Sally Rooney: Normale Menschen (Roman)

Der Liebe Freud, der Liebe Leid

von Christian Busch

Der Roman “Nor­male Men­schen” von Sally Roo­ney han­delt von Mari­anne und Con­nell – einer stu­den­ti­schen On/-off-Bezie­hung im Kon­text von gesell­schaft­li­cher Kon­ven­tion und tran­szen­den­ta­ler Obdach­lo­sig­keit. Rooney’s Erzäh­len hat seine Stär­ken – und noch mehr Schwächen.

Im 13. Jahr­hun­dert schickte sich Gott­fried von Straß­burg, ein Kle­ri­ker im Dienste des bischöf­li­chen Hofes an, die aus unter­schied­li­chen Quel­len bereits über­lie­ferte Lie­bes­ge­schichte zweier edler Her­zen neu zu erzäh­len: Tris­tan und Isolde. Mit der Bewah­rung des Andenkens an ihre im Tode endende, innige Liebe wollte er nicht nur her­zen­sedle, aber unglück­lich Lie­bende stär­ken, son­dern auch see­len­los, weil nur aus äußer­li­chen und gesell­schaft­li­chen Erwä­gun­gen Lie­bende läutern.
In sei­nem Pro­log erhält die Minne sei­ner aus irdi­schen Gefil­den stam­men­den Lie­ben­den exem­pla­ri­sche Vor­bild­haf­tig­keit, ja sogar die Weihe eines Mys­te­ri­ums, das seine kon­krete Gestal­tung in der Lie­bes­grotte von Corn­wall in der Höhle eines Venus­ber­ges fin­det, wo die bei­den Aus­ge­sto­ße­nen ihrer idea­len, aber ver­bo­te­nen Liebe eine Zeit lang frö­nen – ein Sank­tua­rium der höchs­ten Liebe.

Die Liebe – im Tod unzerstörbar?

Sally Rooney: Normale Menschen - Roman - Luchterhand Verlag - Literatur-Rezensionen Glarean MagazinDahin­ter steckt die Vor­stel­lung von der Liebe als einer unzer­stör­ba­ren, weil zwei Wesen in ihrer Ein­zig­ar­tig­keit für immer (im Tod) mit­ein­an­der ver­schmel­zen­den Kraft. Darum geht es spä­tes­tens seit Gott­frieds mit­tel­al­ter­li­cher Vers­dich­tung in allen Lie­bes­er­zäh­lun­gen, so auch in dem inter­na­tio­na­len Best­sel­ler “Nor­mal Peo­ple” der iri­schen Autorin Sally Roo­ney. Der Roman geht inzwi­schen auch als TV-Soap in Serie und ist in aller Munde (und Auge). Was wird also aus den Lie­ben­den im Roman des 21. Jahr­hun­dert, so könnte man fra­gen – oder: Was wird aus der Idee der abso­lu­ten Liebe und dem Tri­umph über kon­ven­tio­nelle Moral und Gesellschaftsordnung?

Kein innovativer Plot

Januar 2011. Con­nell ist der unehe­li­che Sohn von Lor­raine, die bei Denise Sher­i­dan, einer ver­wit­we­ten Rechts­an­wäl­tin der Ober­schicht in Westir­land, als schlecht bezahlte Putz­frau arbei­tet. Er ist sport­lich, attrak­tiv und am Col­lege daher ange­se­hen. Als er seine Mut­ter von der Arbeit abholt, begeg­net er Mari­anne, Deni­ses Toch­ter, eine unge­liebte, von ihrem älte­ren Bru­der Alan über­wachte, intel­li­gente und geist­volle, aber unter­drückte Seele.

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Da ihre Liebe keine Aner­ken­nung fin­den kann, hal­ten beide ihre ero­ti­schen Tref­fen geheim. Doch als Con­nell nicht Mari­anne, son­dern ein ande­res Mäd­chen zum Abschluss­ball ein­lädt, kommt es zum Bruch. An der Uni­ver­si­tät ändern sich die Vor­zei­chen. Nun ist Con­nell der gesell­schaft­li­che Out­si­der, wäh­rend Mari­anne als wohl­ha­ben­des Mit­glied der Upper-Class auf­blüht. Doch ihre Bezie­hun­gen mit ande­ren sind zum Schei­tern ver­ur­teilt. Mari­anne lan­det zunächst beim Schnö­sel Jamie, dann bei einem zwie­lich­ti­gen schwe­di­schen Foto­gra­phen. Con­nell hin­ge­gen fällt nach dem Selbst­mord eines Freun­des und der ober­fläch­li­chen Bezie­hung zu Helen in tiefe Depression.
Doch egal was kommt, die bei­den fin­den sich immer wie­der, ihre Ver­traut­heit, ihre ero­ti­sche Anzie­hungs­kraft und das Gefühl der Ein­zig­ar­tig­keit ihrer Liebe hält an – bis zum Schluss (Februar 2015)? So weit der zuge­ge­ben wenig inno­va­tive Plot.

Monoton dahinplätschernde Sprache

Sally Rooney - Schriftstellerin - Glarean Magazin
Lite­ra­ri­sches Fräu­lein­wun­der: Sally Roo­ney (geb. 1991)

Und wenn man ehr­lich ist, bleibt der ganze Hype um Sally Roo­neys zwei­ten Roman rät­sel­haft, denn weder die Geschichte selbst mit ihren für das Genre typi­schen Miss­ver­ständ­nis-Wen­dun­gen und ste­reo­ty­pen gesell­schaft­li­chen Hür­den­kli­schees, noch die seichte und mono­ton dahin plät­schernde Spra­che ver­lei­hen dem Roman Tiefe oder see­li­schen Reich­tum. So wird man den Ein­druck nicht los, dass die bei­den vor allem des­halb nicht zusam­men­kom­men kön­nen, weil die Autorin es für die Dra­ma­tur­gie ihres Plots nicht will. Soziale Bar­rie­ren werde näm­lich höchs­tens angedeutet.
Erzähl­tech­nisch liest der Roman sich weit­ge­hend wie eine Anhäu­fung von Regie­an­wei­sun­gen, also äuße­rer Hand­lun­gen, die für den Leser offen und viel­sei­tig inter­pre­tier­bar, damit aber auch belang­los und belie­big blei­ben. So etwas ist leicht kon­su­mier­bar, weil man es nicht nicht ver­ste­hen kann, bzw. jeg­li­che Inter­pre­ta­tion irrele­vant ist. Stän­dig muss man lesen, wie ein Glas ange­fasst, eine Ziga­rette ange­zün­det oder eine leere Ges­tik aus­ge­führt wird. Die Dia­loge blei­ben blass. Der Blick hin­ter die Fas­sade fehlt.

Lieblose Zeichnung der Figuren

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Nicht etwa, dass einem Con­nell und Mari­anne gleich­gül­tig blei­ben, aber liegt dies nicht an der lieb­lo­sen und ober­fläch­li­chen Zeich­nung aller ande­ren Figu­ren? An der kaum ein­mal ver­tief­ten Dar­stel­lung gesell­schaft­li­cher Wirk­lich­kei­ten? An den nur in Umris­sen skiz­zier­ten beruf­li­chen Tätig­kei­ten und Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten aller Figuren?
Zwei­fel­los hat der Roman seine Stär­ken. Wenn die bei­den Figu­ren sich begeg­nen und Roo­ney deren ver­trau­tes und lie­be­vol­les Ver­hält­nis kei­nes­falls unero­tisch und kon­tras­tiv zur wei­te­ren Roman­lan­ge­weile auf die Lein­wand – Ver­zei­hung: auf das Papier – tup­fert, dann trös­tet das über man­che banale Pas­sage hin­weg. Für einen gelun­ge­nen Lie­bes­ro­man ist dies jedoch zu wenig.

Kommerziell angelegtes Romanprojekt

Und des­we­gen ist diese Geschichte eben nur ein geschickt lan­cier­tes und ober­flä­chen-taug­li­ches Kon­strukt, das – gerade in sei­ner audio­vi­su­el­len Ver­wert­bar­keit – nur vor­der­grün­dige Bedürf­nisse des Publi­kums befrie­digt, aber keine Inner­lich­keit, Authen­ti­zi­tät oder Ori­gi­na­li­tät bie­tet. Der Roman hin­ter­lässt keine Spu­ren, son­dern eher das Gefühl, man habe sich durch einen grauen Schleier durch­ge­ar­bei­tet. Man würde ihn kei­nes­falls ein zwei­tes Mal lesen. Der Schluss passt in die­ses Bild eines vor allem kom­mer­zi­ell ange­leg­ten Romanprojektes.

Fazit: Wer einen aktu­el­len Lie­bes­ro­man sucht, fin­det ihn sicher­lich in Sally Roo­neys “Nor­male Men­schen” auf der Höhe, aber auch auf der Tiefe der Zeit. Wer mit­re­den will, muss ihn lesen.
Wer aber etwas Wesent­li­ches oder gar Neues über das Wesen der Liebe erfah­ren möchte, wer eine neue Spra­che für die Liebe sucht, wer eine neue, ori­gi­nelle Lie­bes­ge­schichte erwar­tet, der sollte sich anders orientieren. ♦

Sally Roo­ney: Nor­male Men­schen, Roman, 320 Sei­ten, Luch­ter­hand Ver­lag (Ran­dom­house), ISBN 978-3-630-87542-2

Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Lie­bes­ro­man auch über Ernst Hal­ter: Mermaid

…sowie über die Erzäh­lun­gen von Vik­to­rija Tokar­jewa: Liebesterror


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