Deborah Levy: Ein eigenes Haus (Autobiographie)

Fade bis lähmend langweilig

von Sigrid Grün

Vir­gi­nia Woolfs 1929 erschie­ne­ner Essay “A Room of One’s Own” gehört zu den am häu­figs­ten rezi­pier­ten lite­ra­ri­schen Wer­ken der Frau­en­be­we­gung – und natür­lich sollte “Ein eige­nes Haus“ von Debo­rah Levy auch als eine Adap­tion die­ses Klas­si­kers auf­ge­fasst wer­den. Doch im Gegen­satz zu Woolfs Essay, der mit viel Verve ver­fasst wurde, wirkt Debo­rah Levys auto­bio­gra­phi­sche Schrift auf mich fade, um nicht zu sagen läh­mend langweilig.

Deborah Levy - Ein eigenes Haus - Autobiographie - Hoffmann und Campe VerlagLite­ra­tur von zer­quäl­ten Schrift­stel­le­rin­nen ist durch­aus beliebt. Anke Stel­lings “Schäf­chen im Tro­cke­nen“ wurde 2019 unter ande­rem mit dem Preis der Leip­zi­ger Buch­messe aus­ge­zeich­net. Schrei­ben ist ein har­tes Brot, und als Frau ist es mit­un­ter noch här­ter – immer noch. Der Titel von Debo­rah Levys im Herbst erschie­ne­nen Teil ihres “Living Autobiography“-Projekts hat mich neu­gie­rig gemacht, nicht nur wegen der Anklänge an Woolf, son­dern auch, weil mich Auto­bio­gra­phien gene­rell faszinieren.
Um es vor­weg­zu­neh­men: Ich habe für die 200 Sei­ten ewig gebraucht. Die Lek­türe war quä­lend, manch­mal bei­nahe läh­mend. Die letz­ten 50 Sei­ten habe ich schließ­lich laut mei­nem Mann vor­le­sen müs­sen, um wach zu blei­ben. Er ist schließ­lich dabei eingeschlafen.

Vor sich hinplätschernd

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Es ist mir unbe­greif­lich, wie eine der­art gefei­erte Schrift­stel­le­rin so furcht­bar lang­wei­lig schrei­ben kann. Ich habe kein Pro­blem mit Bewusst­seins­strom-Lite­ra­tur, im Gegen­teil! Aber ein der­ma­ßen fade vor sich hin­plät­schern­der Bewusst­seins­strom, in dem es viel zu oft um aus­ufernde Beschrei­bun­gen vor­geb­lich exqui­si­ter Spei­sen geht, die die Erzäh­le­rin ver­zehrt, war für mich schier unerträglich.
Fast nichts von dem Gele­se­nen war irgend­wie inter­es­sant. Es geht um Ein­käufe (ein Bana­nen­bäum­chen als Kin­de­r­er­satz, Schuhe und Essen), um die her­bei­ge­sehnte Immo­bi­lie, die sie sich der eige­nen Auf­fas­sung zufolge ohne­hin nie leis­ten kön­nen wird, wes­halb es eine “Ima­gi­närim­mo­bi­lie“ bleibt, um Begeg­nun­gen, die kei­ner­lei Bedeu­tung zu haben schei­nen – und um die eigene Groß­ar­tig­keit als Autorin, die etwas zu sagen hat und schließ­lich ein Auf­ent­halts­sti­pen­dium für Paris bekommt.

Keine interessanten Fragen

Deborah Levy
Debo­rah Levy (*1959)

Schau­plätze sind Lon­don, New York, Mum­bai, Paris, Ber­lin und eine grie­chi­sche Insel. The­men sind das Älter­wer­den, die geschei­terte Ehe, die Kin­der, die flügge wer­den, und der All­tag als Schrift­stel­le­rin, der weni­ger span­nend erzählt wird, als ich es mir erhofft hatte.
Wirk­lich inter­es­sante Fra­gen, wie etwa die nach der weib­li­chen Selbst­be­stimmt­heit, wer­den nicht wirk­lich auf­ge­grif­fen. Wäh­rend Woolf die Bedin­gun­gen für das Ent­ste­hen gro­ßer Lite­ra­tur noch in “einem Zim­mer für sich allein“ und einem finan­zi­el­len Spiel­raum (500 Pfund im Jahr) aus­machte, träumt Debo­rah Levy von einem Haus mit “eiför­mi­gem Kamin“. Statt­des­sen hat sie einen “Schup­pen […] nicht weit von der Abbey Road“. Und das ist natür­lich total romantisch.

Frustration und Lebensmittelkäufe

Es ist eine erheb­li­che Frus­tra­tion, die aus­ge­drückt wird – was durch­aus inter­es­sant sein kann, wenn das Ganze gut erzählt ist. Aber hier reiht sich eine Belang­lo­sig­keit an die nächste. Das klingt dann zum Bei­spiel so:
“Wir gin­gen wei­ter zur Baron Rouge, wo wir Aus­tern aßen und mit Schank­wein hin­un­ter­spül­ten, einem ziem­lich gro­ben Wein. Die Aus­tern wur­den mit einer Maschine geöff­net, und der Bedie­ner der Maschine arbei­tete non­stop, um die Wochen­end­kund­schaft zufrie­den­zu­stel­len. […] Spä­ter schlen­der­ten wir über den Markt und kauf­ten Obst, einen Zie­gen­käse im Asche­man­tel, sämt­li­che Pilze der Sai­son und einen Cal­va­dos. Im Grunde taten wir nichts ande­res, als zu essen und zu trin­ken. An die­sem Abend mach­ten wir in mei­nem lee­ren Nest Pil­zome­lette, gefolgt von Salat, Käse und Obst. Der Cal­va­dos war leicht und gol­den und wärmte.” (S.133ff).

Unmotiviertes Erzählen

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Ich frage mich: Wen soll das inter­es­sie­ren? Es ist völ­lig in Ord­nung, wenn mal eine sol­che Szene in einem Buch vor­kommt, aber stän­dige Beschrei­bun­gen von Essens­käu­fen ver­der­ben mir jeg­li­che Lust auf eine Lek­türe. Und nein, ich bin gerade nicht auf Diät!

Mein Fazit also: “Ein eige­nes Haus” ist das lang­wei­ligste Buch, das ich seit Jah­ren gele­sen habe. Mir fällt gerade kein ein­zi­ger Aspekt ein, der mir daran gefal­len hätte. Einige Zitate waren viel­leicht inter­es­sant. Aber die unmo­ti­vierte Erzäh­lung einer frus­trier­ten Schrift­stel­le­rin, die ihre eigene Groß­ar­tig­keit immer wie­der her­aus­strei­chen muss, hat mich defi­ni­tiv gelehrt, dass es auch Autorin­nen und Autoren gibt, auf deren Werke ich in Zukunft bes­ten Gewis­sens ver­zich­ten kann… ♦

Debo­rah Levy: Ein eige­nes Haus (aus dem Eng­li­schen über­setzt von Bar­bara Scha­den), Auto­bio­gra­phie, Hoff­mann und Campe Ver­lag, 212 Sei­ten, ISBN 978-3-455-00603-2

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Auto­bio­gra­phie auch über Arno Sto­cker: Der Klavierflüsterer

… sowie über Eric Bau­mann: Einen Som­mer noch

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