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Referenzwerk für alle Leistungsklassen
von Thomas Binder
Mit dem Hand- und Arbeitsbuch für den Schach-Trainer legen Großmeister Luther und seine Co-Autoren ein mehrbändiges Standardwerk für Schachtrainer jeden Leistungsniveaus vor. Neben der Erläuterung rein schachlicher Themen – immer mit dem Schwerpunkt auf deren Vermittlung im Training – stehen trainingstheoretische und allgemein schachliche Beiträge, die das Wissen des Trainers abrunden. Das Werk ist bereits jetzt umfassend, aber lässt die Tür für eine Fortsetzung offen.
Thomas Luther ist ein deutscher Schachgroßmeister, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere zu den besten Spielern seines Landes gehörte. Er war dreimal deutscher Einzelmeister (zuletzt 2006) und spielte bei fünf Schacholympiaden (darunter einmal für die internationale Auswahl der Körperbehinderten). Inzwischen ist er nur noch gelegentlich am Turnierbrett anzutreffen, arbeitet vornehmlich als Trainer und vertritt zudem die Interessen behinderter Schachfreunde beim Weltverband FIDE.
Als Trainer geht Luther weit über das reine Training – zu seinen Schützlingen gehörte u.a. die spätere Weltklassespielerin Elisabeth Pähtz – hinaus und widmet sich der Ausbildung von Trainern sowie den theoretischen Grundlagen des Schachtrainings.
850 Seiten geballtes Wissen
Im Dresdner JugendSchach-Verlag hat Thomas Luther nun unter Mitarbeit einer Reihe weiterer namhafter Schachtrainer das dreibändige “Hand- und Arbeitsbuch für den Schach-Trainer” vorgelegt. Das sind über 850 Seiten geballtes Wissen und Material für Trainer jeder Leistungs- und Erfahrungsstufe – ein Standardwerk im besten Sinne, das das Zeug hat noch für Generationen von Schachausbildern gute Dienste zu leisten.
Band 1 und 2 bauen inhaltlich aufeinander auf und Band 3 ist als „Materialband“ betitelt. Er enthält ein weiteres Füllhorn an Aufgaben und einige ausführliche Texte, auf die in den vorherigen Kapiteln verwiesen wurde.
Auch für Einsteiger mit mehr Begeisterung als Spielstärke

Der Einsteiger mit mehr Begeisterung als Spielstärke kann das Werk quasi als Trainer-Lehrbuch durcharbeiten, wird aber wohl von der Fülle des Materials erschlagen sein. Ohne einen erfahrenen Mentor wird er auch mit der besten Lektüre nicht vorankommen. Bereits aktive Trainer, die möglichst auch eigene praktische Erfahrung als Spieler mitbringen – egal auf welchem Liganiveau – finden ein Kompendium an Ratschlägen und Materialien von unschätzbarem Wert. Selbst sehr erfahrene und spielstarke Trainer werden es zu schätzen wissen, hier ihre Materialsammlung zu ergänzen und manch interessante Hintergrundinformation erhalten, die ihnen bisher entgangen war.
Im Großen und Ganzen kann man den Inhalt in drei Komplexe einteilen, die sich kapitelweise verschränken, so dass der Leser insgesamt vom Elementaren zum Komplizierteren geführt wird.
Klassisches Schachlehrbuch für Trainer

Da sind zum einen die Abschnitte, die sich zu einem nahezu klassischen Schachlehrbuch zusammenstellen ließen. Der Adressat ist aber auch hier bereits der Trainer. Alles wird unter dem Gesichtspunkt der Vermittlung an den Lernenden dargestellt. Nach Grundübungen zu den Spielregeln und den Besonderheiten der Figuren folgen weiterführende Schachlektionen. Diese unterteilen sich in die Abschnitte „Eröffnung“, „Taktik I“, „Endspiel I“ (Bauernendspiele), „Strategie“, „Taktik II“ und „Endspiel II“ (Turmendspiele). Bei den Eröffnungen bleibt Luther erwartungsgemäß knapp. Es geht hier nur sehr begrenzt um konkrete Varianten, mehr um die Grundprinzipien, die der Trainer seinem Schüler vermitteln muss. Im Endspiel konzentriert sich der Autor mit Bauern- und Turmendspielen auf diejenigen Typen, die in der Praxis besonders wichtig sind.
Vom “Gummiband-Motiv” bis zum Turnier-Wertungssystem

Auch hier habe ich kaum ein wichtiges Thema vermisst. Sehr gut gelungen sind die Kapitel zu Taktik und Strategie. Im Taktik-Apparat werden erwartungsgemäß die wichtigsten Kombinationsmotive vorgestellt. Sie sind mit anschaulichen Beispielen illustriert und mit Liebe zum Detail aufbereitet. Das „Gummiband-Motiv“ hat man z.B. schon oft gesehen, aber bisher nicht unter diesem Namen gekannt. Die Strategie-Themen sind erfreulich ausführlich, wobei der Schwerpunkt auf der Bauernstruktur liegt. Auch hier erleichtern die Partiebeispiele das Verständnis enorm.
Nicht vergessen werden auch jene Schachtrainer, die wegen geringer Erfahrung im Turnierschach noch ein paar Erläuterungen zu Turnier- und Wertungssystemen benötigen. Der Anhang von Band 1 ist für sie geschrieben.
Alle bereits bei der inhaltlichen Besprechung mit prägnanten Beispielen erläuterten Themen werden jeweils durch umfangreiche Teststellungen und Arbeitsblätter (sowohl im Haupt- wie im Materialband) ergänzt.
Pionierarbeit in Sachen Trainingsmethodik
Ein zweiter Komplex sind Kapitel zur Trainingsmethodik. Dass es darüber in dieser Ausführlichkeit und Detailschärfe praktisch keine vergleichbare Literatur gibt, hätte den Wert der vorliegenden Arbeit schon allein begründet. Der große Erfahrungsschatz der Autoren tut ein Übriges. Es wimmelt nur so von praktischen Ratschlägen, liebevoll bis ins Detail ausgearbeitet – von der richtigen Position des Trainers vor dem Demobrett bis zu den Besonderheiten des Trainings für Spät- oder Wiedereinsteiger. Zudem werden einzelne Trainingsansätze vorgestellt, von denen auch manch erfahrener Schachcoach wohl noch nichts gehört hat. Vieles wird dabei im Zusammenhang mit den inhaltlichen Themen vermittelt, ein weiterführendes Kapitel über Schachtraining und ein Ausblick auf das Hochleistungstraining schließen den zweiten Band ab.
Schachmedizinische und -psychologische Elemente berücksichtigt
Schließlich gibt es einen Komplex von Beiträgen zur Wissensvermittlung, die über das Kerngeschäft des Schachtrainers hinausgehen, dessen Schachwissen aber abrunden sollen. So gibt es in jedem der beiden Hauptbände je ein Kapitel zur Schachgeschichte und zur Schachpsychologie, außerdem einen umfassenden Abschnitt über das schachtypische Talent und seine Messung sowie u.a. über „Wunderkinder“ und Beiträge über medizinische Aspekte (u.a. Doping).
Tadelloses Buch-Outfit

Dem hohen Aufwand, den die Autoren in ihr Werk gesteckt haben, trägt auch die äußere Aufmachung Rechnung. Alles ist tadellos layoutet und angenehm lesbar, selbst in den weniger bebilderten Abschnitten. Schreibfehler halten sich in einem so kleinen Rahmen, dass sie den Wert der Bücher in keiner Weise trüben.
Dem Aufbau aus abgeschlossenen Abschnitten verschiedener Autoren ist es geschuldet, dass manches nicht ganz konsistent über den Tisch kommt. Im Kapitel über das Remis wird z.B. die 50-Züge-Regel verschwiegen und die Stellungswiederholung nur als Zugwiederholung behandelt. Andererseits wird das Dauerschach vorgestellt – wir sind hier eben nicht in der Regelkunde, sondern in praktischen Überlegungen zur Punkteteilung.
Etwas knapp kommen dabei „technische Remisstellungen“ weg, wenn z.B. nur erwähnt (aber nicht erklärt) wird, dass die Dame gegen einen Läuferbauern auf der vorletzten Reihe nicht gewinnen kann – ganz abgesehen davon, dass dies auch für den Randbauern gilt. Die konsistente Darstellung der Remisformen findet sich später im Materialband in einem Kapitel über praxisrelevante Regelfragen.
Kontroverse Meinungen zu einigen Themen
Die Autoren scheuen sich auch nicht, zu einigen Themen kontroverse Meinungen zu vertreten. Das ist sogar eine Stärke des Buches. Man hat immer den Eindruck, von Luther und seinen Kollegen direkt angesprochen zu werden – ihre persönliche Sicht und Erfahrung teilen zu dürfen. Dennoch wird man ihnen nicht an allen Punkten zustimmen. Unangenehm ist mir z.B. der despektierliche Umgang mit der Geschichte eines deutschen „Wunderkindes“ aus den 1960er-Jahren aufgefallen.
Wunsch: Ein weiterer Band zu neuen Detail-Fragen

Nun kann man ein noch so umfangreiches Trainerlehrbuch schreiben, es wird immer Wünsche geben, die offen bleiben. Was die rein schachlichen Inhalte des Werkes betrifft, haben die Autoren sich offenbar auf einen Level an Tiefe und Komplexität geeinigt, den sie nicht überschreiten wollten. Das ist verständlich und es ist ihnen gut gelungen. Über alle Themen halten sie diese Vorgabe sehr konsequent ein, sorgen somit dafür, dass das Gesamtwerk an Umfang und Anspruch genau die Erwartungen erfüllt. Der Weg, hier und da noch weiter ins Detail zu gehen oder neue Themen aufzugreifen, ist ja nicht verbaut – ein weiterer Band wäre vorstellbar, Stoff dafür sicher mehr als genug vorhanden. Vielleicht darf dies hiermit sogar als Wunsch formuliert sein!?
Digitalzeitalter zu kurz gekommen
Wenn wir bei den Wünschen sind – was fehlt mir noch? Zunächst könnte der Verlag an zwei Stellen für etwas mehr Übersichtlichkeit sorgen: In der Kopfzeile jeder Seite stehen neben der Seitenzahl nur der verkürzte Buchtitel und der Name des Autors. Hilfreich wäre es, hier jeweils das aktuelle Kapitel zu notieren, gern auch den jeweiligen Unterabschnitt. Außerdem würde ich mir ein Sachregister (meinetwegen auch ein Namensregister der zitierten Meisterpartien) wünschen. Dem Aufbau des Werkes ist es geschuldet, dass sich Themen überschneiden und später wieder aufgegriffen werden, da wäre ein Register hilfreich.

Inhaltlich wünsche ich mir ein verstärktes Eingehen auf die Erscheinungsformen des Digitalzeitalters. Überspitzt formuliert: Das vorliegende Werk hätte so auch schon vor 30 Jahren geschrieben werden können. Ausführliche Abschnitte über Training und Analyse mit Computer-Unterstützung, über digitale Trainingsmedien – seien es professionelle Produkte oder frei verfügbare Internet-Videos – und schließlich natürlich über das Schachspielen auf Online-Servern mit all seinen Facetten sollten unbedingt Berücksichtigung finden. Das sind Fragen, mit denen man selbst beim Training jüngerer Schüler frühzeitig konfrontiert wird.
Vielleicht können die Autoren aus ihrer reichen Erfahrung auch noch mehr konkrete Tipps für die Organisation kleiner Turniere und praktische Ratschläge für das Verhalten bei Schachturnieren (für Spieler wie Trainer!) einfügen. Das wäre wiederum Stoff für ein ganzes Kapitel.
Dem Potential dieses neuen Standardwerkes ist mit solchen Ergänzungswünschen kein Zweifel angetan. Schon jetzt liegt ein beispielloses Werk vor, aus dem Schachtrainer unendliche Anregungen und noch mehr anwendungsbereite Beispiele schöpfen können. ♦
Thomas Luther u.a: Hand- und Arbeitsbuch für den Schach-Trainer, Bände 1-3, je 288 Seiten, JugendSchach Verlag Dresden
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Schach-Training auch über Franco Zaninotto: Aus Fehlern lernen
Ich freue mich, dass einer der Co-Autoren einen substantiellen Kommentar geschrieben hat. Die Ausführungen von Heinz Brunthaler ergänzen meine Rezension stimmig. Ich konnte in der Tat nicht auf alle Aspekte eingehen und bedanke mich für die Ergänzungen. Die gewünschte Fortsetzung zu den Themen “Training mit modernen Medien” und “Spielen im Internet” (sowie einige Vertiefungen an anderen Stellen) wäre dennoch interessant, gerade wenn die Autoren dazu kritische und warnende Hinweise geben können.
Als ein Mitglied des Autorenteams um Thomas Luther möchte ich zu dieser Rezension etwas hinzufügen.
Das “Handbuch …” wurde nicht nur für Schachtrainer geschrieben, sondern auch für alle, die sich auf wissenschaftlicher oder journalistischer Ebene mit Schach beschäftigen. Das kommt in der Rezension nicht klar zum Vorschein. Vor allem für eine eventuelle universitäre Schachlehrer-Ausbildung fehlte bis jetzt entsprechende Literatur und diese Lücke wollten wir schließen.
Nicht erwähnt wurde auch, dass das Handbuch einen kompletten Schachkurs mit Aufgaben- und Testblättern für ca. 2 Unterrichtsjahre enthält. Diese können kopiert werden und ersparen dem Trainer / den Schüler-Eltern so den Kauf von Heften, was alleine schon den Preis der Reihe mehr als amortisiert. Die Aufgabenblätter decken u.a. den ganzen Bereich der Taktik ab.
Der Rezensent hat den Bereich Schachpsychologie nicht näher betrachtet. Das ist schade, denn es ist m.w. seit Dr. Munzert die erste deutschsprachige Publikation zu diesem Thema. Nach einer Einführung in Entwicklung und Grundlagen der Schachpsychologie folgt in Bd.2 eine umfangreiche Betrachtung praktischer Anwendungen für den Trainer. Das wäre wohl erwähnenswert gewesen.
Der Wunsch des Rezensenten nach mehr zum Thema Schach und Internet ist zwar verständlich, aber nicht leicht zu erfüllen. Gruppenunterricht im Internet ist ja erst ein Thema seit Corona und allgemein ein Neuland für Pädagogen. Zum Internet Unterricht und Training gibt es kaum belastbare Daten. Was die einzelnen Programme, Plattformen etc. angeht, wäre eine Expertise nötig, die unser Team ganz einfach nicht hat. Zudem würde alles sehr schnell veralten. Ein Beispiel ist Chessable, das es noch nicht lange gibt und das auf Forschungen von Prof. Barry Hymer beruht, der diese gerade erst in seinem Buch mit Peter Wells “Chess Improvement”, 2020, veröffentlicht hat. Da das Handbuch eine Bearbeitungszeit von ca. 2 Jahren hatte (ca. 1.000 Arbeitsstunden) und durch Corona noch etwas verzögert wurde, wären viele Angaben zu Internetthemen bereits bei Druckbeginn veraltet oder zu revidieren. Auch sind viele Meinungen dazu kontrovers.
Wer sich für das Thema Internettraining interessiert, sollte sich im Internet umtun, vor allem im englischsprachigen.
Persönlich kann ich übrigens vor frühem Spielen im Internet nur warnen. Ich habe für ein neues Buchprojekt einige statistische Auswertungen und Stichproben gemacht, die für den Bereich 1.000 – 1.400, der also die meisten Trainees umfasst, fürchterliche Werte zeigt. Vor allem die kostenlosen Plattformen, auf denen sehr viele Schachfreunde spielen, die nie im Verein waren, haben ein sehr niedriges Niveau, ganz besonders in Blitzpartien. Aber dies zu wissen hilft ja nicht, die Leute wollen spielen, auch wenn dies ihrer Entwicklung schadet.
Für Hinweise und Anregungen zu diesen Bereichen bin ich stets dankbar und aufgeschlossen.
Gruß Heinz Brunthaler