H. Busche & Y. Förster (Hrsg): Mode als ein Prinzip der Moderne?

Kleider machen Leute

von Heiner Brückner

Ha­ben Mo­den trotz al­len Stre­bens nach ein­deu­ti­gen, kla­ren und fes­ten Prin­zi­pi­en in al­len ge­sell­schaft­li­chen Be­rei­chen den­noch eine zen­tra­le Be­deu­tung? Auf die­se Fra­ge könn­te man die vie­len Fra­gen der zwölf in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Vor­trä­ge re­du­zie­ren, die ur­sprüng­lich an­läss­lich ei­ner Ta­gung der Fern-Uni­ver­si­tät Ha­gen un­ter dem Ti­tel “Mo­den der Klei­dung – Mo­den des Geis­tes?” ge­hal­ten wur­den. Im Vor­trags­kom­pen­di­um “Mode als ein Prin­zip der Mo­der­ne?” be­ackern die Pro­fes­so­ren-Au­toren den Be­griff aus un­ter­schied­li­chen Fach­wis­sens­ge­bie­ten und Blick­win­keln. Die­se Um­fäng­lich­keit legt eine fo­kus­sier­te ab­schlies­sen­de Fun­da­men­tal­ant­wort der in­no­va­ti­ven viel­schich­ti­gen Ein­zel­ant­wor­ten nahe und regt zu in­ten­si­ver Lek­tü­re an.

Mode als Prinzip der Moderne - Cover - Rezension Glarean MagazinWis­sen­schaft­lich soll ex­plo­riert wer­den, ob in der mo­der­nen Ge­sell­schaft die Mode durch­gän­gig zu ei­nem Prin­zip ge­wor­den ist, wel­ches de­ren in­ne­re Struk­tur prägt. Mo­der­ni­tät als be­herr­schen­der Fak­tor der Selbst­wahr­neh­mung gibt es be­reits Mit­te des 17. Jahr­hun­derts. Da­mals wur­de die Ma­xi­me aus­ge­ge­ben, dass man über­all mit der Mode ge­hen soll – aus­ser was die Mo­ral betreffe.
Das “Un­ter­worfen­sein un­ter die Mo­der­ne” be­zeu­ge un­se­re Schwach­heit, schrieb Jean de la Bruyè­re 1688. Der Au­tor gilt als Mo­ra­list und wird zu den fran­zö­si­schen Klas­si­kern ge­rech­net. Un­ter Mode wird in den vor­lie­gen­den Un­ter­su­chun­gen über­wie­gend die Nach­ah­mung gän­gi­ger Er­schei­nungs­mus­ter des Be­griffs von mo­dus (Mass, Re­gel, Art und Wei­se), aber auch ihr pe­ri­odi­scher Wech­sel verstanden.

Interdisziplinäre Fragen und Antworten

Eine kurz ge­fass­te In­halts­an­ga­be der ein­zel­nen Auf­sät­ze be­zie­hungs­wei­se Vor­trä­ge gibt nach­fol­gend ei­nen Ein­druck und Über­blick auf den wis­sen­schaft­li­chen Ver­such, ei­nen durch alle Le­bens­be­rei­che wir­ken­den Be­griff in den Griff zu bekommen:

  • Der tem­po­ra­le Cha­rak­ter der Klei­der­mo­de als kul­tu­rel­le Pra­xis wird von Ve­re­na Pott­hoff in sei­ner sym­bo­li­schen Funk­ti­on und so­zia­len Re­le­vanz, die an­geb­lich auch für den “Klas­sen­kampf” ein­ge­setzt wer­den, beschrieben.
  • Mo­der­ni­sie­rung als Kon­sum­gut schil­dert der Auf­satz von Ire­ne Nier­haus über die Mo­der­ni­sie­run­gen in der Wohn­ar­chi­tek­tur vom “Ge­wand zur Wand”.
  • Sich stän­dig ent­wi­ckeln­de Phä­no­me­ne blei­ben für Rai­ner Hart­mann die Mo­den der Freizeitgestaltung.
  • Auch in den tem­po­rär be­lieb­ten Sport­ar­ten ma­ni­fes­tie­re sich der Zeit­geist, kon­sta­tiert Ro­bert Gu­gut­zer an sechs Mo­den des Sports.
  • Nach­hal­tig­keit von Mode als Pro­dukt (De­sign) und Wirt­schafts­form sieht Yvonne Förs­ter in den wech­seln­den Be­stim­mun­gen des Körper-Geist-Verhältnisses.
  • Mode und Mo­der­ni­tät fin­det Frank Hil­le­brandt den Schlüs­sel­be­griff der So­zio­lo­gie, der zum Sym­bol des Wi­der­stan­des wird, um un­se­re ei­ge­nen Le­bens­ver­än­de­run­gen zu reflektieren.
  • Paul Hoynin­gen-Hue­ne klopft die um­strit­te­ne “String­theo­rie” in der Phy­sik ab und er­kennt in ihr ei­nen In­di­ka­tor für Dis­sens in­ner­halb der na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Ge­mein­schaft. Sein Fa­zit: ein “sach­ter Wandlungsprozess”.
  • In wel­chem Sin­ne Trends in den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten vor­herr­schen, be­han­delt Tim Ro­jek in sei­nem Bei­trag. Er un­ter­schei­det be­wuss­te und un­be­wuss­te Mode und kommt zu der Schluss­fol­ge­rung: “Die Kennt­nis und das Be­wusst­sein … kann uns hel­fen, kla­rer zu se­hen und Gel­tungs­fra­gen nicht mit Ge­ne­se­fra­gen … zu verwechseln.”
  • Gibt es auch “Mo­den der Küns­te?”, fragt Ge­org w. Bert­ram und ant­wor­tet ein­fach: “Selbst­ver­ständ­lich.” Er er­klärt sei­ne na­he­lie­gen­de Ant­wort und lässt dann das gros­se Aber fol­gen. In­ter­es­sant ist sein Ex­kurs zur Kunst­kri­tik, die die Sym­pto­ma­tik his­to­risch-kul­tu­rell ge­präg­ter Le­bens­for­men im Hin­blick auf ihre zeit­ge­mäs­sen An­sprü­che charakterisiere.
  • Was in der Phi­lo­so­phie Mo­den be­deu­ten und ob sie vor­han­den sind, kön­ne “nicht über ein­deu­ti­ge sinn­li­che Kenn­zei­chen re­gis­triert wer­den”, er­läu­tert Hu­ber­tus Bu­sche. Des­halb ex­em­pli­fi­ziert er es an “Gross­mo­den”, denn das “bloss Mo­di­sche … ist kein Si­gnum der phi­lo­so­phi­schen Mo­der­ne“.
  • Am Ende be­gibt sich Daria Pez­zo­li-Ol­gia­ti auf Spu­ren­su­che nach Mo­den in der Re­li­gi­on. Sie führt zu­nächst bild­haft die ro­ten Papst-Mo­kas­sins, die mus­li­mi­schen Käpp­chen bis zu den sa­fran­far­bi­gen bud­dhis­ti­schen Mönchs­ge­wän­dern an. Ver­tieft dann re­li­gi­ons­wis­sen­schaft­lich aber auf un­ter­schied­li­che Aspek­te der Wech­sel­wir­kung von Mode und Re­li­gi­on und er­ör­tert “mo­di­sche Ten­den­zen in der Re­li­gi­on als Re­prä­sen­ta­ti­on von Zu­ge­hö­rig­keit und Ab­gren­zung im öf­fent­li­chen Raum” in rein “ve­s­ti­men­tä­rer” Sicht. Da es bei ih­rem “be­son­de­ren Blick auf die In­ter­ak­ti­on der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­me Mode und Re­li­gi­on” bleibt, wird für mei­ne Be­grif­fe das in der Fra­ge­stel­lung im­pli­zier­te “so­gar” der Mo­den in der Re­li­gi­on (etwa in der Bi­bel­aus­le­gung oder den Kir­chen­ge­set­zen) nicht ein­mal gestreift.

Mode als Prinzip moderner Gesellschaften

FAZIT: Die in­ter­dis­zi­pli­nä­re An­tho­lo­gie “Mode als ein Prin­zip der Mo­der­ne?” bie­tet eine dif­fe­ren­zier­te Er­ör­te­rung der zahl­rei­chen he­te­ro­ge­nen Strö­mungs­ten­den­zen in den Ge­sell­schaf­ten und Men­schen un­se­res Zeitalters.

Weil es kei­ne all­ge­mein­ver­bind­lich gül­ti­ge Wahr­heit gibt und kei­ne be­gren­zen­den Nor­men im Den­ken ge­ben darf, kann auch die­ser in­ter­dis­zi­pli­nä­re Fä­cher aus sys­te­ma­ti­schen Ant­wor­ten der un­ter­schied­li­chen Wis­sen­schafts­be­rei­che kei­ne klä­ren­de Gül­tig­keits­ant­wort lie­fern. Sie wei­ten im Ge­gen­teil den Fo­kus, der sich auf das The­ma Mode be­schränkt, zu ei­nem Weit­win­kel­bild flies­sen­der Über­gän­ge und Kon­ne­xio­nen aus. Das be­stä­tigt ihre So­zi­al­funk­ti­on als fak­ti­sches Ge­setz, be­kräf­tigt den Zu­sam­men­hang zwi­schen “Mo­di­zi­täts­be­wusst­sein” und Mode im Ver­lau­fe des Ver­lusts der “ewi­gen Wahr­hei­ten” nach der Auf­klä­rung. Dy­na­mik des Mo­de­be­griffs als “uni­ver­sa­les kul­tu­rel­les Ge­stal­tungs­prin­zip” wird vom äus­ser­li­chen Gou­tie­ren bis hin zu theo­re­ti­schen und auch sitt­li­chen Über­zeu­gun­gen beeinflusst.
So­mit ist für mich ein “über­ra­schen­des Er­geb­nis” die­ser Er­kun­dun­gen: Der Geist trägt “Klei­dun­gen (…), in de­nen er so­zia­le Be­dürf­nis­se kom­mu­ni­ziert”, die es al­ler­dings zu durch­schau­en gilt.
Ich bin ge­neigt zu fol­gern, sie tun es auch, weil es der­zeit gän­gi­ge Mode ist, sich nicht fest­zu­le­gen. So­mit ist die­ser “in­ter­dis­zi­pli­nä­re Er­kun­dungs­gang” über die “Mode als ein Prin­zip der Mo­der­ne?” ein be­red­tes Bei­spiel für die Ver­wirk­li­chung des The­mas in sich selbst. Mode ist und war eine Art Prin­zip mo­der­ner Ge­sell­schaf­ten und wird es bleiben.

Zu­sam­men­ge­fasst: Man könn­te die Sum­me auch mit dem Schwei­zer No­vel­lis­ten des poe­ti­schen Rea­lis­mus Gott­fried Kel­ler (1874) in ei­nen Satz fas­sen und hät­te dann die Kern­er­kennt­nis: “Klei­der ma­chen Leu­te”. Was im Ver­gleich zur Kurz­for­mel des Poe­ten das de­tail­lier­te Schür­fen in den ver­krus­te­ten Mode-Schich­ten der Ver­gan­gen­heit an Mehr­wert bie­tet, ist die wis­sen­schaft­li­che Hin­ter­grund­ana­ly­se in die­ser aus­führ­li­chen Er­ör­te­rung der Strö­mungs­ten­den­zen in den Ge­sell­schaf­ten und Men­schen un­se­res Zeit­al­ters. Die­ses Werk schil­dert kom­ple­xe Ver­hal­tens­wei­sen, um­geht aber trotz vie­ler Wor­te und Er­wä­gun­gen kla­re Fest­le­gun­gen und lässt letzt­lich al­les offen. ♦

Hu­ber­tus Bu­sche und Yvonne Förs­ter (Hrsg): Mode als ein Prin­zip der Mo­der­ne? – Ein in­ter­dis­zi­pli­nä­rer Er­kun­dungs­gang, 250 Sei­ten, Mohr Sie­beck Ver­lag, ISBN 978-3-16-156339-3

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Kul­tur und Ge­sell­schaft auch über den Es­say von Ge­org Ca­vallar: Ge­schei­ter­te Aufklärung?

…so­wie zum The­ma Mu­ta­ti­on der Kul­tur über Ales­san­dro Ba­ric­co: Die Barbaren

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