Electronic Chamber Music (CD & Vinyl)

Symbiose der Genres und Stile

von Horst-Dieter Radke

1969 er­schien die LP “Ce­rem­o­ny”, die die eng­li­sche Rock­grup­pe Spoo­ky Tooth zu­sam­men mit dem fran­zö­si­schen Elek­tronik­pio­nier Pierre Hen­ry (1927-2017) auf­ge­nom­men hat­te. Es war al­ler­dings kein ech­tes Ge­mein­schafts­werk. Spoo­ky Tooth spiel­te ihre Songs ein, Pierre Hen­ry be­ar­bei­te­te die­se an­schlies­send mit sei­nen elek­tro­ni­schen Ef­fek­ten. Man hört dies deut­lich, hat das Ge­fühl, das ei­ner ge­gen den an­de­ren an­kämpft. Von ei­ner Syn­the­se elek­tro­ni­scher Mu­sik mit ana­lo­ger Mu­sik (in die­sem Fall Rock) kann nicht ge­spro­chen wer­den. Ganz an­ders ist dies bei Elec­tro­nic Cham­ber Mu­sic.

Electronic Chamber Music - CD - Vinyl - Rezension im Glarean Magazin

Die­ses vier­köp­fi­ge En­sem­ble spielt tra­di­tio­nel­le In­stru­men­te wie Gi­tar­re, Vio­li­ne, Kon­tra­bass und er­wei­ter­tet die­se um ei­nen mo­du­la­ren – also ana­lo­gen –Syn­the­si­zer und wei­te­re elek­tro­ni­sche Klang­er­zeu­ger. Laut Pres­se­infor­ma­ti­on spie­len die Mu­si­ker „mass­ge­schnei­der­te, er­wei­ter­te In­stru­men­te, bei de­nen elek­tro­ni­sche und akus­ti­sche Klän­ge naht­los in­ein­an­der über­ge­hen“. Das ist schwer zu über­prü­fen durch rei­nes Hö­ren. Auch auf den im Netz zu fin­den­den Vi­de­os (hier oder auch hier) ist das an den In­stru­men­ten nicht erkennbar.

Keine Konfrontation, sondern grösstmögliche Annäherung

Mir liegt die Vi­nyl-Lang­spiel­plat­te vor, die sich in schö­nem Tür­kis auf dem Plat­ten­tel­ler dreht. Sie ent­hält acht Stü­cke, durch­num­me­riert von 01 bis 08. Die Num­mern 01 bis 04 sind über­schrie­ben mit ADC, die Num­mer 05 bis 08 mit DAC. Es ist un­schwer zu er­ra­ten, was da­mit ge­meint ist: Ana­log-Di­gi­tal-Um­set­zer und Di­gi­tal-Ana­log-Um­set­zer. Durch­gän­gig ist, dass elek­tro­nisch Ele­men­te mit de­nen der tra­di­tio­nel­len In­stru­men­te ein Mit­ein­an­der ein­ge­hen. Es ist kein Kampf ge­gen­ein­an­der, son­dern der Ver­such, eine grösst­mög­li­che Sym­bio­se zu schaf­fen. Be­tei­ligt wa­ren an der Pro­duk­ti­on die vier Künst­ler Otso Läh­deo­ja (Gi­tar­re & Elek­tro­nik), Aino Ee­ro­la (Vio­li­ne & Elek­tro­nik), Ale­jan­dro Mon­tes de Oca (Mo­du­lar Syn­the­zi­ser), Na­than Riki Thom­son (Kon­tra­bass & Elektronik).

Vom Free Jazz über die Tradition bis zur Stille

FAZIT: Dass elek­tro­ni­sche Mu­sik in Kom­bi­na­ti­on mit tra­di­tio­nel­len In­stru­men­ten eine sinn­vol­le und gut hör­ba­re Ein­heit ein­ge­hen kann, zeigt das En­sem­ble der vier Mu­si­ker aus Hel­sin­ki ein­drucks­voll. Elec­tro­nic Cham­ber Mu­sic schafft eine sym­bio­ti­sche Klang­welt, die auch beim wie­der­hol­ten Hö­ren im­mer neue Fa­cet­ten zeigt.

Die The­men­viel­falt ist gross. Man­ches er­in­nert an in­ten­si­ve Mo­men­te des Free Jazz, hier und da tau­chen fast tra­di­tio­nel­le Mo­ti­ve auf, die zu ei­ner gros­sen Ein­dring­lich­keit ge­stei­gert wer­den, und dann wie­der scheint es, als wol­le man in Rich­tung ab­so­lu­ter Stil­le ge­hen, ohne die­se je­mals er­rei­chen zu kön­nen. Auch nach mehr­ma­li­gem Hö­ren wur­de mir die Mu­sik des En­sem­bles nicht lang­wei­lig, wo­bei ich die An­nehm­lich­keit der Lang­spiel­plat­te, das nach der Hälf­te die Mu­sik en­det und die Plat­te um­ge­dreht wer­den muss, ge­noss. So war ein Mo­ment des In­ne­hal­tens ge­ge­ben, der bei der CD erst durch ei­nen will­kür­li­chen Akt – das An­hal­ten des Play­ers – er­reicht wer­den kann. Das En­sem­ble hat die Auf­nah­men live ein­ge­spielt. Es gibt also kein Over­dub, kein nach­träg­li­ches Ein­fü­gen von Ef­fek­ten. Auch dies trägt si­cher dazu bei, dass die Auf­nah­men wie aus ei­nem Guss er­schei­nen. Ich hof­fe, dass dies En­sem­ble noch wei­te­re Auf­nah­men fol­gen lässt und viel­leicht auch ein­mal live zu er­le­ben ist. ♦

Elec­tro­nic Cham­ber Mu­sic (Au­dio-CD & -Vi­nyl), 51 Mi­nu­ten, Na­xos Direct

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Neue Elek­tro­ni­sche Mu­sik auch das In­ter­view mit dem Schwei­zer Kom­po­nis­ten Fa­bi­an Müller

… so­wie zum The­ma Gi­tar­re: Zum Tode des Gi­tar­ris­ten Ju­li­an Bream

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