Marion Bönsch-Kauke: Klüger durch Schach

Das Schachspiel als universelles Bildungs- und Entwicklungsgut

von Walter Eigenmann

Wäh­rend es einen nahezu unüber­seh­ba­ren Schatz an kom­men­tier­ten Par­tien, Tur­nier­bul­le­tins und tech­ni­schen Schach­bü­chern gibt, die, inter­es­siert an der Her­aus­bil­dung von Theo­rie und Pra­xis des Schach­spiels an sich, Erfah­run­gen über Eröff­nun­gen, Mit­tel- und End­spiel ent­hal­ten sowie ver­hält­nis­mäs­sig viele Werke, die Lehr­wei­sen und Trai­nings­me­tho­den pro­pa­gie­ren, fehlt es voll­stän­dig an einem pro­fun­den inter­dis­zi­pli­nä­ren Über­blick­werk zu den wis­sen­schaft­lich gesi­cher­ten Fak­ten, was das Schach bewirkt; was es bedeu­tet, warum es über die Jahr­hun­derte hin­weg Men­schen aus aller Welt fas­zi­niert und nicht zuletzt, wel­che Erzie­hungs- und Bil­dungs­werte es birgt.”

Diese weit­räu­mige spiel­kul­tu­relle und sozio­päd­ago­gi­sche Fra­ge­stel­lung nimmt die deut­sche Schach-Psy­cho­lo­gin und Men­tal­trai­ne­rin Dr. Marion Bönsch-Kauke zum Aus­gangs­punkt ihrer gross­an­ge­leg­ten Meta-Stu­die: “Klü­ger durch Schach” prä­sen­tiert the­ma­tisch breit und metho­disch sehr dif­fe­ren­ziert eine Fülle von “For­schun­gen zu den Wer­ten des Schach­spiels”; der 400-sei­tige Band fasst den gesam­ten aktu­el­len wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs zum welt­wei­ten Kul­tur­phä­no­men “Schach” zusammen.

Schätzungsweise 550 Millionen Menschen kennen die Schach-Regeln

Marion Bönsch-Kauke: Klüger durch Schach - Wissenschaftliche Forschungen zu den Werten des Schachspiels
Marion Bönsch-Kauke: Klü­ger durch Schach – Wis­sen­schaft­li­che For­schun­gen zu den Wer­ten des Schachspiels

Dass dem Schach in der rie­si­gen Arena mensch­li­cher Sport- bzw. Frei­zeit-Akti­vi­tä­ten eine nur höchst mar­gi­nale Bedeu­tung zukommt, dar­über macht sich die Autorin Bönsch-Kauke kei­ner­lei Illu­sio­nen, und dass schät­zung­weise 550 Mil­lio­nen Men­schen zumin­dest die Regeln des “König­li­chen Spiels” ken­nen, aber­mil­lio­nen ihm orga­ni­siert frö­nen, könne nicht dar­über hin­weg­täu­schen, “dass Schach zu den Rand­sport­ar­ten gehört und aus Man­gel an visu­el­ler Show kein Publi­kums­ma­gnet” sei. Doch die­ser Mar­gi­na­li­tät steht, wie Bönsch-Krauke detail­liert anhand zahl­rei­cher wis­sen­schaft­li­cher, his­to­ri­scher wie expe­ri­men­tal­psy­cho­lo­gi­scher Unter­su­chun­gen bzw. Stu­dien nach­weist, eine mitt­ler­weile kaum mehr über­blick­bare Fülle an pri­mär- wie sekun­där­wis­sen­schaft­li­cher Lite­ra­tur zu allen denk­ba­ren kul­tu­rel­len, päd­ago­gi­schen, phi­lo­so­phi­schen, neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen, sport­me­di­zi­ni­schen, kunst­äs­the­ti­schen und sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen Aspek­ten die­ses Spiels gegenüber.

Kinder- und Jugendschach - Gartenschach - Schacherziehung - Glarean Magazin
Und mag der König fast so gross sein wie man sel­ber: Kein Kind zu klein, eine Schach­spie­le­rin zu sein…

Die vom Deut­schen Schach­bund initi­ierte und her­aus­ge­ge­bene Met­aex­per­tise der Psy­cho­lo­gin grün­det sich auf mehr als 100 umfang­rei­che Pilot­stu­dien, Gross­feld­ver­su­che, Stamm­un­ter­su­chun­gen, Quer- und Längs­schnitt­pro­jekte und Ori­gi­nal­ex­pe­ri­mente, ihre Recher­che bezog neben hun­der­ten bekann­ter Publi­ka­tio­nen auch aktu­ellste Dis­ser­ta­tio­nen, wis­sen­schaft­li­che Qua­li­fi­ka­ti­ons-, Diplom-, Magis­ter- und Semi­nar­ar­bei­ten sowie zahl­rei­che eigene schach­re­le­vante Unter­su­chun­gen ein. (Hier das kom­plette Inhalts­ver­zeich­nis von “Klü­ger durch Schach”).
Bönsch-Kau­kes ful­mi­nante Tour d’horizont durch die wis­sen­schaft­li­che Schach-Lite­ra­tur belässt es dabei nicht bei west­eu­ro­päi­schen und ame­ri­ka­ni­schen Publi­ka­tio­nen, son­dern repli­ziert beson­ders auf­schluss­rei­che, bis­lang hier­zu­lande kaum beach­tete, teils auch schwer zugäng­li­che For­schungs­er­geb­nisse aus der Sowjet­union und der ehe­ma­li­gen DDR, aber auch aus Ungarn und Tsche­chien – aus Län­dern also, die bekannt­lich dem Schach­spiel als Spit­zen- und als Volks­sport einen aus­ser­or­dent­li­chen Stel­len­wert ein­räum­ten, und in denen Schach – teils auch als staat­lich ver­ord­ne­ten pro­pa­gan­dis­ti­schen Grün­den – schon seit Jahr­zehn­ten Gegen­stand sys­te­ma­ti­scher, auch inter­dis­zi­pli­nä­rer For­schung war und ist.

Leseprobe 1

Leseprobe 1 - Schach und Kreativitätsentwicklung
Lese­probe 1 – Schach und Kreativitätsentwicklung

Ange­sichts der Fülle des Mate­ri­als – die nur schon ein Blick auf das Inhalts­ver­zeich­nis des Ban­des doku­men­tiert – ist es hier natür­lich unmög­lich, in dem Masse auf auch nur ein­zelne der gewich­tigs­ten Stu­dien bzw. Ergeb­nisse in “Klü­ger durch Schach” ein­zu­ge­hen, das ihrer Bedeu­tung ange­mes­sen wäre. Statt­des­sen beschränke ich mich fokus­sie­rend im Fol­gen­den auf die grund­le­gends­ten, durch viel­fa­che und welt­weite For­schung veri­fi­zier­ten “The­sen”, wie sie die Autorin im Schluss­ka­pi­tel die­ser ihrer beein­dru­cken­den, auch mit zahl­rei­chen Illus­tra­tio­nen erläu­tern­den Meta-Stu­die for­mu­liert, wobei Bönsch-Kauke von der Ziel­set­zung gelei­tet wurde, diese “The­sen” könn­ten ihrer­seits “zum Kern einer Meta-Schach­theo­rie wer­den, falls ihre Inhalte geist­rei­che For­scher anre­gen, wis­sen­schaft­li­che Beweise für die Trag­kraft die­ser The­sen beizusteuern.”

1. “Schach ist zutiefst lebensnah!”

Schachschule - Jugendschach - Kinder-Schachpädagogik - Schulfach Schach - Glarean Magazin
Schach als regu­lä­res Schul­fach mit Unter­stüt­zung durch erfah­rene Lehrkräfte

Schach sym­bo­li­siere, so die Autorin, “was uns im Leben wider­fährt”: Im Kern seien es Ent­wick­lungs­auf­ga­ben von wie­der­sprüch­li­cher Art, und es sei zu eng, im Schach nur Pro­blem­lö­sen sehen zu wol­len: “Wir sind vor die Wahl gestellt, unsere Ansprü­che auf­zu­ge­ben oder uns der Auf­gabe zu stel­len, zu kämp­fen auch um selbst­kri­ti­sche Ein­sich­ten und nicht zu resignieren.”

2. “Das Schachspiel gleicht dem Lebenskampf!”

Für Marion Bönsch-Kauke fun­giert das Schach­spiel als Pro­blem­re­prä­sen­tant für Ent­wick­lungs­auf­ga­ben, die kom­pro­miss­los zu lösen sind, und die uns vor Situa­tio­nen stell­ten, die zwar “neu, unge­wiss, kom­pli­ziert und pro­blem­träch­tig” seien, sich aber nicht zu (unlös­ba­ren) Pro­ble­men aus­wach­sen müss­ten: “Gewis­ser­mas­sen aus spiel­theo­re­ti­scher Sicht gilt das Schach­spiel als ein Zwei-Per­so­nen-Null­sum­men­spiel. Es ist für jene Lebens­la­gen gül­tig, in denen eine Seite ver­liert, was die andere gewinnt.”

3. “Schachstrategeme dienen sinnvoller Lebensführung!”

Diese These habe, wie die Wis­sen­schaft­le­rin aus­führt, Fra­gen der “Lebens­pla­nung” wie bei­spiels­weise: “Was droht? Was tun? Wo soll es hin­ge­hen? Was ist der nächste Schritt?” zur Grund­lage, und dabei bürge das Schach­mo­dell für stich­hal­ti­gen Rat: “Schach kann zurück­grei­fen auf 2’500 Jahre Erfah­rung, wie Ziele gegen Wider­stände zu errei­chen sind. […] Aus schach­li­cher Sym­bol­spra­che ist zu erfah­ren, wie Men­schen […] dach­ten und wie sich das Wol­len und Den­ken kul­tur­ge­schicht­lich ent­fal­tete zu immer wirk­sa­me­ren Stra­te­ge­men.” Dabei wären die bes­ten Stra­te­gien, nach Bönsch-Kauke, im Kampf der Cha­rak­tere in der Kul­tur­ge­schichte des Schachs aus­ge­fil­tert wor­den und wür­den nun als bewährte “Ori­en­tie­rungs­grund­la­gen für erfolg­rei­che dif­fe­ren­ti­elle Ent­wick­lun­gen von sozia­len Bezie­hun­gen, Cha­rak­te­ren und kul­tu­rel­len Wer­ken im Lebens­lauf” zur Ver­fü­gung stehen.

4. “Schach macht klug!”

Kann das Schachspielen für ältere Menschen sogar Demenz-präventiv wirken?
Kann das Schach­spie­len bei älte­ren Men­schen sogar Demenz-prä­ven­tiv wir­ken? Senio­ren-Schach ist im Vormarsch.

Der Autorin vierte, bereits im Buch­ti­tel apo­dik­tisch vor­weg­ge­nom­mene These ist die schul­päd­ago­gisch bzw. -psy­cho­lo­gisch bri­san­teste, wenn­gleich hier natür­lich nicht zum ers­ten Mal gehörte Zusam­men­fas­sung zahl­rei­cher dies­be­züg­li­cher For­schun­gen. Das Kern­er­geb­nis der von Bönsch-Kauke recher­chier­ten, teils sehr umfang­rei­chen inter­na­tio­na­len Stu­dien: “Für Schach muss man nicht mit über­durch­schnitt­li­cher Intel­li­genz star­ten, jedoch ist mit fort­ge­setz­ter Aus­übung ein beträcht­li­cher Zuwachs im Rah­men des intel­lek­tu­el­len Poten­ti­als zu erwar­ten.” Wie die ein­schlä­gi­gen Expe­ri­mente nach­wie­sen, sei für hohe und höchste Spit­zen­leis­tun­gen im Schach­spiel eine grosse Band­breite von kogni­ti­ven Erkennt­nis­pro­zes­sen gefragt: “Exak­tes Wahr­neh­men, Vor­stel­lungs­ver­mö­gen, Gedächt­nis, Pro­blem­lö­sen, schluss­fol­gern­des, kri­ti­sches und krea­ti­ves Den­ken.” Und auch hier wie­der schlägt die Sozi­al­psy­cho­lo­gin eine Brü­cke von der Theo­rie zur Pra­xis: “Ana­loge Aktio­nen, die sich in Schach­po­si­tio­nen bewähr­ten, kön­nen als Ver­hal­tenspo­ten­tiale auf Bewäh­rungs­si­tua­tio­nen im Leben mit ähn­li­chen Merk­ma­len über­tra­gen wer­den und das Hin­zu­ler­nen erleich­ternd stimulieren.”

5. “Schachspielen fördert schöpferisches Denken!”

Wird durch regelmässigen Schachunterricht die Konzentrationsfähigkeit gesteigert?
Wird durch regel­mäs­si­gen Schach­un­ter­richt die Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit gesteigert?

Ein in der Sekun­där­li­te­ra­tur eben­falls immer wie­der gele­se­ner bzw. viel­fäl­tig veri­fi­zier­ter Denk­an­satz ist Bönsch-Kau­kes fünfte These, wonach das Schach die Kon­zen­tra­ti­ons­aus­dauer und das schöp­fe­risch-ori­gi­nelle Den­ken for­dere und för­dere. Hier seien drei “Basis­kom­po­nen­ten” im Blick zu behal­ten: “Orga­ni­sa­tion der Kräfte, Angriff und Ver­tei­di­gung”, wobei die Autorin auf das schach­phi­lo­so­phi­sche Werk des Welt­meis­ters Ema­nuel Las­ker und seine “über­schach­li­che Lehre” refe­riert. “Ein­fälle, die stich­hal­tig sind, und Pläne, die auf­ge­hen, sind rar in unse­rem moder­nen Leben der fir­mie­ren­den Glo­bal Play­ers und gefrag­ten Schlüs­sel­qua­li­fi­ka­tio­nen. Geis­tige Güter sind zu akku­mu­lie­ren, um Inno­vat­ins­de­fi­zite zu überwinden.”

6. “Schach mobilisiert Innovationen und Change-Management!”

Bönsch-Kauke: “Aus Bio­gra­phien zahl­rei­cher welt­be­kann­ter Gelehr­ter, Phi­lo­so­phen, Dich­ter, Schrift­stel­ler, Mana­ger, ein­fluss­rei­cher Poli­ti­ker, Regis­seure, Schau­spie­ler, Enter­tai­ner, Jour­na­lis­ten, Trai­ner und Ath­le­ten erhellt, dass sie sich auf das Schach­spiel ver­stan­den und es schätz­ten.” Aber nicht nur einen “Kreis Aus­er­wähl­ter” ver­möge das Spiel “von der Per­son zur Per­sön­lich­keit zu pro­fi­lie­ren”; Früh­för­de­rung und Anrei­che­rung der geis­ti­gen Her­aus­for­de­rung für hoch­be­gabte Kin­der sei schach­spie­le­risch mög­lich: “Ein Schach­test für Hoch­be­gabte als Scree­ning-Ver­fah­ren erscheint aus­sichts­reich. Mehr noch rücken die Mög­lich­kei­ten des Schachs für gegen­wär­tig erschre­ckend viele hyper­ak­tive, im Lesen, Schrei­ben und Rech­nen schwa­che oder schul­ver­dros­sene Kin­der als spie­le­ri­sches Fas­zi­no­sum ins Blick­feld von Schulverantwortlichen.”

7. “Schach stärkt die Anstrengungsbereitschaft!”

Als Metasport­art berge, führt die Ver­fas­se­rin wei­ter aus, das schach­li­che Modell wert­volle Grund­la­gen “für eine all­ge­meine Kampf­theo­rie”: “Schach stärkt den Kampf- und Sie­ges­wil­len”, weil durch fin­di­ges stra­te­gi­sches und tak­ti­sches Den­ken “die schwers­ten Kämpfe des Lebens zu gewin­nen” seien. Dabei erlang­ten theo­re­tisch-geis­tige Kon­zepte im Trai­nings­pro­zess und Wett­kampf ange­sichts der zuneh­men­den Intel­lek­tua­li­sie­rung des Sports eine ver­stärkte Bedeu­tung. “Immer mehr spie­len sich plan­bare Aktio­nen vor­her modell­ar­tig im Kopf des Akti­ven ab. In die­sem Sinne bewährt sich Schach als stra­te­gisch-tak­ti­sche Leitsportart.”

8. “Schachliches Können verschafft Wettbewerbsvorteile!”

Bönsch-Kau­kes ach­tes For­schungs­er­geb­nis: “Wie es gelingt, Posi­tio­nen nicht nur zu ver­bes­sern, son­dern die anstre­bens­werte Stel­lung wirk­lich zu erobern, lehrt das könig­li­che Spiel die­je­ni­gen, die sich bemü­hen, meis­ter­li­ches Kön­nen für Spit­zen­po­si­tio­nen zu erwer­ben. Im welch­sel­sei­ti­gen Her­aus­for­dern und intel­lek­tu­el­len Kräf­te­mes­sen wer­den anspruchs­volle Lebens­ziele und Selbst­be­haup­tun­gen wahr. Situa­ti­ons­ge­rechte Pläne blei­ben keine visio­näre Utopie.”

9. “Schach ist ein universelles Bildungs- und Entwicklungsgut!”

Das Projekt "Schach im Kindergarten"
Das Pro­jekt “Schach im Kindergarten”

Eine wei­tere These der Wis­sen­schaft­le­rin zielt auf den viel­fach und breit nach­ge­wie­se­nen päd­ago­gi­schen Nut­zen in der Schule einer­seits und ande­rer­seits auf die moderne Schlüs­sel­qua­li­fi­ka­tion “Medi­en­kom­pe­tenz” ab. Wäh­rend die Tat­sa­che, dass metho­disch gelehr­tes Schach ein brei­tes Spek­trum von posi­ti­ven Per­sön­lich­keits­kom­po­nen­ten wie “Kon­zen­triert­heit, Geduld, Beharr­lich­keit, emo­tio­nale Sta­bi­li­tät, Risi­ko­freu­dig­keit, Objek­ti­vi­tät, Leis­tungs­mo­ti­va­tion” inzwi­schen in ein brei­te­res Bewusst­sein der schul­päd­ago­gi­schen Ent­schei­dungs­trä­ger gedrun­gen ist, dürfte die von Bönsch-Kauke ange­spro­chene “Medi­en­kom­pe­tenz” bis­her ein weit­ge­hend unbe­rück­sich­tig­ter, aber wesent­li­cher Aspekt der Dis­kus­sion sein: “Ein bedeut­sa­mes gesell­schaft­li­ches- und bil­dungs­po­li­ti­sches Ziel ist die Befä­hi­gung, die Vor­züge neuer Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­ni­ken gezielt nut­zen zu können.”

10. “Schach trainiert psychische Stabilität!”

Auf ihrem urei­ge­nen Gebiet, der Psy­cho­lo­gie, kommt die Autorin zum Schluss: “Schach befrie­digt grund­le­gende Bedürf­nisse, sich im ande­ren Wesen zu spie­geln, ernst genom­men und zuver­läs­sig beglei­tet zu füh­len und sich wesens­ei­gen im Spiel selbst zu för­dern. […] Schach­spie­len ermu­tigt, Angst in ener­gie­rei­che Aktio­nen zu ver­wan­deln, Ver­lustär­ger ziel­ge­recht ein­zu­set­zen.” Wie dabei die Psy­cho­ana­lyse zeige, ent­wickle Schach “eine Art rea­lis­ti­sche­rer Abwehr­me­cha­nis­men durch selbst­kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Wirk­lich­keit, mit eige­nen Feh­lern und Stärken”.

Leseprobe 2

Leseprobe 2 - Schach und lernschwache Schüler
Lese­probe 2 – Schach und lern­schwa­che Schüler

11. “Schach hält geistig beweglich!”

Ins Zen­trum des elf­ten Teil-Fazits gerückt wird das Schach als Denk­trai­ning, das bis ins hohe Alter fort­ge­setzt wer­den könne: “Keine andere Sport­art ermög­licht eine sol­che fort­dau­ernde Wett­kampf­zeit, lebens­lan­ges Ler­nen und leis­tungs­sport­li­che Betä­ti­gung auf hohem Niveau.” Bönsch-Kauke zitiert in die­sem Zusam­men­hang neu­ro­me­di­zi­ni­sche Resul­tate, wonach sich durch “spiel­ak­tive Denk­be­weg­lich­keit” bis zu 74% dem Risiko eines alters­be­ding­ten Abbaus des Hirns (Demenz) vor­beu­gen lässt: “Spe­zi­ell gegen die Alz­hei­mer-Erkran­kung mit der kli­ni­schen Sym­pto­ma­tik: hoch­gra­dige Merk­schwä­che, zeit­li­che und räum­li­che Ori­en­tie­rungs­stö­run­gen, Sprach­zer­fall und Ver­wirrt­heit las­sen sich durch Schach sogar neue ‘graue Zel­len’ bilden.”

12. “Schach im Internet fördert weltweite Kommunikation!”

Die zwölfte und letzte These wid­met sich dem aktu­ell moderns­ten Aspekt des Schach­spiels: sei­ner inzwi­schen ful­mi­nan­ten und noch immer wach­se­nen Prä­senz im Inter­net: “Nicht nur das hoch­ent­wi­ckelte Com­pu­ter­schach, auch das Spie­len im Inter­net brachte unge­ahnte Dimen­sio­nen mit sich. So spie­len nach Anga­ben von Chess­base 2007 auf ihrem Ser­ver täg­lich über 5’000 Aktive und Schach­liebh­ber ca. 200’000 Par­tien. […] Diese Zah­len demons­trie­ren einen völ­lig neuen Zugang des stra­te­gi­schen Brett­spiels in die moderne kom­mu­ni­ka­tive und tech­ni­sierte Spiel­welt.” Her­vor­zu­he­ben sei dies nicht zuletzt des­halb, weil es unwich­tig sei, ob der “auf der ande­ren Seite sit­zende Geg­ner jung oder alt, gesund oder krank, ver­siert oder unge­übt” sei. Denn zwar sei Altern ein sozia­les Schick­sal, aber: “Durch das Schach im Inter­net bie­ten sich immer inter­es­sante Spiel- und Geis­tes­ge­fähr­ten an, zu denen nach Wunsch auch direk­ter Kon­takt mit allen Sin­nen auf­ge­nom­men wer­den kann.”

Zwölf fruchtbare Denkanstösse

Wie wei­land Luther seine “ket­ze­ri­schen” The­sen an die Kir­chen­pfor­ten schlug, so ruft also die deut­sche Schach­psy­cho­lo­gin in ihrem auf­re­gen­den “The­sen-Papier” ein Dut­zend durch­aus irri­tie­rende bis pro­vo­zie­rende Denk­an­stösse in den Schach-All­tag, die aller­dings nichts mit Glau­ben, dafür sehr viel mit Wis­sen zu tun haben. Denn im Gegen­satz zu ein­schlä­gi­gen popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen (um nicht zu sagen: popu­lis­ti­schen), oft mit gut­ge­meint-rosa­ro­ter Brille ver­fass­ten Ver­laut­ba­run­gen in Sachen “Schach und Päd­ago­gik” basie­ren die The­sen von Marion Bönsch-Kauke auf wis­sen­schaft­lich veri­fi­zier­ba­rer Grund­la­gen­for­schung unab­hän­gi­ger Wis­sen­schaft­ler und Institute.
Gewiss, Bönsch-Kau­ke­sche Denk­mo­tive wie z.B. “Schach als Pro­blem­re­prä­sen­tant für Ent­wick­lungs­auf­ga­ben”; “Schach als stra­te­gisch-tak­ti­sche Leit­sport­art” oder “Schach als Demenz-Prä­ven­tion” regen bei ers­tem Lesen zum Wider­spruch an. Aber nur so lange, wie man der Autorin akri­bi­sche Recher­chen zur The­ma­tik nicht en détail kennt. Denn der 400-sei­tige, ein umfang­rei­ches Lite­ra­tur­ver­zeich­nis zuzüg­lich Psy­cho­lo­gie-Glos­sar sowie Per­so­nen- und Sach­re­gis­ter beinhal­tende Band belegt ein­drück­lich, wie weit die moderne Schach­for­schung in allen Dis­zi­pli­nen bereits fort­ge­schrit­ten ist. Jeden­falls dürfte “Klü­ger durch Schach” als der zur­zeit umfas­sendste Über­blick auf die gesamte ein­schlä­gige For­schung für die nächs­ten Jahre die Refe­renz-Publi­ka­tion in Sachen Schach-Meta­stu­dien bil­den und die wis­sen­schaft­li­che Dis­kus­sion mass­geb­lich mit­be­stim­men bzw. befruch­ten. Eine äus­serst ver­dienst­volle Ver­öf­fent­li­chung des Deut­schen Schach­bun­des und der Deut­schen Schach­stif­tung – sowie ein nicht nur für Schach-Enthu­si­as­ten fas­zi­nie­ren­des Kom­pen­dium, dem wei­teste Ver­brei­tung in allen invol­vier­ten “Schach-Schich­ten”, von den Ver­bän­den bis hin­ein in die Volks­schul­stu­ben weit über Deutsch­land hin­aus zu wün­schen ist. ♦

Marion Bönsch-Kauke, Klü­ger durch Schach – Wis­sen­schaft­li­che For­schun­gen zu den Wer­ten des Schach­spiels, Leib­niz Ver­lag (St. Goar)-Reichl Ver­lag, 408 Sei­ten, ISBN 978-3-931155-03-2

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Schach für Kin­der und Jugend­li­che in der Schule auch das Inter­view mit dem Schach-Autoren und -Leh­rer Jona­than Carlstedt 
…sowie zum Thema Schach­psy­cho­lo­gie den Schach-Essay von Roland Stu­ckardt: Too cle­ver is dumb

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