Jessica Andrews: Und jetzt bin ich hier (Roman)

Jung – suchend – feinfühlig – poetisch

von Katka Räber-Schneider

Der Roman “Und jetzt bin ich hier” von Jes­sica Andrews ist die Geschichte vom Lie­ben und Los­las­sen in einer Eltern-Kind-Fami­lien-Bezie­hung. Ein poe­ti­sches Buch, ein wun­der­ba­res und wun­der­li­ches Buch, in dem eine Ich-Erzäh­le­rin in kur­zen, mit Num­mern beti­tel­ten Abschnit­ten, nicht chro­no­lo­gisch, aber stets ergän­zend über das Bewusst­wer­den der eige­nen Iden­ti­tät inner­halb der Fami­li­en­ge­schichte berichtet.

Jessica Andrews: Und jetzt bin ich hier - Roman - Hoffmann und Campe - Literatur-Rezension Glarean MagazinEine junge Frau, die zunächst aus dem lau­ten Lon­don in ein geerb­tes Cot­tage ihres gross­va­ters nach Irland zieht. Es sind keine linea­ren Beschrei­bun­gen, son­dern kleine Auf­merk­sam­kei­ten von All­täg­li­chem, die sich zu einem Mosaik zusam­men­set­zen, das ein fein gezeich­ne­tes Bild von Eng­land und Irland der 80-er Jahre ergibt, äus­ser­lich und inner­lich. In genau beob­ach­te­ten Ges­ten, z.B. wie sich jemand durch die Haare fährt, nähern wir uns anhand von Brie­fen und all­täg­li­chen Gesprächs­fet­zen auch einer Lie­bes­ge­schichte, die lako­nisch daher kommt: “’Darf ich dich küs­sen?’ fragt er und streckt die Hand nach mir aus. ‚Okay’, sage ich, gefan­gen in der Hitze sei­nes Körpers.”

Durch Gefühlsvignetten ins Unterbewusstsein

Lucy, die Ich-Erzäh­le­rin, die sich mal an die Mut­ter wen­det, mal an uns, ihre Leser­schaft, arbei­tet sich durch Gefühls­vi­gnet­ten und kleine Epi­so­den seit der Kind­heit bis in die Gegen­wart als junge Frau, ins eigene Unter­be­wusst­sein. Der geliebte Vater war Alko­ho­li­ker und Lucy denkt: “… man kann geliebt und zugleich ver­las­sen wer­den.” Sätze über ihre Eltern wie: “Der Abstand zwi­schen ihnen glänzte scharf” sagen auf eine poe­ti­sche und im Kon­text unge­küns­telte Weise vie­les über die Gefühls­zu­stände aus.

Jessica Andrews Foto - Und jetzt bin ich hier - Roman - Hoffmann und Campe Verlag - Literatur-Rezensionen Glarean-Magazin
Sprach­ver­gnüg­li­cher Roman: Jes­sica Andrews (© Seth Hamilton)

Jes­sica Andrews beschreibt die Prot­ago­nis­ten anhand von Andeu­tun­gen ver­schie­de­ner Sin­nes­ein­drü­cke, prä­zise und nie denun­zie­rend, obwohl es die Eltern der Toch­ter nicht leicht gemacht haben. “Par­füm und Tee und der Rauch von sei­nen Ziga­ret­ten, wun­der­bar und wider­lich zugleich.” Der Vater ver­schwand immer wie­der, und doch hin­ter­liess er Liebe bei sei­nen Kin­dern. Der Bru­der wurde taub gebo­ren, aber es gab die Zei­chen­spra­che. Die Autorin ver­mag ein­zig­ar­tig auch die Ruhe und die beson­dere Form von unter­schied­li­chen Kom­mu­ni­ka­tio­nen zu schildern.

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Wer Freude hat an geschlif­fe­ner, fein­füh­li­ger Lite­ra­tur (mit Beto­nung auf Lite­ra­tur), vol­ler sehr schö­ner Beob­ach­tun­gen, in Bil­dern ein­ge­fan­gen, die einen stau­nen oder auch schmun­zeln las­sen – Zitat: “… auf dem Tep­pich gesaugte Strei­fen wie beim gemäh­ten Rasen.” -, wer Freude hat an einem poe­tisch suchen­den Roman, der fin­det hier eine leicht­füs­sige Lek­türe. Meh­rere Gene­ra­tio­nen ent­fal­ten da punk­tu­ell ihren Lebens­tep­pich, und doch geht es schluss­end­lich um die Gegen­wart. Die Gegen­wart einer jun­gen Frau, die auch eine Lie­bes­ge­schichte lebt. Lucy lernt sich sel­ber durch die Erin­ne­run­gen gut bis in die tiefste Seele ken­nen. In Gedan­ken wie “Ich will Üppi­ges, Schmut­zi­ges. Ich will Dunk­les, Whis­key und Blut­fle­cken… Das Ver­lan­gen in mei­nen Kno­chen habe ich von dir. Du stellst deine Bedürf­nisse zurück, weil du für andere sor­gen musst…” wen­det sie sich an ihre Mutter.

Das Buch ist in vier Teile geglie­dert, deren all­mäh­li­ches Wachs­tum eine erfolg­rei­che, mensch­li­che Rei­fung dar­stellt. “Und jetzt bin ich hier” könnte all jenen gefal­len, die sich gerne durch stell­ver­tre­tende Bil­der im fami­liä­ren Rah­men dem Kern des Seins nähern. Ein gros­ses Sprach­ver­gnü­gen ist die­ser Roman, geschrie­ben von einer jun­gen Frau. ♦

Jes­sica Andrews: Und jetzt bin ich hier, Roman, aus dem Eng­li­schen von Anke Caro­line Bur­ger, 328 Sei­ten, Hoff­mann und Campe Ver­lag, ISBN 978-3-455-00821-0

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