Erik Chisholm: Violinkonzert & Dance Suite (CD)

Legendenhafte Stimmung trifft manische Vehemenz

von Wolf­gang-Armin Rittmeier

Seit jeher haben es Kom­po­nis­ten Albi­ons schwer auf „dem Kon­ti­nent“. Schon Elgar wird auf deut­schen Podien – sieht man von den „Enigma-Varia­tio­nen“, dem „Cel­lo­kon­zert“ und dem Marsch „Pomp and Cir­cum­s­tance Nr. 1“ ein­mal ab – nicht eben häu­fig gespielt. Ralph Vaug­han Wil­liams‘ ergeht es noch schlech­ter, und von Holst, Bridge, Walton, Scott, Moeran, Alwyn, Brian, Arnold, Howells und vie­len, vie­len ande­ren muss man an die­ser Stelle schwei­gen. Noch unbe­kann­ter sind die meis­ten schot­ti­schen Kom­po­nis­ten – Kom­po­nis­ten, für deren Werk sich seit vie­len Jah­ren der bri­ti­sche Diri­gent Marytn Brab­bins einsetzt.

Erik Chisholm: Violinkonzert / Dance Suite for Orchestra and Piano / Preludes from The True Edge of the Great World, Matthew Trusler (Violine), Danny Driver (Klavier), BBC Scottish Symphony Orchestra, Martyn Brabbins, Audio-CD, 63 Minuten, Hyperion CD-LabelEiner jener gros­sen Unbe­kann­ten ist Erik Chis­holm. Auf einer jüngst bei dem bri­ti­schen Label Hype­rion erschie­ne­nen CD prä­sen­tie­ren Brab­bins und das BBC Scot­tisch Sym­phony Orches­tra nun ver­schie­dene Orches­ter­werke des aus Glas­gow stam­men­den Kom­po­nis­ten und Diri­gen­ten. Es sind keine Werke, die in irgend­ei­ner Form einen roman­ti­sie­ren­den Schott­land-Topos bedie­nen wür­den. Nicht umsonst nennt John Pur­ser (in sei­nem her­vor­ra­gen­den ein­lei­ten­den Essay) ihn darum „Den Moder­nen aus Schottland“.
Denn ein Moder­ner war Chis­holm durch und durch. Als Kon­zert­ver­an­stal­ter hat er Bar­tók und Hin­de­mith nach Glas­gow geholt, hier hat er auch immer wie­der Werke von Flo­rent Schmitt und Karol Szy­ma­now­ski und Casella auf­ge­führt, und als Kom­po­nist ent­wi­ckelte er – wie es Pur­ser zurecht anmerkt – eine moderne „Ton­spra­che ohne Vor­bild“ und hin­ter­liess ein Werk, das ein „wah­res Aben­teuer in emo­tio­na­ler und intel­lek­tu­el­ler Hin­sicht“ ist.
Gros­ses Inter­esse zeigte Chis­holm sein Leben lang an gäli­scher und – nach sei­nem kriegs­be­ding­ten Auf­ent­halt in Bom­bay – an der rei­chen Musik Indi­ens. Und diese bei­den Inter­es­sens­schwer­punkte fokus­siert auch die vor­lie­gende CD.

Pendeln zwischen Meditation und Ekstase

Martyn Brabbins - Glarean Magazin
Spe­zia­list für die schot­ti­sche Moderne: Diri­gent Mar­tyn Brab­bins (Geb. 1959)

Das Vio­lin­kon­zert aus dem Jahr 1950 bezieht sich im ers­ten und im drit­ten Satz auf zwei nord­in­di­sche „Ragas“, dem Raga Vasan­tee und dem Raga Sohani. Aus bei­den lei­tet Chis­holm the­ma­ti­sches Mate­rial für seine Kom­po­si­tion ab. Gleich der Ein­gangs­satz beinhal­tet – gleich­sam als Pars pro toto – die Band­breite der Aus­drucks­mög­lich­kei­ten Chis­holms. Es han­delt sich hier um eine for­mal wei­ter­ent­wi­ckelte Pas­sa­ca­glia, die inhalt­lich – dem Raga Vasan­tee gemäss – um den Früh­ling kreist. Die­ser Früh­ling ist aller­dings nichts weni­ger als eine roman­ti­sche Vision. Viel­mehr pen­delt er – daran an Stra­win­skys „Sacre“ erin­nernd – kon­ti­nu­ier­lich zwi­schen Medi­ta­tion und vehe­men­ter Ekstase, zwi­schen Depres­sion und Manie hin und her. Chis­holms Musik setzt unge­heuer stark auf Rhyth­mik, hat einen wil­den Zug nach vorn, steht emo­tio­nal unter enor­men Druck, ent­lädt sich gleich­sam zyklisch und fällt schliess­lich immer wie­der zurück in Momente des Dunk­len und Düs­te­ren. Ob eben in der eröff­nen­den Pas­sa­ca­glia, dem sich anschlies­sen­den „Alle­gro scher­z­ando“, der „Aria in modo Sohani“ und in der abschlies­sen­den „Fuga senza tema“: Der Hörer erlebt im Rah­men des gut halb­stün­di­gen Vio­lin­kon­zer­tes einen unab­läs­si­gen Rausch, der sei­nes­glei­chen durch­aus sucht.

Komponist von Musik mit weitem emotionalem Spektrum: Erik Chisholm (1904-1965)
Kom­po­nist von Musik mit wei­tem emo­tio­na­lem Spek­trum: Erik Chis­holm (1904-1965)

Sowohl der Orches­ter­satz als auch im Beson­de­ren der Solo-Part stel­len dabei höchste Ansprü­che an die Aus­füh­ren­den. Glän­zend bestehen hier das BBC Scot­tish Natio­nal Orches­tra und Gei­ger Matthew Trus­ler. Obwohl sei­nem Ton etwas der Kör­per abzu­ge­hen scheint, so ist er der Vir­tuo­si­tät der Par­tie voll­kom­men gewach­sen und erweist sich als her­vor­ra­gen­der Gestal­ter die­ser hoch­kom­ple­xen Her­aus­for­de­rung. Tat­säch­lich eig­net sich die etwas fla­che, kühle Bril­lanz sei­nes Tones als ideal für die Durch­leuch­tung die­ses Werkes.

Weites emotionales Spektrum

Die auf dieser Hyperion-CD enthaltenen Werke des schottischen Komponisten Erik Chisholm werden mustergültig wiedergegeben. Chisholms Musik, hierzulande vollkommen unbekannt, entpuppt sich als echter Hinhörer, als stilistisch vollkommen genuine Musik der Moderne, die es wert ist, aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt zu werden.
Die auf die­ser Hype­rion-CD ent­hal­te­nen Werke des schot­ti­schen Kom­po­nis­ten Erik Chis­holm wer­den mus­ter­gül­tig wie­der­ge­ge­ben. Chis­holms Musik, hier­zu­lande voll­kom­men unbe­kannt, ent­puppt sich als ech­ter Hin­hö­rer, als sti­lis­tisch voll­kom­men genuine Musik der Moderne, die es wert ist, aus ihrem Dorn­rös­chen­schlaf geweckt zu werden.

Ähn­li­ches kann man zu der sich mit tra­di­tio­nel­len gäli­schen Musik­for­men aus­ein­an­der­set­zen­den „Dance Suite for orches­tra and piano“ aus dem Jahr 1932 (man beachte die unge­wöhn­li­che, aber voll­kom­men rich­tige Rei­hung) sagen. Auch in die­sem Werk, das eben kein Kla­vier­kon­zert ist, obwohl das Kla­vier – durch­weg her­vor­ra­gend zwi­schen Ana­lyse und Ver­zü­ckung gespielt von Pia­nist Danny Dri­ver – durch­aus eine wich­tige Rolle spielt, wird ein wei­tes emo­tio­na­les Spek­trum auf­ge­zo­gen. So fin­det sich als ein Pol der zarte, impres­sio­nis­ti­sche Beginn des zwei­ten Sat­zes, der sich in Struk­tur, Melo­dik und Stil mit der „Pìo­bai­re­achd“, der gros­sen gäli­schen Varia­ti­ons­form beschäf­tigt. Auf der ande­ren fin­det sich die atem­lose Vehe­menz des Ein­gangs­sat­zes „Alle­gro ener­gico“ und das in einem rasan­ten Reel gip­felnde bra­chiale Gelärme des letz­ten Sat­zes, der dem Hörer nur so um die Ohren fliegt. Zwi­schen die­sen bei­den Wer­ken plat­ziert fin­den sich drei von Chis­holm orches­trierte aus den ursprüng­lich für das Kla­vier kom­po­nier­ten Pre­ludes „From the True Edge of the World“ aus dem Jahre 1943. Hier zeigt sich ein musi­ka­lisch gemäs­sig­te­rer Chis­holm, der sich mit altem gäli­schen Lie­dern aus­ein­an­der­setzt, die aus Amy Mur­ryas Buch „Father Allan’s Island“ stammen.

In „Song oft he mavis“ zieht Chis­holm alle Regis­ter sei­ner Orchestra­ti­ons­kunst, um ein idyl­lisch-impres­sio­nis­ti­sches Früh­lings­bild mit nach­ge­ahm­tem Dros­sel­ruf zu gestal­ten. Im „Ossia­nic lay“ zau­bern Brab­bins und das schot­ti­sche Spit­zen­or­ches­ter eine legen­den­hafte, ja magisch-mythi­sche Stim­mung (der Ossian beschäf­tigte Chis­holm auch aus­führ­lich in sei­ner zwei­ten Sym­pho­nie) und der abschlies­sende Reel ent­puppt sich als boden­stän­di­ger, wuch­ti­ger aber den­noch mit wun­der­ba­ren Drive geseg­ne­ter Tanz­satz. Diese zweite Pro­duk­tion aus dem Hause Hype­rion mit Musik Erik Chis­holms ist ein ech­ter Hin­hö­rer und es bleibt zu hof­fen, dass sich das Label dazu ent­schlies­sen wird, die begon­nene und bis­lang höchst gelun­gene Werk­schau in Zukunft noch etwas zu erweitern. ♦

Erik Chis­holm: Vio­lin­kon­zert / Dance Suite for Orches­tra and Piano / Pre­ludes from The True Edge of the Great World, Matthew Trus­ler (Vio­line), Danny Dri­ver (Kla­vier), BBC Scot­tish Sym­phony Orches­tra, Mar­tyn Brab­bins, Audio-CD, 63 Minu­ten, Hype­rion CD-Label

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Schot­ti­sche Musik-CD auch über die
CD-Neu­hei­ten: The Edge of Time & The Last Island

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