Musik-Zitat der Woche von Alexander Köhler

Stirbt die klassische Musik aus?

Alexander Köhler

So zumin­dest könnte eine Ver­mu­tung lau­ten, wenn man sich in der Land­schaft der soge­nann­ten klas­si­schen Musik umschaut. Mit “klas­si­scher Musik” ist hier nicht der musik­wis­sen­schaft­li­che Epo­chen­be­griff der Klas­sik, son­dern viel­mehr eine Zusam­men­fas­sung der soge­nann­ten E-Musik gemeint. Dar­un­ter gefasst wer­den sowohl Instru­men­tal- als auch Vokal­mu­sik der ver­schie­dens­ten Epochen.
In den meis­ten Kon­zert- oder Opern­auf­füh­run­gen sind junge Men­schen eine Aus­nahme. Das Hören von klas­si­scher Musik scheint im All­tag der Kin­der und Jugend­li­chen keine wesent­li­che Rolle mehr zu spie­len. So zumin­dest könnte man die ver­schie­de­nen Mei­nun­gen der meis­ten Schil­ler zum Thema klas­si­sche Musik inter­pre­tie­ren. Schü­ler hören in ihrer Frei­zeit heut­zu­tage schein­bar keine klas­si­sche Musik. Auch die Eltern­ge­nera­tion der heu­ti­gen Schü­ler scheint sich klas­si­sche Musik kaum noch anzu­hö­ren. Der bewusste Kon­takt mit klas­si­scher Musik beschrankt sich daher mehr oder weni­ger auf die Ver­mitt­lung klas­si­scher Musik im Rah­men des schu­li­schen Musik­un­ter­richts. Hier beschäf­ti­gen sich die Kin­der und Jugend­li­chen dann aller­dings auch eher gezwun­ge­ner­mas­sen mit den ver­schie­de­nen Wer­ken der klas­si­schen Musik. Aus die­sem Grund ist klas­si­sche Musik meist zusätz­lich zum augen­schein­li­chen Des­in­ter­esse auch noch mit aller­lei Vor­ur­tei­len, die Schule und den Musik­un­ter­richt betref­fend, belas­tet. Klas­si­sche Musik gilt bei den Schü­lern als lang­wei­lige, ver­al­tete Musik, die nur von Erwach­se­nen gehört wird und aus­ser­dem als Schul­stoff im Musik­un­ter­richt in der Schule dient.

Alexander Köhler - Musikpädagoge - Glarean Magazin
Alex­an­der Köhler

Die Kom­bi­na­tion aus Des­in­ter­esse und Vor­ur­tei­len führt dann oft zu einer voll­stän­di­gen Ableh­nung die­ser Musik­rich­tung bei den Kin­dern und Jugend­li­chen. Dass klas­si­sche Musik einen schwe­ren Stand bei den Jugend­li­chen haben muss, lässt sich dabei an ver­schie­de­nen Bei­spie­len und in ver­schie­de­nen Aus­sa­gen von Kin­dern und Jugend­li­chen zum Umgang und Kon­takt mit klas­si­scher Musik wiederfinden.

Als Bei­spiel soll hier eine Dis­kus­sion zur Prä­fe­renz von “klas­si­scher Musik” bei Jugend­li­chen im Inter­net­fo­rum “Yahoo-Cle­ver” ange­führt wer­den. In die­sem Chat­ge­spräch wer­den ver­schie­dene Posi­tio­nen zur klas­si­schen Musik im Leben der Jugend­li­chen deut­lich. Unter ande­rem sind fol­gende Aus­sa­gen zu lesen:

  • Klas­sik, das ist Musik von vor hun­dert Jah­ren und für die heu­tige Zeit gibt es eben Musik von heute.
  • Weil da weder Schlag­zeug noch ne E-Gitarre vor­kommt (spiele selbst E-Gitarre), ich kann klas­si­sche Musik nicht ab.
  • Das hat unter ande­rem damit zu tun, dass man dar­auf kei­nen schnel­len guten Dis­co­tanz hin­le­gen kann. Ich finde klas­si­sche Musik ganz ok, es gibt auch wirk­lich super­tolle Sachen wie “Mor­gen­däm­me­rung” oder “für Elise”, aber man kann nicht gut drauf tanzen.
  • Weil es ein­fach bes­sere Musik gibt heutzutage!
  • Schon mal auf die ldee gekom­men, dass Jugend­li­chen die Musik viel­leicht ein­fach nicht gefällt und sie auch nicht damit auf­ge­wach­sen sind?! Meine Eltern hören auch keine klas­si­sche Musik und dar­über bin ich auch froh! Weil das in der Schule so schlecht rüber­ge­bracht wird. Dann ver­lie­ren alle Schü­ler das Inter­esse an klas­si­scher Musik.
  • Bei klas­si­scher Musik begeis­tert häu­fig die Per­fek­tion der Melo­die, der Sym­pho­nie oder der Töne als sol­ches. Viele Men­schen gehen aber nicht so ana­ly­tisch auf Musik zu, sie las­sen sich lie­ber umflu­ten ohne sie zu analysieren.
  • Mit klas­si­scher Musik muss man sich beschäf­ti­gen, d.h. zuhö­ren, sie auf sich ein­wir­ken las­sen, sich Zeit für sie neh­men. Die kon­su­miert man nicht ein­fach so wie Popmusik.
  • In dem Klas­si­schem ist alles so daher gelei­ert, alles so lang­sam. Man tanzt dann irgend­wie so einen Wal­zer. Heut­zu­tage regt die Musik zum Tan­zen und zum Sin­gen an. So ein Beat… sag ich mal… wech­selt oft zwi­schen schnell, lang­sam… und laut… und leise… Bei der klas­si­schen Musik da hört sich alles gleich an.

Ein Gross­teil der Aus­sa­gen lässt auf ein vor­ge­fer­tig­tes Bild hin­sicht­lich klas­si­scher Musik und deren Wir­kung schlies­sen. Die Gründe für sol­che Vor­ur­teile sind laut der Aus­sa­gen der Teil­neh­mer in die­sem Chat-Forum ver­schie­den. Zum einen wer­den Hör­erfah­run­gen, Hör­ge­wohn­hei­ten und vor­ge­fer­tigte Klang­vor­stel­lun­gen ange­führt, die im All­tag der Kin­der und Jugend­li­chen von heute typisch fur klas­si­sche Musik zu sein schei­nen, und die gröss­ten­teils zu deren Ableh­nung in der jun­gen Bevöl­ke­rung füh­ren. Zum ande­ren wird hier auch die feh­lende Hör­erfah­rung im Eltern­haus erwähnt. Da die Eltern keine klas­si­sche Musik hören, feh­len hier mög­li­che Kon­takte oder posi­tiv besetzte Ein­drü­cke. Als ein drit­ter Punkt wird zudem die schlechte Ver­mitt­lung in der Schule ange­führt, es fin­det ein Musik­un­ter­richt statt, in wel­chem die Schü­ler das Inter­esse an klas­si­scher Musik verlieren.
Aus den Aus­sa­gen lässt sich neben mög­li­chen Grün­den für die Ableh­nung aber auch her­aus­hö­ren, dass es gewisse Erfah­run­gen gibt, die Jugend­li­che […] mit klas­si­scher Musik gemacht haben und die eine der­ar­tige Sicht­weise geprägt haben. Es könnte also mög­lich sein, dass man mit neuen Prä­sen­ta­ti­ons­for­men klas­si­scher Musik und damit ver­bun­de­nen posi­ti­ven Erfah­run­gen Inter­esse erzeugt und Vor­ur­teile ausräumt. ♦

Aus Alex­an­der Köh­ler: Null Bock auf Klas­sik? – Eine empi­ri­sche Stu­die zur Stei­ge­rung des Inter­es­ses von Schü­lern an klas­si­scher Musik, Band 123 Hal­le­sche Schrif­ten zur Musik­päd­ago­gik, 156 Sei­ten, Wiss­ner Ver­lag, ISBN 978-3-89639-928-1 – Inhalts­ver­zeich­nis

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Musik­un­ter­richt auch über Gerd Are­ndt: Instru­men­tal­un­ter­richt für alle?

… sowie über Ulrich Kai­ser: Gehörbildung

2 Kommentare

  1. So kata­stro­phal wie in Ihrem Zitat ist die Situa­tion ja auch wie­der nicht!
    Ein­ver­stan­den, die Klas­sik befin­det sich all­ge­mein auf dem “Rück­zug”, das zei­gen alle Statistiken:
    Mehr als 30 Mil­lio­nen Deut­sche hören inzwi­schen keine oder kaum klas­si­sche Musik mehr:
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/171218/umfrage/interesse-fuer-klassische-musik/

    Aber 23 Mio. hören Sie immer noch “sehr gerne” oder “auch noch gerne”, immer­hin noch ein rie­si­ger “Markt”, allein in der BRD!

    Das Pro­blem ist aller­dings sicher die Jugend (kommt in obi­ger Sta­tis­tik ja nicht in Erschei­nung), in die­sem Alters­eg­ment dürfte die “Null-Bock-auf-Klassik”-Fraktion wohl nahezu auf die 85 % zuge­hen… (Entspr. Sta­tis­ti­ken kenne ich hierzu lei­der nicht).
    Hier sind wohl u.a. grund­le­gend neue musik­päd­ago­gi­sche Kon­zepte von­nö­ten. Natür­lich im Ver­bund mit einem grund­sätz­li­chen Über­den­ken des gesam­ten Schul­stof­fes an den öffent­li­chen Grund- wie Ober­stu­fen-Schu­len. Denn der kul­tu­relle und soziale Kol­la­te­ral­scha­den wäre kata­stro­phal, wenn 500 Jahre Musik­ge­schichte aus dem Bewusst­sein unse­rer Jugend irgend­wann kom­plett verschwänden.

    Noch etwas Posi­ti­ves: Die anspruchs­volle gegen­über der unter­hal­ten­den Musik hatte es doch doch immer schwe­rer, sich durch­zu­set­zen, das war zuzei­ten Bach’s nicht anders als heute. Die Ent­wick­lun­gen schrei­ten ja über­dies auch irgend­wie “zyklisch” voran, das Bild des unter­schied­lich aus­schla­gen­den Pen­dels lässt grüßen…

    Paul Hoff­mann (Musiklehrer/D)

    • Ich habe aktu­ell 7 Jahre Musik­un­ter­richt auf Sekun­där- und Gym­na­si­al­stufe mit­er­le­ben kön­nen über meine Toch­ter und andere Jugend­li­che, die wir ken­nen. Vor allem der Lock­down hat noch­mals einen ver­tief­ten Ein­blick gewährt in die Lek­tio­nen an den Schu­len (in Schwar­zen­burg und Köniz Bern).
      Was wir vor­ge­fun­den haben, lässt sich in Wor­ten kaum mehr beschrei­ben. Ein kom­plett ver­wahr­los­ter, ori­en­tie­rungs­lo­ser, inhalts­lo­ser Unter­richt, zusam­men­ge­schus­tert aus belie­bi­gen, oft noch fal­schen (!) Informationen.
      Par­al­lel zur Bedeu­tungs­lo­sig­keit und Sinn­lo­sig­keit die­ser Ver­an­stal­tung wird ein extre­mer Druck über Noten auf­ge­baut. Päd­ago­gisch fun­dierte Ver­mitt­lung fin­det nicht statt, statt des­sen rei­nes Erwar­tungs­ler­nen: Die Schü­ler müs­sen jeweils für Prü­fun­gen einen rie­sen Berg an sinn­freier Infor­ma­tion aus­wen­dig ler­nen, die Prü­fun­gen sind mit Spitz­fin­dig­kei­ten gespickt, so dass ein Grund­klima der Angst entsteht.
      In 3 Jah­ren Sekun­dar­schule wurde über­haupt keine klas­si­sche Musik ver­mit­telt, son­dern unkri­tisch Pop­texte gesun­gen über Blut und Boden…(Ein bekann­tes Dia­lekt-Rock­lied). Im Gym­na­sium müs­sen sie 50 Film­mu­sik­ti­tel aus­wen­dig ler­nen etc, oder dann durch­aus mal Sona­ten­satz­form ana­ly­sie­ren, aber ohne dass es ihnen über­haupt ver­mit­telt wurde, eben Erwar­tungs­ler­nen… Sinn­erfüllte, freud­volle Erfah­rung und Aus­ein­an­der­set­zung mit Musik fin­det nicht statt. Der Zei­chen­un­ter­richt, von der glei­chen Lehr­per­son der Sekun­dar­stufe war übri­gens genauso sinn­lehr und stupid.
      Das ist nicht nur feh­lende Bil­dung, son­dern deren Zer­stö­rung an den Wur­zeln. Dass sol­che Lehr­per­so­nen über­haupt einen Lohn bezie­hen, ist schon erstaun­lich. Denn ihr Enga­ge­ment ist gleich null, sie sit­zen ein­fach ihre Stun­den ab…

      Wir haben der Schule schon ange­bo­ten gehabt, dass wir Klas­sen live am Ent­ste­hungs­pro­zess eines klas­si­sches Kon­zer­tes teil­ha­ben las­sen könn­ten, vom Prima Vista lesen, über das erste Zusam­men­set­zen von Kam­mer­mu­sik, der lange Pro­zess der Fein­ar­beit, des Aus­fei­lens der Details, die die klas­si­sche Musik dann erst aus­ma­chen, bis hin zur Auf­füh­rung im Konzertsaal.
      Sie zie­hen es aber vor, wenn über­haupt sog. Ver­mitt­lungs­pro­gramme der gros­sen Häu­ser (wie Ton­halle etc) zu buchen, die eine Belei­di­gung des Geis­tes dar­stel­len, und die eher unter Infan­ti­li­sie­rung von Erwach­se­nen abzu­bu­chen sind, denn als echte Ver­mitt­lung des­sen, was den Glanz und Wun­der der klas­si­schen Musik ausmachen.

      Und jetzt kommt noch Covid dazu… und die “super­lus­ti­gen” ego­ma­ni­schen Klas­sik­künst­ler, die ange­strengt orig­nell sein wol­len, die sich gern “publi­kums­nah” geben, über­neh­men noch den letz­ten Rest an Klas­sik. Echte Güte ist kaum mehr zu fin­den. Kapi­ta­lis­ti­sche Ver­mark­tung und Glo­ba­li­sie­rung pro­pa­gie­ren von zwei­fel­haf­ten Ver­trie­ben zu “Super­stars” der Klas­sik gekühr­ten Musi­kern, deren Mit­tel­mäs­sig­keit nicht mal mehr wahr­ge­nom­men wird, weil die Leute im Publi­kum nur noch sel­ten die Unter­schiede von ordent­lich, gut, bes­ser und aus­ge­zeich­net wahr­neh­men kön­nen, son­dern nur noch das hören möch­ten, was die Medien als Bes­tes bezeich­nen oder was als Wun­der­kin­der ver­mark­tet wird.

      Und wie Paul Hof­mann rich­tig erwähnt: wir set­zen unsere ganze kul­tu­rell-geis­tige Errun­gen­schaft Euro­pas aufs Spiel, die unwie­der­bring­lich ver­lo­ren sein wird.

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