Torsten Wohlleben: Ausgerockt (Roman)

Unsanfte Landung in der Wirklichkeit

von Christian Busch

Es gibt Men­schen, die nach ei­nem zer­platz­ten Traum kei­ne  Kraft für ei­nen zwei­ten ha­ben. De­nen das Mit­tel­mass nicht zum Selbst­be­wusst­sein reicht. Für die es kei­ne Wege zu ge­ben scheint, noch nicht ein­mal fal­sche. Die nicht ein­mal im In­ter­net wis­sen, was sie su­chen könn­ten. Die, wenn ih­nen das Schick­sal ein Sprung­brett hin­hält, auf dem Schlauch ste­hen. Die es nicht schaf­fen, das Mäd­chen, das sie ge­ra­de ken­nen ge­lernt ha­ben, nach ih­rer Te­le­fon­num­mer oder ih­rem Na­men zu fra­gen. De­ren An­blick we­der zum La­chen noch zum Wei­nen reicht, und de­nen das Nichts ein ver­trau­ter, stän­di­ger Be­glei­ter in Form von ein paar Fla­schen Bier und ei­ner Piz­za ist. Es gibt sie. Und ge­ra­de in Tors­ten Wohl­le­bens neu­em Ro­man “Aus­ge­rockt”.

Single, 32, Flaschensortierer

Torsten Wohlleben - Ausgerockt - Roman - Schünemann VerlagVon ei­nem sol­chen han­delt Tors­ten Wohl­le­bens drit­ter, in Bre­men spie­len­der, be­mer­kens­wer­ter Ro­man “Aus­ge­rockt”. Na­tür­lich hat die Li­te­ra­tur-Sze­ne, auch die ak­tu­el­le, schon schil­lern­de­re Ge­stal­ten ge­se­hen als Li­nus Kel­ler. Li­nus ist 32, Sin­gle, Ver­tre­ter der Thir­ty­so­me­thing-Ge­ne­ra­ti­on, ver­kann­ter Rock­mu­si­ker (mo­der­ne Va­ri­an­te der Bre­mer Stadt­mu­si­kan­ten?) und Ge­le­gen­heits-Fla­schen­sor­tie­rer. Was macht ein Au­tor mit so ei­nem zwar sym­pa­thi­schen, lie­bens­wür­di­gen, aber doch eben et­was welt­frem­den Schluf­fi, wenn er ihn zum Prot­ago­nis­ten sei­nes im­mer­hin 250 Sei­ten fül­len­den Ro­man be­stimmt hat?  Und: Wie schafft er es, ihm eine po­si­ti­ve Ent­wick­lung anzudichten?
Da ist zu­nächst Kum­pel Hol­ger, im­mer da, wenn Li­nus ihn nicht braucht – ein wür­di­ger Ver­tre­ter der SMS-Ge­ne­ra­ti­on, ehe­ma­li­ges Band­mit­glied und ner­vig-splee­ni­ges Fak­to­tum, das Li­nus mit sei­nen skur­ri­len Pro­test-Ak­tio­nen ge­gen die von MTV und DSMS ver­ein­nahm­te Me­di­en­welt aus sei­ner Le­thar­gie – und dann bei­na­he in den Ab­grund – mit­reisst. Und der es am Ende fast noch schafft, Li­nus als me­dia­len Gi­gan­ten zu etablieren.

Eine wunderschöne Liebesgeschichte

Torsten Wohllebens Roman ist eine grundehrliche, ernsthafte, sehr bodenständige und doch sympathisierende Auseinandersetzung mit der sog. Thirtysomething-Generation.
Tors­ten Wohl­le­bens Ro­man ist eine grund­ehr­li­che, ernst­haf­te, sehr bo­den­stän­di­ge und doch sym­pa­thi­sie­ren­de Aus­ein­an­der­set­zung mit der sog. Thirtysomething-Generation.

Aber vor al­lem ist da eine wun­der­schö­ne Lie­bes­ge­schich­te: Jana heisst sie. “Beim In­ter­net muss man schon was an­kli­cken. Das geht nicht von al­lein wei­ter”, sagt sie ihm bei ih­rer ers­ten zu­fäl­li­gen Be­geg­nung im In­ter­net-Café. Und es ist tat­säch­lich ein kunst­voll ge­glück­ter Ba­lan­ce-Akt nö­tig, um Wohl­le­bens pas­si­ven Hel­den und die schö­ne Jana zu­sam­men­zu­brin­gen; ein paar Zu­fäl­le und ein star­ker Kaf­fee al­lein rei­chen da nicht, bis er sie – end­lich – küsst. Fried­lich fin­det sie ihn, als sie ihn beim Schla­fen be­ob­ach­tet. So kehrt et­was Neu­es, bis­her Un­be­kann­tes in Li­nus’ Le­ben ein: das Glück. Das Glück, das ihm eine Trä­ne ent­lockt. Die Trä­ne, die er beim Tod sei­ner Stief­toch­ter Han­na, nicht ver­gies­sen konn­te – im Ge­gen­satz zu sei­nem in die USA aus­ge­wan­der­ten Halb­bru­der Mark. Jana schafft es so­gar, dass Li­nus schliess­lich – mit der Hil­fe ei­ni­ger Freun­de – sein ei­ge­nes Café er­öff­net. Doch auch die Lie­be macht aus Li­nus kein Al­pha-Männ­chen. Li­nus wäre nicht Li­nus, wäre der Rück­fall nicht schon vor­pro­gram­miert. Es kommt, was kom­men muss­te: Li­nus stürzt er­neut ab – un­sanf­te Lan­dung in der Wirk­lich­keit. Doch Übung macht den Meis­ter, das hofft auch Li­nus. Fort­set­zung folgt?

Tors­ten Wohl­le­bens Ro­man ist eine grund­ehr­li­che, ernst­haf­te, sehr bo­den­stän­di­ge und doch sym­pa­thi­sie­ren­de Aus­ein­an­der­set­zung mit der be­reits er­wähn­ten Thir­ty­so­me­thing-Ge­ne­ra­ti­on. Dem Au­tor ge­lingt die schma­le Grat­wan­de­rung zwi­schen un­ter­halt­sa­mer und rea­lis­ti­scher Pro­sa; vor al­lem die mal atem­los Nähe her­stel­len­de, mal au­gen­zwin­kernd mensch­li­che Schwä­chen be­rüh­ren­de Lie­bes­ge­schich­te ist ihm gelungen. ♦

Tors­ten Wohl­le­ben, Aus­ge­rockt, Ro­man, 280 Sei­ten, Carl Schü­ne­mann Ver­lag Bre­men, ISBN 978-3-7961-1970-5


Christian Busch - Glarean MagazinChristian Busch

Geb. 1968 in Düsseldorf/D, Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik, Ro­ma­nis­tik und Er­zie­hungs­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Bonn, jah­re­lan­ge Mu­sik-Er­fah­rung in ver­schie­de­nen Chö­ren, ar­bei­te­te als Leh­rer in Frank­reich, Süd­afri­ka und Spa­ni­en, lebt in Düsseldorf

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma “SMS-Ge­ne­ra­ti­on” auch über den neu­en Du­den: Wör­ter­buch der Szenesprachen

… so­wie über den neu­en Ro­man von Isa­bel­le Stamm: Schonzeit

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