Heinz Bachmann: Ingeborg Bachmann, meine Schwester – Erinnerungen und Bilder

Gebranntes Kind scheut das Feuer nicht

von Jakob Krajewsky

Und schon wie­der ein Buch über die Bach­mann – muss das wirk­lich sein? Wer in ei­ner Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek nach dem Stich­wort “In­ge­borg Bach­mann” sucht, er­hält etwa 1’100 Treffer…
Der Be­ginn von “In­ge­borg Bach­mann, mei­ne Schwes­ter” ist zu­gleich das Fi­na­le, das tra­gi­sche Ende der ge­fei­er­ten Au­torin und ih­res Le­bens, aus der Sicht ih­res Bru­ders Heinz Bach­mann. Was er hier tut, geht über das hin­aus, was in Dis­ser­ta­tio­nen und wis­sen­schaft­li­chen Ab­hand­lun­gen mög­lich ist: Es wird äu­ßerst persönlich.

Ingeborg Bachmann, meine Schwester: Erinnerungen und Bilder | Der Bruder der weltberühmten Dichterin erinnert sich | Die Frau hinter dem BriefwechselHeinz Bach­mann re­flek­tiert über die ge­mein­sa­me Kind­heit der Ge­schwis­ter Bach­mann. Er, der 13 Jah­re jün­ger ist als sei­ne bei­den Schwes­tern, spricht über das Fa­mi­li­en­le­ben der Bach­manns, ins­be­son­de­re über den Va­ter und In­ge­borg, selbst wäh­rend der Kriegs­zei­ten. Spä­ter the­ma­ti­siert er die frü­hen Er­fol­ge sei­ner Schwes­ter durch ihre schrift­stel­le­ri­sche Art, eben­so wie ihre oft un­glück­li­chen Lie­bes­be­zie­hun­gen, ihre häu­fi­gen Um­zü­ge, ihre ver­deck­te Me­di­ka­men­ten­ab­hän­gig­keit und ih­ren tra­gi­schen Tod.
Das Buch ist mit schwarz­wei­ßen Fo­tos il­lus­triert und be­inhal­tet be­rühm­te Na­men wie Ce­lan, Frisch, Un­seld, Pi­per, Adolf Opel, Wer­ner Hen­ze, Kis­sin­ger, Tau­bes und vie­le andere.

Freiheit, Jetset, Liebschaften

Heinz Bachmann, Bruder und Biograph von Ingeborg Bachmann
Bio­graph sei­ner be­rühm­ten Schwes­ter: Heinz Bachmann

Be­vor Heinz, der Geo­lo­ge, und In­ge­borg, die Schrift­stel­le­rin, im Buch in das Jet­set-Le­ben ein­tau­chen, wird ihre ös­ter­rei­chi­sche Kind­heit und So­zia­li­sa­ti­on in Kla­gen­furt be­leuch­tet. In­ge­borgs Hal­tung ge­gen­über dem NS-Wahn wird da­bei her­vor­ge­ho­ben. Sie hat­te Glück mit ih­rer Schul­zeit; die ver­bo­te­nen Bü­cher wur­den nicht ver­brannt, son­dern auf dem Dach­bo­den auf­be­wahrt, und In­ge­borg be­kam Zu­gang zu ih­nen. Die Leh­rer, auch ihr Va­ter, der Of­fi­zier in der Wehr­macht war und im zi­vi­len Le­ben Leh­rer, zeig­ten sich am­bi­va­lent ge­gen­über dem NS-Re­gime und be­reu­ten still. In die­ser Zeit des brau­nen Sumpfs freun­de­te sich In­ge­borg mit dem bri­ti­schen Of­fi­zier Jack Ha­misch an, ei­nem jü­di­schen Waisenkind.
Mit Ha­misch teil­te sie nicht nur ihre Lie­be zur Li­te­ra­tur, was al­lein schon in ih­rem länd­li­chen Um­feld als Skan­dal galt. Dies zeigt ih­ren Frei­heits­wil­len. Aus ih­rem Le­ben ent­spran­gen Tex­te, die ihr Welt­ruhm ein­brach­ten, z.B. “Fran­za”.

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Auf­grund ei­ner Flücht­lings­ein­quar­tie­rung ver­ließ die Fa­mi­lie Bach­mann ihr Haus und zog vor­über­ge­hend ins Wo­chen­end­häus­chen nach Ober­vel­lach. In­ge­borg stu­dier­te Phi­lo­so­phie, Ger­ma­nis­tik und Rechts­wis­sen­schaf­ten an den Uni­ver­si­tä­ten Inns­bruck, Graz und Wien. Die­se Bil­dung präg­te ih­ren Ge­rech­tig­keits­sinn, stärk­te ih­ren Frei­heits­wil­len, ihr Anti-Na­zi­tum und ihre enge Be­zie­hung zu ver­letz­li­chen, eit­len jü­di­schen Männern.

Herumgereicht als weiblicher Shooting-Star

Ingeborg Bachmann an ihrer Schreibmaschine - 1964 - Glarean Magazin
In­ge­borg Bach­mann an ih­rer Schreibmaschine

Ob­wohl sie Prei­se ge­wann, war ihre Exis­tenz nicht ge­si­chert, nach­dem sie beim Hör­funk in Wien ge­kün­digt hat­te. Sie leb­te von Sti­pen­di­um zu Sti­pen­di­um, wur­de 1955 von Hen­ry Kis­sin­ger nach Har­vard ein­ge­la­den und hat­te eine Af­fä­re mit ei­nem ver­hei­ra­te­ten Po­li­ti­ker. Sie er­hielt ein Sti­pen­di­um von der Ford Foun­da­ti­on, das sie von 1963 bis 1965 nach Ber­lin führ­te, wo sie eine Be­zie­hung zu Ja­kob Tau­bes begann.
Ei­ni­ges da­von lässt Bio­graph Heinz aus, da es mög­li­cher­wei­se ein Bild sei­ner Schwes­ter In­ge­borg als halt­lo­se Op­por­tu­nis­tin zeich­nen wür­de. Um die Be­zie­hun­gen sei­ner Schwes­ter zu Ce­lan und Max Frisch kommt er je­doch nicht her­um. Der li­te­ra­ri­sche weib­li­che Shoo­ting­star wur­de von den Män­nern ih­rer Zeit als deutsch­spra­chi­ge Nach­kriegs­stim­me her­um­ge­reicht, die sich über die mo­ra­li­schen Schutt­ber­ge Eu­ro­pas er­hob. Heinz Bach­mann soll­te spä­ter als Geo­lo­ge welt­weit Kar­rie­re ma­chen. Sei­ne Schwes­ter sah er nicht oft; sie ent­glitt ihm. Doch die Fa­mi­lie hielt zusammen.

Letzte große Liebe: Rom

Durch die Teil­nah­me bei der “Grup­pe 47” kam In­ge­borg Bach­mann 1953 erst­mals nach Ita­li­en, be­reis­te das Land und ver­lieb­te sich in Rom, die mu­sea­le und zu­gleich le­ben­di­ge “Ewi­ge Stadt”. Ab 1965 leb­te sie hier und zog mehr­mals um. Kriegs­er­leb­nis­se, frü­he Er­fol­ge und zahl­rei­che Af­fä­ren führ­ten zu schwe­ren psy­chi­schen Ver­stim­mun­gen. Die Su­che nach Glück en­de­te in Trau­rig­keit und Verlorenheit.

Von Carl Amery bis Gerhard Zwerenz, von Ingeborg Bachmann bis Gabriele Wohmann: Die literarische "Gruppe 47"
Von Carl Ame­ry bis Ger­hard Zwe­renz, von In­ge­borg Bach­mann bis Ga­brie­le Woh­mann: Die li­te­ra­ri­sche “Grup­pe 47

Die El­tern, der Bru­der und die Schwes­ter Isol­de er­kann­ten erst nach ih­rem Tod, dass hin­ter dem Gla­mour und dem Le­bens­hun­ger noch eine an­de­re, sehr ver­letz­li­che In­ge­borg exis­tier­te. Die­se Frau war un­end­lich trau­rig, fühl­te sich ver­lo­ren und war in ih­ren Süch­ten ge­fan­gen. Sie konn­te das Le­ben nicht mehr spü­ren und den Schmerz des Da­seins nicht mehr wahrnehmen.
Tra­gi­scher­wei­se ver­starb sie in ih­rem Ne­gli­gé in der Ba­de­wan­ne ih­rer Woh­nung in Rom. Es gab Ge­rüch­te über Mord in der Pres­se und im Freun­des­kreis, die Heinz Bach­mann je­doch als ab­surd zu­rück­wies. Letzt­end­lich wa­ren es ihre Ta­blet­ten­ab­hän­gig­keit und die Ent­zugs­er­schei­nun­gen im Koma, die zu ih­rem Tod führten.

Entmythologisierung der Bachmanns

Was bleibt von In­ge­borg Bach­mann und die­sem Buch? Dies ist kein geis­ti­ger Hö­hen­flug von Heinz Bach­mann. Es ist viel­mehr die Sicht­wei­se ei­nes Bru­ders auf sei­ne ge­lieb­te Schwes­ter, die vie­le Schwä­chen an­spricht, ei­ni­ge so­gar igno­riert – und den­noch in­ti­me Ein­bli­cke ge­währt. “Ihr Schrei­ben ver­bin­det uns auf im­mer. Sie ist prä­sent und spür­bar in al­len Hand­lun­gen und Ent­schei­dun­gen… Was bleibt, sind so vie­le Er­in­ne­run­gen und ihr Werk… In­ge­borg ist je­den Tag bei uns.”
Das Buch ist nüch­tern und sach­lich, doch kei­nes­wegs ohne Em­pa­thie. Rückt Heinz Bach­mann hier et­was zurecht?
In ih­rem Ro­man “Ma­li­na” deu­te­te sie ei­nen (ih­ren?) Feu­er­tod an – auch das ge­hört zum ewi­gen My­thos, der In­ge­borg Bach­mann im­mer noch umgibt. ♦

Heinz Bach­mann: In­ge­borg Bach­mann, mei­ne Schwes­ter – Er­in­ne­run­gen und Bil­der, 128 Sei­ten, Pi­per Ver­lag, ISBN 978-3492072502


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