Werner van Gent – Leben zwischen Krieg und Musik

Die Grenzen des Journalismus

von Katka Räber

Wer­ner van Gent – Le­ben zwi­schen Krieg und Mu­sik” ist ein Do­ku­men­tar­film mit al­len Fa­cet­ten, die ein der­ar­ti­ges fil­mi­sches Do­ku­ment bie­ten kann: Ge­schicht­li­che Bil­der­se­quen­zen, die fes­seln; das be­ruf­li­che Le­ben ei­ner äu­ßerst span­nen­den Per­sön­lich­keit; eine dis­kus­si­ons­an­re­gen­de Ge­dan­ken­ebe­ne. All das er­füllt der Film über den hol­län­disch-schwei­ze­ri­schen Jour­na­lis­ten Wer­ner van Gent, der bis vor kur­zem vier Jahr­zehn­te lang sehr ein­drück­lich, stets un­auf­ge­regt und sehr glaub­wür­dig aus den Kriegs­ge­bie­ten u.a. des Na­hen Os­tens, aus Af­gha­ni­stan, Pa­ki­stan, Sy­ri­en, Ex-Ju­go­sla­wi­en be­rich­tet hat.

Mit ver­schie­de­nen Stil­mit­teln nä­hert sich der Film dem Prot­ago­nis­ten: His­to­ri­sche Auf­nah­men aus sei­nen Be­richt­erstat­tun­gen; Mit­schnit­te aus dem jet­zi­gen Le­ben; sei­ne Stim­me aus dem Off mit Ge­dan­ken über das Le­ben all­ge­mein, über Krieg und Frie­den, Recht und Un­recht, Freu­den und Frus­tra­tio­nen des Jour­na­lis­mus. Im Film be­geg­nen wir au­ßer­dem van Gents Gat­tin Amalía, ei­ner Grie­chin, die eben­falls im Jour­na­lis­mus ar­bei­tet. Und zwi­schen die­sen zahl­lo­sen Be­geg­nun­gen, Be­rich­ten und In­ter­views im­mer wie­der mu­si­ka­li­sche Ein- und Rück­blen­den, be­son­ders der Vio­li­nis­tin Pa­tri­cia Ka­patsch­inska­ja, die Wer­ner van Gent als Ama­teur-Cel­list sehr bewundert.

Filmisches Mosaik

Werner Van Gent - Journalist - Dokumentarfilm 2022 - Glarean Magazin
Glaub­wür­dig, en­ga­giert, ob­jek­tiv: Be­richt­erstat­ter Wer­ner Van Gent

Der Do­ku­men­tar­film sel­ber ist ein fil­mi­sches Meis­ter­werk, der vor­führt, wie auch schwie­ri­ge, oft un­mensch­li­che Tat­sa­chen und Be­ge­ben­hei­ten ge­zeigt wer­den kön­nen in Ver­bin­dung mit dem Le­ben ei­nes sehr en­ga­gier­ten Jour­na­lis­ten und sei­ner Gat­tin. Ein Do­ku­ment, das auf­zeigt, was jour­na­lis­ti­sche Ar­beit be­inhal­tet, wel­che Ge­fah­ren, aber auch Freund­schaf­ten auf der gan­zen Welt sie mit sich bringt, wel­che Her­aus­for­de­run­gen sich hin­ter den uns er­reich­ten Nach­rich­ten ver­ber­gen. Ein Film auch, der ei­ner­seits Hoff­nung macht, weil es Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten gibt, die sich ein­set­zen für eine mög­lichst wahr­haf­ti­ge Be­richt­erstat­tung auch aus ge­fähr­dets­ten und ge­fähr­lichs­ten Re­gio­nen die­ser Welt, aus Kriegs­ge­bie­ten näm­lich, die es lei­der im­mer gab und heu­te nicht we­ni­ger gibt. Ei­ner die­ser glaub­wür­dig, en­ga­giert und gleich­zei­tig ob­jek­tiv be­rich­ten­den Me­di­en­schaf­fen­den ist Van Gent.

Musik als Heimat

Anzeige Amazon: Günter Wallraff - Der Aufmacher - Erweiterte Neuausgabe
An­zei­ge

Van Gent und sei­ne Frau sind Welt­bür­ger. Er: Der Sohn ei­nes Hol­län­ders und ei­ner Schwei­ze­rin. Sie: Eine Grie­chin. Van Gents Va­ter ist im Zwei­ten Welt­krieg als jun­ger Mann we­gen Trans­por­tie­rens von an­ti­fa­schis­ti­schen Flug­blät­tern in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ge­kom­men, das er über­leb­te, und wor­über er erst am Le­bens­en­de ge­spro­chen hat. Auch die­se Ebe­ne wird in den viel­schich­ti­gen, far­bi­gen Film-Tep­pich sehr ge­schickt eingewoben.
Wir fol­gen van Gents jet­zi­gem Le­ben nach sei­ner Pen­sio­nie­rung nach Athen, wo das Paar heu­te lebt, nach­dem sie ver­schie­de­ne Do­mi­zi­le be­wohn­ten, aber im­mer wie­der in der kar­gen Land­schaft der In­sel Ti­nos Ruhe und Er­ho­lung fan­den, in ih­rem Haus, das sie vor vie­len Jah­ren ge­kauft haben.
Die Mu­sik, die nach van Gents Wor­ten “Hei­mat” für ihn be­deu­tet, un­ter­stützt im Le­ben wie im Film im­mer wie­der sei­ne Wor­te. Denn aus ihr schöpf­te er stets die Kraft wei­ter­zu­ma­chen, trotz der un­mensch­li­chen Krie­ge an so vie­len Or­ten der Welt – “um den Glau­ben an den Men­schen nicht zu verlieren”.

Trotz Elend noch an Gott glauben?

Patricia Kopatchinskaja - Violine - Glarean Magazin
Mu­sik als Ver­söh­nung: Die Vio­li­nis­tin Pa­tri­cia Kopatchinskaja

Der Schwei­zer Nach­rich­ten­spre­cher Flo­ri­an In­hau­ser fragt ihn im Film, ob man im Wis­sen um so viel Schreck­li­ches in der Welt noch an Gott glau­ben kann. Van Gent ant­wor­tet mit dem Zi­tat ei­nes Ve­te­ra­nen aus dem Zwei­ten Welt­krieg: “Jetzt weiß ich, dass es ei­nen Gott gibt. Er trägt eine brau­ne Uni­form.” Es sei ent­täu­schend, dass in der Welt nicht die Ver­nunft siegt.
Im Film se­hen wir bei­spiels­wei­se das Be­gräb­nis von Mi­kis Theod­ora­kis (Sep­tem­ber 2021), dem auch po­li­tisch en­ga­gier­ten grie­chi­schen Mu­si­ker, der vie­len Men­schen Hoff­nung brach­te. Mu­sik kann auch Wer­ner van Gent eine ge­wis­se Ver­söh­nung bringen.
Der Film schafft es auf je­den Fall, die­se gan­ze Viel­falt auf eine sehr be­rüh­ren­de und doch in­for­ma­ti­ve Art zu­sam­men­zu­füh­ren. Ich wün­sche die­ser Do­ku­men­ta­ti­on viel Pu­bli­kum, egal ob im Kino oder am Fernsehen. ♦

Mi­cha­el Ma­gee (Re­gie): Wer­ner van Gent – Le­ben zwi­schen Krieg und Mu­sik (Do­ku­men­tar­film), ca. 60 Minuten

Le­sen Sie zum The­ma Po­li­ti­scher Do­ku­men­tar­film auch über F. Chi­quet & M. Af­fol­ter: Die Pazifistin

Kommentare sind willkommen! (Keine E-Mail-Pflicht)