Peter Biro: Schreibblockade (Satire)

Schreibblockade
oder
Der Förster und die Jägerin

Peter Biro

Teil 1 – Die Vorbereitung

Der von lau­ter Ta­ten­drang und Schaf­fens­kraft nur so strot­zen­de Sa­ti­ri­ker setzt sich in bes­ter Ab­sicht vor den Com­pu­ter, um eine knal­lend lus­ti­ge Sa­ti­re zu schrei­ben. Da­bei soll ein wirk­lich ge­lun­ge­nes Stück Li­te­ra­tur mit ge­sell­schafts­kri­ti­schen Un­ter­tö­nen ent­ste­hen, das oben­drein auch noch un­ter­hal­tend ist.
Der rou­ti­nier­te Schrei­ber sorgt für bes­tes Dich­tungs­am­bi­en­te. Da­für lässt er die Ja­lou­sien halb her­un­ter, um die rich­ti­ge Licht­men­ge her­ein­zu­las­sen; nicht zu viel und nicht zu we­nig, ge­ra­de mal so, dass ihn die Schat­ten der sanft schwan­ken­den Pap­pel nicht vom krea­ti­ven Schaf­fen ab­len­ken. Er rückt den Stuhl zu­recht; die­ses Mö­bel­stück ist nicht zu un­be­quem, um die Ar­beit zur Tor­tur zu ma­chen, und auch nicht zu kom­for­ta­bel, um ihn bei län­ge­ren Denk­pau­sen matt wer­den zu lassen.
Die gel­be Quiet­sch­en­te, ein Ge­schenk sei­ner klei­nen Nich­te Lara und un­ent­behr­li­ches Mas­kott­chen des pro­li­fe­ra­ti­ven Dich­ters, muss der­weil hin­ter dem Bild­schirm ver­schwin­den. Die­ses Ding könn­te ihn mit sei­nem lä­cher­lich gros­sen, ro­ten Schna­bel zu sehr von hoch­tra­ben­den, dich­te­risch wert­vol­len Ge­dan­ken ab­len­ken. Lara hat­te das un­dicht ge­wor­de­ne Spiel­zeug nicht mehr brau­chen kön­nen und ver­mach­te es un­ter ge­wis­sen Auf­la­gen ih­rem schrei­ben­den On­kel. Rechts von der Maus dampft schon griff­be­reit die an­ge­nehm duf­ten­de Tas­se Ha­ge­but­ten­tee und war­tet nur dar­auf, ih­ren un­ter­stüt­zen­den Bei­trag zur Ent­wick­lung wohl­for­mu­lier­ter, künst­le­risch über­aus an­spruchs­vol­ler Ein­ge­bun­gen zu leisten.

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Schreibblockade - Glarean MagazinNun rückt er sich den Stuhl un­ter dem Hin­tern zu­recht, setzt sich mit ei­ner weit aus­ho­len­den Ges­te er­war­tungs­voll hin und über­prüft die Po­si­ti­on der Tas­ta­tur, die sich ge­nau auf Arm­län­ge vor ihm im Pan­ora­ma­for­mat aus­brei­tet. Ja, so ist es ide­al! Mit ei­nem ele­gant ge­setz­ten Dop­pel­klick öff­net er eine neue Word­da­tei im um­laut­frei be­zeich­ne­ten Ord­ner na­mens “Neue Ent­wuer­fe” und be­trach­tet zu­frie­den die blen­dend weis­se Ober­flä­che, die sich so ein­la­dend auf dem pi­co­bel­lo auf­ge­räum­ten Bild­schirm vor sei­nen Au­gen ausbreitet.
Ei­nem Kla­vier­vir­tuo­sen nicht un­ähn­lich setzt der ge­fei­er­te Au­tor sei­ne zart­glied­ri­gen Hän­de auf die Tas­ta­tur, vol­ler Er­war­tung, dass sei­ne ge­wohn­te Krea­ti­vi­tät nun an­sprin­gen wer­de, was wie­der­um ent­spre­chend sinn­haf­te Ak­ti­ons­be­feh­le an sei­ne zehn (“Fin­ger” ge­nann­ten) Aus­füh­rungs­or­ga­ne aus­lö­sen wür­de. Noch ru­hen acht sei­ner Ak­ti­ons­künst­ler an­ge­spannt auf den Buch­sta­ben A, E, R, N, I, O, K und Shift, wäh­rend sei­ne bei­den Dau­men sym­me­trisch auf der Pau­sen­tas­te sit­zen und be­reit­ste­hen, die er­for­der­li­chen Ab­stän­de zwi­schen den so­gleich pur­zeln­den, gol­de­nen Wor­ten des Meis­ters zu setzen.
Aber… aber es will ein­fach nichts purzeln.

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Was ist nur mit mir los?” fragt sich der sicht­lich ver­un­si­cher­te Gra­fo­ma­ne, der ganz über­rascht ist vom nicht-ein­set­zen-wol­len­den Schreib­schwall. “Das gibt’s doch nicht!” mur­melt er lei­se in sich hin­ein, “jetzt fällt mir ge­ra­de nichts ein. Ein wahr­haft un­ge­wöhn­li­ches Er­eig­nis…”, denkt es in ihm in sei­ner ge­wohnt ge­pfleg­ten Sprach­me­lo­die und mit ei­nem lei­sen An­flug von Beunruhigung.
Glück­li­cher­wei­se ist bis zur Ver­zweif­lung noch ein lan­ger Weg, eine Zeit­stre­cke, die noch man­cher­lei Chan­cen auf eine in­ter­es­san­te Wort­fin­dung of­fen­lässt. Wenn nur ein sol­ches, wohl­for­mu­lier­tes, er­lö­sen­des Wort auf­kom­men könn­te! Nur ei­nes, wel­ches das Po­ten­zi­al in sich trägt, zu ei­ner net­ten, klei­nen Kurz­ge­schich­te aus­ge­walzt zu wer­den. Ein an­spruchs­vol­les, ger­ne auch ein we­nig ge­heim­nis­vol­les Wort wie “Hy­per­tro­phie”, oder “Hy­po­te­nu­se” zum Bei­spiel, oder gar “Hüt­ten­kä­se”, letz­te­res ein klas­si­scher An­knüp­fungs­punkt für ganz­heit­li­che, ge­sund­heits- und er­näh­rungs­re­le­van­te Aus­füh­run­gen. Aber der ein­zi­ge Be­griff, der ihm jetzt auf­kommt, ist nur: “Schreib­blo­cka­de”, nichts An­de­res. Und dazu fällt ihm par­tout nichts Ver­wend­ba­res ein. Es liegt nun mal in der Na­tur der Sache.

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Nun ver­harrt er eine Wei­le in­stän­dig hof­fend, dass ir­gend­ein halb­wegs lus­ti­ger Ge­dan­ken­split­ter in sei­ner Phan­ta­sie auf­kommt. Aber es kommt nichts. Nicht ein­mal ir­gend­ein plum­pes Slap­stick-Sze­na­rio, das er, wie ge­wohnt, bis auf vier­ein­halb Sei­ten aus­führ­lich be­schrei­bend aus­deh­nen könn­te. Nein, es kommt im­mer noch nichts. Er steckt in ei­ner ve­ri­ta­blen Schreibblockade.
Mit ge­senk­tem Blick schaut er auf die vor sei­ner Nase breit aus­ge­leg­te Tas­ta­tur, de­ren mit weis­sen gross­buch­sta­ben be­zeich­ne­te Wür­fel­chen her­aus­for­dernd auf den er­lö­sen­den An­druck war­ten. Sie har­ren je­ner er­lö­sen­den Be­we­gung, die sie, ih­rem Be­stim­mungs­zweck ent­spre­chend, zu ei­ner mit Klick­ge­räu­schen un­ter­mal­ten Cho­reo­gra­phie ver­lei­tet, bei der dann le­sens­wer­te Pro­sa ent­steht. De­ren End­ergeb­nis wie­der­um soll­te sich si­mul­tan auf der hell leuch­ten­den Ober­flä­che, di­rekt über den er­war­tungs­voll war­ten­den, klei­nen Qua­drat­schä­deln aus­brei­ten. Doch nichts der­glei­chen ge­schieht. Er hat im­mer noch die­se ver­damm­te Schreibblockade.

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Qwertz - Schreiben - Tastatur - Glarean MagazinVer­är­gert sucht der rat­lo­se Au­tor im mehr­zei­li­gen Ar­ran­ge­ment der be­sag­ten Tas­ten nach ei­ner weg­wei­sen­den Bot­schaft, nach ir­gend­ei­nem ver­steck­ten Hin­weis, der zu ei­ner sinn­vol­len, gleich­gül­tig wie ge­ar­te­ten Phra­se, füh­ren wür­de. We­nigs­tens ei­nen ein­lei­ten­den Ne­ben­satz, oder sei­net­we­gen auch nur ein ein­zi­ges, wei­ter­füh­ren­des Wort.
Und dann pas­siert es! Es däm­mert ihm plötz­lich: “Oh ja, das ist es!”. Man muss nur ge­nau hin­se­hen, da steht es weiss auf schwarz; links oben prangt das ret­ten­de Wort, zu­sam­men­ge­setzt aus den sechs ers­ten Tas­ten der obers­ten Buch­sta­ben­zei­le: “QWERTZ”.
Er­staun­lich, dass ihm das noch nie vor­her auf­ge­fal­len war! “Qwertz” ist ein Be­griff, mit dem ein ge­üb­ter Ro­man­cier et­was an­fan­gen kann. “Qwertz ist Trumpf und Trumpf ist Qwertz!”. Das muss ein­mal klar ge­sagt und ge­schrie­ben werden.

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Nun also, will er ei­nen neu­en Text auf “Qwertz” auf­bau­en. Das Wort ist gut und noch nicht ab­ge­grif­fen, da kaum be­nutzt. Trotz sei­ner schein­ba­ren Künst­lich­keit exis­tiert er sehr wohl im Wort­schatz ge­bil­de­ter Kul­tur­men­schen, und zwar als na­mens­ge­ben­de Va­ri­an­te der üb­li­chen, deutsch­spra­chi­gen Schreib­ma­schi­nen-Tas­ta­tur. Sach­kun­dig spre­chen Ein­ge­weih­te da­von, ganz im Ge­gen­satz zur Qwer­ty-Tas­ta­tur, die aus­ser­halb der deutsch­spra­chi­gen Welt üb­lich ist und kei­ner­lei li­te­ra­risch ver­wert­ba­re As­so­zia­tio­nen her­vor­zu­ru­fen ver­mag. Nur muss der fin­di­ge Au­tor den Quertz-Be­griff in ei­nen wohl­klin­gen­den, sinn­vol­len Text gies­sen, was auch wie­der nicht so ein­fach ist. Aber er müss­te es hin­krie­gen, schliess­lich ist er ein an­er­kann­ter Meis­ter skur­ri­ler Phan­tas­te­rei­en, und sei­ne Neu­ent­de­ckung scheint als Aus­gangs­punkt ei­ner neu­en Ge­schich­te brauch­bar und oben­drein ori­gi­nell zu sein.

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Und das geht dann so, dass er sich zu­nächst fragt: “Was will der ge­neig­te Le­ser ei­gent­lich von mir le­sen?”. Und prompt gibt er sich sel­ber die pas­sen­de Ant­wort, die auch die meis­ten Fach­leu­te ge­ben wür­den: “Sex and Crime”. Ero­ti­sches mit ei­ner Pri­se Ge­walt­an­wen­dung. Das ist, was am meis­ten zieht.
“Also gut”, sagt er zu sich, da­bei neue Hoff­nung schöp­fend, “ver­su­chen wir mal aus die­sem Qwertz eine pri­ckeln­de Kurz­ge­schich­te mit ero­ti­schen Ge­walt­ele­men­ten raus­zu­kit­zeln”. Dann schrei­tet er zur Tat.

Teil 2 – Die Ausführung

Jagdhütte - Wald - Bäume - Jagdwild - Natur - Glarean MagazinOrt der Hand­lung: Die­ser könn­te prak­ti­scher­wei­se ein ab­ge­le­ge­nes Forst­haus sein, denn die Ein­sam­keit des Wal­des kann den po­ten­zi­el­len Tä­ter (vor­zugs­wei­se ei­nen ent­hemm­ten Sit­ten­strolch mit un­ver­ar­bei­te­tem Mut­ter­kom­plex) durch­aus dazu ver­lei­ten, eine un­sitt­li­che Tat zu be­ge­hen – wo­mit er er­war­tungs­ge­mäss zur li­te­ra­ri­schen Ent­span­nung des Le­sers bei­tra­gen würde.
Per­so­nen: Für das hier­aus ent­ste­hen­de ero­to­ma­ni­sche Dra­ma ge­nü­gen zwei er­wach­se­ne Fi­gu­ren, mehr ist vor­der­hand auch nicht nö­tig, um eine qwertz­in­du­zier­te Lie­bes­ge­schich­te mit mil­der, das heisst mit ei­ner künst­le­risch ge­ra­de noch ver­träg­li­chen Ge­walt­dar­stel­lung zu verfassen.
Die zwei Prot­ago­nis­ten sei­ner sich vor dem in­ne­ren Auge so­gleich ent­fal­ten­den Ge­schich­te sind:
– ein Jagd­auf­se­her, na­ment­lich Alo­is Mösenlechner
– eine Jä­ge­rin, mit vol­lem Na­men Jo­lan­de Ana­sta­sia Van der Qwertz
Aus­gangs­si­tua­ti­on: Jo­lan­de und Alo­is, die bei­den heim­lich­tu­en­den Lie­ben­den, ha­ben sich für ein ent­spann­tes Wo­chen­en­de in die­ses Forst­haus zu­rück­ge­zo­gen, al­ler­dings mit je­weils nicht ganz über­ein­stim­men­den Haupt­an­lie­gen: Die Jä­ge­rin will Wild er­le­gen (das wäre das blu­ti­ge Ge­walt­mo­tiv), wäh­rend der Förs­ter es vor al­lem auf die hüb­sche Jä­ge­rin sel­ber ab­ge­se­hen hat, und die­sel­be nach sei­nen Vor­stel­lun­gen “er­le­gen” will (das ist das Ero­tik­mo­tiv). Letz­te­res mög­lichst bald und nach al­len Re­geln der Jagd­kunst. Er weiss auch schon wo: Di­rekt auf dem Bä­ren­fell vor dem lo­dern­den Ka­min­feu­er, ver­steht sich. Als der Sit­ten­strolch, der er nun mal ist, will Alo­is sich we­der mit ein­lei­ten­dem in­tel­lek­tu­el­lem Ge­schwa­fel auf­hal­ten, noch hat er die Ge­duld, die ewig lang schei­nen­de Rei­he von Knöp­fen am Wams der in vol­ler Jagd­mon­tur vor ihm ste­hen­den Jo­lan­de auf­zu­knöp­fen. Die­se er­war­tet hin­ge­gen eine ge­pfleg­te Un­ter­hal­tung und er­wägt erst hin­ter­her zu tech­teln und viel­leicht auch noch ein we­nig zu mech­teln, aber der brunf­t­i­ge Mö­sen­lech­ner Alo­is ist nicht mal nach weid­manns­tech­ni­scher Fach­sim­pe­lei zumute.

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1. Akt, der Plot: Alo­is greift kur­zer­hand nach sei­nem Jagd­mes­ser und schlitzt das Ge­wand der über­rum­pel­ten Van der Qwert­zin mit ei­nem ein­zi­gen, schwung­vol­len Si­chel­schnitt auf. Aus dem klaf­fen­den Klei­dungs­stück quel­len Jo­lan­des bis da­hin fest ver­zurr­te, üp­pi­ge Jagd­tro­phä­en her­vor, so prall und form­schön, wie sie sich der er­regt he­cheln­de Lieb­ha­ber nicht ein­mal in sei­nen kühns­ten Träu­men vor­stel­len konn­te. Und von ge­wal­ti­gen Din­gen träu­men, die er bei opu­len­ter Schür­zen­jagd er­le­gen wür­de, das kann der Alo­is ohne Zweifel.
Und schon ent­rollt sich vor un­se­ren Au­gen das vor ero­ti­scher Span­nung auf­ge­la­de­ne Dra­ma. Noch ahnt der Le­ser nicht, wie das al­les mit dem omi­nö­sen Qwertz zu­sam­men­hängt. Der Au­tor üb­ri­gens auch nicht. Aber es wird sich schon weisen.

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Brunftschrei Röhrender Hirsch - Glarean MagazinAlso zu­nächst mal packt der ent­flamm­te Jagd­auf­se­her die nicht ganz un­wil­li­ge Jä­ge­rin, die sich an­stands­hal­ber noch ein we­nig ziert, aber dann nach­gibt, da sie den über­le­ge­nen Kör­per­kräf­ten des Bär­ti­gen oh­ne­hin nicht stand­hal­ten kann. Wozu also das Un­aus­weich­li­che un­nö­tig hin­aus­zö­gern, wenn die­ses doch auch für sie Ele­men­te lust­vol­ler Er­qui­ckung be­inhal­ten wird? Eng um­schlun­gen wäl­zen sich die bei­den eine Wei­le auf dem ver­nehm­bar qwert­zen­den Bretterboden.
“Qwertz, qwertz” knir­schen die ro­hen Plan­ken im mo­no­to­nen Rhyth­mus sei­ner kräf­ti­gen Len­den­stös­se, bis er – und jetzt kommt der Hö­he­punkt – halb auf­ge­rich­tet den Brunft­schrei ei­nes röh­ren­den Hir­sches aus­stösst, und sie wie­der­um mit ver­krampf­ten Fin­gern sich in sei­nen schweiss­nas­sen Rü­cken krallt. Nach ei­nem klei­nen, in­nig zit­tern­den Mo­ment ent­spannt er sich mit ei­nem An­flug von Er­leich­te­rung, und un­ter ei­nem letz­ten, lang­ge­zo­ge­nen Qweeeeertz, wel­cher aus den stau­bi­gen Bo­den­bret­tern er­knarzt, dreht sich Alo­is auf den Rü­cken und bleibt ver­zückt lie­gen. In dra­ma­tur­gi­scher Hin­sicht han­delt es sich hier­bei be­reits im ers­ten Akt um ei­nen kom­plett voll­zo­ge­nen ers­ten Akt. Spä­ter wer­den noch meh­re­re fol­gen, aber das über­lässt der rou­ti­nier­te Dra­ma­ti­ker bes­ser der Phan­ta­sie des Lesers.
Jo­lan­de Van der Qwertz muss nach ei­ner an­ge­mes­se­nen Ver­schnauf­pau­se ins an­gren­zen­de und nach al­ler­lei her­ben Wald­bee­ren-Sei­fen duf­ten­de Ba­de­zim­mer ge­hen, um sich nach dem schweiss­trei­ben­den Lie­bes­akt ein we­nig aufzufrischen.
Denn jetzt ist sie an der Rei­he, ih­ren Wil­len durch­zu­set­zen. Vie­len Le­se­rin­nen wird die­ser fe­mi­nis­ti­sche An­satz ge­fal­len und sie bei der Stan­ge hal­ten. Also macht sich Jo­lan­de nun für eine klei­ne Jagd­par­tie zu­recht. Sie ra­siert sich sorg­fäl­tig die Bei­ne, die ei­nem jun­gen Reh­lein glei­chen (nicht ganz so schlank, aber eben­so be­haart), zupft sich die Au­gen­brau­en, pu­dert sich die Schul­tern und lässt die Wan­gen mit et­was Mas­ca­ra er­rö­ten. Wohl er­frischt und be­hän­de hüpft sie in die An­klei­de, um sich in pas­sen­de Jagd­mon­tur zu werfen.

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2. Akt: Im­mer noch der glei­che Plot, aber mit Sze­nen­wech­sel vor der Jagd­hüt­te: Nun er­scheint in der Ein­gangs­tür der in­zwi­schen eben­falls adrett auf­ge­mach­te und gründ­lich be­frie­digt wir­ken­de Förs­ter. Dem fe­schen Alo­is folgt Jo­lan­de, die im­mer noch rot­glü­hen­de Wan­gen auf­weist. Sie ver­las­sen un­auf­fäl­lig ihr hei­me­li­ges Lie­bes­nest und drin­gen tief ins Di­ckicht des Wal­des ein. Sie hat sich ei­nen ke­cken, ele­gan­ten Qwertzhut mit Fa­sa­nen­fe­dern auf­ge­setzt, wäh­rend er höf­lich­keits­hal­ber ih­ren schwe­ren, dop­pel­läu­fi­gen und mit sil­ber­nen In­tar­si­en ge­schmack­voll de­ko­rier­ten Bä­ren­tö­ter trägt. Wäh­rend un­ter­wegs die Bei­den schon wie­der ober­fläch­li­che Zärt­lich­kei­ten aus­tau­schen, über­prüft Jo­lan­de ne­ben­bei ihre Mu­ni­ti­ons­vor­rä­te und die Tu­ben mit Gleit­crè­me (sie rei­chen für min­des­tens vier wei­te­re Akte).

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Wald-Jagd-Hochsitz - Glarean MagazinSie ge­hen zu je­nem Hoch­sitz, von wel­chem un­ser lie­bes­tol­ler Forst­auf­se­her, im Rah­men sei­ner be­ruf­li­chen Forst­auf­sichts­pflich­ten, den Wald zu be­trach­ten pflegt. Da kennt er sich aus und ver­spricht Jo­lan­de rei­che Jagd­aus­beu­te. Dort oben rich­ten sie sich erst­mal häus­lich ein, denn es dürf­te et­was län­ger dau­ern, bis sich arg­lo­ses Wild zei­gen wür­de – das weiss er nur zu gut aus lang­jäh­ri­ger Er­fah­rung. Die zwei Tur­tel­täub­chen wer­den sich selbst­ver­ständ­lich die Zeit mit jagd­tech­ni­scher Fach­sim­pe­lei und ge­le­gent­li­chen, akro­ba­tisch an­mu­ten­den Lie­bes­ak­ten ver­trei­ben. So­wohl die en­gen Platz­ver­hält­nis­se als auch die dra­ma­tur­gi­schen Er­for­der­nis­se zwin­gen sie nun mal dazu.
Jo­lan­de setzt den gut do­tier­ten Pick­nick­korb in eine Ecke, ent­nimmt ihm eine Fla­sche Wald­meis­ter­geist und schenkt ihm und sich sel­ber vom Ziel­was­ser ein. Alo­is legt für­sorg­lich die Flin­te für sei­ne Jä­ge­rin zu­recht, da­mit sie das zu er­war­ten­de Wild ge­büh­rend in Emp­fang neh­men kann (das Ge­walt­mo­tiv kün­digt sich hier schon wie­der an. Hof­fent­lich be­merkt der kun­di­ge Le­ser die raf­fi­nier­te Ver­schach­te­lung der bei­den Grundmotive).

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3. Akt, der Hö­he­punkt: Sie­he da, wie be­stellt trot­tet eine jun­ge und – weil noch un­er­fah­ren – eine be­son­ders arg­lo­se Wald­schnep­fe in die Lich­tung, di­rekt vor die Flin­te der zu­neh­mend er­reg­ten Jä­ger­meis­te­rin. Der ah­nungs­lo­se Vo­gel pickt hier und da ei­nen Sa­men aus den her­um­lie­gen­den Tan­nen­zap­fen und ahnt nicht, in wel­cher Le­bens­ge­fahr er sich be­reits be­fin­det. Im Ge­gen­teil, fröh­lich gurrt die Schnep­fe vor sich hin, da­bei ein­deu­ti­ge Qwertz-Lau­te von sich ge­bend. Das be­deu­tet in der recht mo­no­to­nen Spra­che der Wald­schnep­fen so viel wie “Ach wie fein!”, manch­mal aber auch “Hab’ ich aber ein Glück heu­te!”. Zu mehr reicht ihr Wort­schatz nicht aus. Da­bei be­zieht sie sich auf die Kör­ner, die reich­lich vor ihr ver­streut her­um­lie­gen. “Qwe-, qwe-, qwe-, qwertz, qwertz, qweeeeeertz”, kom­men­tiert sehr zu­tref­fend das nai­ve Tier die reich­hal­ti­ge Aus­la­ge vor ih­rem Schna­bel. Da­bei merkt sie in ih­rer tum­ben, schnep­fi­schen Selbst­zu­frie­den­heit nicht, wie es plötz­lich knallt. Es macht “Peng!” – und nach ei­nem dump­fen Schlag ist nur noch Stil­le. Und Dunkelheit.

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Schnell ver­klingt im dich­ten Laub­wald der Nach­hall des per­fekt ge­setz­ten Blatt­schus­ses, der mit­tig zwi­schen die er­staunt an­ge­ho­be­nen Au­gen­brau­en des glück­lo­sen Vo­gels sass. Nur ei­ni­ge auf­ge­wir­bel­te Schwanz­fe­dern der be­reits leb­los dar­nie­der­lie­gen­den Jung­schnep­fe schwe­ben sanft aufs Gras der Lich­tung hernieder.
“Na also!”, sagt die zu­frie­den ni­cken­de Jä­ge­rin zu ih­rem Begleiter.
“Na also!” sagt sich der er­leich­tert wir­ken­de Sa­ti­ri­ker und setzt hin­ter sei­ne Kurz­ge­schich­te ei­nen de­mons­tra­ti­ven Schluss­punkt: Punkt. ♦

Glossar der Fachausdrücke und Neologismen

  • Dich­tungs­am­bi­en­te (Sub­st.) – zwei­deu­ti­ger Begriff:
    a) spe­zi­el­le Rah­men­be­din­gun­gen, un­ter de­nen ein ta­len­tier­ter Dich­ter sei­ner schöp­fe­ri­schen Ar­beit nach­ge­hen kann
    b) un­güns­ti­ge Be­gleit­um­stän­de, un­ter de­nen trop­fen­de Was­ser­lei­tun­gen re­pa­riert werden
  • er­knar­zen (Verb): das Er­schal­len las­sen ei­nes deut­lich ver­nehm­ba­ren, rhyth­mi­schen Knarz­ge­räu­sches, der mit­tels Rei­bung zwi­schen tro­cke­nen Holz­die­len entsteht
  • Gra­fo­ma­ne (Sub­st.): pro­li­fe­ra­ti­ver Schrei­ber­ling un­erns­ter Pro­sa­tex­te, die er in gros­ser Men­ge er­zeugt, ob­wohl sich da­für kein Schwein interessiert
  • pi­co­bel­lo (Adj. Ital.): ab­so­lut sau­ber, ma­kel­los. So wie die Piaz­za San Marco
  • Qwer­ty (Sub­st.): im eng­li­schen Sprach­raum ver­brei­te­te, ur­sprüng­li­che Be­le­gung von Schreibmaschinen-Tastaturen
  • Qwertz (Sub­st.): die im deut­schen Sprach­raum üb­li­che Tastenbelegung
  • Qwertzhut (Sub­st.): Mo­di­scher Frau­en­hut aus grü­nem Filz mit wald­ty­pi­schen De­ko­ra­ti­ons­ele­men­ten wie Moos­bro­cken, Flie­gen­pil­zen und Fa­sa­nen­fe­dern. Der Q. wird vor­zugs­wei­se von jun­gen Jä­ge­rin­nen und Jagd­auf­se­he­rin­nen auf­ge­setzt, wel­che – beim Bla­sen des Jagd­horns – die­sen ty­pi­scher­wei­se qwertz statt längs stel­len, um bes­ser an das Mund­stück heranzukommen.
  • Schreib­blo­cka­de (Sub­st. Psy.): sehr är­ger­li­cher, an­falls­wei­se ein­tre­ten­der Zu­stand, der v.a. Au­toren be­fällt, wäh­rend­des­sen sie nichts Le­sens­wer­tes er­zeu­gen kön­nen. Eine Über­win­dung der S. ist nur durch aus dem hei­te­ren Him­mel kom­men­de Ein­ge­bun­gen möglich
  • Schreib­schwall (Sub­st.): Gra­phor­rhö (griech.), i.d.R. das Ge­gen­teil von Schreib­blo­cka­de (sie­he dort)
  • schnep­fisch (Adj.): dumpf, treu­doof und ingno­rant, eben nach der be­kann­ten Art von tie­risch-nai­ven Waldschnepfen
  • um­laut­frei (Adj.): kor­rekt aus­ge­spro­che­ne, aber ohne Um­lau­te nie­der­ge­schrie­be­ne Woer­ter wie z.B. “Fruech­te” oder “Oebst”

Peter Biro

Prof. Dr. Peter Biro - Arzt und Schriftsteller - Glarean MagazinGeb. 1956 in Gross­wardein (Ru­mä­ni­en), 1970 Emi­gra­ti­on nach Deutsch­land, Me­di­zin­stu­di­um in Frankfurt/Main, seit 1987 An­äs­the­sist am Uni­ver­si­täts­spi­tal Zü­rich und Do­zent für An­äs­the­sio­lo­gie, schreibt kul­tur­his­to­ri­sche Es­says und hu­mo­ris­ti­sche Kurz­pro­sa, lebt in Feldmeilen/CH

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… so­wie die Gro­tes­ke von Kon­rad Vo­gel: Introkubus

Wei­te­re Sa­ti­ren von Pe­ter Biro im Glarean Magazin

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