Gebhardt & Stark: Wem gehört die Popgeschichte?

Beeindruckender Zitatenschatz zur Populären Musik

von Walter Eigenmann

Einen zwar rela­tiv kur­zen, aber unge­heuer viel­fäl­tig aus­ge­präg­ten und ebenso non­stop wach­sen­den wie omni­prä­sent aktu­el­len, dabei gesell­schaft­lich man­nig­fal­tig ver­schränk­ten musik­his­to­ri­schen Rah­men wie jenen der Pop­ge­schichte in knapp 400 Buch­sei­ten zwän­gen zu wol­len ist natür­lich ein ver­mes­se­nes Unter­fan­gen. In ihrem Band “Wem gehört die Pop­ge­schichte?” müs­sen sich die bei­den Autoren Gerd Geb­hardt und Jür­gen Stark denn auch mit einem eher gene­rö­sen – wenn­gleich in sei­ner doku­men­ta­ri­schen Fülle unbe­dingt beein­dru­cken­den – Tour d’horizont beschei­den, der nicht die sti­lis­ti­sche Ana­lyse, son­dern die the­ma­ti­sche Breite, weni­ger die objek­tiv-for­ma­len Aus­prä­gun­gen denn die sub­jek­tive Erfah­rungs­ebene der sog. Pop­mu­sik in den Fokus heben.

Vom Blues bis zum Krautrock

Gero Gebhardt - Jürgen Stark: Wem gehört die Pop-Geschichte? (Bosworth Verlag)Pop” scheint dabei das Autoren-Duo grund­sätz­lich – und seman­tisch kor­rekt, aber the­ma­tisch diver­ses  unbe­kann­tes “Nicht-Klas­si­sches” aus­klam­mernd – als “Popu­läre Musik” zu defi­nie­ren: Ihre “Pop­ge­schichte” hebt an mit dem-Jazz-Über­va­ter “Blues”, streift die “Roaring Twen­ties” und ver­gisst auch nicht “Kraut­rock” oder “Neue Welle” bis hin zu “Hip­pie-Medi­ta­tion” oder “Heavy Metal”. Ein Blick auf das Inhalts­ver­zeich­nis zeigt die erschla­gende Mate­ri­al­fülle, die Stark und Geb­hardt zu bewäl­ti­gen hat­ten – aber auch den bewusst gewähl­ten sub­jek­ti­ven Zugriff, den Musik­jour­na­list Stark und Musik­in­dus­trie-Insi­der Geb­hardt (als aner­kannte Exper­ten und jah­re­lange Szene-Pro­mi­nente) auf jeder Seite ihres Pop-Pan­ora­mas an den Tag legen. (Jür­gen Stark unver­hoh­len dazu in der Presse: “Unser bei­der Leben zieht sich durch das Buch. Wir defi­nie­ren uns über Musik.”)

Persönlich gefärbter Blick auf die Thematik

Denn v.a. die­ser per­sön­lich gefärbte Blick der bei­den Autoren auf die The­ma­tik, beim ers­ten geschult auch als Tex­ter und Kom­po­nist eige­ner und ande­rer Bands, beim zwei­ten ent­wi­ckelt wäh­rend läng­jäh­ri­ger Prä­si­dien wich­ti­ger Phono-Ver­bände, hebt ihre “Pop­ge­schichte” übers Lexi­ka­li­sche gewöhn­li­cher Kom­pen­dien hin­aus. Der zwei fach­his­to­risch gut beschla­ge­nen Autoren Zeit­reise durch fast ein Jahr­hun­dert hete­ro­gens­ter inter­na­tio­na­ler Pop-Kul­tur gerät so jen­seits des Mee­res von Namen und Zah­len zur locker-inter­es­sant les­ba­ren Geschich­ten­samm­lung inner­halb von Geschichte, aber auch zu einem her­vor­ra­gen­den Exkurs über Kom­merz und Kon­ven­tion, Kunst und Künst­lich­keit, Musik und Poli­tik, Lau­tes und Lei­ses, Zeit­ver­haf­te­tes und Ewgig­gest­ri­ges, Tri­via­les und Revo­lu­tio­nä­res, Mone­tä­res und Idea­les, Kul­tu­rel­les und Sub­kul­tu­rel­les, Affir­ma­ti­vi­tät und Sub­ver­si­vi­tät inner­halb des dif­fus fass­ba­ren (und dis­ku­tier­ten) Span­nungs­fel­des “Musik-Gesell­schaft”.

Umfangreicher Zitaten-Schatz

Gerd Gebhardts und Jürgen Starks
Gerd Geb­hardts und Jür­gen Starks “Wem gehört die Pop­ge­schichte?” ist kein Nach­schla­ge­werk, son­dern ein infor­ma­ti­ver Rück-/Vor­aus­blick auf einen Musik-Bereich, dem heut­zu­tage ein­fach jede/r aus­ge­setzt ist und blei­ben wird.

Dabei grei­fen Geb­hardt und Stark vor allem zu dem bei bel­le­tris­tisch gefärb­ter Geschichts­schrei­bung immer pro­ba­ten Mit­tel des exzes­si­ven Zitie­rens: Kaum eine Seite, in der nicht ein Star (oder Stern­chen), ein Kom­po­nist, ein Tex­ter, ein Band­mit­glied, ein Poli­ti­ker, ein Phi­lo­soph, ein Indus­tri­el­ler, ein Medi­en­ver­tre­ter, ein Mana­ger oder sonst irgend ein pro­mi­nent Invol­vier­ter zu einem Thema aus­sagt, pro­vo­ziert, pole­mi­siert oder infor­miert. “Wem gehört die Pop­ge­schichte?” – so rhe­to­risch die Frage auch gemünzt sei – ist auch ein instruk­ti­ver Zita­ten-Schatz von Mani­fes­ten und Mani­fes­ta­tio­nen, wor­aus eine in ihren zahl­lo­sen, schrill-unver­mit­tel­ten Kon­tras­ten ebenso amü­sante wie frap­pante Lek­türe resul­tiert – quasi ein lesend erfahr­ba­rer Spie­gel über­haupt der Pop-Kultur.

Wohltuende Zurückhaltung im Bild-Einsatz

Bezüg­lich Bild­ma­te­rial hält sich – ganz im Gegen­satz zu vie­len ver­wand­ten Büchern und zur gra­phisch über­flu­te­ten Medi­en­welt der Pop­mu­sik – das Buch wohl­tu­end zurück. Um trotz­dem einer dro­hen­den Blei­wüste ent­ge­gen­zu­tre­ten, sind neben den bereits erwähn­ten zahl­lo­sen Zita­ten auch viele, die Chro­no­lo­gie oft durch­bre­chende, meist sozio­lo­gi­sche Exkurse der bei­den Autoren ein­ge­streut, die musik­ge­schicht­lich grös­sere Rah­men her­stel­len, auch mal sti­lis­ti­sche Neben­ge­leise befah­ren, oder ein­fach ideo­lo­gi­sche Gra­ben­kämpfe dokumentieren.
Jeden­falls ist Geb­hardts und Starks “Wem gehört die Pop­ge­schichte?” kein Nach­schla­ge­werk, auch keine musik­his­to­ri­sche Mono­gra­phie. Dass kei­ner­lei lexi­ka­li­scher Anspruch besteht, dar­auf ver­wei­sen nicht nur der Buch­ti­tel, son­dern auch das über­ra­schend dürre Namen- und Sach­re­gis­ter, das man sich denn doch etwas üppi­ger gewünscht hätte. Wohl aber ist diese “Pop­ge­schichte” ein – mit sei­nen zahl­lo­sen per­sön­li­chen Doku­men­ten – sehr infor­ma­ti­ver und – bei sei­nem kon­se­quent sub­jek­tiv-selek­ti­ven Blick­win­kel – authen­ti­scher Rück-/Vor­aus­blick auf einen Musik-Bereich, dem heut­zu­tage – ob frei­wil­lig oder unfrei­wil­lig – ein­fach jede/r aus­ge­setzt ist und bleibt.
Die­ser Band sollte nicht als ein­zi­ger über die Pop­ge­schichte im per­sön­li­chen Bücher­re­gal ste­hen. Aber ste­hen durchaus. ♦

Gerd Geb­hardt / Jür­gen Stark: Wem gehört die Pop­ge­schichte? – Bos­worth Edi­tion, 384 Sei­ten, ISBN 9783865432896

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Joanna Lisiak: Reife Män­ner­stim­men – Die Aura von Stimmfarben

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