Viktor Kortschnoi: Meine besten Kämpfe (Schach)

Zum 80. Geburtstag eines charismatischen Schachspielers

von Thomas Binder

Man kann diese Rezen­sion nicht ohne ein paar wür­di­gende Worte zu Vik­tor Kort­schnoi begin­nen, der in die­sen Tagen sei­nen 80. Geburts­tag fei­ert. Mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert hat der cha­ris­ma­ti­sche Meis­ter die Schach­welt geprägt.
Schon 1956 Gross­meis­ter gewor­den – damals gab es welt­weit gerade 50 Titel­trä­ger –, gehörte er mehr als 30 Jahre lang zur abso­lu­ten Welt­spitze. Vier­mal gewann er die Meis­ter­schaft der Sowjet­union; sechs­mal siegte der Jubi­lar mit der Natio­nal­mann­schaft bei der Schach-Olym­piade; ab den 1970er-Jah­ren nahm Vik­tor Kort­schnoi mehr­mals Anlauf auf die Welt­meis­ter­schaft, 1978 und 1981 unter­lag er erst im WM-Kampf gegen sei­nen ewi­gen Riva­len Ana­toli Kar­pow. Auch das Duell der bei­den 1974 war prak­tisch schon ein WM-Kampf, der Sie­ger würde Welt­meis­ter wer­den, da Bobby Fischers Rück­zug vom Tur­nier­schach abseh­bar war. Noch 1983 drang Kort­schnoi in das Kan­di­da­ten-Halb­fi­nale vor, wo er Kas­pa­row unter­lag – eine neue Schach­ge­nera­tion hatte das Zep­ter übernommen.

Hohe Bedeutung für das Weltschach

Viktor Kortschnoi: "Meine besten Kämpfe" (Olms Verlag)

Ist seine Bedeu­tung für das Welt­schach kaum hoch genug ein­zu­schät­zen, so scheint dem Rezen­sen­ten die poli­ti­sche Bedeu­tung sei­ner Kämpfe am Schach­brett und aus­ser­halb des Tur­nier­saals noch wich­ti­ger. Die Umstände der WM-Kämpfe sind in vie­len Büchern geschil­dert wor­den, zuletzt in “Der KGB setzt matt“, wozu Kort­schnoi selbst ein auf­schluss­rei­ches Nach­wort verfasste.
Kort­schnois Emi­gra­tion aus der Sowjet­union machte die Repres­sa­lien offen­bar, unter denen unan­ge­passte Per­sön­lich­kei­ten wie er in der Dik­ta­tur zu lei­den hat­ten. Für Insi­der ste­hen in die­sem Zusam­men­hang viele Namen im Raum: Sosonko, Gulko, Lein, Spas­ski… Für die Schach-Öffent­lich­keit ist die “lebende Legende” Vik­tor Kort­schnoi eine Gal­li­ons­fi­gur für mensch­li­che Stärke und Charakterfestigkeit.

Auch noch mit 80 Jahren neckisch, witzig, manchmal gar maliziös: Schach-Legende Kortschnoi
Auch noch mit 80 Jah­ren neckisch, wit­zig, manch­mal gar mali­ziös: Schach-Legende Kortschnoi

Vik­tor Kort­schnoi hat sich seine geis­tige Fri­sche und enorme Spiel­stärke bis ins hohe Alter bewahrt. 2006 wurde er Senio­ren-Welt­meis­ter, und sitzt bis zum heu­ti­gen Tage regel­mäs­sig in den höchs­ten Ligen am Brett. Was er für das Schach in sei­ner Wahl­hei­mat Schweiz getan und bewirkt hat, kann man wohl von “aus­sen” nur schwer ermessen.
In der dor­ti­gen Natio­nal­liga ereig­nete sich auch jene amü­sante Geschichte, als er sei­nem Geg­ner mit den Wor­ten “Ich bin Schach­Gross­meis­ter” (Video auf You­tube) die Auf­gabe nahe­legte. Jedem ande­ren Spie­ler hätte man dies als Unsport­lich­keit vor­ge­hal­ten. Einer Per­sön­lich­keit vom Range Kort­schnois wird es als nette Anek­dote tole­riert – auch ein Zei­chen von Hoch­ach­tung der gesam­ten Schach­welt vor dem Achtzigährigen.

Zusammenfassung der beiden Vorgänger-Bände

Fischer vs Kortschnoi: Kandidaten-Wettkämpfe in Curacao 1962
Fischer vs Kort­schnoi: Kan­di­da­ten-Wett­kämpfe in Cura­cao 1962

Wie wür­digt man Kort­schnoi zu die­sem Jubi­läum?  Der Ver­lag “Edi­tion Olms” hat sich für eine Neu­auf­lage der Par­tien­samm­lung “Meine bes­ten Kämpfe” ent­schie­den. Gut zehn Jahre nach der Erst­aus­gabe wur­den die bei­den Bände zu einem Gesamt­werk von 430 Sei­ten ver­eint. Die­sem Ursprung ist übri­gens die merk­wür­dige Auf­tei­lung in “Par­tien mit Weiss” und “Par­tien mit Schwarz” geschul­det. Inner­halb der bei­den Teile sind die je 55 Par­tien chro­no­lo­gisch sor­tiert. Das Cover ver­spricht eine “aktua­li­sierte und erwei­terte Jubi­lä­ums­aus­gabe”. Die Erwei­te­rung beschränkt sich aller­dings auf zehn Par­tien und endet auch bereits 2003, nicht wirk­lich eine Aktua­li­sie­rung also.
So wer­den uns nun 110 Par­tien prä­sen­tiert – ein klei­ner Aus­schnitt aus den fast 5’000 Kort­schnoi-Par­tien in der markt­be­herr­schen­den Daten­bank, mit denen er laut “Wiki­pe­dia” den Rekord der meis­ten doku­men­tier­ten Schach­par­tien hält. Immer­hin zwei Par­tien des Buches hat der Rezen­sent nicht in jener Daten­bank gefun­den: die Weis­spar­tien von 1953 gegen Sue­tin und von 1955 gegen Tschechower.

Auch das Re-Match gegen Anatoly Karpow ging 1981 in Meran für Kortschnoi verloren
Auch das Re-Match gegen Ana­toly Kar­pow ging 1981 in Meran für Kort­schnoi verloren

Alle Par­tien sind vom Meis­ter selbst kom­men­tiert. Oft stellt er einige Bemer­kun­gen zum Anlass des Spiels und Gedan­ken zum jewei­li­gen Geg­ner voran. Auch in den Kom­men­ta­ren lässt er uns an sei­nem Den­ken Anteil neh­men, reflek­tiert seine Über­le­gun­gen und Berech­nun­gen. Die rein schach­li­chen Kom­men­tare kon­zen­trie­ren sich auf das Wesent­li­che. Dort, wo Kort­schnoi aus­führ­li­cher wird, hat er uns Wich­ti­ges zu sagen, ergibt sich auch ein Lern­ef­fekt, obwohl wir ja gewiss kein Lehr­buch vor uns haben. Der Leser wird ge- aber nicht über­for­dert. Ange­ge­bene Vari­an­ten haben immer das rich­tige Mass. Man spürt – bzw. erklärt es Kort­schnoi an einer Stelle selbst –, dass die Vari­an­ten mit Com­pu­ter­hilfe geprüft sind. Den­noch kommt nie der Ein­druck auf, der Autor habe sich vom Schach­pro­gramm trei­ben las­sen. Er setzt es sou­ve­rän als Kon­troll­in­stanz ein – nicht mehr und nicht weni­ger. Schmun­zeln muss der Leser frei­lich über die Bemer­kung zu einer Alter­na­tiv-Vari­ante: “Mit einer sol­chen Stel­lung müsste man Deep Blue füt­tern, damit uns die Maschine sagt, wer bes­ser steht.” – Selbst­iro­nie eines Genies und zugleich ein Zeit­do­ku­ment; heute würde uns der Lap­top die ersehnte Ant­wort geben.

Übersichtliches Schriftbild und sinnvoll eingesetzte Diagramme

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Anläss­lich des 80. Geburts­tag von Vik­tor Kort­schnoi legt die “Edi­tion Olms” zu einem güns­ti­gen Preis eine Samm­lung von 110 Gewinn­par­tien des Jubi­lars vor. Kort­schnois Kom­men­tare sind auch im Abstand von Jahr­zehn­ten noch lesens­wert und lehr­reich. Text und Vari­an­ten fin­den genau das rich­tige Mass zum Ver­ständ­nis der 110 Meisterwerke.

Das Buch ist – wie immer bei Olms – typo­gra­phisch ange­nehm gelun­gen. Über­sicht­li­ches Schrift­bild und sinn­voll ein­ge­setzte Dia­gramme machen es sehr gut les­bar. Das Geleit­wort von Kort­schnois Freund und Weg­ge­fähr­ten Gen­nadi Sosonko gehört zu den wei­te­ren Stär­ken des Buches.
“Wie wür­digt man Kort­schnoi zu die­sem Jubi­läum?” hatte ich wei­ter oben gefragt. Die Her­aus­gabe sei­ner Par­tien­samm­lung war gewiss eine gute Idee – genau genom­men wohl die zweit­beste… Noch bes­ser wäre sei­ner cha­ris­ma­ti­schen Per­sön­lich­keit eine (erwei­terte) Neu­auf­lage der Auto­bio­gra­phie “Mein Leben für das Schach” gerecht gewor­den. Aber das ist eben der Wunsch des Rezen­sen­ten. Viel­leicht kann man ihn ja schon mal für Vik­tors nächs­ten run­den Geburts­tag notieren… ♦

Vik­tor Kort­schnoi, Meine bes­ten Kämpfe, Edi­tion Olms Zürich, 430 Sei­ten, ISBN 978-3283010188

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Rus­si­sches Schach auch von Vik­tor Kort­schnoi u.a. Der KGB setzt matt

Ein Kommentar

  1. Na ja, Genie hin oder oder: Ist schon ein wenig arro­gant, das Ver­hal­ten von Kort­schnoj… “Ich bin Schach­gross­meis­ter” zu einem IM, ich weiss nicht… Kann schliess­lich jeder die Par­tie auf­ge­ge­ben, WANN er will, gege­be­nen­falls macht sich einer ja selbst lächer­lich. Doch ihn zum hand­shake “nöti­gen” geht gar nicht, finde ich.
    Aber inter­es­sante und schön recher­chierte Rezen­sion, Herr Bin­der. Kenne das Buch von frü­her. Wei­ter so! Danke!!
    Beste Grüsse: Hans W.

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