Ich bestieg die Metro, Linie 4, beim Evangelischen Bahnhof Richtung Waldstadion, wie immer jeden Dienstag-Nachmittag auf dem Weg zum allwöchentlichen Käsestemmen der pensionierten Augenärzte im “Fitnesscenter Muskelköter”. Da fällt mir doch auf dem gegenüberliegenden Sitz eine ausgerissene Zeitungsseite auf. Es war nicht einmal eine ganze Seite, nur ein desserttellergroßes Fitzelchen. Ich konnte unschwer erkennen, dass es aus dem Feuilleton unserer Lokalzeitung, dem “Buxtehuder Abendgeschrei” stammte. Da hat jemand sich der überflüssigen Blätter entledigen und nur diesen Ausschnitt behalten wollen, und hat vermutlich in der Eile diesen Ausriss liegengelassen. Da fragte ich mich als neugieriger Bürger, passionierter Käsestemmer und Augenarzt im Ruhestand: Woran war der oder die vergessliche Zeitungsleserin so interessiert? Also nahm ich das Schnipsel an mich und fand das folgende Fragment einer recht enthusiastischen Buchbesprechung:
Das besondere Buch – ein neues Werk der vielgereisten Hildegard Krämer
von Heiner Lachkramp-Gonzales
Die demnächst im Frühjahr bei Horn & Hörnchen erscheinende siebte Auflage des “Kamasutra bei Verrichtungen im Haushalt” bedarf einer neuen Würdigung, denn die sechste liegt bereits über zwanzig Jahre zurück. Seither ist in der häuslichen Erotik und noch viel mehr in der Hauswirtschaftslehre sehr viel hinzugekommen. Neue mikroprozessorgesteuerte und umweltschonende Haushaltsgeräte haben die Art und Dauer der im Haushalt anfallenden Arbeiten radikal geändert, so dass deren Umsetzung zum heimischen Lustgewinn neu behandelt werden muss.
Damit hat sich die Autorin Hildegard Krämer einer Mammutaufgabe gestellt, die, in der Hand eines weniger kompetenten Schreibenden, leicht zu einer bloßen Aufzählung von Liebespraktiken und Verrenkungen in Küche, Waschraum und Wintergarderobe hätte werden können. Doch die lebenserfahrene und liebeskundige Krämerin zeigt sich in diesem 450-seitigen Werk der heiklen Aufgabe in jeder Hinsicht gewachsen. Dies nicht zuletzt wegen ihrer Vorgeschichte, einerseits als erfahrene Gleitcreme-Chemikerin bei Oleo-Olé Schmiermittel und Öle GmbH, sowie andererseits als Disponentin für Freizeitgestaltung und Sexualkunst bei der Landesvereinigung für Gemeinschaftliche Erwachsenenunterhaltung.
Nicht zuletzt hat für die Verlagsdirektorin, Frau Doktor Angela Horn, Hildegards mehrjähriger Aufenthalt in Indien und Nepal den Ausschlag gegeben, ihr den Zuschlag zu geben, und nicht etwa dem Autor der letzten drei Auflagen. Jener Franz Hanebüchler hatte das bereits seinerzeit recht komplexe Thema im Geiste der damaligen Modeerscheinungen behandelt und sich viel zu ausführlich mit rein mechanischen Stimulantien wie Käsehobel, Schuhspanner und Abflusspömpel befasst. Nun jedoch ließ sein mittlerweile vorgerücktes Alter erhebliche Zweifel an seiner Sachkunde in moderner Hauswirtschaft und erst recht in zeitgenössischer, akrobatisch anmutender Erotik aufkommen.
Im Gegensatz zu Hanebüchler, hatte Krämer zuvor im letzten ihrer recht erfolgreichen Reiseratgeber für sexsüchtige Alpinisten “Ich erklomm berauschende Höhepunkte im Himalaya” detailliert über ihre Erfahrungen berichtet, die sie in diversen Ashrams bei erotomanisch veranlagten Gurus gesammelt hatte. Ohne jede Zurückhaltung oder gar Scham verschafft sie darin Einblicke in die Originalversion des Kamasutra einschließlich des erotikbehafteten Umgangs mit allerlei Ausrüstungsgegenständen fürs nudistische Bergsteigen.
Besonders bekannt, wenngleich auch umstritten, wurde die Krämerin für den Abschnitt über sexuelle Ausschweifungen ihrer Seilschaft im Biwak am Fuße des Sechstausenders Langgang-Putri, bei denen allerlei Ausrüstungsgegenstände zum Zwecke des Lustgewinns zweckentfremdet wurden. Gerade im Hinblick auf Eispickel und Karabinerhaken hatte sich Hildegard Krämer als besonders agile Extrem-Besteigerin erwiesen.
Mit diesem geo-erotischen “Empfehlungsschreiben” war es eine nur zu natürliche Sache, dass die Wahl für die geplante Neuauflage des Haushaltsartikel-Kamasutras auf sie fiel. So hat sich die Verlagsleiterin, Frau Doktor Angela Horn, mit der bestens beleumundeten neuen Autorin gegenüber ihrem Cheflektor Martin Hörnchen durchgesetzt, der den bewährten Herausgeber der früheren Auflagen bevorzugte. Hörnchens Argument betreffend Hanebüchlers langjähriger Erfahrung mit dem Thema galten in den Augen Frau Doktor Horns nicht viel, zumal bei beiden Herren das Lendenfeuer bereits deutlich nachgelassen hatte, und insbesondere Zweifel an ihren Kenntnissen der neueren Haushaltsapparaturen angebracht waren. Horn hielt ihrem Hörnchen vor, er könne nicht einmal die Bräunungsstufen seines Toasters richtig einstellen, geschweige denn damit zu einem halbwegs nachhaltigen Höhepunkt kommen.
Die Entscheidung für Hildegard Krämer und gegen Franz Hanebüchler kommentierte die streitbare Verlagschefin in einem vor kurzem ausgestrahlten Rundfunkinterview auf Antenne 12 mit dem Hinweis, dass weder ihr Cheflektor, Herr Hörnchen, noch dessen Intimfreund Herr Hanebüchler eine Ahnung hätten, wie man mit dem Deckel einer ThermoFlott-Kochmaschine eine klitorale Stimulation erzeugen könne. Demgegenüber habe eine handfeste Vorstellung Frau Krämers in den Verlagsräumen im Umgang mit einem beheizbaren Bügelbrett des Hörnchens letzte Zweifel ausräumen können, wobei die anwesenden Verlagsmitarbeiter insbesondere den ekstatischen Abschluss der Darbietung mit dem straff um ihre Oberschenkel gewickelten Stromkabel besonders überzeugend fanden.
So viel zur Entstehungsgeschichte bzw. Autorenwahl für die Neuauflage des “Kamasutra bei Verrichtungen im Haushalt”, welches bei der nächsten Kieler Buchmesse zum ersten Mal präsentiert werden soll. Dabei hat sich der Verlag etwas Besonderes einfallen lassen: Am Messestand wird man eine bestens ausgestattete Wohnküche aufbauen und ein halbes Dutzend Akteure einstellen, die während der Besuchszeiten zu jeder vollen Stunde einen zehnminütigen Akt von erotischen Handlungen untereinander und an allerlei Küchengeräten simulieren würden. Währenddessen wird die Autorin passende Abschnitte aus ihrem Werk vorlesen und die Anwesenden zum Mitmachen animieren.
Doch nun zurück zum Belegexemplar, welches ich nur mit einer Hand zu halten vermag. Bereits der Buchdeckel gewährt einen vielsagenden Einblick in den sowohl frivolen als auch haushaltsergonomisch faszinierenden Inhalt: Vor einem dunkelroten Hintergrund winden sich zwei geschmeidige Körper in umständlicher Verflechtung um einen Staubsauger. Übergroße, randvoll mit Ah!- und Oh!-Wortfetzen gefüllte Sprechblasen steigen aus den hinter dem prallen Staubbeutel zu vermutenden Köpfen der beiden Protagonisten auf. Auf der Innenseite springt einem die lustvollsten Assoziationen weckende ISBN 666-96-69-666 provokativ entgegen. Darüber prangt die nicht minder zweideutige Widmung “…für Herbert, den besten Reisgefährten und geilsten Bergschuhfetischisten…”, der sie bei vielen ihrer erotischen Reiseabenteuern begleitet habe.
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Von Erneuerungsdrang durchdrungen hat Hildegard Krämer ihre Version des Haushalts-Kamasutra völlig neu strukturiert. Anstatt von den üblichen Liebesritualen zwischen zwei oder mehreren Akteuren einerlei oder beiderlei Geschlechts auszugehen, so wie das in den acht Abschnitten des Originals angelegt ist, hat Krämer ihre Version an den typischen Verrichtungen im Haushalt orientiert. Sie widmete ganze Kapitel dem Lustgewinn beim Kochen, Braten & Backen (Kapitel 1), Geschirrspülen (Kapitel 4), Waschen & Bügeln (Kapitel 8, mit einer ausführlichen Fußnote zum autoerotischen Wäschetrocknen), Wischen, Fegen & Staubsaugen (Kapitel 11) usw. – selbstverständlich unter erregungsfördernder Einbeziehung der jeweiligen Apparaturen der neuesten Generation.
Ganz besonders erwähnenswert ist Krämers sorgfältige Auswahl von energiesparsamen Gerätschaften, die selbst bei einem sehr langdauernden Koitus lediglich geringe Stromverbrauchswerte aufweisen. Ich zitiere aus dem Vorwort: “Erst recht beim Anlegen von energieintensiven, vibrierenden Kochutensilien sollte uns der Umweltgedanke besonders naheliegen, damit auch künftige Generationen unbeschwert ihre erogenen Zonen stimulieren lassen können…”. Ein ihr besonders nah am Herzen liegendes Kapitel widmet Angela Krämer ihren Masturbationstechniken mit einfachen technischen Hilfsmitteln, die sich in jedem Haushalt finden lassen. Dabei macht sie keinen Hehl aus ihrer speziellen Vorliebe für Fleischzangen, von denen sie meint, “…man kann nie genug von diesen Dingern in allen Größen, Formen und Variationen haben. So wie die eigene Anatomie, ist eine jede Fleischzange verschieden und verschafft einem seine eigene, individuelle Form von Lustgewinn – wenn man sie nur richtig anlegt…”.
Im reichhaltig bebilderten Band finden sich überaus anschauliche Abbil…
Leider war hier bereits das jähe Ende des Zeitungsschnipsels erreicht, so dass ich mich mit meiner neuentfachten Neugier alleingelassen wiederfand. Aber das darf nicht lange anhalten. Gleich nach dem Käsestemmen gehe ich zu ElektroRamsch am Stiefelmarkt und kaufe mir eine brandneue programmierbare Fritteuse mit zehn Vibrationsstufen. ♦
Sehr schöne Satire! Habe mich köstlich amüsiert. Bravo! Auf solche Ideen muss man erst mal kommen… Obwohl ja immer wieder ganz dumme Unfälle in diesem Bereich passieren sollen… 😉 Witziger Text, danke – Jens aus Berlin
Sehr schöne Satire! Habe mich köstlich amüsiert. Bravo! Auf solche Ideen muss man erst mal kommen… Obwohl ja immer wieder ganz dumme Unfälle in diesem Bereich passieren sollen… 😉 Witziger Text, danke – Jens aus Berlin