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Musik und Geschäft
Irmgard Jungmann
In den letzten Dezennien ist ein rapide fortschreitender Konzentrationsprozess in der Medienindustrie und im Musikgeschäft zu beobachten. Die großen Vier heißen Universal, Sony-BMG, EMI und Warner. Norman Lebrecht beschrieb in seinem Buch “Aufstieg und Fall der Klassikindustrie” in beeindruckender Weise den weltweiten Niedergang in der Sparte der Klassikindustrie. Während die Musikindustrie noch bis in die 70er Jahre hinein ihr großes Geschäft mit den Langspielplatten klassischer Musik machen konnte, sanken seither die Verkaufszahlen der Medienindustrie im Klassikbereich und haben seit den 90er Jahren einen Tiefstand erreicht.
Lebrecht listete einige Faktoren auf, die den Niedergang beschleunigt hätten. Vor allem habe die Überproduktion an Aufnahmen klassischer Werke den Markt so gut wie zusammenbrechen lassen (bis 1994 gab es beispielsweise 79 Aufnahmen von Dvoraks 5. Symphonie). Ebenso haben die Unzerstörbarkeit der CD in Kombination mit ihrer ausgefeilten Klangqualität sowie die Möglichkeiten des Internet die Absatzmöglichkeiten verringert. Zuletzt bezeichnet Lebrecht auch den Zustand der Avantgardemusik als einen Grund für die schwindenden Absatzzahlen im Klassiksektor und zitiert den ehemaligen Sony-Produzenten Michael Haas: “Letztendlich wurde die Klassik von den Komponisten im Stich gelassen. Ohne eine neue Musik, die intelligente, sensible Konsumenten hören wollten, blieb nur die Möglichkeit, das Vergangene wieder aufzuwärmen”.
An diesem Punkt stehen wir heute. Neue “ernste” Musik wird nur von einem kleinen Bevölkerungskreis aufgenommen und lässt sich kaum verkaufen. Sie fristet ein vergleichsweise kümmerliches Dasein im großen Weltmarkt der Musik, der Markt für traditionelle klassische Musik scheint mit der “Aufwärmung” des immer Gleichen mehr oder minder gesättigt zu sein.
Die Musikkonzerne sind aber, da sie es mit künstlerischen Produkten zu tun haben, von den Medienexperten, den Künstlern, den Ausführenden ebenso wie den komponierend “Mischenden”, ihrem Erfindungsgeist, ihrer »Innovationskraft« abhängig.
Die großen Marktchancen liegen inzwischen längst im Bereich der Popmusik, die ihre Fähigkeit zu musikalischer Entwicklung, zur Innovation, zum Experimentieren mit Althergebrachtem ebenso wie mit Neuem unter Beweis gestellt hat, die ohne die Behinderung durch ästhetische Bedenken Bach, die Gregorianik, Miminal Music, Indische Kunstmusik oder jede Art von Folklore verarbeiten kann und inzwischen längst neue Stile und Moden wie Rock, Rap, Techno, Hiphop geschaffe hat. In diesen Bereichen “spielt die Musik”. ♦
Aus Irmgard Jungmann: Sozialgeschichte der klassischen Musik – Bildungsbürgerliche Musikanschauung im 19. und 20. Jahrhundert, J.B. Metzler Verlag, 260 Seiten, ISBN 978-3476022974
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Klassik und Pop-Musik auch den Essay von Frieder W. Bergner: Das U und das E in der Musik
… sowie zum Thema E-Musik das Zitat der Woche von Ursula Petrik: Von den Kontaktschwierigkeiten der Neuen Musik
Außerdem zum Thema Klassische Musik das Musik-Zitat der Woche von Alexander Köhler: Stirbt die klassische Musik aus?
Weitere Web-Links zum Thema:
- Die heilende Wirkung der Neuen Musik (diefunzel.com)
- Musik und Kapitalismus (Neue Musik-Zeitung)
- Hip-Hop und Kapitalismus (maximdiggt)