Harriet Quartet: Insomnia (CD)

Originell, spannungsgeladen, angenehm

von Stephan Urban

Das neue Album “Insom­nia” des Har­riet Quar­tet ist für Men­schen mit einem Hang zu beru­hi­gen­der Wohl­fühl­mu­sik gemacht – doch man möchte den geneig­ten Hörer kei­nes­wegs ein­schlä­fern, son­dern viel­mehr auf höchs­tem Niveau unter­hal­ten. Es ist Musik im so wei­ten Span­nungs­feld zwi­schen skan­di­na­vi­scher Volks­mu­sik, Jazz, Folk und anspruchs­vol­lem Pop. Die Band spielt völ­lig ent­spannt, federnd und luf­tig, mit­un­ter banale Har­mo­nie­fol­gen, die durch ihre schlichte Schön­heit bezau­bern, dann wie­der kom­ple­xere Motive, die durch die lockere Läs­sig­keit und Spiel­freude, mit der sie her­vor­ge­bracht wer­den, leicht zugäng­lich sind und trotz­dem nach­hal­tig beeindrucken.

Zwischentonreiche Stimme mit hohem Wiedererkennungswert

Harriet Quartet: InsomniaHar­riet Mül­ler-Tyl, eine gebür­tige Nor­we­ge­rin, hat 1993 ihren Lebens­mit­tel­punkt vom nor­we­gi­schen As nach Wien ver­legt, blieb ihrer Hei­mat aber weit­ge­hend ver­bun­den, und wie­ne­ri­sche Ein­flüsse sind hier nicht zu hören. Sie ver­fügt über eine klare, zwi­schen­ton­rei­che Stimme mit hohem Wie­der­erken­nungs­wert. Beglei­tet wird sie von Bertl Mayer (der sonst bei der gross­ar­ti­gen Alegre Cor­rea Band – in Wien eine lokale Grösse – tätig ist) an der Mund­har­mo­nika, von Heimo Trix­ner an einer – von der Spiel­art her – dezen­ten Jazz­gi­tarre, sowie schliess­lich von Oli­ver Ste­ger, der sehr enga­giert einen sonor und viel­schich­tig klin­gen­den Kon­tra­bass zupft. Der Sound die­ses Kon­tra­bas­ses hat mich übri­gens so beein­druckt, dass ich ver­sucht habe, nähere Infor­ma­tio­nen dar­über ein­zu­ho­len. Lei­der kann Oli­ver Ste­ger keine nähe­ren Anga­ben zu sei­nem Instru­ment machen, nur, dass es rund hun­dert Jahre alt ist und aus Ungarn stammt.
Heimo Trix­ner ver­wen­det eine “Blade Thin­line Tele­cas­ter”, deren Sound her­vor­ra­gend zu die­ser Musik, zu die­sem Ensem­ble, passt.

Abwechselnd in norwegischer und in englischer Sprache

Erstaun­lich ist dabei, dass es sich hier um ein Erst­lings­werk han­delt. Völ­lig selbst­be­wusst wer­den – abge­se­hen von zwei Tra­di­tio­nals – aus­schliess­lich Eigen­kom­po­si­tio­nen zu Gehör gebracht. Eigen­wil­lig auch, dass die Spra­che gewech­selt wird, bei­nahe abwech­selnd kom­men die Songs in nor­we­gi­scher oder in eng­li­scher Spra­che daher, wobei ich das nor­we­gi­sche Idiom zwar nicht ver­stehe, es passt aber bes­ser zu die­ser Musik, gibt ihr etwas Bezau­bern­des, Sehn­suchts­vol­les, etwas Mys­ti­sches. Eigent­lich wäre es nur kon­se­quent gewe­sen, alle Lie­der in die­ser Spra­che zu texten.
Die Songs flies­sen nur so dahin, ganz selbst­ver­ständ­lich klingt das, es ist eine sehr eigen­stän­dige Musik, die zwi­schen der Karg­heit des Nor­dens und süd­län­di­schem Feuer oszil­liert. Auch wenn das wie ein Wider­spruch klingt – es ist kei­ner, das passt, und das muss genau so sein.
Har­riet Mül­ler-Tyl ist damit weit mehr als eine wei­tere Nor­we­ge­rin, die Musik im Span­nungs­feld von Kari Brem­nes, Mari Boine Per­sen, Solv­eig Slet­tah­jell oder Maria Pihl her­vor­bringt. Sie tut das näm­lich mit gros­ser Klasse, auf hohem Niveau, und sie hat sich zwi­schen die­sen Damen ihren eige­nen, ganz spe­zi­el­len Claim abge­steckt. Mal sehen, was hier sonst noch geför­dert wird.

Ein ausgereiftes Debut-Album

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Inter­es­sante, span­nungs­ge­la­dene, aber immer ange­nehme Musik, die­ses neue Album “Insom­nia” des Har­riet Quar­tet. Ein gross­ar­ti­ges Debut, eine hoch­wer­tige Pro­duk­tion – schön, dass es so etwas noch gibt!

Diese Scheibe ist den Künst­lern offen­sicht­lich leicht gefal­len, und sie ist der­art gut und aus­ge­reift gewor­den, dass es schwer sein wird, die­sem Debut-Album eine noch bes­sere Pro­duk­tion fol­gen zu las­sen. Die Mess­latte liegt also hoch und man darf dies­be­züg­lich erst­mal gespannt sein…
Die Auf­nah­men haben am 11. und 12. Juni 2006 im Stu­dio von Tho­mas Mau­er­ho­fer statt­ge­fun­den. Die­ses Stu­dio ver­fügt über eine bestechend gute Aus­rüs­tung. Ohne hier lang­wei­len zu wol­len: Es fin­den ein rela­tiv klei­ner Mixer mit nur 10 Ste­reo­ka­nä­len, unter ande­rem die berühm­ten Neu­mann-Mikro­fone U87, KM-184 und TLM-193, sowie diverse gut beleu­mun­dete AKG-, Senn­hei­ser- und Shure-Modelle Ver­wen­dung. Unter ande­rem kom­men von Pro­fis völ­lig zu Recht gerühmte Studer/Revox und Tele­fun­ken 672/676a und 372s Mikro­fon­ver­stär­ker zum Einsatz.
Ebenso sei die Nut­zung eines Lexi­con 300 erwähnt, eines pro­fes­sio­nel­len Effekt­pro­zes­sors, der, spar­sam ein­ge­setzt, für einen unglaub­lich kör­per­haf­ten und natür­li­chen Sound sor­gen kann. Auch bei den Pro­duk­tio­nen von Kari Brem­nes, die nicht zuletzt für ihre klang­lich per­fek­ten Pro­duk­tio­nen bekannt ist, fin­det die­ses Gerät Verwendung.
Somit ist auch die Ton­qua­li­tät zu erwäh­nen: Viel bes­ser geht das nicht, eine intime, Gän­se­haut erzeu­gende Auf­nahme, die nicht das geringste Neben­ge­räusch unter­schlägt, den Kon­tra­bass bei­nahe kör­per­lich an sei­nen Platz stellt und die Stimme völ­lig frei mit allen Atem­ge­räu­schen im Raum ent­ste­hen lässt.

Mutiges Label verdient Respekt

Zu einer per­fek­ten Pro­duk­tion gehört auch ein per­fek­tes Art­work. Das Cover ist dezent in schwarz-weiss gehal­ten, keine schnöde Plas­tik­schach­tel, viel­mehr hoch­wer­ti­ger Kar­ton. Lei­der gibt es hier nicht viel mehr als Basis­in­for­ma­tio­nen, dafür aber ein hüb­sches Book­let mit allen Tex­ten dazu. Schade auch, dass es bis zum Okto­ber 2010 gedau­ert hat, bis die Pro­duk­tion ver­öf­fent­licht wer­den konnte. An die­ser Stelle sollte dem klei­nen, aber fei­nen cra­cked-an-egg-Label wohl Dank aus­ge­spro­chen wer­den, dass man sich getraut hat, dem Har­riet-Quar­tet diese Chance zu geben. Ich würde die­sem Label einen gebüh­ren­den Erfolg frag­los gön­nen und werde mich ganz sicher in nächs­ter Zeit auch mit ande­ren Pro­duk­tio­nen die­ser Her­kunft näher befassen. ♦

Har­riet Quar­tet: Insom­nia, Audio-CD, Cra­cked-An-Egg (Lotus Records)

Lesen Sie im Glarean Maga­zin von Ste­phan Urban auch über das Jubi­läum des Wie­ner „Kol­le­gium Kalksburg“
aus­ser­dem zum Thema Jazz im GLAREAN: Susi weiss – Bar-Piano-Arrangements

Ein Kommentar

  1. Was will man von einer CD-Kri­tik mehr?
    Fast möchte ich die Scheibe taub bestel­len, mache ich aber nie.
    Steht also auf der Liste, für den nächs­ten Besuch im gepfleg­ten Tonträgerhandel.
    Danke für den Tipp.

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