Jane Gerhard und Dan Tucker: Feminismus (Bildband)

Gleiches Recht für alle

von Sigrid Grün

Der Femi­nis­mus, die welt­weite Frau­en­be­we­gung hat einen wei­ten Weg zurück­ge­legt – der noch lange nicht zu Ende ist. Welt­weit herr­schen immer noch Ver­hält­nisse, die Frauen sys­te­ma­tisch benach­tei­li­gen. In Saudi-Ara­bien haben Frauen bis heute kein Recht auf freie Mei­nungs­äus­se­rung, sie dür­fen nicht zusam­men mit Män­nern stu­die­ren, und viele Dinge sind ohne Ein­wil­li­gung eines männ­li­chen Vor­mun­des ver­bo­ten. Welt­weit hat sich in den ver­gan­ge­nen 150 Jah­ren viel getan, aber selbst in Europa ver­die­nen Frauen immer noch deut­lich weni­ger als Män­ner. Die auf US-ame­ri­ka­ni­sche Geschichte spe­zia­li­sierte His­to­ri­ke­rin Jane Ger­hard hat gemein­sam mit Dan Tucker die­ses Cof­fee Table Book zur Geschichte des Femi­nis­mus herausgebracht.

Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe enga­gier­ter Men­schen die Welt ver­än­dern kann.” (Mar­ga­ret Mead)

Warum ein Bild­band? Bil­der ver­mit­teln die Dyna­mik und die emo­tio­na­len Bot­schaf­ten sehr viel inten­si­ver, als ein Text dies könnte. Und es geht auch darum, dass Bil­der “die Beson­der­hei­ten einer Kul­tur, einer bestimm­ten Auf­ma­chung, eines Auf­tritts und ande­rer Details, die einer Geschichte erst die Würze ver­lei­hen, beson­ders gut zu trans­por­tie­ren ver­mö­gen.” (Seite 6)

Breit gestreute Themenfelder

Jane Gerhard und Dan Tucker: Feminismus - Die illustrierte Geschichte der weltweiten FrauenbewegungDie Bil­der (Fotos, Pla­kate, Gemälde) ver­mö­gen tat­säch­lich, einen sehr leben­di­gen Ein­druck zu ver­mit­teln. Sie zei­gen her­vor­ra­gend auf, wie Frauen aus ver­gan­ge­nen Zei­ten und frem­den Kul­tu­ren alle für eine Sache gekämpft haben: Gleichberechtigung.
Das Buch ist nach unter­schied­li­chen The­men­fel­dern geglie­dert. Zunächst geht es um poli­ti­sche Mit­be­stim­mung, ins­be­son­dere um das Recht zu wäh­len (“Eine Stimme haben”). Hier wird die Situa­tion in den USA sehr stark ins Zen­trum gerückt. Dies ist natür­lich vor allem dem Umstand geschul­det, dass das Buch eine Über­set­zung ist und von US-Ame­ri­ka­ne­rIn­nen her­aus­ge­ge­ben wurde. Begin­nend bei der Seneca Falls Con­ven­tion, die am 19. und 20. Juli 1848 in Seneca Falls (New York) abge­hal­ten wurde und die “Decla­ra­tion of Sen­ti­ments” her­vor­brachte, wird die Geschichte der Frau­en­be­we­gung in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten sehr gut in Wort und Bild vermittelt.
Inter­es­sant fand ich in die­sem Zusam­men­hang auch die oft­mals enge Ver­bin­dung zwi­schen der Frau­en­be­we­gung und der Abs­ti­nenz­be­we­gung, weil Frauen extrem unter dem Alko­hol­miss­brauch ihrer Män­ner lit­ten. Die grösste Abs­ti­nenz­be­we­gung war die Woman’s Chris­tian Tem­pe­rance Union (WTCU). Auch die Situa­tion in ande­ren Län­dern (Gross­bri­tan­nien, Deutsch­land, China, Saudi-Ara­bien…) wird auf­ge­grif­fen, aber in weit­aus gerin­ge­rem Umfang als die­je­nige in den USA.

Die weibliche Selbstbestimmung

New Yorker Zeitungs-Illustration 1870 - Frauenärztin Elisabeth Blackwell bei einer Anatomie-Lektion - Glarean Magazin
New Yor­ker Zei­tungs-Illus­tra­tion aus dem Jahre 1870, die Ame­ri­kas erste und ein­fluss­reichste Frau­en­ärz­tin Eli­sa­beth Black­well bei einer ihrer Ana­to­mie-Lek­tio­nen zeigt

Im zwei­ten Kapi­tel, “Das Recht auf Selbst­be­stim­mung”, geht es um Bür­ger­rechte und ganz zen­tral um das Recht, über den eige­nen Kör­per zu bestim­men. Es wer­den beein­dru­ckende Per­sön­lich­kei­ten wie Eliza­beth Black­well vor­ge­stellt, die als erste Ärz­tin der Ver­ei­nig­ten Staa­ten gilt und meh­rere medi­zi­ni­sche Hoch­schu­len für Frauen grün­dete. Im Zusam­men­hang mit den Pro­tes­ten von Abtrei­bungs­be­für­wor­te­rIn­nen fällt eine Per­son auf, die einen erstaun­li­chen Sin­nes­wan­del durch­ge­macht hat: Die ehe­ma­lige Akti­vis­tin Norma McCor­vey (Pseud­onym Jane Roe), die noch 1989 für das Recht von Frauen, über ihren Kör­per selbst zu bestim­men demons­trierte, kon­ver­tierte 1994 zum Katho­li­zis­mus und wurde zur Abtrei­bungs­geg­ne­rin, die ihre Rolle in der Frau­en­be­we­gung plötz­lich bedauerte.

Das weitverbreitete Abtreibungsverbot

In vie­len Län­dern ist Abtrei­bung – selbst nach einer Ver­ge­wal­ti­gung oder einer Gefähr­dung der Mut­ter – immer noch strikt ver­bo­ten. In Irland hat das u.a. dazu geführt, dass ein 13-jäh­ri­ges Ver­ge­wal­ti­gungs­op­fer nicht nach Eng­land aus­rei­sen durfte, um dort eine Abtrei­bung vor­neh­men zu las­sen – und zum Tod einer Frau, bei der eine bereits begin­nende Fehl­ge­burt fest­ge­stellt wor­den war, und die trotz­dem nicht abtrei­ben durfte und schliess­lich infolge einer Blut­ver­gif­tung starb. Seit 1984 gibt es in den USA (immer wie­der durch ein­zelne Prä­si­den­ten gelo­ckert), den Glo­bal Gag Rule (Glo­bale Kne­bel­vor­schrift), die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs) im Gesund­heits­we­sen eine Auf­klä­rung bezüg­lich Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen ver­bie­tet – andern­falls droht eine voll­stän­dige Strei­chung der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung durch die US-Regierung.

Die Gleichstellung der Ehepartner

Müssen Frauen gleichberechtigt sein - Strassen-Statements in den 1950er Jahren - Glarean Magazin
Müs­sen Frauen gleich­be­rech­tigt sein – Stras­sen-State­ments in den 1950er Jahren

In “Raus aus dem Pup­pen­haus” geht es um die Ehe und die wirt­schaft­li­chen Rechte von Frauen. Die Gleich­stel­lung der Ehe­part­ner vor dem Gesetz ist dabei ebenso Thema wie die Kinderehe.
“We can do it” wid­met sich der Frau in der Arbeits­welt. Heute noch müs­sen vor allem Frauen unter kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen arbei­ten, die sie oft das Leben kos­ten. Die Brände in Tex­til­fa­bri­ken haben ins­be­son­dere die Leben weib­li­cher Arbei­te­rin­nen gefor­dert. Frauen ver­die­nen immer noch weni­ger als Män­ner und müs­sen in vie­len Fäl­len Haus­halt und Pflege von Kin­dern und Alten zusätz­lich zur Erwerbs­tä­tig­keit erledigen.

Sexismus und Rassismus

Männliche Schönheitsvorstellungen prägten das Bild einer idealen Frau und waren damit Teil männlicher Machtausübung
“Männ­li­che Schön­heits­vor­stel­lun­gen präg­ten das Bild einer idea­len Frau und waren damit Teil männ­li­cher Machtausübung”

Im fünf­ten Kapi­tel, “Im Auge des Betrach­ters”, rücken Frau­en­bil­der in den Mit­tel­punkt. Männ­li­che Schön­heits­vor­stel­lun­gen präg­ten das Bild einer idea­len Frau und waren damit Teil männ­li­cher Macht­aus­übung. Femi­nis­ti­sche Künst­le­rin­nen setz­ten die­ser Tra­di­tion etwas ent­ge­gen und ermög­lich­ten auf diese Weise eine Neu­iden­ti­fi­ka­tion mit dem weib­li­chen Äusseren.
Das letzte Kapi­tel schliess­lich, “Glei­ches Recht für alle”, wid­met sich schliess­lich der Gleich­be­rech­ti­gung aller Men­schen, unab­hän­gig von eth­ni­scher Zuge­hö­rig­keit und Geschlecht. Wäh­rend sich die frühe Suf­fra­get­ten­be­we­gung weit­ge­hend aus der Ober­schicht rekru­tierte, setzte sich im Lauf des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts (u.a. in der zwei­ten Femi­nis­mus­welle in den 1970er Jah­ren) zuse­hends die Ein­sicht durch, dass es um Gleich­be­rech­ti­gung für alle Men­schen gehen muss. Und so wird im im letz­ten Abschnitt die Über­win­dung von Ras­sis­mus sowie der Sexis­mus und die LGBT­QIA-Bewe­gung untersucht.

Fokus auf dem Anglo-Amerikanischen

Den unge­wöhn­li­chen, bis anhin kaum gese­he­nen Ansatz, einen Bild­band über Femi­nis­mus zu ver­öf­fent­li­chen, finde ich gross­ar­tig. Die Umset­zung ist auch sehr gelun­gen. Ich emp­fehle, zunächst jeweils den Bild­teil und anschlies­send den Text­teil (oder umge­kehrt) durch­zu­le­sen, weil der Lese­fluss sonst stän­dig durch den Bild­teil (mit umfang­rei­chen Bild­un­ter­schrif­ten) unter­bro­chen wird.

Der Fokus liegt hier ganz klar auf dem anglo-ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur­raum, was ich anfangs etwas irri­tie­rend fand. Letzt­end­lich wird aber auch die Ent­wick­lung der welt­wei­ten Frau­en­be­we­gung sehr gut umris­sen. Ein schö­ner und gut les­ba­rer Bild­band, den ich allen, die am Thema Femi­nis­mus inter­es­siert sind, emp­feh­len kann. ♦

Jane Ger­hard und Dan Tucker: Femi­nis­mus – Die illus­trierte Geschichte der welt­wei­ten Frau­en­be­we­gung, 256 Sei­ten, Pres­tel Ver­lag, ISBN 978-3-791-38529-7

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Femi­nis­mus und Sexis­mus auch über Regine Schri­cker: Ohn­machts­rausch und Liebeswahn

… sowie zum Thema Frau­en­be­we­gung über Tra­di­ti­ons­brü­che und Erin­ne­rungs­ar­beit – Euro­päi­sche Frau­en­be­we­gun­gen im 19. und 20. Jahrhundert

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