Philipp Ruch: Schluss mit der Geduld! (Eine Polit-Anleitung)

Künstler an die Macht”

von Heiner Brückner

Kämp­fe­risch lau­tet der Titel, das Thema ist brand­ak­tu­ell, und der Umschlag sticht in grel­lem Orange in die Augen. Man muss sich rein­beis­sen in die “Anlei­tung für kom­pro­miss­lose Demo­kra­tie” von Phil­ipp Ruch, agi­ta­tiv beti­telt mit “Schluss mit der Geduld”. Wenn man nicht die resi­gnierte Parole der Gross­vä­ter­ge­nera­tion nach­be­ten möchte, die auch heute gerne ange­führt wird, sobald es um eige­nen Ansporn und Anspruch geht: “Was hät­ten wir als Ein­zelne denn dage­gen tun kön­nen? Wir woll­ten doch bloss überleben.”
Oder mit dem Zitat von Astrid Lind­gren, das Phil­ipp Ruch in sei­ner Ansporn-Streit­schrift zitiert; sie schreibt in ihrem Kriegs­ta­ge­buch über den nahezu unbe­merk­ten Ein­fall der sowje­ti­schen Armee in Finn­land: “Wenn man doch nur wüsste!”

Philipp Ruch - Schluss mit der Geduld - Jeder kann etwas bewirken - Cover Ludwig Verlag - Glarean MagazinEs ändert sich ein­fach nichts von selbst. Das ent­täuscht den Akti­vis­ten Ruch im Zen­trum für Poli­ti­sche Schön­heit, der mit auf­merk­sam­keits­wirk­sa­men Aktio­nen ein Ein­se­hen errei­chen und zum Ruck für Ver­än­de­rung auf­rüt­teln will. Und damit natür­lich nicht nur auf Gegen­liebe stösst.

Denke!”

Zunächst ana­ly­siert er im Kapi­tel “Denke!” scho­nungs­los und knall­hart den chao­ti­schen Mei­nungs­wirr­warr: “Demo­kra­tie­feind­li­che Flag­gen hän­gen mitt­ler­weile in Schre­ber­gär­ten”. Wei­ter stei­gert er sich mit mar­ki­gen Wor­ten und deut­li­chen Begrif­fen wie “Lügen­presse” als Behaup­tung für ein “Unter­drü­ckungs­re­gime”, das in Talk­shows (“Schlag­stö­cke im öffent­li­chen Gespräch”, “Fern­seh-Apart­heid”) seine Bühne bekommt, und in dem Poli­ti­ker sprach­li­che Domi­nanz über Men­schen erlan­gen dür­fen. Gän­gige Poli­ti­ker­grös­sen und Medi­en­ver­tre­ter führt er an, auf und teils vor. Man könnte ebenso die­ses Werk als Who’s-who-Shortlist aktu­el­ler Agi­ta­to­ren und eini­gen aus der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit lesen. Die “kul­tu­relle Phan­ta­sie des Lan­des” bleibe auf der Stre­cke. Seine ein­fachste Regel als Resul­tat des Denk­pro­zes­ses lau­tet denn auch: Die Dik­ta­tur der Mei­nungs­ma­che bre­chen, kei­nen Hass auf­kom­men las­sen, son­dern sofort ahnden.

Kämpfe!”

Philipp Ruch - Philosoph und Aktivist mit Kriegsbemalung - Glarean Magazin
Phi­lo­soph mit Kriegs­be­ma­lung: Akti­vist Phil­ipp Ruch

Kämpfe!” for­dert denn auch das Kapi­tel Zwei. Ruch stu­dierte “Die Welt­bühne” von 1932. Diese Wochen­zeit­schrift für Poli­tik, Kunst und Wirt­schaft galt in der Wei­ma­rer Repu­blik als das Forum der radi­kal­de­mo­kra­ti­schen bür­ger­li­chen Lin­ken. Seine Erkennt­nis: sie lag ers­tens poli­tisch völ­lig dane­ben und zwei­tens Bür­ger­krieg ent­steht aus “erschre­cken­der Kon­ti­nui­tät der Ereig­nisse” nach dem Auf­bau­prin­zip: Getreue sam­meln, Waf­fen hor­ten, “Wah­len als Kabel­bin­der”, per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung. Mit der Insze­nie­rung von “Unru­hen” werde noch heute (Meinungs-)Diktatur gemacht. Die AFD (Gross­schrei­bung ist Absicht des Autors) habe sich bereits in Björn Höcke, dem “Prim­gei­ger des Fascis­mus” (sic!, Schreib­weise der “Welt­bühne”) und “Pos­ter­boy der Rechts­extre­mis­ten”, für Ver­än­de­rung ent­schie­den. Des­halb benö­tige das deut­sche Grund­ge­setz “eine Art Hochwasserschutz”.

Ächte!”

Damit für die Zukunft rich­tige Mit­tel im Kampf um die Demo­kra­tie gefun­den wer­den, spielt er auch mit dem Mit­tel Bür­ger­krieg, zunächst rein gedank­lich. Manch­mal ver­hed­dert sich der rote Faden im Eifer der Lei­den­schaft in den fal­len­ge­las­se­nen und wie­der­auf­ge­grif­fe­nen Red­un­danz­ma­schen, die an ihm zum fina­len Kno­ten auf­ge­fä­delt wer­den sollten.
Die Dinge kom­men sehen und an die eigene Wir­kung glau­ben, ist ein ebenso wenig kon­kre­tes Pos­tu­lat wie die wei­te­ren All­ge­mein­plätze, die hin­aus­lau­fen auf: Wir müs­sen selbst han­deln. Sie wer­den aber durch “schöne” oder kan­tige For­mu­lie­run­gen nicht prag­ma­ti­scher: “Nie­mand ist ohn­mäch­tig”, “Wir müs­sen das Ter­ri­to­rium des Idea­lis­mus zurück­ge­win­nen.” Die­ses Kapi­tel über­schreibt er mit “Ächte!” und wird zuneh­mend grif­fi­ger: Wir müs­sen strei­ten, denn mit den Rech­ten zu reden, sei eine “Höf­lich­keits­läh­mung”, weil es aus­ar­tet in “für Rechte reden”. Kämp­fe­risch kon­kret, natur­ge­mäss sub­jek­tiv frag­wür­dig klingt die For­de­rung, wir soll­ten wie selbst­ver­ständ­lich kon­se­quent gegen Rechts­extre­mis­mus vor­ge­hen. Die Frage ist aber eben wie. Da wird Ruch agi­ta­to­risch: Stress machen, Steu­ern ver­wei­gern! Ver­ächt­lich machen!

FAZIT: “Wenn ich die Wahr­heit sagen sollte, müsste ich lügen”, zitiert Phil­ipp Ruch Erich Käst­ner aus “Die Welt­bühne”. Der strebt aber nach Wahr­haf­tig­keit und benö­tigt Sehn­suchts­bil­dung als Grund­nah­rungs­mit­tel. In sei­ner scho­nungs­lo­sen Gegen­warts­ana­lyse kommt Ruch zu dem Ergeb­nis: “Wir hän­gen am sei­de­nen Faden der Poli­tik.” Zur Moral tra­gen Natur­wis­sen­schaf­ten nicht bei und Poli­tik schweigt. Er sieht Fik­tion in der Kunst als “Königs­weg, um die Welt zu ver­än­dern”. Denn das Wesen von Akti­ons­kunst sei die “radi­kale Nähe zur Wirk­lich­keit”. Wort­reich und sprach­ge­wandt klin­gen “Schluss mit der Geduld” die flam­men­den Appelle Phil­ipp Ruchs zur ver­meint­li­chen Ret­tung der Demo­kra­tie mit vie­len Aus­ru­fungs­zei­chen und Fra­ge­zei­chen, aber weni­gen und zumeist vagen Beant­wor­tungs­sät­zen. Eine Emp­feh­lung mei­ner­seits – mit Einschränkung.

Humanisiere!”

Das letzte Kapi­tel: “Huma­ni­siere!” Wird er nun wie­der zahm? Nein, ver­weich­li­chen meint er nicht: “Huma­nis­mus kennt keine Kom­pro­misse”, heisst die These auf Seite 140. Die See­not­ret­ter (Made in Ger­many) bei­spiels­weise ret­ten “das letzte Sand­korn unse­res Anstands”. Und zehn Sei­ten spä­ter las­sen wir zu, dass unsere Mensch­lich­keit zer­stört wird, wenn “aus­ge­rech­net sie (die Ret­ter der Ertrin­ken­den) von den Jour­na­lis­ten ver­ächt­lich gemacht werden”.
Mit einem Appell ins Innere bricht er seine The­sen auf unse­ren All­tag her­un­ter. Aus­mer­zen könn­ten wir die Rech­ten nicht, aber wir müs­sen keine Ver­träge mit ihnen schlies­sen. Ohne Anstren­gung werde der Kampf nicht abgehen.
Ein­leuch­ten­der kann der Leser sei­nem Ansatz fol­gen, wenn er ein Exem­pel zu Ende führt. Das wird gegen Ende des Buches mit der fik­tio­na­len “Kin­der­not­hilfe des Bun­des” als Aktion des Zen­trums für Poli­ti­sche Schön­heit deut­lich, die tat­säch­lich 55’000 Wil­lige für die Adop­tion von Flücht­lings­kin­dern auf­weckte. “Wir las­sen heute Men­schen ertrin­ken”, “Ver­ro­hung des Gesell­schafts­in­ne­ren”, “Wir leben in der Zeit des Ver­rats am Huma­nis­mus” – zwar sind diese Sätze erst gegen Ende auf Seite 150 abge­druckt, aber sie sind das Resü­mee der aus­schwei­fen­den Aus­las­sun­gen, und des­halb führe ich sie hier exem­pla­risch an.

Philipp Ruch - Wenn nicht wir, wer dann? Ein politisches Manifest - Ludwig Verlag
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Zur Moral tra­gen Natur­wis­sen­schaf­ten nicht bei und Poli­tik schweigt, Sehn­suchts­bil­dung ist aber ein Grund­nah­rungs­mit­tel. Der “Königs­weg, um die Welt zu ver­än­dern” kann folg­lich nur Fik­tion durch Kunst sein. Das Wesen von Akti­ons­kunst ist näm­lich die “radi­kale Nähe zur Wirk­lich­keit”. Aus Man­gel an Vor­stel­lungs­kraft “ver­drän­gen wir leich­ter, als mit­zu­lei­den”, bemüht er den öster­rei­chi­schen Schrift­stel­ler Arthur Schnitz­ler. Um der Mensch­lich­keit gerecht zu wer­den, soll­ten wir uns der Phan­ta­sie bedie­nen. Ja wir haben sogar die “Pflicht”, uns den Abgrund vor­zu­stel­len. Thea­ter und Bücher sind die “Herz­kam­mern” für den Kampf gegen den Ungeist. Gewagt und zwei­fel­haf­ter erscheint sein Appell: “Kom­pli­zen­schaft bei Ver­bre­chen, die uns in eine bes­sere Welt führen”.

Das Auf­schrei­ben ist ein Auf­schrei, zwei­fel­los. Aber steckt er mich an? Was ver­an­lasst mich ihm zu fol­gen, wenn ich das Buch durch­ge­ackert habe? Was könnte man nur aus­rich­ten, damit sich etwas ändert? Hat er Vor­schläge auf Lager, die ich nach­voll­zie­hen und umset­zen könnte? Teils hat er. Des­halb emp­fehle ich diese “Anlei­tung für kom­pro­miss­lose Demo­kra­ten”. Mit der Ein­schrän­kung, dass Demo­kra­ten sehr wohl kom­pro­miss­be­reit sein soll­ten – aber auf kei­nen Fall in ihrem kämp­fe­ri­schen Stre­ben nach Demokratie. ♦

Phil­ipp Ruch: Schluss mit der Geduld – Jeder kann etwas bewir­ken (Eine Anlei­tung für kom­pro­miss­lose Demo­kra­ten) – 192 Sei­ten, Ver­lag Lud­wig ISBN 9783453281196

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