lung er­ken­nen. Wer weiss wo­hin das noch füh­ren wird…?!

  2. Sehr schön, Herr Biro, und nicht ohne Span­nung! Zu­mal noch die eine und an­de­re sa­ti­ri­sche Spit­ze ge­gen ge­sell­schaft­li­che Misstän­de ent­hal­ten ist. Iro­ni­scher Hu­mor, in­ter­es­sant ver­packt! Mehr da­von, bit­te! Carl

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