Dichter beschimpfen Dichter – Literatur-Zitate

Von hässlich bis boshaft

Wenn Dichter über Dichter herziehen

von Wal­ter Eigenmann

Der bedeu­tende Düs­sel­dor­fer Roman­tik-Chro­nist, Roman­cier, Diplo­mat und Bio­graph Karl Varn­ha­gen von Ense schrieb ein­mal: “In der Lite­ra­tur geht es nicht wie in einer Tee­ge­sell­schaft zu; die Lite­ra­tur ist ein Schlacht­fest und eine Schand­bühne, es gibt Wun­den und Sti­che in Menge, neben weni­gen Ehren­zei­chen, die am Ende auch wenig gel­ten. Das Ver­gnü­gen an der Sache ist das Beste daran, wie bei der Jagd.”

Das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar - Glarean Magazin
Das Goe­the-Schil­ler-Denk­mal in Weimar

Und in der Tat: Liest man quer durch die Jahr­hun­derte, was Dich­ter über Dich­ter geschrie­ben haben, in teils kaum ver­hoh­le­ner, nei­di­scher Aggres­si­vi­tät, teils mit ver­schäm­tem Mur­meln hin­ter vor­ge­hal­te­nen Zei­len, dann wie­der in State­ments des Ekels bis Has­ses oder auch in quasi-theo­re­ti­schen Legie­run­gen von ästhe­ti­scher Argu­men­ta­tion und mora­lin­saurem Zei­ge­fin­ger – dann, spä­tes­tens dann klärt sich der ehe­mals unbe­darft-ver­zückte Blick aufs hehre Dich­ter­tum plötz­lich zur rea­lis­ti­schen Foto-Linse, die unge­schönt den Neid­ham­mel hin­term Roman, den Miss­güns­ti­gen hin­term Essay, den Fut­ter­nei­der hin­term Drama, den Fle­gel hin­term Gedicht, kurzum: den Men­schen hin­ter dem Werk ans Licht zerrt.

Das bil­dungs­bür­ger­li­che Ideal der fried­li­chen Koexis­tenz krea­ti­ven Schaf­fens krea­ti­ver Schaf­fen­der, die pro­pa­gierte Sehn­sucht nach der mul­ti­künst­le­risch-kom­mu­ni­ka­ti­ven Ein­heit in der the­ma­ti­schen und stils­ti­schen Viel­falt: Nur Schall und Rauch und ad absur­dum geführ­ter Traum lite­ra­risch geschei­ter­ter Deutsch-Lehrer?

Mit intellektuellem Aufwand gegen den Intellekt des Gegners

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Ande­rer­seits: Wel­cher Esprit, welch meta­pho­ri­sche Ele­ganz, welch sprach­li­che Elo­quenz oft in die­sen Echauf­fie­run­gen von Dich­tern gegen Dich­ter! Frap­pant auch der intel­lek­tu­elle Auf­wand, mit dem die Intel­lek­tua­li­tät des Kon­tra­hen­ten negiert wird; und diese Lei­den­schaft in der Bos­heit, mit wel­cher das Publi­kum von der Nich­tig­keit des Geg­ners und sei­nes Wer­kes über­zeugt wer­den soll!
Neben viel Gro­bem und gewollt Häss­li­chem also auch das Lese­ver­gnü­gen des fei­nen Sti­chelns, des schel­mi­schen Trit­zens, des augen­zwin­kern­den Neckens. Zuwei­len auch wird der gröbste Holz­ham­mer aus der Scheune geholt – doch das alles alle­mal inter­es­san­ter als der Devo­tis­mus und die trä­nen­er­stickte Pie­tät, mit der die Patina des His­to­ri­sie­rens aus jedem Zinn­sol­da­ten ein Monu­ment macht. Und dann nicht zu ver­ges­sen all das unbe­wusst Selbst­bild­ne­ri­sche, das gespie­gelt aus allen Zei­len der Atta­cke zu blin­zeln pflegt, und das gesamt­haft manch­mal mehr ver­rät über den Schrei­ber als über den Beschriebenen.

Man ergötze sich denn also nach­ste­hend an ein paar der hüb­sches­ten Gemein­hei­ten und bru­tals­ten Net­tig­kei­ten aus dem (wohl uner­schöpf­li­chen) Pan­op­ti­kum der lite­ra­tur­kri­ti­schen Irrun­gen und Wir­run­gen – und jenes Mensch­lich-All­zu­mensch­li­chen, wie es die Bio­gra­phie noch der geni­als­ten Schöp­fer von Welt­dich­tun­gen durch­zieht. Als sei es unab­ding­ba­rer Wider­part jener ge- bzw. über­stei­ger­ten Selbst­wert­schät­zung, die wohl jedes hoch­ste­hende künst­le­ri­sche Schaf­fen als psy­cho­lo­gi­sche Grund­dis­po­si­tion voraussetzt…

Es sagte…

…Schiller über Voss

Man sieht, dass Voss auch keine ent­fernte Ahn­dung von dem inne­ren Geist des Gedichts und folg­lich auch keine von dem Geist der Poe­sie über­haupt haben muss, kurz keine all­ge­meine und freie Fähig­keit, son­dern ledig­lich sei­nen Kunst­trieb, wie der Vogel zu sei­nem Nest und der Biber zu sei­nen Häusern.

…Voss über Arnim&Brentanos “Wun­der­horn”

Ein zusam­men­ge­schau­fel­ter Wust voll mut­wil­li­ger Ver­fäl­schun­gen, ein heil­lo­ser Misch­masch von aller­lei but­zi­gen, trut­zi­gen, schmut­zi­gen und nichts­nut­zi­gen Gas­sen­hau­ern, samt eini­gen abge­stan­de­nen Kirchenhauern.

Heinrich Heine (Karikatur: Titelseite der
Hein­rich Heine (Kari­ka­tur: Titel­seite der “Jugend” 1906 – “Heine mit spit­zer Feder”)

…Heine über Goethe

Dass ich dem Aris­to­kra­ten­knecht Goe­the miss­falle, ist natür­lich. Sein Tadel ist ehrend, seit­dem er alles Schwäch­li­che lobt. Er fürch­tet die anwach­sen­den Tita­nen. Er ist ein schwa­cher abge­leb­ter Gott, den es ver­driesst, dass er nichts mehr erschaf­fen kann.

…Goethe über Kotzebue&Co.

Mer­kel, Spa­zier und Kotzebue,
Das gibt doch mit Pas­quil­len keine Ruh!
Doch tue ich gern deren liter­ä­ri­sches Wesen
Zu Abend auf dem Nacht­stuhl lesen,
Grobe Worte, gelind Papier
Nach Wür­dig­keit bedie­nen hier;
Dann leg’ ich ruhig, nach wie vor,
In Got­tes Namen mich aufs Ohr.

…O’Casey über Beckett

Ich warte nicht auf Godot, dass er mir Leben bringt; ich bin sel­ber auf Leben aus, sogar in mei­nem Alter. Was hat denn irgend jemand von euch mit Godot zu schaf­fen? Im Gerings­ten von uns steckt mehr Leben, als Godot geben kann.

…Beckett über Ringelnatz

Ich bezweifle nicht, dass Rin­gel­natz als Mensch von ganz aus­ser­or­dent­li­chem Inter­esse war. Als Dich­ter aber scheint er Goe­thes Mei­nung gewe­sen zu sein: Lie­ber NICHTS schrei­ben, als nicht zu schreiben.

Tolstoj in Leipzig (Karikatur: Tolstoj wird wegen seiner
Tol­s­toj in Leip­zig (Kari­ka­tur: Tol­s­toj wird wegen sei­ner “Auf­er­ste­hung” in Leip­zig ver­haf­tet; “Sim­pli­cis­si­mus” 1902)

…Woolf über Tolstoj

Also, I will tell you about Anna Kare­nina, and the pre­do­mi­nance of sexual love in 19th cen­tury fic­tion, and its gro­wing unrea­lity to us who have no real con­dem­na­tion in our hearts any lon­ger for adul­tery as such. But Tol­s­toj hoists all his book on that sup­port. Take it away, say, no it doesn’t offend me that AK. should copu­late with Vron­sky, and what remains?

…Tolstoj über Shakespeare

Shake­speares “King Lear” ist unter aller ernst­ge­mein­ten Kri­tik. Das Stück ist ethisch abstos­send und tech­nisch infantil.

…Musil über Grillparzer

Man ver­gesse doch nicht, wenn man die Bedeu­tung Grill­par­zers bestimmt, dass zu jener Zeit schon Flau­bert, Bal­zac, Dos­to­jew­skij schu­fen, und dass die deut­sche Ent­wick­lungs-Linie bei Grill­par­zer um eine Phase hin­ter der Welt zurück war.

…Grillparzer über Balzac

Ich glaube, der Kerl ist wahn­sin­nig geworden.

…Hacks über Biermann

Bier­manns Lie­der waren bild­haft und wun­der­lich wie die, wel­che die Schä­fer auf der Heide und die Dienst­mäd­chen in den gros­sen Städ­ten sin­gen. Erst als ein feh­ler­haf­ter Ehr­geiz ihn trieb, sich an Hei­nes Phi­lo­so­phie und Vil­lons Welt­ge­fühl zu mes­sen, als er sich von den All­tags­sa­chen weg und den Welt­sa­chen zuwandte, ver­stiess er gegen die sei­ner Bega­bung ange­mes­sene Gat­tung und sank vom Volks­lied­sän­ger zum Kaba­ret­tis­ten. Er wurde, was er ist: der Edu­ard Bern­stein des Tingeltangel.

Bertold Brecht - Glarean Magazin
Ber­told Brecht

…Biermann über Brecht

Brecht lebte das kalte Prin­zip der Zweck­mäs­sig­keit, das bru­tale Pri­mat sei­ner Pro­duk­ti­vi­tät über so wack­lige Werte wie Freund­schaft, Liebe und Solidarität.

…Benn über Céline

Er ist ein pri­mä­rer Spu­cker und Kot­zer. Er hat ein inter­es­san­tes ele­men­ta­res Bedürf­nis, auf jeder Seite, die er ver­fasst, min­des­tens ein­mal je Scheisse, Pisse, Hure, Kot­zen zu sagen. Wor­über, ist nebensächlich.

… Tucholsky über Kraus

Kom­plett meschugge. ♦

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema „Humor in der Lite­ra­tur“ auch die Anek­do­ten aus der Welt der Lite­ra­tur (1)
… sowie die Roman-Rezen­sion über David Safier: Jesus liebt mich

2 Kommentare

  1. Fol­gen­des zitiere ich aus dem Gedächt­nis (lt. Gada­mer darf man das), ohne Quel­len­ver­weis, und bürge daher nicht für die abso­lute Echtheit:
    Tho­mas Mann über Ber­tolt Brecht: “Das Scheu­sal ist begabt.”
    Ber­tolt Brecht, nach­dem ihm dies hin­ter­bracht wor­den war, über Tho­mas Mann: “Ich mag seine Kurz­ge­schich­ten auch ganz gern.”

  2. Eine schöne Seite, mit aus­ge­sucht sel­te­nen Zita­ten, aller­dings ist die Beur­tei­lung der Schrift­stel­ler über die Jahr­hun­derte hin­weg eine andere als die gleich­zei­tige. Wenn etwa Heine gegen Goe­the schreibt, tut er dies, um seine eigene Posi­tion gegen den über­mäch­ti­gen Rie­sen zu behaup­ten, was aber Musil an Grill­par­zer aus­zu­set­zen hat, fin­det doch vor dem Hin­ter­grund einer mit den Jah­ren doch schon sehr ein­ge­schränk­ten Grill­par­zer-Wir­kung statt.
    Man könnte viele bos­hafte Zitate gegen Varn­ha­gens Zeit­ge­nos­sen aus des­sen gedruck­ten und unge­druck­ten Tage­bü­chern nachtragen.
    Aber auch da gilt natür­lich, daß es ein ande­res ist, ob die Äuße­rung öffent­lich, in einer Rezen­sion erfolgt oder ob sie nur den sub­je­ti­ven Ein­druck des Augen­blicks wie­der­gibt. Heine hat zu ande­ren Zei­ten ja höchst ver­eh­rungs­voll von dem alten Wei­ma­rer Dich­ter­fürs­ten gespro­chen und sein schöns­tes Ein­ge­ständ­nis war, rück­bli­ckend auf seine juve­nile Goe­the-Kri­tik, er wisse nicht, was all die ande­ren jun­gen Autoren dazu ver­lei­tet habe, gegen Goe­the zu schrei­ben, bei sich selbst wisse er das Motiv ganz genau: “Es war der Neid.

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