Inhaltsverzeichnis
Übungsziel: Fehlgriffe minimieren
von Ralf Binnewirtz
Das neueste Buch des italienischen FIDE-Meisters und Schach-Trainers Franco Zaninotto ist der Kategorie “Test- und Trainingsbücher” zuzurechnen. Zaninottos Anliegen in “Aus Fehlern lernen” ist es, dem bereits mit einem grundlegenden Schachwissen ausgestatteten Spieler durch ein gezieltes Training zu einer allmählichen Verbesserung seiner Fähigkeiten zu verhelfen. Damit einher gehen sollte auch ein gestärktes Vertrauen des Trainierten in seine so erworbenen Fähigkeiten. Den eigentlichen Trainingseinheiten (Tests) sind einführende, lehrbuchhafte Kapitel vorangestellt, die auf die anschliessenden Tests vorbereiten. Die Zielgruppe ist nicht allzu scharf umrissen, man kann sie im Elo-Bereich 1400 bis 2000 (Spieler der Kategorie 1 bis 3) ansiedeln.
In didaktisch bewährter Manier folgt Zaninotto klassischen Vorbildern (wie z.B. Tarrasch: “Das Schachspiel” 1931), wenn er mit der Behandlung des Endspiels beginnt, um mit dem Mittelspiel und endlich der Eröffnung fortzufahren. Diese Abfolge ist u.a. deswegen sinnreich, als für die Übergänge zwischen den Partiephasen Mittelspiel/Endspiel, zuweilen auch Eröffnung/Mittelspiel profunde Endspielkenntnisse oft unerlässlich sind. Den drei o.g. Partieabschnitten entsprechend ist das Buch in drei Teile – mit jeweils diversen Kapiteln – gegliedert. Hierbei werden zunächst die wichtigsten Grundlagen zur betreffenden Partiephase vermittelt und anhand von analysierten Partien bzw. Partiefragmenten illustriert, wobei bereits hier gelegentliche Übungsfragen an den Leser eingestreut werden. Wichtige Merk- und Grundsätze werden zudem durch farblich unterlegte Textkästen hervorgehoben. Zum Schluss eines jeden Teils findet sich zunächst ein Kapitel Tests mit 20 Übungsaufgaben, diese in Diagrammform und lediglich mit der Angabe versehen, wer am Zuge ist.
Typische Fehler von Elo-2000-Spielern
Der Löser ist daher gefordert, selbst herauszufinden, ob und auf welche Art ein Gewinn oder ein Remis zu erzielen ist oder vielleicht nur eine Fortsetzung aufzuspüren ist, die dem Gegner die relativ grössten Probleme bereitet. Im nachfolgenden abschliessenden Kapitel Lösungen werden selbige in ausführlicher Kommentierung angegeben, wobei nochmals die zugehörigen Diagramme (hier mit den Partiedaten) abgedruckt sind – eine erfreuliche Hilfestellung.
Für die Partieauswahl wurden weitestgehend Spieler mit einer Elo-Zahl unterhalb 2000 berücksichtigt, also mit einem recht geringen Bekanntheitsgrad: Hier mag sich der Leser selbst wiederfinden und vielleicht auch die typischen Fehler, die er gelegentlich begeht, und die er abzustellen trachtet. Das Gros der Partien stammt aus Turnieren und Wettkämpfen der letzten Jahre. Unstimmigkeiten im Text treten selten auf, so muss auf S. 70 / Übung 19 unter 4) der richtige Lösungszug offenbar 49…Lh3! lauten (statt des unmöglichen Ld3).
Buch-Struktur und -Inhalt
Teil I – Das Endspiel bietet vier einführende Kapitel, die verschiedenen Endspieltypen gewidmet sind:
Kap. 1 Bauernendspiele behandelt die wichtigsten Elemente und Regeln dieser Endspiele wie Przepiórka-Linie, Opposition/Fernopposition, Quadrat-Regel, Freibauer (entfernter), Tempomanöver (Dreiecksmarsch des Königs).
Kap. 2 Turmendspiele konzentriert sich auf die am häufigsten auftretenden Endspiele T + Bauer(n) gegen T; diskutiert werden u.a. die Philidor-Stellung, die Lucena-Stellung, der Brückenbau, das Abschneiden des gegnerischen Königs.
Kap. 3 Sonstige Endspiele berücksichtigt die Endspiele K+L+B gegen K; L+B gegen L; L+BB gegen L; D gegen B bzw. BB; D+B gegen D; T gegen L; T gegen S.
Kap. 4 Strategische Endspiele befasst sich mit Endspielen, deren Ausgang noch ungewiss ist, wo zunächst Stellungsbewertung und Planfindung einsetzen müssen und der Übergang in ein technisches Endspiel (der Kap. 1 bis 3) zu einem späteren Zeitpunkt ansteht. Faktoren wie die Aktivität des Königs (und ggf. der Figuren), die Bauernstellung/-schwächen und der Raumvorteil nehmen eine spielbestimmende Rolle ein. Bei den Partiebeispielen wurden verschiedene Materialkonstellationen (mit Türmen, Leichtfiguren, Bauern) ausgewählt.
Zum Selbsttest ein Bauernendspiel (aus Kap. 5/6 – Tests / Lösungen):
Übung 14
Schwarz am Zug
8/2p5/5k2/2PPp3/1p3pK1/1P6/8/8 b – – 0 1
(Lösungen am Ende des Beitrags)
Teil II – Das Mittelspiel verzeichnet drei vorbereitende Kapitel:
Kap. 7 mit der unerwarteten Kapitelüberschrift Schachkultur diskutiert Felderschwächen, Angriffsmarken, Bauernstrukturen und hierdurch bedingte Figurenaktivitäten. Lehren und Leitsätze der Klassiker (Steinitz, Tarrasch, Nimzowitsch) werden herangezogen, um die statischen Elemente der Schachstrategie zu beleuchten. So hat sich bereits Steinitz über dauerhafte und temporäre Stellungsvor-/nachteile und deren Behandlung ausgelassen. Auf die Unverzichtbarkeit eines Studiums der Klassiker wird hingewiesen.
Kap. 8 Fehler und Denkweisen behandelt vermeidbare Fehler und deren Vermeidung insbesondere durch Fehlerkontrolle, eine Methodik der Vorausberechnung, prophylaktisches Denken (nach Dworetski), sowie die richtige Nutzung der Bedenkzeit.
Kap. 9 Planfindung thematisiert die Bewertung von Stellungen und die darauf beruhende Entwicklung eines strategischen Plans.
Auch hier eine kleine Kostprobe aus Kap. 10 / 11 – Tests / Lösungen:
Übung 32
Schwarz am Zug
r3r1k1/5pbp/p5p1/qp2N3/2pPn1P1/P1PbB2P/1P3P1N/2K1Q1RR b – – 0 1
Teil III – Die Eröffnung kann selbstredend keine Abhandlung sämtlicher Eröffnungssysteme bieten. Das 12-seitige Kap. 12 Das Eröffnungs-Repertoire vermittelt wesentliche Grundprinzipien der Eröffnung, rät zum Aufbau eines soliden Repertoires und erläutert die Massnahmen, die der Vorbereitung auf den nächsten Gegner dienen.
Vielleicht versuchen Sie sich an einer Aufgabe aus Kap. 13 / 14 – Tests / Lösungen?
Übung 52
Schwarz am Zug
r1bqk2r/1p2bppp/p1np1n2/4p1B1/4P3/N1NB4/PPP2PPP/R2QK2R b KQkq – 0 1
Trainingsaufgaben der Zielgruppe angepasst
Der Autor hatte bei der Auswahl der Übungsaufgaben seine Zielgruppe im Blick und daher darauf geachtet, dass stets einer der Kontrahenten deutlich unter Elo 2000 liegt. Damit wird das Trainingsniveau dieser Spielstärke-Gruppe (mit den für sie charakteristischen Fehlzügen) angepasst bzw. vermieden, dass die Löser mit allzu anspruchsvollen Aufgaben überfordert werden. Die generell unspezifizierte Aufgabenstellung sorgt dafür, dass die Löser sich zunächst grundlegend über die Stellung klar werden müssen, dass Kandidatenzüge und zugehörige Varianten zu prüfen sind, um letztlich die richtige Entscheidung zu treffen. Hierbei ist natürlich die Einbeziehung taktischer wie auch positioneller Überlegungen erforderlich. Nach Massgabe des Autors soll schliesslich nicht nur innerhalb einer vorgegebenen Zeit (meist 10 Min.) der Schlüsselzug gefunden werden, sondern auch die mit letzterem verknüpfte Idee.
Die Angaben in den Lösungen gehen oft deutlich darüber hinaus, teils werden die Partien bis zum Ende ausgeführt. Die Partien selbst sind wenig spektakulär, hier sollte die Erwartungshaltung des Lesers nicht zu hoch sein. Indes gerät dieser Umstand dem didaktischen Anliegen des Buchs nicht zum Nachteil. Im Vordergrund stehen die Vermeidung und Ausnutzung von Fehlern, das Erlernen und Einüben technischer Fertigkeiten, das solide schachliche Handwerk. Dies ist nicht an einem Tag erlernt, sondern bedingt einen langwierigen Prozess, der dem Lernenden ein unaufhörliches Training abverlangt.
Verinnerlichen durch Wiederholen
Jedenfalls ist der Lerneffekt bei der beschriebenen Vorgehensweise wohl etwas besser als bei Trainingsbüchern, die Übungen mit gezielten Fragestellungen versehen oder direkt eine Auswahl von Antworten (nach dem Multiple-Choice-Verfahren) anbieten. Zudem empfiehlt Zaninotto, die Lektüre inklusive Übungen mehrmals und in grösserem zeitlichen Abstand, dann aber mit reduzierter Bedenkzeit zu wiederholen, um den Stoff zu verinnerlichen. Es ist klar, dass ein Trainingserfolg sich nur einstellen kann, wenn der lernende Schachfreund bereit ist, sich diesem Programm zu unterwerfen: persönliche Motivation und Durchhaltevermögen werden den Erfolg bestimmen.
Resümee: Im Wesentlichen ein Test- und Trainingsbuch für Spieler unterhalb Elo 2000, werden in diesem Werk nicht nur Testaufgaben mit Lösungen präsentiert, sondern vorab auch die wichtigsten Grundlagen und Merkregeln zu den drei Partiephasen (Endspiel, Mittelspiel, Eröffnung) erläutert. Die abschliessenden 3 x 20, also insgesamt 60 Testaufgaben (ohne spezifische Fragestellung) kopieren die Situation beim Kampf am Brett. Gemeinsam mit den Übungen in den Beispielpartien scheint diese Konzeption gelungen und geeignet, den talentierten wie fleissigen Schachfreund zu ertüchtigen, die Zahl der eigenen Fehlgriffe zu minimieren, zugleich gegnerische Fehler schnell zu erkennen und auszunutzen. ♦
Lösungen
Übung 14
Laszlo Lorincz (1833) – Istvan Farkas (1569)
Ungarn 2016
Um zu gewinnen, muss Schwarz dieselbe Stellung mit Weiss am Zug erreichen – und das ist bekanntlich mit Hilfe eines Dreiecks-Manövers zu bewerkstelligen.
59…Kf7
1) Es geht auch 59…Ke7 60.Kf3 Kf7 61.Ke4 Kf6-+.
2) Nicht jedoch 59…c6? 60.d6! Ke6 61.Kf3 Kd7 62.Ke4 Ke6 63.Kf3=.
60.Kf3 Ke7 61.Kg4 Kf6
Wir haben die Diagrammstellung mit Weiss am Zug erreicht!
62.Kf3 Kf5 63.Kf2 e4 64.Ke2 Ke5 65.d6 cxd6 66.c6 Ke6 und Schwarz gewinnt.
In der Partie folgte fehlerhaft 59…e4?? 60.Kxf4 e3 61.Kxe3 Ke5 62. D6 cxd6 63.cxd6?
63.c6 Ke6 64.Kd4 d5 65.Kc5 d4 66.Kb6! d3 67.c7 Kd7 68.Kb7+-
63…Kxd6 64.Kd4 Kc6 65.Kc4 Kb6?
65…Kc7 66.Kxb4 Kb6=
66.Kxb4 und Weiss gewann.
Übung 32
Anum Sheikh (1471) – Keith Aitchison (1716)
London 2016
23…Txe5!
Denn der Läufer wird sehr nützlich für den bald folgenden Königsangriff sein. Auch nach 23…Lxe5?! 24.dxe5 Txe5 25.Ld4 Te6 stünde Schwarz viel besser, aber Weiss könnte sich noch zur Wehr setzen.
24.dxe5 b4!
Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie auch diesen Zug in der Planung gesehen haben!
1) Ausreichend war auch 24…Lxe5 mit der Eventualfolge 25.Sf3 Lxc3 26.Dd1 Lxb2+ 27.Kxb2 c3+ 28.Kb3 Lc4+ 29.Kc2 Da4+ 30.Kb1 Dxa3 31.Dc2 Ld3.
2) In der Partie folgte 24…Lf8? 25.f3 Sc5 26.Lxc5 Lxc5 -/+.
25.cxb4
Natürlich nützen auch Verzweiflungstaten wie 25.Lc5 bxc3-+ oder 25.Lb6 Dxb6-+ nichts mehr.
25…Dxe5 nebst Matt in wenigen Zügen.
Übung 52
Lutz Neumann (1830) – Siegfried Huttinger (1493)
Bodenmais 2017
Die Diagrammstellung wurde auf folgendem Wege erreicht: 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 e5 6.Sdb5 d6 7.Lg5 a6 8.Sa3 Le7 9.Ld3?
Besser war 9.Lxf6 Lxf6 10.Sc4+/= oder 9.Sc4+/=.
1) Nach dem Standardzug 9…b5? und der Folge 10.Lxf6 Lxf6 11.Sd5 Le6 entstand eine ausgeglichene Stellung.
2) Viel besser war 9…Sxe4! mit einem Mehrbauern nach 10.Lxe7
(10.Lxe4 Lxg5 11.Sc4 Sd4)
10…Sxc3 11.Lxd8 Sxd1 12.Txd1 Kxd8 und nun z.B. 13.Sc4 Kc7 14.Le4 Td8 15.Se3 Se7-/+.
Franco Zaninotto: Aus Fehlern lernen, Joachim Beyer Verlag / Eltmann, 169 Seiten, ISBN 978-3-95920-082-0
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema Schachtraining auch über Rudolf Teschner: Schach in 40 Stunden
…sowie zum Thema Schach für Kinder über das Schachmärchen von Gert von Ameln: Salin und der Schwarze Zauberer