Jan Faktor: Trottel (Roman)

Eine Art Anti-Schelmenroman

von Sigrid Grün

Der Roman “Trot­tel” von Jan Fak­tor  steht in die­sem Herbst auf der Short­list für den Deut­schen Buch­preis. Der Prot­ago­nist ist ein selbst­er­nann­ter Trot­tel, einer, der sich selbst nicht für allzu lebens­fä­hig hält. Fak­tor arbei­tet in sei­nem jüngs­ten Roman nicht nur die eigene Ver­gan­gen­heit, son­dern auch den Tod sei­nes Soh­nes auf.

Jan Faktor: Trottel - Roman, Kiepenhheuer&WitschDer Schelm spielt in der tsche­chi­schen Lite­ra­tur eine wich­tige Rolle. Josef Švejk ist der Inbe­griff des tsche­chi­schen Schelms, der sich irgend­wie durch­schlägt. Aber der Prot­ago­nist von “Trot­tel” ist eben nicht der Kerl, der das Leben mit Hilfe sei­ner Gewitzt­heit und Bau­ern­schläue meis­tert. Er ist ver­kopft und einer, der vie­les nicht gerade mit Leich­tig­keit hin­be­kommt, und das auch so für sich annimmt, was man wie­derum als gewitzt betrach­ten könnte.
Im Mit­tel­punkt steht u.a. die Ver­ar­bei­tung einer Trau­ma­ti­sie­rung – vor eini­gen Jah­ren hat sich Jan Fak­tors ein­zi­ger Sohn im Alter von 33 Jah­ren das Leben genom­men. In “Trot­tel” heißt es: “Mein Sohn wurde genauso wie ich als Trot­tel gebo­ren, er kämpfte dage­gen ehren­haft und lange genug an – und er hat sich schließ­lich aus Scham über sein in eine Sack­gasse gera­te­nes Trot­tel­tum umgebracht.”

Bonmots und Nackenschläge

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Im Ein­band­spie­gel hat Fak­tor “Anre­gun­gen und Vor­schläge für Rezen­sen­ten, nütz­li­che Bon­mots für Streit­ge­sprä­che oder zukünf­tige Nacken­schläge” unter­ge­bracht. Dort ste­hen Dinge wie: “Für jede sei­ner vie­len Fuß­no­ten ver­dient die­ser Mensch einen Strom­schlag ange­mes­se­ner Stärke und Span­nung.” Oder: “Ist die­ser Mensch noch zu ret­ten? Kann es gut gehen, wenn einer ein höchst alber­nes Buch über den Tod sei­nes eige­nen Soh­nes zusam­men­stop­pelt? Das Ant­wort­buch heißt Nein!” Bereits hier wird ganz offen mit der Pro­vo­ka­tion gespielt, die von dem Ansin­nen aus­geht, den Tod des eige­nen Kin­des auf diese Weise zu ver­ar­bei­ten. Letzt­end­lich muss jeder selbst wis­sen, wie er oder sie mit per­sön­li­chen Trau­mata umgeht.

Anstrengende Langatmigkeit

Jan Faktor - Schriftsteller - Glarean Magazin
Auf­ar­bei­tung per­sön­li­cher Trau­mata: Schrift­stel­ler Jan Fak­tor (*1951)

Als Lese­rin ist mir die Lek­türe aller­dings immer schwe­rer gefal­len. Nicht wegen der Fuß­no­ten – die mag ich bei lite­ra­ri­schen Tex­ten sogar ganz gern und ich kenne sie z.B. von David Fos­ter Wal­lace. Aber die Lang­at­mig­keit hat mich zuse­hends ange­strengt. Der Auf­takt des Romans hatte mich noch ziem­lich begeis­tert. Alles beginnt im Jahr 1968 in Prag. Die sowje­ti­schen Trup­pen mar­schie­ren in der tsche­cho­slo­wa­ki­schen Haupt­stadt ein und der Erzäh­ler stu­diert gerade Infor­ma­tik – er soll nicht nur Pro­gram­mie­rer, son­dern sozia­lis­ti­scher Öko­nom wer­den. Und er sam­melt erste Erfah­run­gen mit der Liebe.
Die Lebens­wirk­lich­keit in der Tsche­cho­slo­wa­kei und spä­ter in der DDR wird ziem­lich leben­dig beschrie­ben. Der Prot­ago­nist bricht sein Stu­dium ab und fängt eine lang­wei­lige Arbeit in einem Rechen­zen­trum an. Und dann lernt er seine Frau ken­nen, eine Deut­sche aus der DDR. Gemein­sam zie­hen sie nach Ost-Ber­lin und grün­den eine Familie.

Vom Unerträglichen mit Humor distanziert

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Zen­tra­les Thema ist der Selbst­mord des Soh­nes, der vor­her in Behand­lung war. Doch man konnte ihm nicht hel­fen. 2012 nahm er sich das Leben. Der Ver­lust des eige­nen Kin­des ist kaum zu ertra­gen. Viel­leicht kann es dem Erzäh­ler nur durch das Mit­tel des Humors gelin­gen, sich vom Uner­träg­li­chen zu distan­zie­ren. Humor schafft immer Distanz. Der Trot­tel kann die Trauer viel­leicht nur dank sei­ner eige­nen Trot­te­lig­keit ertragen.
Doch zwi­schen den immer wie­der auf­tau­chen­den Wort­wit­zen, blitzt auch stets die Trauer her­vor. Es könnte eine berüh­rende und gleich­zei­tig bedrü­ckende Lek­türe sein, wenn es nur nicht so aus­schwei­fende und ermü­dende Erzähl­pas­sa­gen gäbe. Das Buch ist nicht nur emo­tio­nal anstren­gend, son­dern auch men­tal. Die Aus­führ­lich­keit hat mich ermü­det. Mög­li­cher­weise sind das stän­dige Abschwei­fen und das detail­lierte Erzäh­len auch Fluch­ten, weil eben nicht ein­mal das Trot­tel­tum aus­rei­chend Trost bietet.

Ich habe die Lek­türe stel­len­weise groß­ar­tig gefun­den – und häu­fig zer­mür­bend. “Trot­tel” kann man nicht ein­fach so “weg­le­sen”. Man muss sich durch­kämp­fen. Ich habe es nicht bereut, die­sen Roman gele­sen zu haben, aber ein Lese­ver­gnü­gen war es ehr­lich gesagt ganz und gar nicht. Eher ein Kampf. ♦

Jan Fak­tor: Trot­tel – Roman, Kie­pen­heuer & Witsch Ver­lag, 400 Sei­ten, ISBN 978-3-46200-085-6

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