Axel Gutjahr: Schach spielen mit Niveau

Zu ausschweifend, zu fehlerhaft

von Thomas Binder

Wie vie­le Ein­stei­ger-Lehr­bü­cher in den letz­ten zehn Jah­ren über mei­nen Schreib­tisch wan­der­ten, habe ich nicht nach­ge­zählt. Und doch wird man im­mer wie­der mit neu­em Her­an­ge­hen an die­ses The­ma konfrontiert.
Der ak­tu­ells­te Ver­such heisst “Schach spie­len mit Ni­veau”, im Un­ter­ti­tel “Be­währ­te Re­geln und Stra­te­gien für An­fän­ger und Fort­ge­schrit­te­ne”. Als Au­tor fun­giert Axel Gut­jahr aus dem thü­rin­gi­schen Stadtroda.

Axel Gutjahr - Schach spielen mit Niveau - Cover Anaconda Verlag - Glarean MagazinAls Schach­spie­ler, -trai­ner oder -au­tor ist Gut­jahr mei­nes Wis­sens bis­her nicht her­vor­ge­tre­ten. Auch wird er im Buch nicht nä­her vor­ge­stellt. Al­ler­dings sind im glei­chen Ver­lag aus sei­ner Fe­der und mit ent­spre­chend iden­ti­schem “ni­veau­vol­len” Ti­tel auch Lehr­bü­cher zum Skat und zum Dop­pel­kopf er­schie­nen. Gut­jahr ar­bei­tet also of­fen­bar als Rat­ge­ber-Au­tor in ei­nem et­was brei­te­ren Feld, und den Ein­druck ei­nes Rat­ge­bers wird man auch bei der Lek­tü­re im­mer wie­der ha­ben. Im glei­chen Stil könn­te der Au­tor wohl auch Koch­re­zep­te oder An­lei­tun­gen für Heim­wer­ker verfassen…

Wortreich und umständlich

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Was be­deu­tet das? Es be­deu­tet vor al­lem, dass wir sprach­lich und teil­wei­se auch satz­tech­nisch ein Buch vor uns ha­ben, dass sich von sons­ti­ger Schach­lek­tü­re stark un­ter­schei­det. Gut­jahr schreibt wort­reich und aus­schwei­fend – als schach­lich ge­wand­ter Le­ser könn­te man auch “um­ständ­lich” sa­gen. Ge­wöh­nungs­be­dürf­tig ist auch die No­ta­ti­on, bei der er die Halb­zü­ge ei­nes Zug­paa­res mit ei­nem Bin­de­strich trennt: 1.e4 – e5 2. Sf3 – Sc6. Das sind na­tür­lich Äus­ser­lich­kei­ten, doch das Ver­trau­en in den An­spruch des Un­ter­ti­tels wird da­bei nicht un­be­dingt gefestigt.
Schau­en wir kurz durch die ein­zel­nen Ka­pi­tel des Bu­ches: Es be­ginnt na­tür­lich mit den Spiel­re­geln, an­ge­fan­gen beim Brett­auf­bau und schon mit Ein­schluss der tech­ni­schen Matts. Nach etwa 30 Sei­ten Text ha­ben wir die Grund­re­geln also er­lernt. Wie schon an­ge­deu­tet, wird al­les sehr aus­führ­lich und ver­schwur­belt in lan­gen Tex­ten verpackt.
Lei­der gibt es min­des­tens ei­nen gra­vie­ren­den Feh­ler bei der Er­klä­rung des Re­mis durch Stel­lungs­wie­der­ho­lung. Die­ses kommt nur als “Dau­er­schach” vor und ver­langt zu­dem eine Wie­der­ho­lung der glei­chen Züge. Spä­tes­tens an die­ser Stel­le war mein Ver­trau­en in das Buch un­wie­der­bring­lich erschüttert.

Grundlegende Schach-Techniken

Auf den nächs­ten knapp zehn Sei­ten geht es um grund­le­gen­de Tech­ni­ken wie Fes­se­lung und Ga­beln, na­tür­lich auch wie­der sehr aus­schwei­fend er­klärt. Leb­haf­ter wird es auf den nächs­ten sechs Sei­ten mit der Prä­sen­ta­ti­on ei­ni­ger be­kann­ter und im­mer wie­der be­ein­dru­cken­der Matt­kom­bi­na­tio­nen, etwa das Li­bel­len­matt, Bo­dens Matt oder je­nes der Ana­sta­sia. Die­se in Schach­krei­sen be­kann­ten Be­zeich­nun­gen kom­men in der aus­führ­li­chen Be­schrei­bung der Kom­bi­na­tio­nen al­ler­dings nicht vor.

Leseprobe aus Axel Gutjahr: Schach spielen mit Niveau (Anaconda Verlag 2019) Glarean Magazin
Le­se­pro­be aus Axel Gut­jahr: Schach spie­len mit Ni­veau (Ana­con­da Ver­lag 2019)

In der Fol­ge geht es um die drei Tei­le der Schach­par­tie: Er­öff­nung, Mit­tel­spiel und End­spiel. Mit Ab­stand den gröss­ten Rah­men nimmt da­bei die Er­öff­nung ein. Etwa 40 Sei­ten wid­met Gut­jahr die­sem Ab­schnitt. Das Wich­tigs­te steht da­bei auf je­ner ei­nen(!) Sei­te, auf der die Grund­prin­zi­pi­en des Par­tie­an­fangs er­klärt wer­den: Fi­gu­ren­ent­wick­lung, Be­set­zung des Zen­trums und Königssicherheit.
Den glei­chen Raum ver­wen­det Gut­jahr dar­auf, zu er­klä­ren, war­um nach 1.e4 e5 2.Sf3 der Zug 2.- Ld6 nicht eben zu emp­feh­len ist (der zu­dem per Druck­feh­ler als 2.- Lf6 vor­ge­stellt wird). Es fol­gen grund­le­gen­de Va­ri­an­ten und kur­ze Er­läu­te­run­gen zu ei­ni­gen will­kür­lich aus­ge­wähl­ten Sys­te­men. Hier hat man stel­len­wei­se den Ein­druck ei­nes ge­die­ge­nen Schach­bu­ches – um gleich da­nach zwei(!) Sei­ten lang vor den bei­den Nar­ren­matts 1.f3 e5 2.g4?? Dh4# und 1.e3 e5 2.Dh5 Ke7?? 3.Dxe5# ge­warnt zu werden.

Oberflächliche Endspiel-Behandlung

FAZIT: “Schach spie­len mit Ni­veau” von Axel Gut­jahr ist ein Ein­stei­ger-Lehr­buch im Rat­ge­ber-Stil, das zwie­späl­ti­ge Ein­drü­cke hin­ter­lässt. Wer als Er­wach­se­ner auf dem Weg über ein Buch im Selbst­stu­di­um das kö­nig­li­che Spiel er­ler­nen will, mag es mit die­sem sehr preis­wer­ten Buch versuchen.

Es fol­gen ca. zehn Sei­ten über das Mit­tel­spiel. An­hand aus­ge­wähl­ter Par­tie­ver­läu­fe stellt der Au­tor das Zu­sam­men­spiel der Fi­gu­ren in den Blick­punkt. Die­ser An­satz, bei dem die aus­führ­li­chen Er­läu­te­run­gen zur Stär­ke rei­fen kön­nen, hät­te deut­lich mehr Um­fang verdient.
Das End­spiel-Ka­pi­tel ist nicht ganz 20 Sei­ten lang, be­schränkt sich da­bei auf ein­fa­che End­spie­le und bleibt all­ge­mein sehr an der Oberfläche.
Im letz­ten grös­se­ren Ka­pi­tel stellt Axel Gut­jahr schliess­lich ei­ni­ge Par­tien von Welt­meis­tern vor. Die Aus­wahl fiel (in die­ser Rei­hen­fol­ge) auf Las­ker, Ca­pa­blan­ca, Fi­scher, Men­chik, Al­je­chin, Zsuz­sa Pol­gar, Spas­ski und Kasparow.

Ansprechende Buchgestaltung

Das ins­ge­samt an­spre­chend ge­stal­te­te und durch­weg vier­far­big ge­druck­te Buch hin­ter­lässt ei­nen zwie­späl­ti­gen Ein­druck. Wenn sich der Au­tor an dem An­spruch “… für An­fän­ger und Fort­ge­schrit­te­ne” mes­sen lässt, wird er wohl den ers­te­ren längst nicht alle Fra­gen be­ant­wor­ten, wäh­rend die an­de­ren nicht mehr viel Er­kennt­nis­ge­winn aus dem Werk zie­hen können.

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Als Le­ser kom­men er­wach­se­ne Schach-Ein­stei­ger in Fra­ge – für ein Kin­der­buch feh­len jeg­li­che un­ter­hal­ten­den oder spie­le­ri­schen Ele­men­te –, die das kö­nig­li­che Spiel im Selbst­stu­di­um mit­tels ei­nes Bu­ches er­ler­nen wol­len. Ob die­se Kli­en­tel gross ge­nug ist, kann man an­ge­sichts der zahl­rei­chen an­de­ren Mög­lich­kei­ten bezweifeln.
Zu­dem hät­te man sich aus de­ren Sicht noch ei­nen Aus­blick ge­wünscht, der dem Le­ser den Weg in ei­nen Schach­klub oder zu ei­nem pas­sen­den Tur­nier eb­net. Die Fra­gen “Wie fin­de ich den pas­sen­den Schach­ver­ein und was er­war­tet mich dort?” und “Was muss ich wis­sen, wenn ich mich an mein ers­tes Tur­nier wage?” wer­den lei­der nicht beantwortet.

Zu­sam­men­ge­fasst: “Schach spie­len mit Ni­veau” von Axel Gut­jahr ist ein Ein­stei­ger-Lehr­buch im Rat­ge­ber-Stil, das zwie­späl­ti­ge Ein­drü­cke hin­ter­lässt. Wer als Er­wach­se­ner auf dem Weg über ein Buch im Selbst­stu­di­um das kö­nig­li­che Spiel er­ler­nen will, mag es mit die­sem sehr preis­wer­ten Buch versuchen. ♦

Axel Gut­jahr: Schach spie­len mit Ni­veau – Be­währ­te Re­geln und Stra­te­gien für An­fän­ger und Fort­ge­schrit­te­ne, Ana­con­da Ver­lag, 144 Sei­ten, ISBN 978-3730607633

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma Schach­päd­ago­gik auch das In­ter­view mit dem Schach-Au­tor Rein­hold Ripperger

… so­wie zum The­ma Schach-Tricks über Ger­hard Ku­bik: Die Psy­cho­t­ricks der Schachprofis

Ein Kommentar

  1. Schach ist ein strin­gen­tes Stra­te­gie­spiel, das kann man nicht erlernen!

    Ent­we­der man denkt in Ur­sa­che und Wir­kung, dann wird man au­to­ma­tisch ein gu­ter Spie­ler, oder man liest sol­che Bü­cher und wun­dert sich, dass man es nicht hinbekommt.

    An­mer­kung ei­nes lei­den­schaft­lich Spie­lers die­ses Spie­les, der schon vie­le Lern­lin­ge schei­tern sah und nie auch nur ein Buch zum The­ma las.

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