Kate Kirkpatrick: Simone de Beauvoir (Biographie)

Wegbegleiterin oder Dame de Sartre?

von Isabelle Klein

Mit “Simone de Beau­voir – Ein moder­nes Leben” zeich­net Kate Kirk­pa­trick ein kom­ple­xes, ein­dring­li­ches und ein­gän­gi­ges Por­trät des Lebens einer Frau, die wohl wie kein ande­rer kon­se­quent und bewusst falsch ver­stan­den wurde. Mit Ver­all­ge­mei­ne­run­gen und Schmä­le­run­gen des Wer­kes die­ser Aus­nah­me­fi­gur des 20. Jahr­hun­derts wird aufgeräumt.

Kate Kirkpatrick - Simone de Beauvoir - Ein modernes Leben - Piper VerlagSimone de Beau­voir war gemäß Kate Kirk­pa­trick weit mehr als Teil eines “streit­ba­ren intel­lek­tu­el­len Power­paa­res” (S. 10). So räumt Kirk­pa­trick kon­se­quent und umfas­send mit ein­schlä­gi­gen Vor­ur­tei­len im Hin­blick auf die Schaf­fens-Bezie­hung zu Sartre auf und zeigt, dass Beau­voirs Phi­lo­so­phie lange vor dem Pakt mit Sartre im Wer­den war, und dass Sartre ebenso von ihrem Den­ken pro­fi­tierte wie umgekehrt.
Der Bio­gra­phin gelingt eine kom­plexe und nicht wer­tende, dafür aber tief­grei­fende Lebens­werk­wür­di­gung und Neu­be­wer­tung. “Ein geleb­tes Leben kann nicht durch seine Nach­er­zäh­lung wie­der­auf­le­ben.” (S. 452) Aber eine Annä­he­rung an die Per­son Simone de Beau­voir in Form einer Bio­gra­phie scheint sinn­voll, da laut Beau­voirs Phi­lo­so­phie Den­ken und Leben ver­bun­den sind und sich verschränken.

Lebensstationen einer Polarisierenden

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Fein­sin­nig zeich­net Kirk­pa­trick über die Jahr­zehnte hin­weg die Lebens­sta­tio­nen und Ent­wick­lun­gen der Frau hin­ter der Phi­lo­so­phin nach, die zu Leb­zei­ten vor allem pola­ri­sierte und gerne gering­schät­zig abge­ur­teilt wurde. Begin­nend mit einer ein­drucks­vol­len Beschrei­bung der schwie­ri­gen Kind­heit, vol­ler Enge, Aus­weg­lo­sig­keit und Reli­gion, ist es kein Wun­der, dass sich die junge Simone mit ihrem unbän­di­gen Frei­heits­drang zur gro­ßen Liber­tine des 20. Jahr­hun­derts entwickelte.

Kate Kirkpatrick - Biographie von Simone de Beauvoir - Literatur-Rezensionen Glarean Magazin
Kennt­nis­rei­che Bio­gra­phin: Kate Kirkpatrick

Zugleich ist sie aber viel mehr als nur Femi­nis­tin und Phi­lo­so­phin und Geliebte, die vor allem mit ihrem Pakt, ihren poly­amou­rö­sen Bezie­hun­gen die Zeit­ge­nos­sen pola­ri­sierte; sie war auch Wel­ten­bumm­le­rin, Akti­vis­tin, Frei­heits­den­ke­rin, Arbeitstier…
Diese lebens­um­fas­sende Ent­wick­lung, die­ses Wer­den (im Ori­gi­nal heißt das Buch tref­fen­der “Beco­ming”) zeich­net die Bio­gra­fie nach und erlaubt weit­rei­chende Ein­bli­cke in die Psy­che und den Cha­rak­ter Beau­voirs. Dabei gelingt es der Autorin immer, die vie­len Feh­ler, die Beau­voir im Laufe ihres fast 80-jäh­ri­gen Lebens begeht – wie bei­spiels­weise das kon­tro­verse Thema der drei jugend­li­chen Gelieb­ten, die Beau­voir Zeit ihres Lebens ver­heim­lichte – eben nicht wer­tend zu beur­tei­len, son­dern als sol­che ste­hen zu las­sen. Dabei aber den Zeit­geist in Form der Gesell­schafts­kri­tik ein­flie­ßen zu lassen.

Dringend notwendige Korrektur

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Inso­fern war diese neu­este Beau­voir-Bio­gra­phie drin­gend not­wen­dig – auch, weil sie mit vie­ler­lei wei­ßen Fle­cken und Sach­ver­hal­ten, die Beau­voir sel­ber bewusst aus­sparte, auf­räumt. Ebenso wie Kirk­pa­trick das Dun­kel des Pakts erhellt und so die Bezie­hung zu Jean-Paul Sartre neu zu bewer­ten sich nicht scheut – sie war eher eine lebens­lange Freund­schaft, eine Ein­heit des Geis­tes denn des Kör­pers. Damit wird Beau­voir in all ihren Facet­ten greif­bar und fast wie­der leben­dig; sie erfährt die Wür­di­gung, um die sie zu Leb­zei­ten ver­geb­lich kämpfte.

Doch wo Licht, da auch Schat­ten. So gelun­gen sich die Bio­gra­phin ihrem For­schungs­ob­jekt auch nähert, ist die Lek­türe in Tei­len etwas dröge, mit­un­ter tro­cken, ebenso teils aus­ufernd, so z.B. in der recht umfas­sen­den Dar­stel­lung ihrer gleich­ge­schlecht­li­chen als auch der kon­tin­gen­ten Bezie­hun­gen (wie zu Bost) und der dadurch ent­ste­hen­den Ver­stri­ckun­gen inner­halb der “Fami­lie”. Zumin­dest für mei­nen Geschmack, der die Wel­ten­bumm­le­rin, Phi­lo­so­phin und Autorin in aller Aus­führ­lich­keit bevorzugt.

Lebensfacetten exzellent beleuchtet

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Schwe­rer wiegt aller­dings eine immer wie­der recht holp­rige Über­set­zung, die auch mit Sinn­feh­lern punk­tet. Statt zu “Sinn erge­ben” wird “make sense” in fal­scher Über­set­zung zu “Sinn machen” (S. 312). Oder auf Seite 309: “Er [Algren] warf ihr [SdB] vor, sein Leben behal­ten zu wol­len, ohne ihres her­zu­ge­ben, doch das fand sie unge­recht.” Wei­tere Feh­ler die­ser Art, die den Lese­fluss hem­men und uns den Sinn anzwei­feln las­sen, gibt es lei­der öfter;s da hätte das Lek­to­rat in Kom­bi­na­tion mit der Über­set­zung sorg­fäl­ti­ger arbei­ten müssen.

Summa sum­ma­rum eine Bio­gra­phie, die sich dem Wer­den der Simone de Beau­voir exzel­lent in all sei­nen Facet­ten annä­hert. Man merkt, dass Kirk­pa­trick, ihres Zei­chens Dozen­tin an renom­mier­ten bri­ti­schen Bil­dungs­an­stal­ten, ihre Beau­voir und ihren Sartre aus dem FF kennt. Davon pro­fi­tiert diese Bio­gra­phie, die sich dem Werk durch das Leben annä­hert. Mehr­wert frag­los inbegriffen! ♦

Kate Kirk­pa­trick: Simone de Beau­voir – Ein moder­nes Leben, 522 Sei­ten, Piper Ver­lag, ISBN 978-3-492-07033-1

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Bio­gra­phien auch über Edgar Rai: Ascona – Roman­bio­gra­phie über E. M. Remarque

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