Martin Breutigam: Todesküsse am Brett (Schach)

Kurzweilige Geschichten rund um die Schach-Genies

von Tho­mas Binder

Mar­tin Breu­ti­gam kann mit Recht als ei­ner der um­fas­sends­ten Schach­ken­ner deut­scher Spra­che gel­ten. Vie­le Jah­re spiel­te der In­ter­na­tio­na­le Meis­ter in der Bun­des­li­ga; in­zwi­schen wird er vor­wie­gend als frei­schaf­fen­der Schach­jour­na­list wahr­ge­nom­men. Da­bei ist es ihm ge­lun­gen, die Schach­sze­ne in zwei der gros­sen über­re­gio­na­len Ta­ges­zei­tun­gen Deutsch­lands prä­sent zu hal­ten: der Süd­deut­schen Zei­tung und dem Ber­li­ner Tagesspiegel.
Sei­ne neu­es­te Ver­öf­fent­li­chung ist eine Samm­lung von Nach­dru­cken sei­ner Ko­lum­ne im Ta­ges­spie­gel aus den Jah­ren 2006 bis 2010: „To­des­küs­se am Brett – 140 Rät­sel und Ge­schich­ten der Schach­ge­nies von heute“.

Schach-Gebrauchsliteratur im besten Sinne

Martin Breutigam - Todesküsse am Brett - 140 Rätsel und Geschichten der Schachgenies von heuteUm es vor­weg­zu­neh­men: Recht­zei­tig zum Weih­nachts­ge­schäft liegt da­mit ein net­tes klei­nes Buch vor, mit dem man je­dem Schach-In­ter­es­sier­ten – un­ab­hän­gig von Al­ter oder Spiel­stär­ke – eine Freu­de ma­chen kann. Der güns­ti­ge Preis – knapp 10 Euro – trägt dazu bei, dass sich die In­ves­ti­ti­on auf je­den Fall lohnt. Die­ser Preis be­grün­det sich wohl durch die ein­fa­che Ge­stal­tung als Ta­schen­buch und si­cher auch durch die „Zweit­ver­wer­tung“ be­reits vor­han­de­nen Ma­te­ri­als. So­zu­sa­gen „Ge­brauchs­li­te­ra­tur“ im bes­ten Sinne…

Martin Breutigam - Schachspieler - Glarean Magazin
Mar­tin Breutigam

Den Haupt­teil des Bu­ches bil­den „140 Rät­sel und Ge­schich­ten der Schach­ge­nies von heu­te“, wie es im Un­ter­ti­tel heisst. Nach Art und Um­fang sind sie eine idea­le Lek­tü­re zum Schmö­kern zwi­schen­durch, für eine kur­ze U-Bahn-Fahrt, für eine War­te­zeit oder vor dem Ein­schla­fen. Knapp ein Drit­tel je­der Sei­te ist da­bei ei­nem op­tisch an­ge­nehm ge­druck­ten gros­sen Stel­lungs­bild vor­be­hal­ten. Da­nach fol­gen ein kur­zer Text über den je­wei­li­gen Prot­ago­nis­ten bzw. den ak­tu­el­len Be­zug und dann mehr bei­läu­fig die Fra­ge nach der Ge­winn­fort­set­zung, die der ge­nann­te Spie­ler an die­ser Stel­le aufs Brett ge­zau­bert hat.

Partien-Auswahl aus der aktuellen Meistergeneration

Die Auf­lö­sung wird kopf­ste­hend und in sehr klei­ner Schrift am un­te­ren Ende der Sei­te prä­sen­tiert – ein ge­lun­ge­ner Kom­pro­miss, wie ich fin­de: Man muss nicht wei­ter­blät­tern, ist aber auch da­vor ge­schützt, die Lö­sung qua­si „aus Ver­se­hen“ wahr­zu­neh­men. Die Ant­wor­ten be­schrän­ken sich auf drei bis vier Zei­len, ge­hen aber in der Ana­ly­se zu­min­dest so weit, dass auch ein Schach­freund auf mitt­le­rem Klub­spie­ler­ni­veau die Zug­fol­ge ohne Brett nach­voll­zie­hen und ver­ste­hen kann. Ei­ni­ge ganz­sei­ti­ge Por­trät-Fo­tos (u.a. Aron­jan, Short, Carlsen, Hou Yifan) run­den das Werk ab.

Zocken auf www.schach.de nach der Polit-Demo: Putin-Gegner und Ex-Schach-WM Garry Kasparow (
Zo­cken auf http://www.schach.de nach der Po­lit-Demo: Pu­tin-Geg­ner und Ex-Schach-WM Gar­ry Kas­pa­row („To­des­küs­se“ Sei­te 10)

Die Aus­wahl der Par­tien ist – dem Ur­sprung der Bei­trä­ge ge­schul­det – auf die ak­tu­el­le Meis­ter­ge­ne­ra­ti­on und die Tur­nie­re des letz­ten Jahr­zehnts be­schränkt. Auch die in die­sem Zeit­raum ver­stor­be­nen Top-Spie­ler (stell­ver­tre­tend sei­en Fi­scher und Bron­stein ge­nannt) wer­den gewürdigt.
In ei­ni­gen Fäl­len spannt Breu­ti­gam den Bo­gen mit ei­nem Kunst­griff weit auf, z.B. wenn er Aki­ba Ru­bin­stein vor­stellt, um dann mit ei­ner ak­tu­el­len Par­tie fort­zu­set­zen, de­ren Mo­tiv an des­sen be­rühm­te Op­fer­par­tie ge­gen Rot­le­vi er­in­nert. An­sons­ten do­ku­men­tie­ren die Tex­te schlag­licht­ar­tig die Schach­ge­schich­te seit 2006, frei­lich ohne ins De­tail zu gehen.

Kontroverse Themen nicht ausgespart

Sei­ner Ver­ant­wor­tung als Jour­na­list wird der Au­tor dar­in ge­recht, dass er auch kon­tro­ver­se The­men nicht aus­spart, sei es Kas­pa­rows po­li­ti­sches En­ga­ge­ment, die Aus­tra­gung der Frau­en-WM 2008 in ei­nem Kri­sen­ge­biet oder die um­strit­te­ne Null-To­le­ranz-Re­gel der FIDE. So ge­winnt auch der Aus­sen­ste­hen­de ei­nen Ein­druck von je­nen The­men, die uns Schach­spie­ler ab­seits des Bret­tes be­schäf­ti­gen, und er wird an­ge­regt, sich dar­über nä­her zu in­for­mie­ren. Mehr kann man im Rah­men die­ser Samm­lung si­cher nicht leis­ten. Letzt­lich ist ge­ra­de die Viel­falt der an­ge­spro­che­nen Aspek­te eine Stär­ke des Buches.
Bei der Aus­wahl der Stel­lun­gen hat sich Mar­tin Breu­ti­gam auf ef­fekt­vol­le Kom­bi­na­tio­nen kon­zen­triert, die zum so­for­ti­gen Par­tie­schluss führ­ten. So ist für Un­ter­hal­tungs­wert und Lern­ef­fekt glei­cher­mas­sen gesorgt.
Ob es da­bei ei­nes reis­se­ri­schen Ti­tels wie „To­des­küs­se am Brett“ be­durft hät­te, mö­gen Mar­ke­ting-Ex­per­ten be­wer­ten. Den Ti­tel ver­wen­det Breu­ti­gam – leicht ab­ge­wan­delt – für sei­nen Ar­ti­kel über Kram­niks Nie­der­la­ge ge­gen Deep Fritz, als der Welt­meis­ter ein ein­zü­gi­ges Matt zu­liess. Ich hal­te dies für die am meis­ten über­be­wer­te­te Epi­so­de der jün­ge­ren Schach­ge­schich­te, und lei­der macht Breu­ti­gam hier kei­ne Aus­nah­me: Aus­ge­rech­net die­se Sto­ry wird auf meh­re­ren Sei­ten ausgebreitet.

Kurzweilige und anregende Lektüre

140 kurze Geschichten umrahmen jeweils eine knackige Kombinations-Pointe aus dem Schaffen der aktuellen Meistergeneration. In einem unschlagbar günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis legt uns Martin Breutigam ein passendes Weihnachtsgeschenk für jeden Schachfreund auf den Gabentisch.
140 kur­ze Ge­schich­ten um­rah­men je­weils eine kna­cki­ge Kom­bi­na­ti­ons-Poin­te aus dem Schaf­fen der ak­tu­el­len Meis­ter­ge­ne­ra­ti­on. In ei­nem un­schlag­bar güns­ti­gen Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis legt uns Mar­tin Breu­ti­gam ein pas­sen­des Weih­nachts­ge­schenk für je­den Schach­freund auf den Gabentisch.

Wenn man das Buch liest – und ge­ra­de wenn man sich ein­zel­ne Ge­schich­ten zur ge­nüss­li­chen Lek­tü­re her­aus­pickt – muss man im­mer im Hin­ter­kopf be­hal­ten, dass es sich um Zei­tungs­ko­lum­nen han­delt, de­ren Ak­tua­li­tät längst ihr Ver­falls­da­tum über­schrit­ten hat. Im Sei­ten­kopf ist je­weils re­la­tiv un­auf­fäl­lig die Jah­res­zahl der Ver­öf­fent­li­chung an­ge­ge­ben. Eine et­was ge­naue­re Da­tie­rung wäre hilf­reich. For­mu­lie­run­gen wie „bei der lau­fen­den WM“ oder „am letz­ten Sonn­tag“ er­schlies­sen sich dem Le­ser so im­mer erst nach ei­nem kur­zen Zwei­feln, zu­mal der Reiz des Ta­schen­bu­ches auch dar­in be­steht, es nicht chro­no­lo­gisch durch­zu­ar­bei­ten. Ge­ra­de­zu als Ana­chro­nis­mus wirkt es z.B. wenn Ma­gnus Carlsen für das Er­rei­chen von Platz 31 der Welt­rang­lis­te ge­fei­ert wird… Die Tex­te aus heu­ti­ger Sicht nach­träg­lich um­zu­for­mu­lie­ren oder zu er­gän­zen, wäre wohl ein schwie­ri­ger Spa­gat ge­we­sen, bei dem die Au­then­ti­zi­tät auf der Stre­cke blei­ben müsste.
Die­ser zeit­li­che Ver­satz, an den sich der Le­ser erst ge­wöh­nen muss, bleibt das ein­zi­ge Un­be­ha­gen bei ei­ner an­sons­ten ab­so­lut kurz­wei­li­gen und an­re­gen­den Lektüre. ♦

Mar­tin Breu­ti­gam: To­des­küs­se am Brett, Ver­lag Die Werk­statt, 160 Sei­ten, ISBN 978-3895337437

Le­sen Sie im Glarean Ma­ga­zin zum The­ma „Schach-Rät­sel und -Ge­schich­ten“ auch über
Hel­mut Pfle­gers neue ZEIT-Schachspalten

Ein Kommentar

  1. Das Buch wur­de mir von mei­nem Freund
    Ra­do­s­law Ga­jek emp­foh­len. Ich fin­de es sehr gut.
    Mit freund­li­chem Gruß.
    Ksi­Äż­ka była dla mnie przez mo­jego przyjaciela
    Ra­do­sław Ga­jek zale­ca­ne. MyślÄ, że to bard­zo dobrze.
    Szczerze

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