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“Hier werde eine Stadt am Meer” – Sankt Petersburg
von Günter Nawe
Jeder, der schon einmal in der Stadt am Finnischen Meerbusen war, hier die Weissen Nächte erlebt, das Flair dieser einzigartigen Metropole gespürt hat und um die aufregende Geschichte der Gründung weiss, ist der Faszination Sankt Petersburgs erlegen.
So ist es nach eigenem Bekunden auch der Schriftstellerin Martina Sahler gegangen. “Die Peter-Paul-Festung auf der Haseninsel ist die Keimzelle der Stadt St. Petersburg. Als ich die Insel umrunde, die Wälle und Bastionen hinaufblicke, durch das Tor mit dem doppelköpfigen gekrönten Adler spaziere und die Aussicht über die Newa auf den Winterpalast auf mich wirken lasse, weiss ich, dass ich die Geschichte dieser Stadt erzählen muss”.
Gut recherchierter Roman
Und sie hat die Geschichte erzählt. Das Ergebnis: Der spannende historische Roman “Die Stadt des Zaren” – ihr grosser Sankt-Petersburg-Roman. Martina Sahler beschreibt die Gründung der sozusagen ab urbi condita, historisch gut recherchiert. Und sie erzählt um die Fakten herum interessante fiktive Ereignisse und Geschichten. In der Summe: ein aufregender, informativer und sehr unterhaltsamer Roman.
Den Auftakt macht die Autorin mit den Ereignissen und der Legende um die Gründung von St. Petersburg. 1703 setzte Peter, der später der Grosse genannt werden sollte, den ersten Spatenstich. Der Zar hatte sich in der Welt umgesehen und festgestellt, das sein Russland erheblichen Nachholbedarf hatte. So sollte seine Stadt nach dem Vorbild grosser europäischer Städte entstehen. Ein Wahnsinns-Vorhaben, betrachtet man die Gegebenheiten, unter denen gebaut werden soll.
Aber all das schreckt ihn nicht. Sümpfe müssen trocken gelegt werden, aus dem Nichts und quasi mit Nichts sollen Häuser und Paläste entstehen. Genie, Kampfgeist und wilde Entschlossenheit – und eine gewisse Rücksichtslosigkeit denen gegenüber, die ihm untertan sind und untertan gemacht werden, machen es möglich.
Krieg, Morde, Katastrophen

Vor allem bediente sich Zar Peter ausländischer Hilfe. Fachleute jeglicher Profession: Ärzte, Baumeister, Tischler, Stukkateure werden benötigt und engagiert. Verpflichtet werden auch die Gefangenen aus dem zurzeit tobenden Krieg zwischen Russland und Schweden. Sie alle spielen entscheidende Rollen – auch in diesem Roman. Da ist der deutsche Arzt Dr. Albrecht mit seinen Töchtern. Vom Zaren hoch geschätzt kümmert er sich um die vielen Erkrankungen und wird für ebenso viele Menschen zu Lebensretter. Seine Frau verehrt ihn und den Zaren. Seine Tochter Paula verliebt sich in den holländischen Schreiner Willem, Tochter Helena in den schwedischen Gefangenen Erik, der einerseits zum Mörder, andererseits bei einer Naturkatastrophe ebenfalls zum Lebensretter wird. Eine grosse, eine heimliche Liebe mit Happy End.
Kein Happy End gibt es für die Familie des Grafen Fjodor Bogdanowitsch und seine intrigante Frau, die ihre Tochter gern mit dem Zaren verbandeln möchten. Das allerdings sollte gründlich misslingen – unter wenig erfreulichen Umständen.
Eine der schönsten Städte der Welt

Martina Sahler erzählt die Geschichte der Gründung von St.Petersburg in vielen teilweise sehr dramatischen Geschichten. Wie die der Leibeigenen Zoja aus dem Besitz des Grafen Bogdanowitsch. Oder von den italienischen Architekten, die ihre Heimat verlassen haben und am Ende doch wieder von der Vergangenheit eingeholt werden. Nicht zu vergessen den Gottesnarren Kostja, dem keine Intrige, kein Liebesschwur und keine Meucheltat entgeht. Er steht unter besonderem Schutz des Zaren Peter.
So entsteht vor den Augen des Lesers Stein für Stein diese Stadt, die irgendeinmal zu einer der schönsten der Welt zählen sollte. Im Mittelpunkt aber all dieses Geschehens der Zar. Martina Sahler stellt ihn uns als faszinierende Persönlichkeit dar, als einen Mann mit all seinen Widersprüchen: hart gegen sich selbst und andere. Und weich in den Armen einer Frau; fantasievoll und visionär, gerecht und ungerecht.
Ein spannender Roman voller Abenteuer, voller grosser Gefühle und interessanter Charaktere. Und: Am Ende ist dieses Buch auch eine wunderbare Liebeserklärung an die Stadt an der Newa. ♦
Martina Sahler: Die Stadt des Zaren, List-Verlag (Ullstein Berlin), 520 Seiten, ISBN978-3-471-35154-3
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