Amélie Nothomb: Die Passion (Roman)

Stacheln im Fleisch des Christentums

von Bernd Giehl

Ma­chen wir ein­mal ein Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment. Neh­men wir an, Amé­lie Not­homb, eine re­la­tiv be­kann­te bel­gi­sche Schrift­stel­le­rin, wür­de ih­ren Ro­man “Die Pas­si­on” in hun­dert Jah­ren, also 2120 schrei­ben und ihr Ma­nu­skript dem Dio­ge­nes Ver­lag an­bie­ten. Dort hat sie schon 22 Bü­cher ver­öf­fent­licht. Al­ler Wahr­schein­lich­keit nach wür­de der Dio­ge­nes Ver­lag das Ma­nu­skript ab­leh­nen. Zu ris­kant, wür­de es hei­ßen. Wer will schon ein Buch über ei­nen un­be­kann­ten Re­li­gi­ons­stif­ter le­sen? In­ner­halb von zwei Wo­chen hät­te sie ihr Ma­nu­skript wie­der zurück.

Amélie Nothomb - Die Passion - Roman - Diogenes Verlag - Literatur-Rezension Glarean MagazinAber das Ex­pe­ri­ment geht noch wei­ter. Neh­men wir an, Amé­lie Not­homb hät­te “Die Pas­si­on” vor 400 Jah­ren ge­schrie­ben. Sie hät­te ei­ni­ge Ab­schnit­te ih­rer bes­ten Freun­din vor­ge­le­sen. Die wäre ei­ner­seits be­geis­tert ge­we­sen, weil die Zwei­fel der Haupt­fi­gur an ih­rer be­vor­ste­hen­den Hin­rich­tung mit den ei­ge­nen Zwei­feln an der Re­li­gi­on kor­re­spon­diert hät­ten und an­de­rer­seits er­schro­cken. Darf man so an der ei­ge­nen Re­li­gi­on zwei­feln? Ist das nicht Ket­ze­rei? Die bes­te Freun­din hät­te es ih­rem Mann er­zählt, und der wäre zur Ob­rig­keit ge­gan­gen. Man hät­te Not­homb fest­neh­men las­sen, sie wäre ge­fol­tert wor­den und wenn sie gro­ße Glück ge­habt hät­te, hät­te sie selbst ihr “Mach­werk” öf­fent­lich ver­ur­tei­len und ins Feu­er wer­fen müs­sen. Falls sie we­ni­ger Glück ge­habt hät­te, nun ja … Was für ein Glück, dass die Zeit der He­xen­ver­bren­nun­gen end­gül­tig vor­bei ist.

Hexerei im Innern der Figuren

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Wo­mit ich nicht sa­gen will, dass Amé­lie Not­homb kei­ne Hexe ist. Sie ist eine. So wie je­der gute Au­tor und jede gute Au­torin ein He­xen­meis­ter oder eine Hexe ist. Weil sie im In­ne­ren ih­rer Fi­gu­ren le­ben. Weil sie Be­sitz von ih­nen er­grei­fen und sie wie ei­nen Suk­ku­bus lenken.
Aber Amé­lie Not­homb ist noch aus ei­nem an­de­ren Grund eine Hexe. Sie lässt Je­sus von Na­za­reth im Au­gen­blick sei­ner “Pas­si­on” le­ben­dig wer­den. “Ich wuss­te schon im­mer, dass sie mich zum Tode ver­ur­tei­len wer­den”, so be­ginnt ihr neu­er Roman.

Kombination von Gott und Mensch

Amelie Nothomb - Schriftstellerin - Literatur im Glarean Magazin
Ame­lie Not­homb ali­as Fa­bi­en­ne Clai­re Not­homb (geb. 1966)

Da spürt je­der auf­rech­te Christ ei­nen ers­ten klei­nen Sta­chel. Noch ist er win­zig; im­mer­hin heißt es ja schon in den “Lei­den­s­an­kün­di­gun­gen” der Evan­ge­lis­ten: “Der Men­schen­sohn muss” sei­nen Lei­dens­weg ge­hen und am Ende ge­kreu­zigt wer­den aber die­se Lei­den­s­an­kün­di­gun­gen ste­hen im zwei­ten Drit­tel der Evan­ge­li­en. Nur das Jo­han­nes­evan­ge­li­um macht da eine Ausnahme.
Aber Chris­ten sind groß­mü­ti­ge Leu­te, und so wer­den sie der Au­torin gern ver­ge­ben, denn der Je­sus von Amé­lie Not­homb ist ein wahr­haft gött­li­cher Mensch. Nie hat mir die Kom­bi­na­ti­on von Gott und Mensch so ein­ge­leuch­tet wie bei ihr.
Sie zwei­felt nicht an den Wun­dern, wie das auch vie­le Theo­lo­gen der letz­ten 200 Jah­re ge­tan ha­ben. Das Wun­der, Was­ser in Wein zu ver­wan­deln, ge­lingt ihm bei­nah ne­ben­bei. Nur – und jetzt kommt wie­der der Sta­chel – dass das Braut­paar, des­sen Hoch­zeit Je­sus mit sei­nem Wun­der ge­ret­tet hat, un­ter den Haupt­zeu­gen der An­kla­ge ver­tre­ten sein wer­den. “War­um hat er es so spät ge­tan?” fra­gen sie. “Eine Stun­de frü­her, und er hät­te uns die Bla­ma­ge er­spart.” Die an­de­ren, an de­nen ein Wun­der ge­schah, sind ähn­lich un­zu­frie­den. Nicht ein­mal der kö­nig­li­che Be­am­te, des­sen Sohn vom Tode er­ret­tet wur­de, ist Je­sus dank­bar, son­dern klagt über die Ver­zö­ge­rung und die da­durch aus­ge­stan­de­ne Angst.

Jesus – ein Sinnenmensch?

Un­zu­frie­den­heit ist über­haupt ein Stich­wort. Auch Ju­das ist un­zu­frie­den, mit der Welt im All­ge­mei­nen und mit Je­sus im Be­son­de­ren. Er stellt al­les in Fra­ge. An das Gute kann er nicht ein­mal glau­ben, wenn er es vor Au­gen hat. Ju­das ist der Prot­ago­nist der “Men­ge” die Je­sus schließ­lich verurteilt.
Je­sus selbst ist das Ge­gen­teil. Er kann sich an den klei­nen Din­gen des Le­bens freu­en: am Ge­schmack fri­schen Bro­tes, an ei­ner Blü­te am Weg­rand, am auf­däm­mern­den Tag, vor al­lem am Was­ser. Wenn man Durst hat und man zö­gert das Trin­ken noch ein paar Au­gen­bli­cke hin­aus, schmeckt fri­sches Was­ser umso köst­li­cher, be­haup­tet er

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Je­sus – ein Sin­nen­mensch? Je­sus gar, der die Frau­en liebt? Der für ihre Schön­heit emp­fäng­lich ist? Der gar eine Be­zie­hung mit Ma­ria Mag­da­le­na ein­geht? Und der des­halb auch nicht ster­ben will? Und des­sen Ver­bin­dung zum Va­ter nun ab­reißt, ob­wohl er bis da­hin eng mit ihm ver­bun­den war?
Da möch­te je­der gute Christ “Ket­ze­rei” schrei­en. Der Glau­be oder das Dog­ma for­dert, dass Je­sus frei­wil­lig den Wil­len sei­nes Va­ters auf sich ge­nom­men hat, um die Sün­de der Welt zu tra­gen. Das un­schul­di­ge Op­fer lei­det für die Schul­di­gen. Wenn dann je­mand kommt, die an­schei­nend mit dem Glau­ben sym­pa­thi­siert und dann be­haup­tet, Je­sus habe das Le­ben zu sehr ge­liebt um frei­wil­lig in den Tod zu ge­hen – da sitzt der Sta­chel ziem­lich tief.

Der Masochismus des Christen

Frei­lich ist Not­homb nicht die ers­te, die den “Ma­so­chis­mus” des christ­li­chen Glau­bens gei­ßelt. Der ers­te war Fried­rich Nietz­sche, der mein­te, die Chris­ten müss­ten er­lös­ter aus­se­hen, be­vor er an ih­ren Er­lö­ser glau­ben kön­ne. Oder der Theo­lo­ge Tho­mas Münt­zer, An­füh­rer der Bau­ern im thü­rin­gi­schen Bau­ern­krieg 1525, der den “bit­te­ren Chris­tus” pre­dig­te und da­für hin­ge­rich­tet wurde.
So ein­fach ist der Au­torin also nicht bei­zu­kom­men. Es sei denn, dass man sie zur “Hexe” erklärt.

Schöne Schilderungen und viel Reflexion

Wie ge­sagt, Not­hombs Be­ob­ach­tun­gen sind zwar meist un­ver­hofft, leuch­ten aber ein. Dass Je­sus dem Le­ben zu­ge­wandt war, kann man leicht an sei­nen Gleich­nis­sen se­hen. Ihre Spra­che ist far­big. Die Be­zie­hung zu Ma­ria Mag­da­le­na ist zwar ein Kli­schee – je­der der ein biss­chen ket­zern woll­te, hat sie er­wähnt -, aber da­für wun­der­schön ge­schil­dert, so wie nur eine Frau sie be­schrei­ben kann, die selbst Lie­be er­fah­ren hat.

Szene aus dem Skandal-Film The Passion Of The Christ von Mel Gibson (Glarean Magazin)
“Ma­so­chis­mus des christ­li­chen Glau­bens”? Sze­ne aus dem Skan­dal-Film “Die Pas­si­on Chris­ti” von Mel Gib­son (2004)

Mit 128 Sei­ten ist der Ro­man recht kurz; es gibt we­nig Hand­lung – z.B. ist die Ver­hand­lung vor dem Ho­hen Rat weg­ge­las­sen (hat ver­mut­lich auch nicht statt­ge­fun­den) -, aber da­für viel Re­fle­xi­on. Manch­mal wird Not­homb weit­schwei­fig: Noch ein Satz über den Durst, und noch ei­ner, der mit an­de­ren Wor­ten das Glei­che sagt (der Ro­man ist ur­sprüng­lich un­ter dem Ti­tel “Soif” – “Durst” in Pa­ris er­schie­nen). Da hät­te ein ri­go­ro­se­res Lek­to­rat si­cher se­gens­reich wir­ken kön­nen. Aber das än­dert nichts dar­an, dass ich den Ro­man mit Ge­nuss ge­le­sen habe.
Al­ler­dings war­te ich noch auf das Buch, das mei­ne Fra­ge, war­um Je­sus ster­ben muss­te, und vor al­lem, war­um Gott das woll­te, hin­rei­chend be­ant­wor­tet. Es muss auch kein Ro­man sein. ♦

Amé­lie Not­homb: Die Pas­si­on (Ro­man), 128 Sei­ten, Dio­ge­nes Ver­lag, ISBN 978 3 257 07141 2

Le­sen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum The­ma Re­li­gi­on in der Li­te­ra­tur auch den Es­say von Hei­ner Brück­ner: Vom Himmlischen

… so­wie über den sa­ti­ri­schen Ro­man von Da­vid Sa­fier: Je­sus liebt mich


Ein Kommentar

  1. Schö­ne und auf­schluss­rei­che Be­spre­chung, Herr Giehl.
    Aber: Ein 128-sei­ti­ger “Ro­man” mit “viel Reflexion”?
    Das tönt mir eher nach “Trak­tat”… 😉
    Tja, und was Ihre Schluss­fra­ge an­geht: Das ist na­tür­lich ein Klas­si­ker der tra­di­tio­nel­len Theo­lo­gie. Hier ei­ner der vie­len Links zum Thema:

    https://www.glaube.at/impulse/erf-suedtirol/article/1000003264-warum-musste-jesus-sterben/

    Schö­ne Grüs­se zum Neu­jahr aus Dres­den: Karl­heinz W.

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