SAID: Magdalena und ihre Frage (Erzählung)

magdalena und ihre frage

SAID

nie­mand wuss­te, wo­von der kerl leb­te. er hat­te eine ver­gan­gen­heit, aber nie­mand er­zähl­te da­von. als hät­ten alle angst, er schlü­ge dann noch ein­mal zu.
er trug zu je­der jah­res­zeit ei­nen man­tel, schmut­zig­gelb. wer weiss, was er dar­un­ter ver­barg. im­mer eine schwar­ze woll­müt­ze. stets die hän­de in den ta­schen, er grüss­te nie­man­den, be­ant­wor­te­te kei­nen gruss und streif­te her­um. er wuss­te, was er such­te – mich.
ich durf­te so­gar er­fah­ren, dass er mich be­schützt; als hät­te er mich längst für sich reserviert.
man tu­schel­te be­reits von uns, bis ich das nicht mehr aus­hielt. ich liess ihn wis­sen, dass ich zu ei­nem ge­spräch be­reit sei. da­bei hat er mich nie dar­um gebeten.
ich rich­te­te mich für das tref­fen her. ein kleid mit schma­len trä­gern, rü­cken­frei und kurz, ohne bh. mei­ne brüs­te soll­ten ihre frei­heit geniessen.
ich sass da, die bei­ne über­ein­an­der­ge­schla­gen, trank mei­nen cam­pa­ri und be­rühr­te im­mer wie­der mei­ne lippen.
na­tür­lich liess er mich war­ten. als wüss­te er, dass ich nicht un­gern zapple.
ein hal­lo, und er sass mir ge­gen­über, ich ver­such­te die füs­se still zu hal­ten. der kerl schwieg, bis ich un­ru­hig wur­de. ich setz­te mich um, schlug die bei­ne er­neut über­ein­an­der, wipp­te mit ei­nem fuss und schau­te ihm in die au­gen. kann mei­ne haut die wut auf­neh­men, die die­sen kerl be­drängt? vor der ant­wort graus­te es mir.
end­lich mach­te er den mund auf.
– vor dei­ner tür heu­len wohl nachts wölfe.
– aber ech­te wöl­fe ha­ben mehr anstand.
er grins­te und zeig­te die gel­ben zähne.
dann wur­de er deutlich.
– ich will dich, fin­de dich da­mit ab.
ich wipp­te wie­der mit dem fuss und fuhr mit der zun­ge über die lip­pen. soll ich mich je sei­nem mund über­las­sen und die­sen zäh­nen? ich wuss­te be­reits eine lö­sung für mich.
erst will ich ein paar küs­se. dann ent­schei­de ich, ob der kerl häss­lich ist.
er be­stell­te noch ei­nen cam­pa­ri für mich und starr­te mich an.
– was ha­ben sie für ein ge­sicht, vol­ler furchen.
– dir ge­fällt wohl mei­ne vi­sa­ge nicht.
– das ist ansichtssache.
und schon ver­such­te ich, al­les wie­der gutzumachen.
– ich mei­ne, man kann in die­sem ge­sicht viel entdecken.
er beug­te sich vor.
– und was ent­deckst du darin?
ich öff­ne­te leicht die bei­ne un­ter dem tisch.
– ich ver­su­che, sie und die welt zu verstehen.
er griff in mei­ne beine.
– ich auch.
da wuss­te ich, dass ich be­siegt bin. er­leich­te­rung ging durch mei­nen körper.
die fra­ge, die mir her­aus­rutsch­te, war eher rhe­to­ri­scher natur.
– habe ich eine wahl?
er schüt­tel­te den kopf.
mei­ne haut woll­te so­fort ja sa­gen, aber ich mach­te wie­der den mund auf.
– aber viel­leicht eine frist?
– geh zu dem ge­fes­sel­ten christus.
– und dann?
– fra­ge ihn nach sei­nem rat.
er stand auf, stups­te auf mei­ne nase und ging.

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ich schau­te ihm nach, er be­weg­te sich wie ein tier. er hat­te et­was von der jun­gen­haf­ten rau­heit, die mich an män­nern reizt.
ich steck­te zwei fin­ger in den mund und be­ru­hig­te mei­ne zunge.
– jetzt muss ich auch sei­ne be­zie­hung zum chris­tus begreifen.
ich trank noch ei­nen schluck und ver­such­te mir vor­zu­stel­len, wie der kerl mich anfasst.
wi­der­spre­chen­de ge­füh­le be­stürm­ten mich. ich ver­trieb sie und be­schloss, mor­gen zu sei­nem chris­tus zu pilgern.
mit mei­nem chris­tus spre­che ich oft. er braucht auch nicht zu ant­wor­ten. es ge­nügt, wenn er zu­hört. aber war­um ist sein chris­tus ge­fes­selt? hat die­ser kerl viel­leicht ei­nen an­de­ren gott?
am tag dar­auf zog ich mich sorg­fäl­tig an, züch­tig wie mein ge­schmack es zuliess.
mei­nen mund aber habe ich geschminkt.
ich blieb vor die­sem chris­tus ste­hen und trug mein an­lie­gen vor –
er schwieg.
wie ich da stand und war­te­te wie eine bett­le­rin, fiel mir au­gus­ti­nus ein. ei­gent­lich habe ich sym­pa­thien für ihn, er war nie bie­der. ein­mal be­en­de­te er sei­ne pre­digt mit dem satz:
„am ende wird es nur noch chris­tus ge­ben, der sich selbst liebt!“
so viel ei­tel­keit für ei­nen, der sich gott nennt?
heut­zu­ta­ge ist al­les mög­lich. die welt steht kopf und pro­du­ziert angst. die angst wird alle zäh­men, selbst die rat­ten. auch die, die noch nicht zu rat­ten mu­tiert sind.
sein chris­tus schwieg wei­ter. er hat mir nicht ein­mal et­was ver­bo­ten. ist ihm gleich­gül­tig, was der mann mit mir macht?
ich ging ei­nen schritt nä­her und frag­te, ob das be­geh­ren eine sün­de ist?
auch da schwieg er.
doch die­ses schwei­gen kann­te ich nicht. hat der chris­tus viel­leicht zwei ar­ten des schwei­gens? eine für mich und eine für mei­nen galan?
ich ver­liess die kir­che, ver­nahm den wi­der­hall mei­ner stö­ckel­schu­he im raum und den ge­dan­ken, der mich be­dräng­te. soll­te ich viel­leicht ei­nen an­de­ren gott su­chen, wenn die­ser nicht antwortet?
draus­sen blieb ich ste­hen und stell­te mir vor, wie ich mich aus­neh­me ne­ben die­sem kerl. ein plaid um die schul­ter, er lehnt sich seit­lich an mich, die hän­de in den ta­schen und schaut in die stadt – als wol­le er sei­nen neu­en be­sitz vorführen.
jetzt fiel mir ein, ich kann­te nicht ein­mal sei­nen klar­na­men. wer kennt ihn schon? alle nann­ten ihn mit dem ali­as­na­men. er ver­lang­te re­spekt ab, aber mir ge­fiel er nicht. möge mir sein chris­tus tau­send zun­gen schen­ken, auf dass ich dem kerl ei­nen ge­büh­ren­den na­men verpasse.
ob ich be­reits ge­füh­le für ihn hatte?
ach, wo! aber er macht mir angst. die pa­trouil­len am ran­de mei­nes her­zens wa­ckel­ten schon.
dann muss­te ich an sei­ne au­gen den­ken. ich wer­de wohl will­fäh­rig un­ter die­sem blick. er wird si­cher ver­su­chen, mich ab­hän­gig zu ma­chen – auf sei­ne wei­se. und eben vor der art fürch­te­te ich mich.
sei­ne fin­ger­nä­gel, so dre­ckig. ob er mit die­sen fin­gern in mei­nen mund greift? aber man kann die­se ma­ni­kü­ren, dar­auf ver­ste­he ich mich.
ich wer­de mor­gen noch ein­mal den ge­fes­sel­ten fra­gen, viel­leicht ant­wor­tet er dann. auch ein gott hat sei­ne lau­nen, man muss ihm zeit las­sen. froh über mei­ne weis­heit, stö­ckel­te ich nach hau­se. vor mei­ner tür kam mir noch eine weisheit.
– ich wer­de auch mei­nen chris­tus fra­gen, er kennt mich besser.
ir­gend­wann wirft mich die­ser ga­no­ve wie ein schlacht­vieh hin und be­dient sich.
und, wenn ich ihn das ers­te mal be­su­che, was ma­che ich, wenn eine an­de­re frau da ist, nackt und er­regt? ren­ne ich hin­aus, su­che trost bei ei­ner mau­er, lege den kopf dar­auf und schluch­ze wie eine heul­su­se, ich?
was, wenn er un­er­war­tet von hin­ten her­an­pirscht und die pran­ke auf mei­ne nack­te schul­ter legt? er weiss ja, wie ger­ne ich schul­ter­frei her­um­stol­zie­re. dann wäre ich ja ganz geliefert.
nein. die in­itia­ti­ve für die ers­te be­rüh­rung muss von mir aus­ge­hen. ob der chris­tus et­was da­ge­gen hat? mei­ner be­stimmt nicht.
wenn ich am ers­ten tag zu ihm gehe, neh­me ich blu­men mit?
ro­sen lang­wei­len ihn si­cher – ich gehe bren­nes­seln pflü­cken für den herrn.

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in der nacht dach­te ich an wach­teln. sie las­sen ein­dring­lin­ge sehr nahe an sich her­an­kom­men, flie­gen dann plötz­lich auf und las­sen sich schnell wie­der in eine de­ckung fal­len. oh ja, die­ser herr muss eine wei­le zap­peln, bis ich mich fal­len las­se. er kennt nicht alle mei­ne waffen.
je­den­falls will ich nicht eine der da­men sein, die sich mit ei­nem hun­de­blick ergeben.
was er über mich denkt, kann ich mir vorstellen.
mag­da­le­na war­tet schon län­ger. sie braucht ei­nen mann, der sie rich­tig anfasst.
wehe ihm, wenn er mich mag­da nennt.
der kerl kommt auf mich zu wie ein na­hen­des ge­wit­ter. ich sage nein, be­stimmt. selbst, wenn be­rit­te­ne po­li­zis­ten mich am strick ab­füh­ren wür­den. als hät­te ich je angst vor män­nern. ihr zorn amü­siert mich nur.
der mann ver­sucht nicht ein­mal ge­schickt zu sein, und mir ge­fällt das ge­ra­de. und dann die­ser blick, der mich im­mer wei­ter und wei­ter ra­ten lässt, bis ich al­les von mir erzähle.
küm­mert er sich auch um mei­nen blick, wenn ich ver­le­gen bin und nicht weiss, wo­hin damit?
ich wer­de den kerl schon zäh­men mit mei­nem fleisch und sei­nem salz.
wir wer­den ein­an­der an­bli­cken, ohne zu ver­ra­ten, was je­der für sich be­wacht. er sei­ne ge­fähr­lich­keit ohne ge­sin­nung. und ich? be­wa­che ich da noch mei­ne be­gier­de, die mich trie­fend heim­sucht bei sei­nem anblick?
für das ers­te tref­fen habe ich be­reits ein sze­na­rio im kopf. ein kleid, ganz züch­tig, schwarz. stö­ckel­schu­he in rot als kon­trast. und dazu ein kopf­tuch. er soll et­was zum ent­hül­len haben.
mei­ne hand­ta­sche hän­ge ich über die tür­klin­ke. ich set­ze mich auf die couch – hof­fent­lich be­sitzt die­ser bar­füs­si­ge eine. ich schla­ge die bei­ne über­ein­an­der, mei­ne kräf­ti­gen schen­kel für sei­ne au­gen. und ich ver­de­cke das ge­sicht mit bei­den hän­den. ganz die un­schuld vom lan­de. die­se hän­de muss er schon mit nach­druck zu­rück­drän­gen. so ei­nen griff be­herrscht er ge­wiss. dann schaue ich ihm di­rekt in die au­gen. re­agiert er im­mer noch nicht, öff­ne ich den mund. sa­gen muss ich ja nichts. der mund ver­rät al­les, wenn ich er­regt bin. wenn er dann nicht re­agiert, dann hat er mich nicht ver­dient – aber er wird schon angreifen.
ver­steht er et­was von kom­pli­men­ten? be­greift er, dass ich kom­pli­men­te nur dann er­tra­ge, wenn sie fri­vol sind oder zu­min­dest frag­wür­dig? soll ich ihm das ver­ra­ten, da­mit er nicht da­ne­ben greift? ach was. er soll sein, wie er ist. ei­nen schoss­hund kann ich nicht gebrauchen.
was auch kommt, ich hal­te fest an mei­nem chris­tus und er­zäh­le ihm alles.
er kennt mich ja so lan­ge und auch mei­ne be­gier­de. er wird auf mei­ner sei­te bleiben.
zu be­schüt­zen braucht er mich nicht, das ist das vor­recht mei­nes liebhabers.
mein chris­tus war­tet im hin­ter­grund und gibt mir das ge­fühl der geborgenheit –
wie er es oft ge­tan hat.
dann kehrt die hei­te­re ruhe wie­der in mei­nen kör­per ein. ♦


S A I D (Pseud­onym)

SAID - Exil-Schriftsteller - Glarean MagazinGeb. 1947 in Te­he­ran ge­bo­ren, 1965 Über­sied­lung als Stu­dent in die BRD, 1979 Rück­kehr in den Iran, je­doch bald dar­auf und seit­her aus po­li­ti­schen Grün­den wie­der im deut­schen Exil le­bend; zahl­rei­che Ly­rik- und Pro­sa-Pu­bli­ka­tio­nen in Bü­chern und Zeit­schrif­ten, Trä­ger ver­schie­de­ner in­ter­na­tio­na­ler Li­te­ra­tur- und Kul­tur-Prei­se; 2000 bis 2002 Prä­si­dent des PEN-Zen­trums Deutsch­land; lebt in München

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin auch Kurz­pro­sa von Mi­chae­la Seul: Eine Lie­be im Herbst

Aus­ser­dem zum The­ma Lie­be über die Ge­dich­te von Lili Rein­hart: Swim­ming Les­sons (Frei­schwim­men)

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