Interview mit Rebecca Gablé (“Der dunkle Thron”)

Ich erzähle euch, wie es gewesen sein könnte”

von Günter Nawe

Vor eini­gen Tagen ver­öf­fent­lichte die deut­sche Best­sel­ler-Autorin Rebecca Gablé (Bür­ger­li­cher Name: Ingrid Krane-Müschen) mit “Der dunkle Thron” ihren 13. “his­to­ri­schen Roman”. Für das Glarean Maga­zin fragte Gün­ter Nawe die erfolg­rei­che Schrift­stel­le­rin nach ihren lite­ra­ri­schen Moti­va­tio­nen und nach den Grün­den des Booms von Mit­tel­al­ter und Renais­sance in der moder­nen Literatur.

Bestseller-Autorin historischer Romane: Rebecca Gablé ("1964")
Best­sel­ler-Autorin his­to­ri­scher Romane: Rebecca Gablé (“1964”)

Glarean Maga­zin: Frau Gablé, vom berühm­ten Leo­pold Ranke stammt das Dik­tum, dass der His­to­ri­ker auf­zu­zei­gen habe, “wie es eigent­lich gewe­sen” sei. Hat sich die Medi­ävis­tin und Schrift­stel­le­rin Rebecca Gablé die­sen Satz zuei­gen gemacht?

Rebecca Gablé: Nein, denn die­ser Anspruch ist uner­füll­bar und über­holt. Ganz gleich, wie gründ­lich wir schrift­li­che Quel­len und archäo­lo­gi­sche Funde aus­wer­ten, kann das, was wir dar­aus ablei­ten, doch immer nur eine Rekon­struk­tion von Ver­gan­gen­heit sein. Ein edu­ca­ted guess, wie die Bri­ten sagen: eine Ver­mu­tung auf Grund­lage der bekann­ten Indi­zien. Wie es “eigent­lich gewe­sen” ist, kön­nen wir nicht erfor­schen und darum nie­mals wis­sen. So betrach­tet, haben wir Schrift­stel­ler es ein­fa­cher als die armen Wis­sen­schaft­ler, denn wir sagen ledig­lich: “Ich erzähle euch, wie es gewe­sen sein könnte.” Nichts ande­res hat übri­gens auch Leo­pold Ran­kes Urgross­neffe Robert Gra­ves getan: Er hat mit Kai­ser Clau­dius einen Ich-Erzäh­ler von schein­bar gros­ser Zuver­läs­sig­keit erdacht, der behaup­tet, er werde die Geschichte nun so erzäh­len, wie sie “eigent­lich gewe­sen” sei, um dann ein aben­teu­er­li­ches Kon­strukt aus Intri­gen und Mord zu spin­nen, das zwar mög­lich, aber kei­nes­falls nach­weis­bar ist. Es kommt einem vor, als habe er mit einem Augen­zwin­kern in Rich­tung sei­nes berühm­ten Vor­fah­ren geschrieben.

GM: Sie haben sich vor­wie­gend und äus­serst erfolg­reich am eng­li­schen Mit­tel­al­ter “abge­ar­bei­tet”. In einem Inter­view haben Sie ein­mal gesagt: “Mein Herz gehört dem his­to­ri­schen Roman und dem eng­li­schen Mit­tel­al­ter”. Warum gerade diesem?

RG: Meine Vor­liebe für das eng­li­sche Mit­tel­al­ter geht auf mein Lite­ra­tur­stu­dium zurück. Dort bin ich zum ers­ten Mal der eng­li­schen Dich­tung des 8. bis 14. Jahr­hun­derts begeg­net, die mich seit­her fas­zi­niert und meine Fan­ta­sie anregt, weil sie so far­ben­präch­tig, aus­drucks­stark und in vie­ler Hin­sicht auch son­der­bar ist. All diese Werke – auch wenn sie reli­giöse oder sagen­hafte Motive behan­deln – erzäh­len etwas über ihre Ver­fas­ser und deren Zeit. Darum erschien es mir immer nahe­lie­gend, diese Lite­ra­tur als Aus­gangs­punkt zu neh­men und mir die Lebens­welt der Dich­ter und ihrer Zeit­ge­nos­sen vor­zu­stel­len. Von da war der Schritt nicht mehr weit, mich an einem his­to­ri­schen Roman zu ver­su­chen, der, wie sich her­aus­stellte, eine Lite­ra­tur­form ist, die mir beson­ders liegt.

GM: Mit dem neuen Roman “Der dunkle Thron” haben Sie aller­dings das Mit­tel­al­ter ver­las­sen. Der vierte Teil der berühm­ten Waring­ham-Saga spielt bereits in der Renais­sance, im 16. Jahr­hun­dert. War das dem Inter­esse Ihrer Leser­schaft geschul­det, die nach “Das Lächeln der For­tuna”, “Die Hüter der Rose” und “Das Spiel der Könige” ein­fach wis­sen wollte, wie es wei­ter­geht mit den Waringhams?

RG: Dem Inter­esse mei­ner Leser­schaft und mei­nem. Ich wäre nicht in der Lage, mich zwei Jahre lang einem Thema zu wid­men, das nicht in aller­ers­ter Linie meine eigene Neu­gier weckt. Ich sel­ber wollte wis­sen, wie es den Waring­ham – die­sen wer­te­kon­ser­va­ti­ven Spin­nern, die immer noch Rit­ter sein wol­len – in einer Epo­che erge­hen würde, die sich in vie­ler­lei Hin­sicht radi­kal vom Mit­tel­al­ter unterscheidet.

GM: Im Mit­tel­punkt der Tetra­lo­gie steht das Geschlecht derer von Waring­ham. Mit dem Roman “Der dunkle Thron” haben Sie die­ses Geschlecht in der mitt­ler­weile sechs­ten Gene­ra­tion durch eine fast 200-jäh­rige Geschichte beglei­tet und damit einen rela­tiv lan­gen Zeit­raum der Geschichte abge­schrit­ten. Wie hält das die Autorin durch, ohne den roten Faden zu verlieren?

RG: Mit Stamm­bäu­men, sehr vie­len Noti­zen und einem halb­wegs zuver­läs­si­gen Gedächtnis.

GM: Die “Waring­hams” sind ein fik­tive Grösse in Ihrem Roman. Sie erle­ben Aben­teuer, Lie­bes­ge­schich­ten, Auf­stieg und Fall. Dies alles ein­ge­bun­den in den Fluss rea­ler Geschichte. Wie viel in Ihren Roma­nen ist Fakt, wie viel Fiktion?

RG: Das ist schwie­rig zu bemes­sen, und wir spra­chen ja ein­gangs schon über die Pro­ble­ma­tik his­to­ri­scher “Fak­ten”. Dem his­to­risch ver­brief­ten Per­so­nal mei­ner Romane (das ja meist in der Über­zahl ist), dichte ich keine Taten an, die sie nicht tat­säch­lich voll­bracht haben, aber in dem Moment, da ich sie zu Roman­fi­gu­ren mache, wer­den sie fik­tio­na­li­siert. Ich bemühe mich, ihre Cha­rak­tere so zu beschrei­ben, wie sie nach mei­ner Deu­tung wahr­schein­lich waren, aber des­sen unge­ach­tet wer­den sie zu Geschöp­fen mei­ner Fan­ta­sie mit einer eige­nen Aus­drucks­weise und Kör­per­spra­che, mit Dia­lo­gen und Emo­tio­nen. Das gilt natür­lich erst recht für die erfun­de­nen Figu­ren, also zum Bei­spiel alle Waring­ham, obwohl ich auch dort immer mein Augen­merk dar­auf richte, ihre Lebens­ge­schichte so zu zeich­nen, wie sie sich in der jewei­li­gen Epo­che hätte zutra­gen können.

GM: Mit Nicho­las Waring­ham, dem Prot­ago­nis­ten des neuen Romans, haben sie eine starke, eine fas­zi­nie­rende Figur geschaf­fen. Hat es eine ver­gleich­bare Per­sön­lich­keit in die­ser Zeit gege­ben – oder anders: Hätte es die­sen Nicho­las Waring­ham geben können?

RG: Es hätte Nicho­las of Waring­ham in dem oben beschrie­be­nen Sinne geben kön­nen, aber er hat kein his­to­ri­sches Vorbild.

GM: His­to­ri­sche Haupt­fi­gu­ren in Ihrem Roman sind König Hein­rich VIII., Anne Boleyn und seine ande­ren Frauen. Uns ist auf­ge­fal­len, dass Sie Hein­rich VIII. nicht unbe­dingt mögen, die Frauen – vor allem Mary, sei­ner Toch­ter und spä­te­ren Köni­gin, dafür Ihre – sagen wir ein­mal so – beson­dere Sym­pa­thie genies­sen. Haben wir rich­tig gelesen?

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RG: Ich muss wider­spre­chen: Die his­to­ri­sche Haupt­fi­gur die­ses Romans ist allein die besagte Toch­ter, die spä­tere Köni­gin Mary I. Ihr Vater Hein­rich VIII. (den ich in der Tat fürch­ter­lich finde), ihre Mut­ter und ihre fünf Stief­müt­ter sind natür­lich wich­tige Figu­ren, aber im Grunde nur in ihrer Bezie­hung zu Mary oder dem Prot­ago­nis­ten Nicho­las of Waring­ham. Ich glaube, ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ich “beson­dere Sym­pa­thie” für Mary hege, dafür waren die Gräuel ihrer Regent­schaft viel­leicht ein­fach zu schreck­lich. Aber es war mein Anlie­gen, diese in den Geschichts­bü­chern so oft ver­nach­läs­sigte Köni­gin ein­mal zu ent­stau­ben, genauer zu betrach­ten und zu ergrün­den, warum sie wurde, wie sie war. Das ist es auch, was die­ser Roman erzählt. Und je bes­ser ich Mary ken­nen lernte, desto grös­ser wurde meine Tole­ranz ihr gegenüber.

GM: Das ganze Roman­ge­sche­hen spielt vor dem Hin­ter­grund der geis­ti­gen, reli­giö­sen und poli­ti­schen Umbrü­che im 16. Jahr­hun­dert. Und das nicht nur in Eng­land, das neben sei­nen Köni­gen auch Per­sön­lich­kei­ten wie Tho­mas Morus auf­zu­wei­sen hatte. Wir spre­chen von der Refor­ma­tion, die auch Eng­land erreicht, von der Los­lö­sung Eng­lands von dem Papst, von Hei­rats­po­li­tik mit poli­ti­schen Fol­gen. Hat die lange und inten­sive Beschäf­ti­gung mit die­ser Zeit auch die Sicht­weise der Autorin beeinflusst?

RG: Natür­lich habe ich bei mei­ner Recher­che viel Neues gelernt und bin Per­so­nen, Gedan­ken und Ereig­nis­ket­ten begeg­net, von denen ich zuvor nur nebu­löse Vor­stel­lun­gen hatte. Aber meine Sicht­weise hat sich nicht geän­dert. Ich wusste vor­her schon, dass Reli­gio­nen und Abso­lut­heits­an­sprü­che in Glau­bens­fra­gen das gefähr­lichste Kon­flikt­po­ten­zial sind, das die Mensch­heit je erson­nen hat.

GM: Sie haben ein­mal gesagt, Ihr vor­dring­li­ches Ziel sei zu unter­hal­ten. Kann das gerade der his­to­ri­sche Roman mit sei­ner Mischung aus Fak­ten und Fik­tion leis­ten? Und ist darin das grosse Inter­esse Ihrer stän­dig wach­sen­den Leser­schaft begrün­det? Auch weil – wir kom­men noch ein­mal auf den Satz von Leo­pold Ranke zurück – es Ihnen so gelingt, am bes­ten zu zei­gen, “wie es eigent­lich gewe­sen” ist?

RG: Ich glaube nicht, dass der his­to­ri­sche Roman einen höhe­ren Unter­hal­tungs­wert hat als andere Gen­res. Der anhal­tende Erfolg ist eher der Mischung aus Unter­hal­tung und Wis­sens­ver­mitt­lung geschul­det – “Info­tain­ment”, um mal ein beson­ders abscheu­li­ches Wort zu bemü­hen, ist ja sehr in Mode. Viele Men­schen inter­es­sie­ren sich für Geschichte und wol­len wis­sen, wie die Welt frü­her war oder wie wir zu der Gesell­schaft wur­den, die wir heute sind, aber längst nicht alle haben die nötige Zeit oder Moti­va­tion, sich zur Beant­wor­tung ihrer Fra­gen durch his­to­ri­sche Fach­li­te­ra­tur zu quä­len. Sie grei­fen lie­ber zu einem his­to­ri­schen Roman.

GM: Wie wir sehen, ist Ihnen das bes­tens gelun­gen zu unter­hal­ten. “Der dunkle Thron” ist mitt­ler­weile Ihr 13. Roman. Sie sind Best­sel­ler-Autorin, gel­ten als “Köni­gin des his­to­ri­schen Romans”, sind in in Bücher-Charts pro­mi­nent ver­tre­ten. Was kann jetzt noch kom­men? Eine Fort­set­zung der “Waring­ham-Saga” – oder etwas ganz anderes?

RG: Auf jeden Fall eine Rück­kehr in mein gelieb­tes Mit­tel­al­ter. Aber mehr wird noch nicht verraten… ♦

Lesen Sie im Glarean Maga­zin auch über Rebecca Gable: Der dunkle Thron (Roman)

… sowie zum Thema Moder­ner Roman über Rein­hard Wos­niak: Felonie

Ein Kommentar

  1. Ins­be­son­dere der dem Buch vor­an­ge­stellte genaue Stamm­baum brachte mich zum Grü­beln dar­über, ob es sich um eine Anleh­nung an ein real exis­tie­ren­des Geschlecht han­delt. Die­ses Inter­view brachte die Aufklärung.

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