Esther Pauchard: Jenseits der Couch (Krimi)

Die Niederungen der Seele

von Gün­ter Nawe

Nichts ist mehr, wie es war für die Assis­tenz­ärz­tin Kas­san­dra Ber­gen, die in der Psych­ia­tri­schen Kli­nik Eschen­berg arbei­tet. Und das hat ein­zig und allein etwas mit dem Not­fall zu tun, der gegen halb drei Uhr mor­gens ein­ge­lie­fert wor­den ist. Ent­gleiste Schi­zo­phre­nie lau­tet die Dia­gnose, nicht zuletzt for­ciert durch die Ein­nahme ille­ga­ler Sub­stan­zen. Doris Greub ist die Pati­en­tin, die offen­sicht­lich ihren Ehe­mann nicht nur eines Ver­bre­chens beschul­digt, son­dern auch ver­sucht hat, ihn umzubringen.

Esther Pauchard: Jenseits der Couch - Kriminalroman (Nydegg-Verlag)Ein kla­rer Fall? Mit­nich­ten. Die Schwei­zer Autorin Esther Pau­chard ist Fach­ärz­tin für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie, sie arbei­tet als Ober­ärz­tin in einer Sucht­kli­nik. Und sie ent­wi­ckelt dank geball­ter Fach­kom­pe­tenz und einem Gespür für die mensch­li­chen Abgründe aus dem, was eigent­lich nur ein psych­ia­tri­scher Fall ist, einen bril­lan­ten Krimi.
Denn sehr schnell kommt Kas­san­dra Ber­gen dar­auf, dass es mit Doris Greub eine andere Bewandt­nis haben muss. Sind die Beschul­di­gun­gen der Pati­en­tin gegen ihren Mann, dem sie den Miss­brauch ihrer Toch­ter unter­stellt, und der sie bewusst für unzu­rech­nungs­fä­hig erklä­ren will, nur die Folge der Ein­nahme von Dro­gen, sind ihre Hal­lu­zi­na­tio­nen und Wahn­vor­stel­lun­gen nicht näher an der Wirk­lich­keit, als es ihr Mann glau­ben machen will?

Psychogramm einer Ärztin

Die reso­lute Kas­san­dra Ber­gen beginnt an ihrer Dia­gnose zu zwei­feln, setzt sich vehe­ment auch gegen den Kol­le­gen Mar­tin zu Wehr und beginnt auf eigene Faust nicht nur in der Kran­ken­ge­schichte von Doris zu for­schen, son­dern sich auch das Fami­li­en­um­feld vor­zu­neh­men. Das ist natür­lich weit aus­ser­halb des­sen, was ihr als Ärz­tin erlaubt ist. Sie gefähr­det ihre Kar­riere und gerät in gefähr­li­che Tur­bu­len­zen. Esther Pau­chard zeich­net ein gross­ar­ti­ges Psy­cho­gramm die­ser Ärz­tin, die­ser Frau, die sich, selbst­be­wusst und den­noch ver­letz­lich, ihrem Beruf und ihrer Auf­gabe als Ärz­tin ver­pflich­tet fühlt, auch über fach­li­che Gren­zen hinaus.
Immer deut­li­cher wird es für Kas­san­dra – spä­tes­tens nach dem Selbst­mord ihrer Pati­en­tin Doris -, dass hier etwas nicht stimmt. Mit Hilfe der Medi­zin­stu­den­tin Kers­tin Lind­ner “ermit­telt” sie auf eigene Faust, auf eigene Gefahr und “jen­seits der Couch”. Und bald tut sich vor ihr ein Abgrund von Lügen, Ver­schleie­run­gen und kri­mi­nel­len Akti­vi­tä­ten auf. Sie die­nen ein­zig dem Ziel, nicht nur Doris Greub aus­zu­schal­ten, die mehr weiss als es ande­ren recht sein kann (was schliess­lich gelun­gen ist), son­dern auch alle Spu­ren zu ver­wi­schen, die auf die Unta­ten des “seriö­sen” Peter Greub und sei­ner vier bür­ger­lich gut­si­tu­ier­ten Freunde verweisen.

Menschen in Extremsituationen

Esther Pauchard - Krimi-Autorin - Glarean Magazin
“Spi­ri­tua­li­tät mit Poe­sie ver­bun­den”: Psych­ia­te­rin, Ober­ärz­tin, Krimi-Autorin Esther Pauchard

Der als Schrift­stel­le­rin debü­tie­ren­den Autorin Esther Pau­chard gelingt es, die Nie­de­run­gen der mensch­li­chen Seele zu beschrei­ben, Men­schen in Extrem­si­tua­tio­nen dar­zu­stel­len. Und das macht sie so geschickt, dass dem Leser manch­mal der Atem stockt. Vor die­sem Hin­ter­grund also ist ein Buch ent­stan­den, dem es an Tief­gang bei­leibe nicht fehlt.
Denn Pau­chard geht es nicht um spek­ta­ku­läre Bil­der, um wilde Ver­fol­gungs­jag­den, auch wenn sie sich der übli­chen Ver­satz­stü­cke eines Kri­mis bedient. Er geht es um das, was hin­ter dem Ver­bre­chen steht. Und das macht sie her­vor­ra­gend – bis zum Schluss, bis zu dem Moment, wo der ein­deu­tige Beweis der Schuld von Greub und sei­ner Kum­pane vorliegt.

Ein nachhaltiger Krimi

Die Berner Autorin Esther Pauchard hat mit
Die Ber­ner Autorin Esther Pau­chard hat mit “Jen­seits der Couch” einen Debüt-Krimi geschrie­ben, der eine höchst span­nende Stu­die über die Abgründe der mensch­li­chen Seele dar­stellt. Mit der Fach­kom­pe­tenz der Ärz­tin und Psych­ia­te­rin ent­wi­ckelt die bril­lante Erzäh­le­rin eine fas­zi­nie­rende Geschichte, die den Leser über die Lek­türe hin­aus beschäf­ti­gen dürfte.

Und was für ein Beweis! Kas­san­dra hat alle Gefah­ren, auch die für Leib und Leben letzt­lich über­stan­den. Auch wenn sie, nach­dem sie das Video gese­hen hat, das die per­ma­nente Ver­ge­wal­ti­gung der Toch­ter von Doris Greub zeigt, geste­hen muss: “Alles, wor­auf ich gebaut habe, ist ins Wan­ken gera­ten”. Für sie und in ihr ist mehr pas­siert als nur die Auf­klä­rung eines Ver­bre­chens. Und nichts ist, wie es ein­mal war.
Auch wenn am Ende alles gut geht – die Psych­ia­te­rin hat Mühe, sich nicht nur von die­sen Bil­dern zu befreien, sie muss auch eigene Pro­bleme ver­ar­bei­ten, die sich im Ver­laufe der Geschichte für sie erge­ben haben.
Und auch der Leser die­ses fas­zi­nie­ren­den Kri­mis wird sich weit über das Gesche­hen hin­aus damit beschäftigen… ♦

Esther Pau­chard: Jen­seits der Couch, Roman, 429 Sei­ten, Nyd­egg Ver­lag, ISBN 978-3-9522295-9-0

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Jerry-Cot­ton-E-Book-Krimi: Cot­ton Rel­oa­ded – Der Beginn

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Tho­mas Brändle: Das Geheim­nis von Montreux

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