Hörbuch: Paris – Werke von Rilke und Satie

Spaziergang mit Rilkes Alter Ego

von Christian Busch

In ih­rem Hör­buch “Wer­ke von Rai­ner Ma­ria Ril­ke und Erik Sa­tie” la­den Ma­rit Bey­er (Spre­che­rin) und Oli­via Trum­mer (Kla­vier) zu ei­nem li­te­ra­risch-mu­si­ka­li­schen Spa­zier­gang durch das Pa­ris der Jahr­hun­dert­wen­de ein. Zu Ril­kes Ge­dich­ten und Aus­zü­gen aus dem 1908 voll­ende­ten Ta­ge­buch­ro­man “Die Auf­zeich­nun­gen des Mal­te Lau­rids Brig­ge” er­klin­gen Sa­ties “Gnos­si­en­nes” und “Gym­no­pé­dies”.

Paris - Werke von Rainer Maria Rilke und Erik Satie - Marit Beyer und Olivia Trummer - HörbuchWer hat nicht – zu Co­ro­na-Zei­ten oder auch an ei­nem trist-trü­ben No­vem­ber­tag – mit ei­nem Spa­zier­gang durch das wie kei­ne an­de­re Stadt zum Pro­me­nie­ren ein­la­den­de Pa­ris ge­lieb­äu­gelt? Präch­ti­ge Bau­ten, be­leb­te Bou­le­vards, re­ges ge­sell­schaft­li­ches Trei­ben und bun­tes Amu­se­ment in groß­zü­gig an­ge­leg­ten Park­an­la­gen mit ver­füh­re­risch po­sie­ren­den Sta­tu­en und Skulp­tu­ren. Mit der neu­en CD im Di­wan-Hör­buch­ver­lag fla­nie­ren wir Sei­te an Sei­te mit Ril­ke, re­spek­ti­ve des­sen ly­ri­schem Ich oder Al­ter Ego Mal­te Lau­rids Brig­ge durch die so viel­fäl­ti­ge Im­pres­sio­nen bie­ten­de fran­zö­si­sche Me­tro­po­le der Jahrhundertwende.

Vom Äußeren zum Inneren

Herbsttag in den Tuilerien von Paris - Glarean Magazin
Herbst­tag in den Tui­le­rien von Paris

Es be­ginnt an ei­nem son­ni­gen Herbst­tag in den Tui­le­rien, der uns über zu­nächst über Ge­sich­ter der Men­schen phi­lo­so­phie­rend zur Angst führt, die den Dich­ter beim An­blick ei­ner Frau in der Rue Note-Dame-des Champs, die ihr Ge­sicht in den Hän­den ver­birgt, über­kommt. Auch ei­nen an Krü­cken ge­hen­den Men­schen fasst des Ly­ri­kers fei­ne Be­ob­ach­tungs­ga­be ins Auge, die – aus­ge­hend von ei­ner prä­zi­sen Wahr­neh­mung des Äu­ße­ren – das In­ne­re enthüllt.
Wir strei­fen an den Buch­händ­lern an der Sei­ne (Bou­qui­nis­tes) vor­bei und be­trach­ten ver­zückt Ril­kes “Ka­rus­sell” im Jar­din du Lu­xem­bourg, das se­li­ge Lä­cheln der Kin­der im atem­los-blin­den Spiel. Im Jar­din des Plan­tes be­geg­nen wir Ril­kes be­rühm­ten “Pan­ter”, der uns des Dich­ters in­ne­ren Kä­fig ent­hüllt, und den ins Ima­gi­nä­re und Ero­ti­sche ver­wei­sen­den “Fla­min­gos”.

Der Dichter spricht

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An­zei­ge

Hö­he­punkt un­se­rer Pro­me­na­de ist je­doch der Be­such in der Bi­blio­t­hè­que Na­tio­na­le. In der wohl­tu­en­den Um­ge­bung von 300 in ihre Lek­tü­re ver­tief­ten Le­sern spricht Mal­te Lau­rids, der die Ko­mö­die des Aus­län­ders mit be­reits leicht ver­schlis­se­nem An­zug, aber rei­nem Kra­gen be­wusst spielt. Sein Ge­wis­sen ist das ei­nes Hei­mat­lo­sen, dem die ihn hart­nä­ckig ver­fol­gen­den, zwie­lich­ti­gen Pas­san­ten, die sich ihm ver­bun­den füh­len, un­heim­lich sind. Hier ver­rät er uns – nach dem Ein­tritt in die li­te­ra­ri­sche Welt hin­ter der Glas­tür – sei­nen heim­li­chen Traum vom Dich­ter, der im Gie­bel­zim­mer ei­nes stil­len Hau­ses im Ge­bir­ge ein glück­li­ches Schick­sal im Lehn­stuhl pflegt. Die­ser wis­se und schrei­be von Mäd­chen, die vor 100 Jah­ren ge­lebt hät­ten, in ein gelb­li­ches, el­fen­bein­far­be­nes Buch. Ihm da­ge­gen reg­net es – (ob)dachlos – in die Au­gen, denn er ist – das wird of­fen­bar – selbst eine der vie­len Groß­stadt­rand­ge­stal­ten. Der Kreis schließt sich.

Beginn der Gymnopédie Nr. 1 für Klavier von Erik Satie
Gran­dio­se Mi­nia­tu­ren der In­tro­spek­ti­ve: Gym­no­pé­die Nr. 1 für Kla­vier von Erik Sa­tie (An­fang)

Symbiose von Wort und Musik

Turm Muzot im Wallis - Wohnort von Rainer Maria Rilke - 1921-1926 - Glarean Magazin
Der mit­tel­al­ter­li­che Turm “Mu­z­ot” im schwei­ze­ri­schen Vey­ras, wo Ril­ke von 1921 bis 1926 leb­te (Wikipedia/Nouchka)

Ma­rit Bey­er re­zi­tiert die Tex­te des gro­ßen Sprach­schöp­fers und Mit­be­grün­ders der Mo­der­ne, der zwi­schen 1902 und 1925 im­mer wie­der nach Pa­ris ge­reist war, mit in­ne­rer Be­trof­fen­heit, flüs­tern­der Span­nung und be­seel­ter In­ten­si­tät. Ihr Stim­me ist klar und ar­ti­ku­liert, ihr Vor­trag von küh­ler Lei­den­schaft, die aber auch, wenn sich die Stim­me senkt, die Zeit stil­le ste­hen lässt. Dann set­zen Erik Sa­ties be­rühm­te “Gnos­si­en­nes” und “Gym­no­pé­dies” ein – gran­dio­se Mi­nia­tu­ren der In­tro­spek­ti­ve, von Oli­via Trum­mer mit de­zen­ter Ein­dring­lich­keit, nie­mals in den Vor­der­grund tre­tend, ge­spielt. Es ist kaum ver­blüf­fend, wie sie sich at­mo­sphä­risch naht­los in die nach­denk­lich-me­lan­cho­li­sche Stim­mung der “im­mensen Wirk­lich­keit” von Pa­ris ein­fü­gen und den Blick von der äu­ße­ren Be­schrei­bung nach in­nen lenken.

Fa­zit: Ein sehr ge­lun­ge­nes Hör­buch ei­nes li­te­ra­risch-mu­si­ka­li­schen Spa­zier­gangs durch die Stadt der Kunst und der Lie­be. Mu­sik und Tex­te sind wun­der­bar auf­ein­an­der ab­ge­stimmt und spie­geln das “fluc­tuat nec mer­gi­tur” ei­ner Groß­stadt und ih­rer ein­sa­men See­len stim­mig wider. ♦

Ma­rit Bey­er (Spre­che­rin) & Oli­via Trum­mer (Kla­vier): Pa­ris – Wer­ke von Rai­ner Ma­ria Ril­ke und Erik Sa­tie, Der Di­wan Hör­buch­ver­lag, 1 CD (70 Mi­nu­ten), ISBN 978-3-941009-82-0

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Rai­ner Ma­ria Ril­ke auch über Jörg Schus­ter: Zur Kul­tur­poe­tik des Briefs um 1900

… so­wie zum The­ma Erik Sa­tie über Erik Sa­tie: L´œuvre pour pia­no (Aldo Ciccolini)


 

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