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Ein Georgien voller Lebensfreude
von Katka Räber
Der in Schweden lebende 40jährige Regisseur Levin Akin kehrt mit seinem neuen Film “And Then We Danced” zu den Wurzeln seiner Eltern zurück und behandelt eindrücklich die Diskrepanz zwischen Tradition und Moderne im jetzigen Georgien. Ein Film voller Lebenskraft, Jugendlichkeit, Sinnlichkeit und Tanz. Und das alles in der Hauptstadt Georgiens, in Tiflis, wo das nationale georgische Staatsballett hart an den traditionellen Tänzen trainiert.
Der junge Tänzer Merab tanzt seit seiner Jugend in diesem Corps, er geht in den Fussstapfen seiner Eltern, die zwar als Startänzer und Solosängerin ebenfalls an der Spitze der Kunstszene gestanden hatten, heute aber ein trauriges Dasein fristen. Der Vater verkauft an einem Flohmarkt, und die Mutter lebt ihre Depression nur noch zu Hause aus. Und doch bedeutet für Merab das Tanzen das Leben. Seit seiner Kindheit tanzt er mit der gleichen Tänzerin, die sich auch im Leben als seine Freundin sieht.
Jugendlichkeit zwischen Tradition und Moderne

Alles wird erschüttert und in Frage gestellt, als der lebensfrohe und ebenfalls sehr tanzbegabte Irakli im Ensemble auftaucht, der sich schnell als Konkurrent von Merab entpuppt. Der traditionelle Nationaltanz in besonderen Kostümen duldet keine sinnlichen Anspielungen, das Training ist streng und hart.
Im Gegensatz dazu erleben wir sehr sinnlich die jugendliche Körperlichkeit des Ensembles und auch das private Alltagsleben seiner Mitglieder. Vor diesem Hintergrund erwachen natürlich auch sexuelle Begehrlichkeiten nicht nur zwischen den Tanzpaaren, sondern auch unverhofft zwischen den beiden Hauptprotagonisten und Rivalen.
Dies alles wird sehr feinfühlig, aber auch vielschichtig dargestellt. Wir nehmen teil an georgischen Trink- und Essgewohnheiten, an der georgischen Freude an Festivitäten, aber auch am sparsamen, bescheidenen Alltags- und Familienleben.
Hinreissendes politisches Kunsterlebnis
Die beiden Hauptprotagonisten Levan Gelbakhiani und Bachi Valishvili tanzen hinreissend, sind aber auch sehr überzeugende Schauspieler. Der Film wird damit zu einem allumfassenden, auch gesellschaftspolitischen Kunsterlebnis und zu einer Kinoreise ins ferne Georgien, das sicher vom Humor und von der Menschlichkeit her gar nicht so weit entfernt liegt. In der ursprünglichen „Kulisse“ des traditionellen Tanzes wird ein jetziges, sprudelndes, aufbrechendes Lebensgefühl gezeigt, mit grosser Spannung auch zur Kirche, der jetzigen Moral.
Die jungen Leute sehen sich konfrontiert mit der ursprünglich abgelehnten Homosexualität und den tradierten Familienbanden, zwischen dem Druck der Tradition und der Sehnsucht nach Offenheit und Freiheit stehend, in der aber auch die eigenen Talente ausgelebt werden können.
Wie noch selten auf einer Leinwand erleben wir den prickelnden Wunsch nach Verbindung von Tradition und Moderne, natürlich und voller jugendlicher Lebensenergie, die sich auch aufs Publikum überträgt.
“And Then We Danced” feierte letztes Jahr in Cannes Weltpremiere und wurde von Schweden als Oscarbeitrag eingereicht. ♦
Levan Akin: And Then We Danced, Georgien/Schweden 2019, 113 Minuten
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… sowie zum Thema Homosexualität über Nini & Treadwell: Loving – Männer, die sich lieben (Fotoband)