Gerhard Kubik: Die Psychotricks der Schachprofis

Schöne Verpackung, enttäuschender Inhalt

von Tho­mas Binder

Frü­her war das Schrei­ben von Schach­bü­chern ein Pri­vi­leg der her­aus­ra­gends­ten Spie­ler. Seit eini­gen Jah­ren beob­achte ich den Trend, dass auch Autoren, deren eigene Spiel­stärke weit von der eines Gross­meis­ters ent­fernt ist, mit inter­es­san­ten Publi­ka­tio­nen an die Öffent­lich­keit tre­ten. Sie fin­den ihre Nische in spe­zia­li­sier­ten Ein­zel­the­men oder einem bis­her unbe­ach­te­ten Blick­win­kel. Damit wird die Schach­li­te­ra­tur – E-Books und grös­sere Inter­net-Publi­ka­tio­nen ein­be­grif­fen – um wert­volle Nuan­cen bereichert.

Gerhard Kubik: Die Psychotricks der Schachprofis - Analyse der Schach-WM 2016 - BoDMit dem Öster­rei­cher Ger­hard Kubik schickt sich ein wei­te­rer Autor an, die Bücher­schränke der Schach­welt zu erobern. Seine Spiel­stärke liegt knapp unter 2000 Elo-Punk­ten. Die schach­li­che Vita des 54-Jäh­ri­gen zählt regio­nale Jugend­er­folge in den 1980er Jah­ren und Teil­nah­men an offe­nen Tur­nie­ren auf. Auch als Trai­ner ist Kubik enga­giert. Er ist FIDE-Ins­truc­tor und öster­rei­chi­scher B-Trainer.
Lei­der ist zu sei­ner Qua­li­fi­ka­tion als Päd­agoge oder Psy­cho­loge nichts gesagt. Hier hat er sicher einen fun­dier­te­ren Hin­ter­grund als im rein schach­li­chen Bereich. Immer­hin hat er ein wei­te­res Buch über die „Vor­teile des spi­ri­tu­el­len Schachs“ geschrie­ben, dazu wüsste ich gern mehr…

Geweckte Erwartungshaltung nicht befriedigt

Nun zum vor­lie­gen­den Werk. Es trägt auf dem sehr anspre­chend gestal­te­ten Cover gleich zwei Titel: „Die Psy­cho­t­ricks der Schach­pro­fis“ und „Ana­lyse der Schach-WM 2016“. Genau diese bei­den Titel sind nun aber das Pro­blem des Buches – denn sie wecken eine Erwar­tungs­hal­tung, der es in kei­ner Weise gerecht wer­den kann.
Was leis­tet der Autor bei der Ana­lyse der WM zwi­schen Carlsen und Kar­ja­kin? In den Wochen nach jenem Zwei­kampf im Novem­ber 2016 sind in wohl jeder Schach­zei­tung aus­führ­li­che Bespre­chun­gen aller 16 Par­tien mit fun­dier­ten Ana­ly­sen, com­pu­ter­ge­prüf­ten Vari­an­ten und mehr oder weni­ger tief­grei­fen­den Wort­kom­men­ta­ren erschie­nen. Hinzu kom­men zahl­rei­che Online-Ver­öf­fent­li­chun­gen auf Web­sei­ten, in Blogs und als Video.
Kubik bleibt sehr deut­lich hin­ter all die­sen Ange­bo­ten zurück. Er bringt die Par­tien in voll­stän­di­ger und völ­lig unkom­men­tier­ter Kurz­no­ta­tion. Dazu gibt es jeweils zwei Dia­gramme, die ent­we­der die selbe(!) Stel­lung zei­gen oder sich um genau einen Halb­zug unter­schei­den. Das erste Dia­gramm füllt dabei eine ganze Seite, ergänzt um eine Frage wie „Mit wel­chem welt­meis­ter­li­chen 19. Zug erhöht Schwarz die Span­nung?“ Auf der Fol­ge­seite wird dann noch ein­mal diese Stel­lung gezeigt, jetzt ein­ge­bet­tet in den gesam­ten Par­tie­ver­lauf mit einem sehr knap­pen Wort­kom­men­tar. Falls es sich um eine aus­ge­las­sene Mög­lich­keit han­delte, wird die Alter­na­tive als kurze Vari­ante ange­ge­ben, der Leser aber mit einer schach­li­chen Bewer­tung weit­ge­hend alleingelassen.

Wenig Neues und kaum Inhalte

Und was ist mit den Psy­cho­t­ricks? Nun, mit „Schach­pro­fis“ kön­nen natur­ge­mäss nur die bei­den Prot­ago­nis­ten des WM-Kamp­fes gemeint sein. Aller­dings waren „Psy­cho­t­ricks“ nun gerade nicht das bestim­mende Ele­ment des hier bespro­che­nen Wettkampfes.
Immer­hin hät­ten beide Spie­ler auf­grund ihrer Per­sön­lich­keit auch auf die­ser Ebene viel inter­es­san­ten Stoff gebo­ten. (Auf eine umfas­sende psy­cho­lo­gi­sche Ana­lyse z.B. von Carlsens Fähig­keit, mini­male Stel­lungs­vor­teile zu einem gewon­ne­nen End­spiel zu ver­stär­ken, war­ten wir seit Jahren).
Kubik gibt zu jeder Par­tie einen kur­zen Abriss von gut einer Seite. So wird der gesamte WM-Kampf Tag für Tag nach­ge­zeich­net. Wir erle­ben die Wen­de­punkte des Matches und die­je­ni­gen jeder ein­zel­nen Par­tie. Dabei kom­men auch einige schach­li­che Betrach­tun­gen zur Eröff­nungs­wahl und zu den kri­ti­schen Momen­ten der Par­tie zur Spra­che – alles in allem bleibt das Buch auch hier sehr an der Oberfläche.

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“Die Psy­cho­t­ricks der Schach­pro­fis” von Ger­hard Kubik lässt den WM-Kampf zwi­schen Carlsen und Kar­ja­kin im Novem­ber 2016 Par­tie für Par­tie Revue pas­sie­ren. Die psy­cho­lo­gi­schen Ana­ly­sen sind inter­es­sant, blei­ben aber den­noch zu ober­fläch­lich. Die Prä­sen­ta­tion der WM-Par­tien geht prak­tisch nicht über das Niveau unkom­men­tier­ter Nota­tion hin­aus. Alles in allem: Ein ent­behr­li­ches Buch.

Am Ende einer jeden Par­tie steht dann ein so genann­ter „Psy­cho­t­rick“, aus dem der Leser anhand der gezeig­ten WM-Par­tie Schlüsse für die eigene psy­cho­lo­gi­sche Par­tie­füh­rung zie­hen soll. Viel Neues gibt es dabei nicht. Den Hin­weis, die Bedenk­zeit vor allem für stra­te­gi­sche Über­gänge und tak­ti­sche Berech­nun­gen zu inves­tie­ren, wenn es not­wen­dig ist, danach aber zügig wei­ter zu spie­len, habe ich jeden­falls schon anderswo gele­sen – auch jenen, dass man bei geg­ne­ri­scher Zeit­not die Stel­lung kom­pli­ziert hal­ten soll.
Sehr viel Stoff ist das also nicht. Zieht man die Par­tienota­tio­nen – von Ana­ly­sen kann ich wirk­lich nicht spre­chen – und die Dia­gramme ab, kom­pri­miert man also den über­reich­lich vor­han­de­nen Leer­raum auf ein nor­ma­les Mass, so blei­ben schliess­lich weni­ger als 30 Sei­ten „ech­ter Inhalt“. Das ist ange­sichts der Erwar­tungs­hal­tung nach dem Titel­co­ver und dem Wer­be­text deut­lich zu wenig.

Interessantes Thema, verfehlte Realisierung

Kubiks Motiv ist gewiss inter­es­sant und ver­dient einen ande­ren Rah­men als die­ses Buch. Er sollte seine Leit­sätze mit aus­führ­lich kom­men­tier­ten Bei­spie­len aus der Pra­xis der Schach­pro­fis ver­tie­fen, ohne sich auf das Mate­rial eines ein­zi­gen WM-Kamp­fes zu beschrän­ken. Auch seine eige­nen Erfah­run­gen als Spie­ler und Trai­ner erge­ben bestimmt viele inter­es­sante Ein­sich­ten. Inso­fern sei der Autor ermu­tigt das Thema mit einem ande­ren Ansatz neu auf­zu­neh­men. Dann wird es sicher dank­bare Leser finden. ♦

Ger­hard Kubik: Die Psy­cho­t­ricks der Schach­pro­fis – Ana­lyse der Schach-WM 2016, Books on Demand, 92 Sei­ten, ISBN 978-3743191051

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