Christian Berkel: Ada (Roman)

Die Allgegenwart des Schweigens

von Sigrid Grün

Die Un­si­cher­heit und die Angst woh­nen oft in ei­nem Zwi­schen­raum, in dem Un­ge­wiss­heit herrscht, weil zu vie­les un­ge­sagt bleibt. Der deut­sche Schau­spie­ler und Au­tor Chris­ti­an Ber­kel er­zählt in „Ada“, dem Nach­fol­ger sei­nes ers­ten durch die ei­ge­ne Fa­mi­li­en­ge­schich­te in­spi­rier­ten Ro­mans „Der Ap­fel­baum“ eine Ge­schich­te, in der es um das Schwei­gen ei­ner gan­zen Ge­ne­ra­ti­on geht – und dar­um, wie die Nach­fol­ge­ge­nera­ti­on da­mit umgeht.

Fe­bru­ar 1945. Kurz vor dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges wird in Leip­zig ein Mäd­chen ge­bo­ren, das Ada heißt. Ihre Mut­ter ist Jü­din, der Arzt, der das Kind zur Welt bringt, ein al­ter Na­zi­pro­fes­sor. Nach Kriegs­en­de emi­grie­ren Mut­ter und Kind nach Ar­gen­ti­ni­en, wo sie ei­ni­ge Jah­re le­ben, be­vor sie nach Deutsch­land zurückkehren.

Christian Berkel - Ada - Roman - Ullstein VerlagDas Mäd­chen wei­gert sich zu­nächst lan­ge Zeit, zu spre­chen, was ihre Mut­ter frus­triert: „Ich ent­pupp­te mich von An­fang an als eine Ent­täu­schung, eine Bla­ma­ge, wie sie schlim­mer nicht sein konn­te. Ich, als Kind ei­ner un­vor­stell­bar gro­ßen Lie­be, ei­ner Lie­be, die kein Krieg, kein Gott, ja nicht ein­mal der klei­ne ös­ter­rei­chi­sche Ma­ler klein­ge­kriegt hat­te, der Ge­frei­te mit dem ne­cki­schen Ober­lip­pen­bart, der Hit­ler eben. Die­ses Kind, also ich, konn­te oder woll­te nicht spre­chen. Ich hat­te mich schein­bar ent­schie­den, nicht mitzumachen.“
Das Ge­fühl, von der Mut­ter nicht wirk­lich ak­zep­tiert zu wer­den, wird sie ihr gan­zes Le­ben lang begleiten.

Suche nach Orientierung

Christian Berkel - Schauspieler - Autor - Roman-Schriftsteller - Glarean Magazin
Schau­spie­ler, Au­tor, Ro­man­cier: Chris­ti­an Ber­kel (*1957)

Ada wächst zu­nächst va­ter­los auf. Erst nach ih­rer Rück­kehr nach West-Ber­lin nimmt ihre Mut­ter Sala doch wie­der Kon­takt zu dem Mann auf, der Adas Va­ter sein soll. Otto ist Arzt und schenkt dem Mäd­chen ein Fahr­rad, wo­für es ihn liebt. Doch die Va­ter­schaft ist nicht end­gül­tig ge­klärt. Im Le­ben der Mut­ter gab es näm­lich ei­nen zwei­ten Mann, Han­nes, den sie nie ver­ges­sen hat.

Die Un­ge­wiss­heit in Be­zug auf den Va­ter ist aber nicht die ein­zi­ge Un­si­cher­heit in Adas Le­ben. Auch die Ver­gan­gen­heit ih­rer Mut­ter bleibt lan­ge Zeit ein Ge­heim­nis. Als Mopp, eine lang­jäh­ri­ge Freun­din der Mut­ter sich um Ada küm­mert, weil Sala nach Ar­gen­ti­ni­en ge­reist ist, er­fährt das Mäd­chen, dass ihre Mut­ter Jü­din ist und in Gurs in­ter­niert war. Nie­mand spricht of­fen über die Ver­gan­gen­heit. Es sind im­mer nur Frag­men­te, die Ada in Er­fah­rung brin­gen kann. Die­se ver­geb­li­che Su­che nach Ori­en­tie­rung macht sie wü­tend. Sie be­gehrt ge­gen die El­tern­ge­nera­ti­on auf, so wie es die Nach­kriegs­ge­nera­ti­on eben ge­tan hat.

Kluft zwischen zwei Generationen

Konzert der Rolling Stones - Waldbühne Berlin 1965 - Glarean Magazin
Aus­ge­las­sen­heit mit Zi­ga­ret­te: Ju­gend­li­che am Kon­zert der Rol­ling Stones in der Ber­li­ner „Wald­büh­ne“ 1965

Als Ju­gend­li­che liebt sie lei­den­schaft­lich und un­vor­sich­tig. Ih­ren vie­le Jah­re jün­ge­ren Bru­der, der von al­len nur Sput­nik ge­nannt wird, bringt sie ver­se­hent­lich fast um. Und die Kluft zwi­schen ihr und den El­tern wird im­mer grö­ßer. Zur de­pres­si­ven Mut­ter hat sie nie ein wirk­lich gu­tes Ver­hält­nis, und auch ihr Va­ter, der sei­ne tra­di­tio­nel­len Wer­te hoch­hält, bleibt ihr fremd.
In ei­ner Hip­pie-Kom­mu­ne sam­melt sie ers­te Er­fah­run­gen mit Dro­gen und mit der frei­en Lie­be. Im Sep­tem­ber 1965 er­lebt sie die Ran­da­le beim Stones-Kon­zert auf der „Wald­büh­ne“. Auch bei die­ser ge­walt­sa­men Aus­ein­an­der­set­zung geht es um die Kluft, die sich zwi­schen der Kriegs- und der Nach­kriegs­ge­nera­ti­on auf­ge­tan hat.
Bei ih­rem Groß­va­ter und des­sen Le­bens­ge­fähr­tin, die in der DDR le­ben, lernt sie doch noch so et­was wie Ge­bor­gen­heit ken­nen und er­fährt et­was über ihre ei­ge­ne Geburt…

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Ada“ ist eine span­nen­de Aus­ein­an­der­set­zung mit ei­ner in­ter­es­san­ten Zeit. Chris­ti­an Ber­kel ist ein groß­ar­ti­ger Er­zäh­ler. Ihm ist eine sehr ein­fühl­sam ge­schrie­be­ne Ge­schich­te um eine jun­ge Frau ge­lun­gen, die ih­ren Platz in der Welt sucht. Es wird noch ei­nen drit­ten Band ge­ben, in dem die Fa­mi­li­en­ge­schich­te wei­ter er­zählt wer­den wird. Man darf also ge­spannt sein! ♦

Chris­ti­an Ber­kel: Ada – Ro­man, 400 Sei­ten, Ull­stein Ver­lag, ISBN 978-3550200465

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Nach­kriegs­zeit auch über den Ro­man von Anke Ge­bert: Die Sum­me der Stunden

… so­wie über die Er­zäh­lung von Mi­chel Berg­mann: Al­les was war

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