Umm-El-Banine Assadoulaeff (Banine): Kaukasische Tage

Emanzipation auf Kaukasisch

von Sigrid Grün

In “Kau­ka­si­sche Tage” er­zählt Umm-El-Ba­ni­ne As­sa­doulaeff, die un­ter dem Pseud­onym Ba­ni­ne pu­bli­zier­te, von ih­rer Kind­heit in Aser­bai­dschan. Ba­ni­ne, 1905 in Baku ge­bo­ren, ge­hör­te ei­ner der wohl­ha­bends­ten Fa­mi­li­en des Lan­des an. Ihre Groß­vä­ter wa­ren Erd­öl­mil­lio­nä­re. Ba­ni­ne und ihre äl­te­ren Schwes­tern wuch­sen in ei­nem is­la­misch ge­präg­ten Um­feld auf, er­hiel­ten aber eine west­li­che Er­zie­hung. “Kau­ka­si­sche Tage” er­schien erst­mals 1946 im fran­zö­si­schen Ori­gi­nal, 1949 in deut­scher Über­set­zung. Nun wur­de das Buch er­neut über­setzt – und es ist er­staun­lich, wie mo­dern die 1992 in Pa­ris ver­stor­be­ne Au­torin schreibt.

Banine - Kaukasische Tage - dtv VerlagDie Ge­schich­te Aser­bai­dschans dürf­te den we­nigs­ten von uns be­kannt sein. Das is­la­misch ge­präg­te Land am Kas­pi­see er­leb­te zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts zahl­rei­che Um­wäl­zun­gen und wur­de schließ­lich eine So­wjet­re­pu­blik. Ba­ni­ne, die in eine Fa­mi­lie von Öl­ba­ro­nen hin­ein­ge­bo­ren wur­de, be­ginnt ihre Er­in­ne­run­gen mit fol­gen­dem Satz: “Wir alle ken­nen Fa­mi­li­en, die zwar arm sind, aber als acht­bar gel­ten. Mei­ne hin­ge­gen war au­ßer­or­dent­lich reich und al­les an­de­re als acht­bar.” Die­se Ab­wand­lung des ers­ten Sat­zes von Tol­stois “Anna Ka­re­ni­na”: “Alle glück­li­chen Fa­mi­li­en glei­chen ein­an­der, jede un­glück­li­che Fa­mi­lie ist auf ihre ei­ge­ne Wei­se un­glück­lich.” fasst das, was kommt, per­fekt zu­sam­men. Und da­bei er­zählt Ba­ni­ne der­art le­ben­dig und un­ter­halt­sam, dass es eine wah­re Freu­de ist, der Ge­schich­te ih­rer Kind­heit und frü­hen Ju­gend zu folgen.

Islamische Tradition und westlicher Einfluss

Baku - Erdölstadt - Aserbeidschan - Glarean Magazin
Zwi­schen is­la­mi­scher Tra­di­ti­on und west­li­chem Ein­fluss: Die Me­tro­po­le Baku im Erd­öl-Land Aserbaidschan

Umm-El-Ba­ni­ne As­sa­doulaeff wächst ge­mein­sam mit ih­ren äl­te­ren Schwes­tern Ley­la, Su­ley­ka und Süreya in Baku auf. Ein deut­sches Kin­der­mäd­chen küm­mert sich um die Spröss­lin­ge der Fa­mi­lie, die durch das Erd­öl auf ih­ren Fel­dern zu un­glaub­li­chem Reich­tum ge­langt sind. Die Som­mer ver­bringt die weit­läu­fi­ge Fa­mi­lie auf ei­nem rie­si­gen Land­sitz, wo die Kin­der Strei­che aus­he­cken und eine un­be­schwer­te Aben­teu­er­lust aus­le­ben. Doch es gibt auch stän­dig Streit – meis­tens geht es um Geld oder um Tra­di­tio­nen. Eine streng mus­li­mi­sche Groß­mutter ist an­ge­sichts des Ver­falls der Sit­ten oft am Flu­chen, ge­stress­te Ehe­frau­en wün­schen sich end­lich eine Ne­ben­frau, da­mit sie nicht mehr so al­lei­ne sind, wenn der Mann un­ter­wegs ist – und die Po­ker­sucht greift um sich. In die­sem Span­nungs­feld aus is­la­mi­scher Tra­di­ti­on und west­li­chen Ein­flüs­sen wächst das Mäd­chen auf.

Das Verlangen zu lieben

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Als Kind er­lebt die Au­torin, wie das Land un­ab­hän­gig und der Va­ter Mi­nis­ter wird. We­nig spä­ter kom­men die So­wjets und ent­eig­nen die Öl­ba­ro­ne, sper­ren den Va­ter ein und ver­dre­hen den aser­bai­dscha­ni­schen Mäd­chen den Kopf. In Aser­bai­dschan war es da­mals üb­lich, mit 14 zu hei­ra­ten, was vie­le jun­ge Frau­en auch als Be­frei­ungs­schlag er­lebt ha­ben, denn ab die­sem Zeit­punkt muss­ten sie nicht mehr auf ihre Jung­fräu­lich­keit ach­ten und konn­ten end­lich so vie­le Af­fä­ren ha­ben, wie sie woll­ten. Auch die Er­zäh­le­rin be­rich­tet von ih­ren früh­rei­fen Sehn­süch­ten: “Seit mei­nem zehn­ten Le­bens­jahr plag­te mich das Ver­lan­gen zu lie­ben: Im Dau­er­zu­stand der Ver­liebt­heit war mir das Ob­jekt der Ro­man­ze gleich­gül­tig, Haupt­sa­che, ich fand Ver­wen­dung für mein gro­ßes Ge­fühl.” (S.186) Und so ver­liebt sie sich ge­mein­sam mit ih­ren Schwes­tern im­mer kol­lek­tiv in di­ver­se Män­ner, die stets um die zehn Jah­re äl­ter sind als sie selbst.

Sexuelle Freizügigkeit kontra Vorurteile

Banine - Glarean Magazin
Umm-El-Ba­ni­ne As­sa­doulaeff ali­as Ba­ni­ne (1905-1992)

Wer die Ge­schich­te ei­ner ver­klemm­ten Mus­li­ma er­war­tet, täuscht sich ge­wal­tig. Hier wird herr­lich le­ben­dig von se­xu­el­ler Frei­zü­gig­keit, Spiel­sucht und flu­chen­den Al­ten er­zählt, die den Sound der Ge­schich­te be­stim­men. Da­bei ist “Kau­ka­si­sche Tage” aber kei­nes­wegs ein Skan­dal­buch, son­dern eine au­then­tisch er­zähl­te Ge­schich­te, die uns mit un­se­ren ei­ge­nen Vor­ur­tei­len kon­fron­tiert und ge­eig­net ist, uns da­von zu befreien.
In dem Buch gibt es zahl­rei­che ur­ko­mi­sche Stel­len, etwa, als die Er­zäh­le­rin und ihre Cou­si­ne, die sich dem Kom­mu­nis­mus der Be­sat­zer ver­schrie­ben ha­ben, bei der In­ven­ta­ri­sie­rung der Häu­ser ih­rer Nach­barn hel­fen sol­len. Ein ech­tes Ka­bi­nett­stück­chen, bei dem sich die Mäd­chen den Um­stand zu­nut­ze ma­chen, dass die äl­te­ren aser­bai­dscha­ni­schen Frau­en kein Rus­sisch spre­chen und die Rus­sen kein Aser­bai­dscha­nisch ver­ste­hen. Auch die Fi­gu­ren wer­den wun­der­bar cha­rak­te­ri­siert, etwa ein On­kel, der im­mer Flie­gen mit­isst, wenn er ein Eis verzehrt.

Herrlich lebendiges Schreiben…

Ernst Jünger - Glarean Magazin
En­ger Freund und Ver­trau­ter im Geis­te: Ernst Jün­ger

Im Al­ter von 14 Jah­ren ist die Kind­heit der Er­zäh­le­rin vor­bei. Der Va­ter lan­det im Ge­fäng­nis und der Mann, der sich um sei­ne Frei­las­sung be­müht, soll ihr Ehe­mann wer­den, ob­wohl sie nicht ihn, son­dern ei­nen Rus­sen lei­den­schaft­lich liebt. Trotz­dem nimmt sie es hin, mit ihm ver­hei­ra­tet zu wer­den, denn so ist es üb­lich. Die Ge­schich­te en­det mit ei­ner Fahrt im Ori­ent Ex­press. Die jun­ge Frau lässt ih­ren un­ge­lieb­ten und spiel­süch­ti­gen Mann in der Tür­kei zu­rück und fährt in die Stadt, die für sie be­reits als Kind ein Sehn­suchts­ort war: Pa­ris. Dort ver­brach­te Ba­ni­ne auch den Rest ih­res Le­bens, wo u.a. auch der gros­se Schrift­stel­ler Ernst Jün­ger zu ih­rem engs­ten Freun­des­kreis zählte.
Ba­ni­ne kehr­te kein ein­zi­ges Mal in ihre Hei­mat zu­rück, ob­wohl sie so­gar von den So­wjets ein­ge­la­den wor­den war. Die­se Ent­schei­dung be­reu­te sie kurz vor ih­rem Lebensende.

… mit Witz und Intelligenz

Fa­zit: Was für ein herr­lich le­ben­dig und mo­dern ge­schrie­be­nes Buch! Ich konn­te gar nicht mehr auf­hö­ren, den Fa­mi­li­en­ge­schich­ten der Er­zäh­le­rin zu fol­gen. Wit­zig und in­tel­li­gent wird hier von ei­ner un­ter­ge­gan­ge­nen Welt be­rich­tet, die so ganz an­ders war, als vie­le von uns sich das ver­mut­lich vor­stel­len. Es sind kei­ne strik­ten mo­ra­li­schen Vor­schrif­ten, die das Le­ben der Men­schen be­stimm­ten, son­dern die glei­chen Be­dürf­nis­se, die (jun­ge) Men­schen seit je­her über­all auf der Welt ha­ben: Zu lie­ben und ge­liebt zu wer­den. Oft­mals auf gänz­lich un­mo­ra­li­sche Art und Weise.
“Kau­ka­si­sche Tage” ist das un­ter­halt­sams­te Buch, das ich seit lan­gem ge­le­sen habe. Ich kann es nur wärms­tens empfehlen!

Ba­ni­ne: Kau­ka­si­sche Tage (aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt von Bet­ti­na Bach), dtv Ver­lag, 320 Sei­ten, ISBN 978-3-423-28234-5

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Eman­zi­pa­ti­on auch über An­ge­li­ka Scha­ser (Hrsg.): Eu­ro­päi­sche Frau­en­be­we­gun­gen im 19. und 20. Jahrhundert

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