Nico Bleutge: Verdecktes Gelände (Gedichte)

Moderne Lyrik – mit Voraussetzungen

von Bernd Giehl.

Wer schreibt heu­te ei­gent­lich noch Na­tur­ge­dich­te? Ich muss ge­ste­hen: Ich bin nicht auf dem Lau­fen­den. Je­des Jahr er­schei­nen so vie­le Ly­rik­bän­de, da kann man schon mal den Über­blick ver­lie­ren. Sa­rah Kirsch fällt mir ein oder Wulf Kirs­ten, aber sonst? Gibt es auch noch jün­ge­re Au­toren, die die Na­tur zu ih­rem Ge­gen­stand wäh­len? Ich habe ein we­nig im 25. Jahr­buch der Ly­rik (S. Fi­scher 2007) ge­blät­tert. Ein paar habe ich im Teil von 1998 ge­fun­den (Jür­gen Be­cker, Frie­de­ri­ke May­rö­cker). Sonst: nicht viel. Na­tur­ly­rik scheint ge­ra­de nicht “in” zu sein. Da­bei ver­eint die­ser Band doch die Ge­dich­te un­ter­schied­lichs­ter Au­toren aus den Jah­ren 1979-2006.

Keine idyllische, sondern unterworfene Natur

Nico Bleutge: Verdecktes Gelände - Gedichte - C. H. Beck VerlagVie­le Ge­dich­te Nico Bleut­ges han­deln vom Er­le­ben der Na­tur. Aber es ist kei­ne idyl­li­sche Na­tur, son­dern eine eher fremd­ar­ti­ge, vom Men­schen un­ter sei­ne Herr­schaft ge­zwun­ge­ne, die Bleut­ge beschreibt:
“am ufer an­kom­men, wach/ un­ter dem schwel­ge­ruch der flu­re, russ-/ was­ser, wan­dern­der aus­tritt, der sog/ lief lang­sam in sich zu­rück. kel­ler / die nach­hall­ten, gän­ge, ein­fach über­wölbt, / von feuch­te durch­zo­gen, sie zeig­te sich vor­ne, / be­weg­te sich im hin­ter­grund, kalt­luft drang nach, / in­fil­trier­te die stu­fen, moos, die rohe verflechtung/ lös­te sich aus dem raum, lös­te sich auf im gehen/das schon in­nen war, wän­de ver­schwam­men, zellen/ wuch­sen in die gän­ge ein, po­rig, vertraut/ mit den fu­gen, lies­sen sie, rings­um ver­län­gert / pflan­zen aus­trei­ben, wu­chern­de blattformen/ führ­ten tie­fer ins ufer hinab.”

Lyrische Collagen

Die Gedichte Nico Bleutges handeln vom Erleben der Natur. Aber es ist keine idyllische Natur, sondern eine eher fremdartige, vom Menschen unter seine Herrschaft gezwungene, die Bleutge beschreibt. Komplexe Sprachgebilde, die gewisse Kenntnisse der modernen Literatur voraussetzen.
Die Ge­dich­te von Nico Bleut­ge in “Ver­deck­tes Ge­län­de” han­deln vom Er­le­ben der Na­tur. Aber es ist kei­ne idyl­li­sche Na­tur, son­dern eine eher fremd­ar­ti­ge, vom Men­schen un­ter sei­ne Herr­schaft ge­zwun­ge­ne, die da be­schrie­ben. Kom­ple­xe Sprach­ge­bil­de, die ge­wis­se Kennt­nis­se der mo­der­nen Li­te­ra­tur voraussetzen.

Bleut­ges Tech­nik ist die der Über­blen­dung. Bil­der schie­ben sich in­ein­an­der. Da ist zum ei­nen das Bild ei­nes Bach- oder See­ufers und zum an­de­ren das Bild ei­nes al­ten be­moos­ten Kel­ler­ge­wöl­bes oder Kel­ler­gangs, und bei­de wer­den bis zur Un­un­ter­scheid­bar­keit ver­mischt. An an­de­ren Stel­len be­schreibt Bleut­ge nur Na­tur, aber er geht so nah her­an, dass das Bild verschwimmt:
“was­ser im sinn ha­ben, stei­ne, / das rund­um­lau­fen­de licht/ auf den schich­ten des piers// mee­res­be­weg­lich­keit, kurzes/ sprü­hen, aus­tausch von wärme/ und ge­wicht, den­ken an//
Wit­te­rung, kie­men, brüchiges/, holz, das sich ab­löst, gleich/ wie­der an­ge­saugt wird// 
von den pfos­ten am pier./ fisch­sil­ber, mölekulares/ glän­zen, roh­glas, zersplittert//
und doch auf­ge­nom­men, vermischt/ mit der ent­fer­nung zum hafen/ die mas­se durch­dringt sich,  wasser//
in was­ser, ein drän­gen so eins/ in sich, so unterschieden/ wie die stei­ne, die glei­ten, leicht//
ihre schup­pen ver­lie­ren, sinken/ ver­sen­ken zink­weis­se strömung/ aus span­nung und klang//
die nicht nachlässt/ sich formt/ im ge­dan­ken an flut­wech­sel, / däm­me­rungs­dich­te am hafen.”

Gedichte als Pointillismus

Nico Bleutge - Lyriker Schriftsteller - Glarean Magazin
Nico Bleut­ge (Geb. 1972)

Na­tur wie fo­to­gra­fiert vom Ma­kro­ob­jek­tiv. Der Poin­til­lis­mus fällt mir ein, eine Strö­mung, die sich Ende des 19. Jahr­hun­derts aus dem Im­pres­sio­nis­mus ent­wi­ckel­te, und des­sen Bil­der man nur er­ken­nen kann, wenn man Ab­stand nimmt.
Aber kei­ne Re­gel ohne Aus­nah­me. Es gibt auch an­de­re Ge­dich­te, die fast schon ver­ständ­lich sind beim ers­ten Le­sen. Ge­dich­te, von de­nen man den Ein­druck hat, man kön­ne ih­ren In­halt in ei­ge­nen Wor­ten wiedergeben.(“die au­gen mei­ner Mut­ter wa­ren hin­ter glas”, S.36, “und manch­mal nachts da geht der atem lei­se, S.40) Das sind dann kei­ne Ge­dich­te über die Na­tur, son­dern über das ei­ge­ne Bewusstsein.

Lektüre nicht ohne Voraussetzungen

Ge­dich­te, so habe ich es schon mehr­fach be­haup­tet, sa­gen nicht un­mit­tel­bar, was sie mei­nen, son­dern sie spre­chen in Bil­dern, und manch­mal stel­len sie ihre Le­ser auch vor Rät­sel. So be­trach­tet sind die­se Ge­dich­te durch­aus le­sens­wert. Al­ler­dings soll­te man schon eine Ah­nung von mo­der­ner Ly­rik ha­ben, ehe man sich mit ih­nen befasst… ▀

Nico Bleut­ge: Ver­deck­tes Ge­län­de, Ge­dich­te, C.H. Beck Ver­lag, 68 Sei­ten, ISBN 978-3406646782

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch über den neu­en Ly­rik-Band von Nico Bleut­ge: Nachts leuch­ten die Schif­fe (Ge­dich­te)

… so­wie ori­gi­na­le Neue Ly­rik von Stef­fen M. Die­bold: Vier Jahreszeiten-Gedichte

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