Georg Langenhorst: Altes Testament und moderne Literatur

Voller Zauber und Kraft

von Jakob Krajewsky

Ge­org Lan­gen­horst (*1962) ist Pro­fes­sor für ka­tho­li­sche Re­li­gi­ons­päd­ago­gik an der Uni­ver­si­tät Augs­burg und ver­öf­fent­licht u.a. wis­sen­schaft­li­che Mo­no­gra­phien. In sei­nem Band “Al­tes Tes­ta­ment und mo­der­ne Li­te­ra­tur” gibt er ei­nen sys­te­ma­ti­schen Über­blick auf den in­ter­tex­tu­el­len und po­ly­pho­nen Dia­log zwi­schen Bi­bel­n­ar­ra­ti­ven und mo­der­ner deut­scher Literatur.

Prolog: Die morgenländische Gedankenwelt

Der Ti­tel mu­tet ein biss­chen wie aus dem letz­ten Jahr­hun­dert an. Christ­li­che Theo­lo­gen blei­ben gleich­wohl dar­in ver­haf­tet, von der He­bräi­schen Bi­bel nur als von dem A.T. zu spre­chen. Von den Evan­ge­li­en und Brie­fen etc. wird dann als vom N.T. ge­spro­chen. Also: A.T. gleich Al­ter Hut und N.T. gleich neu­er Hut? Das ist ein im­mer noch gän­gi­ges Kon­strukt, doch ist es auch noch zeitgemäß?

Georg Langenhorst: Altes Testament und moderne Literatur - Motive, Stoffe, Figuren, FormenNa­tür­lich stam­men die drei abra­ha­mi­ti­schen Re­li­gio­nen samt hei­li­gen Tex­ten ur­säch­lich aus dem Mor­gen­lan­de und ha­ben sich schritt­wei­se geis­tes­ge­schicht­lich über das Abend­land er­gos­sen. Dies ge­schieht zu­nächst durch das frü­he Chris­ten­tum und das dia­spo­ri­sche Ju­den­tum in ih­rer je­wei­li­gen Ver­brei­tung über das Rö­mi­sche Reich. Eben­falls voll­zieht sich das durch den Is­lam über das spa­nisch-mau­ri­sche Al-An­da­lus mit der Al­ham­bra, schließ­lich im 20. Jahr­hun­dert durch di­ver­se Mi­gra­ti­ons­pro­zes­se in (West-)Europa. Die­se mor­gen­län­di­schen Ge­dan­ken­wel­ten ma­ni­fes­tie­ren sich selbst­re­dend auch in der Kunst, Kul­tur und Li­te­ra­tur Eu­ro­pas bis hin zur (Post-)Moderne.
Auf letz­te­re hebt der Augs­bur­ger Theo­lo­gie­pro­fes­sor Ge­org Lan­gen­horst in sei­ner Dar­le­gung ab. Er un­ter­sucht sys­te­ma­tisch die li­te­ra­ri­sche Mo­der­ne und ana­ly­siert Schrei­ben­de, die wort­ge­wal­tig Su­jets und The­men­krei­se der im­plan­tier­ten he­bräi­schen Ge­dan­ken­welt in deut­schen Tex­ten präsentieren.

Hinführung: Die Wirkung auf die Lebenswirklichkeit

In Lan­gen­horsts Ein­gangs­ka­pi­tel “Hin­füh­rung” be­klagt er das ab­neh­men­de Bi­bel­wis­sen und be­tont zu­gleich die Schrift(en) als In­spi­ra­ti­ons­quel­len zeit­ge­nös­si­scher Li­te­ra­tur. So ana­ly­siert er “je ein Ge­dicht aus dem geis­ti­gen Hall­raum von Ka­tho­li­zis­mus, Pro­tes­tan­tis­mus, Is­lam, Ju­den­tum und Re­li­gi­ons­fer­nen. Wie wird die Bi­bel in der Ly­rik un­se­rer Zeit auf­ge­grif­fen und dich­te­risch frucht­bar gemacht?”
Der Au­tor stellt fest, dass bi­bli­sche Ge­schich­ten Leer­stel­len und Fra­ge­zei­chen ent­hal­ten. Sie ru­fen auf zu “Ak­tua­li­sie­run­gen so­wie Aus- und Um­deu­tun­gen”. Ge­nau die­ses hät­ten die Ex­po­nen­ten des Li­te­ra­tur­be­trie­bes ge­tan. An­satz­wei­se er­wähnt er, dass rab­bi­ni­sche Li­te­ra­tur in ih­rer Deu­tungs­dia­lek­tik mit dem Mi­drasch die­ses eben­falls bewerkstelligt.

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Un­er­wähnt bleibt, dass For­scher wie Da­ni­el Boya­rin und Da­vid Flus­ser sich mit den in­ter­tex­tu­el­len Ver­bin­dun­gen von “hei­li­gen” Tex­ten be­schäf­tig­ten. Je­doch gilt das In­ter­es­se hier dem Ka­non der all­ge­mei­nen deut­schen Li­te­ra­tur. Der Fo­kus liegt in “Grund­le­gun­gen” (2. Ka­pi­tel) auf der In­ter­pre­ta­ti­on von bi­bli­schen Tex­ten und ih­rer Wir­kung auf die Le­bens­wirk­lich­keit der Schrei­ben­den. So (ver-)dichteten z.B. SAID, Chris­ti­an Leh­nert und Lud­wig Stein­herr die Psal­men teil­wei­se neu aus ih­rer ei­ge­nen Perspektive.
Lan­gen­horst zeigt fach­ge­recht auch die In­ter­tex­tua­li­tät und Po­ly­pho­nie des bi­bli­schen Text­ma­te­ri­als und den De­kon­struk­ti­vis­mus der schrei­ben­den Re­zi­pi­en­ten. Er­wähnt wird der fast un­be­kann­te Ly­ri­ker Mat­thi­as Her­mann, der stell­ver­tre­tend für (s)eine drit­te Ge­ne­ra­ti­on nach der Shoa eine “neue Jü­disch­keit” mit ei­ner “neu­en Prä­senz von Ju­den­tum” pos­tu­lie­ren würde.
Das lässt nun an ak­tu­el­le “in­ner­jü­di­sche Kon­flik­te” den­ken, etwa die Kon­tro­ver­se zwi­schen Ma­xim Bil­ler und Max Czol­lek: Wer darf als jü­di­sche in­tel­lek­tu­el­le Stim­me öf­fent­lich auf­tre­ten? Be­stimmt das der Ober­rab­bi mit der Halacha oder doch eher das schrift­stel­len­de Selbst mit der (va­gen) jü­di­schen Ab­kunft? Her­mann wird ge­schil­dert als je­mand, der sich auf eine “er­erb­te Er­in­ne­rung” beruft.

Durs Grünbein - Glarean Magazin
“Wirk­mäch­tigs­ter deutsch­spra­chi­ger Ly­ri­ker”: Durs Grünbein

Ab­schlie­ßend wird Durs Grün­bein als “der wirk­mäch­tigs­te deutsch­spra­chi­ge Ly­ri­ker sei­ner Ge­ne­ra­ti­on” be­nannt. Der sä­ku­la­re Ost­deut­sche be­schreibt die Un­be­haust­heit des In­di­vi­du­ums in der mo­der­nen Groß­stadt. Doch wen­det er sich in sei­nem Ge­dicht “Pau­lus wech­selt die Schif­fe” auch bi­bli­schen Mo­ti­ven zu. Der Apos­tel wird zum Vor­bild auf sei­ner letz­ten gro­ßen me­ta­pho­ri­schen Schiffs­rei­se vom Le­ben in den Tod, die uns ir­gend­wie letzt­lich alle er­ei­len wird.

Wörter und Sätze voller Zauber und Kraft

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Dem For­scher Lan­gen­horst geht es nicht al­lein um In­hal­te, son­dern auch um die Form, also die Spra­che die­ser bi­blisch in­spi­rier­ten deut­schen Li­te­ra­tur. Er un­ter­sucht im Fol­ge­ka­pi­tel “die kul­tur­prä­gen­de Be­deu­tung der Li­te­ra­tur der Bi­bel” an zeit­ge­nös­si­schen Schrei­ben­den, u.a. an Tex­ten von Ingo Schul­ze, Ulla Hahn, Ar­nold Stad­ler, Anna Ka­tha­ri­na Hahn und Pa­trick Roth. Es echo­ten die “Ju­we­len des Pre­di­ger Ko­he­let und im Hiob-Buch, die Weih­nachts­er­zäh­lung, der Jo­han­nes-Pro­log, die Berg­pre­digt, die Pas­si­ons­ge­schich­te des Mar­kus… als li­te­ra­ri­sche Kern­stü­cke und Teil je­der Li­te­ra­tur­ge­schich­te der west­li­chen Zi­vi­li­sa­ti­on.” Es sei schlicht un­se­re Bil­dungs­grund­la­ge, un­ab­hän­gig da­von, ob der Of­fen­ba­rungs­an­spruch der mo­no­the­is­ti­schen Re­li­gio­nen als gül­tig an­ge­se­hen wird.
So gibt es mo­nu­men­ta­le Nach­er­zäh­lun­gen bi­bli­scher Nar­ra­ti­ve durch den Vor­arl­ber­ger Mi­cha­el Köhl­mei­er auf 550 Sei­ten, auch der Is­rae­li Meir Shalev und der pol­ni­sche Au­tor Les­zek Ko­la­kow­ski fin­den Er­wäh­nung. Zu­dem gäbe es eine “gan­ze Rei­he his­to­ri­scher Ro­ma­ne mit bi­bli­scher Mo­ti­vik.” Nach ei­nem For­schungs­über­blick re­kur­riert Lan­gen­horst (in III.) auf “Mo­ti­ve, Stof­fe, Fi­gu­ren, For­men”, u.a. 1. Noah und die Sint­flut, 2. Ba­by­lon, 3. So­dom und Go­mor­ra, 4. Is­ra­els Kö­ni­ge, 5. Es­ther, 6. Je­re­mia, 7. Hiob in li­te­ra­ri­scher Ge­stalt, 8. Ko­he­let (Pre­di­ger) im Spie­gel mo­der­ner Li­te­ra­tur, 9. Sprech­ver­su­che “nach ton­lo­ser Zeit” – also Nach­dich­tun­gen der Psal­men durch Literaten.

Ausblick: Die Hoffnung auf Inspiration

Georg Langenhorst - Glarean Magazin
Be­geis­tert von der Bi­bel wie von der Mo­der­ne: Ge­org Langenhorst

Das al­les wird span­nend und wohl­wol­lend in kla­rer Spra­che er­ör­tert. Da­bei re­kur­riert Ge­org Lan­gen­horst auf Sam­mel­wer­ke wie Sol Liptzins “Bi­bli­cal The­mes in World Li­te­ra­tu­re”, die “Pa­rad­eig­me­ta” des Ame­ri­ka­nis­ten Franz Link und Schmi­din­gers Werk so­wie auf des­sen Schü­le­rin Mag­da Mot­té. Dann pur­zeln uns die wohl­be­kann­ten Na­men Else Las­ker-Schü­ler, Rose Aus­län­der, Hil­de Do­min im glei­chen Atem­zug mit Gün­ter Grass, Hein­rich Böll, Ste­fan Heym, Anna Seg­hers, In­ge­borg Bach­mann, Erich Fried, Gre­te Weil und Chris­ti­ne La­vant über die Sei­ten. Wei­ter­hin wird mit Tho­mas Mann, Jo­seph Roth und Elie Wie­sel, Bar­lach, Hei­ne, Hes­se, Brecht und Kaf­ka Ta­che­les ge­re­det so­wie mit Zweig, Dö­b­lin, Dür­ren­matt und Chris­ta Wolf und Nel­ly Sachs u.v.a.
Der Au­tor selbst stellt bei den Schrei­ben­den un­ge­wohn­te Sicht­wei­sen her­aus und bürs­tet die Tex­te ge­gen den Strich. Vie­len er­scheint die Bi­bel als Re­ser­voir vol­ler Sex&Crime Sto­ries. Im Aus­blick (4. Ka­pi­tel) wird die Hoff­nung for­mu­liert, dass das A.T., also die He­bräi­sche Bi­bel, im 21. Jahr­hun­dert “als Sprach­schatz wei­ter Er­zäh­lun­gen an­regt, Poe­sie aus­formt, Dra­ma­tur­gie inspiriert.”

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Wie­wohl mit wis­sen­schaft­li­chem An­spruch ge­schrie­ben, kommt das Buch nicht staub­tro­cken da­her. Die Le­sen­den er­ken­nen Lan­gen­horsts Be­geis­te­rung an Tex­ten der Bi­bel und der (post-)modernen Spie­ge­lung durch die zeit­ge­nös­si­sche Li­te­ra­tur. Schön zu le­sen ist der ge­wähl­te Groß­druck, und hilf­reich ist die um­fang­rei­che Bi­blio­gra­phie. Zur Il­lus­tra­ti­on hät­ten Mi­nia­tu­ren oder Gra­fi­ken von bi­bli­schen Mo­ti­ven gut­ge­tan. Theo­lo­gen hän­gen oft dem Bil­der­ver­bot an. Viel­leicht än­dert sich das dem­nächst, wer weiß. Ach weh, wir wis­sen heu­te, der Mes­si­as ist eine “jü­di­sche Er­fin­dung” – Je­sus, Sohn Da­vids, war gar kein Christ, son­dern blieb so­gar halachisch ge­se­hen ein Jude… ♦

Ge­org Lan­gen­horst: Al­tes Tes­ta­ment und mo­der­ne Li­te­ra­tur – Mo­ti­ve, Stof­fe, Fi­gu­ren, For­men, 268 Sei­ten, Ka­tho­li­sche Ver­lags­an­stalt Stutt­gart, ISBN 978-3-460-08634-0


Jakob Krajewsky - Glarean MagazinJakob Krajewski (Pseudonym)

Geb. 1963 in Ham­burg, Ge­lern­ter Kauf­mann, Stu­di­um der An­glis­tik, Ame­ri­ka­nis­tik und Ju­da­is­tik in Hei­del­berg, Ber­lin und Boston/USA, Au­tor und Re­fe­rent, tä­tig für di­ver­se In­sti­tu­te und Stif­tun­gen in Ber­lin und Hamburg

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Re­li­gi­on & Li­te­ra­tur auch über den Ro­man von Amé­lie Not­homb: Die Passion

… so­wie den Es­say von Hei­ner Brück­ner: Vom Himmlischen

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