Bernd Giehl: Museumsreif (Satire)

Museumsreif

Bernd Giehl

August 2013
Neu­lich habe ich mir so ein Dings… so ein trag­ba­res Tele­fon… na Sie wis­sen schon, was ich meine… ange­schafft. So ein klei­nes Teil, das man in die Jacken­ta­sche ste­cken und mit­neh­men kann. Not­falls auch auf die Kan­zel. Falls der liebe Gott gerade anruft. Der spricht näm­lich nicht so gern auf Anrufbeantworter.
Aber es muss ja nicht gleich der liebe Gott sein. Der ruft eher sel­ten an. Kann ja auch die Pie­tät sein, die sich beschwert, dass sie mich schon wie­der nicht errei­chen kann. Wo ich denn gewe­sen sei. ‚In Gedan­ken‘, konnte ich ja schlecht sagen, auch ‚beim Wald­spa­zier­gang‘ hört sich nicht gut an, also behaup­tete ich, ich hätte einen Kran­ken­be­such gemacht. Ich solle mir end­lich mal einen Anruf­be­ant­wor­ter anschaf­fen, for­derte der unver­schämte Kerl.  Dann könne er mir wenigs­tens eine Nach­richt dar­auf hin­ter­las­sen. Ich sehe mir mein altes schwar­zes Tele­fon an, bei dem ich den Hörer tat­säch­lich noch auf die Gabel legen kann, und denke: Ob das funk­tio­niert? Na, jeden­falls drehe ich lie­ber die Wähl­scheibe, als irgend­wel­che Tas­ten zu drücken.
Lei­der bin ich kein Held.  Meine Hart­nä­ckig­keit beim “Nein” sagen hält sich in Gren­zen.  Als drei Tage spä­ter auch noch der Dekan anrief und mir sagte, die Pie­tät habe sich beschwert, ich sei nie zu errei­chen, wusste ich, was die Stunde geschla­gen hat. Aber ein wenig Selbst­ach­tung brau­che auch ich. Wir einig­ten uns schliess­lich dar­auf, dass ich künf­tig per E-Mail zu errei­chen sei. Also kaufte ich mir  einen Com­pu­ter (“PC” sagen die Kol­le­gen dazu) liess mir von einem Bekann­ten Inter­net und E-Mail ein­rich­ten und mel­dete mich beim Kurs  “Win­dows for sil­ver­heads” an. Ob ich das als Arbeits­zeit ver­bu­chen und dafür weni­ger Reli­gi­ons­un­ter­richt geben könne, fragte ich den Chef. Der lächelte nur müde. Als ich die erste E-Mail emp­fing (sie kam vom Dekan, der mir gra­tu­lierte), war ich stolz.
Auf dem nächs­ten Tref­fen der Pfar­rer­schaft fragte er mich, wie ich denn mit mei­nen neuen Com­pu­ter (er sagte natür­lich auch “PC”) zurecht­käme. Ich erzählte ihm von mei­nen Fort­schrit­ten. Mitt­ler­weile wagte ich mich näm­lich auch schon ins Inter­net (auch das hatte ich bei mei­ner Fort­bil­dung gelernt) und schrieb die ers­ten Texte mit dem Gerät. Aber irgend­wie schien er mit den Gedan­ken schon beim nächs­ten Punkt der Tages­ord­nung zu sein; jeden­falls unter­brach er mich mit der Bemer­kung, wenn ich schon tech­nisch so weit sei, könne ich mir ja end­lich einen Anruf­be­ant­wor­ter oder gar ein neues Tele­fon kaufen.
Ich wollte ihm schon erwi­dern, die Kir­che sei jahr­tau­sen­de­lang ohne Tele­fon und Anruf­be­ant­wor­ter aus­ge­kom­men; sie werde es auch über­le­ben, wenn einer ihrer Hir­ten auch wei­ter­hin keine Auf­zeich­nungs­ma­schine besitze, aber dann biss ich mir gerade noch recht­zei­tig auf die Zunge. Brachte doch alles nichts. Bereit sein ist alles. Auch in der Kir­che. Beson­ders in der Kirche.
An dem Tag war ich wütend.  Ein paar Tage spä­ter stach mich der Hafer. Wenn schon ein neues Tele­fon, dachte ich, dann doch am bes­ten gleich so ein super­schi­ckes Teil. Mit dem man Fotos schies­sen, ins Inter­net gehen und E-Mails abru­fen kann. So etwas hatte ich schon bei mei­nen Kon­fir­man­den gese­hen. Die konn­ten ihr Spiel­zeug ja kaum aus der Hand legen. Also ging ich in einen nahe­ge­le­ge­nen T-Punkt und kaufte mir so ein Tele­fon mit einem ange­bis­se­nen Apfel auf der Rück­seite. Würde ich den nächs­ten Urlaub eben in den Baye­ri­schen Alpen ver­brin­gen statt in der Türkei.

Vier Wochen spä­ter (Mon­tag)
Habe geübt. Alte Ent­würfe für den Kon­fir­man­den­un­ter­richt genom­men. Reli­gi­ons­un­ter­richt aus dem Ärmel geschüt­telt. Besu­che auf das Nötigste beschränkt. Pre­dig­ten aus den letz­ten Jah­ren genom­men. Merkt ja sowieso kei­ner. Nur Frau F. hat mich so merk­wür­dig ange­schaut. Tut die aber öfter. Dafür jede freie Minute am Rech­ner ver­bracht. Gott und der Welt E-Mails geschrie­ben. Und mit dem Dings, dem Smart­phone gesimst. Unter­krin­gelt mir das Pro­gramm doch glatt das Wort “gesimst”. Sagt aber heute doch jeder.
Mor­gen werde ich mir WLAN ein­rich­ten las­sen. WLAN ist die Zukunft. Sagen alle.
Also, auf in die Zukunft.

Diens­tag
Schwe­ren Her­zens habe ich mein altes Tele­fon ins Hei­mat­mu­seum gebracht. So ein schö­nes Gerät habe ihm noch gefehlt, sagt Gün­ter Hopp, der das Museum leitet.

Don­ners­tag
G. ist gekom­men um die Instal­la­tion vor­zu­neh­men. Fragt mich nach mei­nem “Rou …” irgend­was.  Ich spre­che nicht chi­ne­sisch, sage ich. Er lacht und wie­der­holt das Wort lang­sam. “ROUTER-PASSWORT.” Als ich immer noch nicht ver­stehe, zeigt er auf das sil­ber­graue Teil, das an der Wand hängt und grün leuchtet.
“Ich kenne das Pass­wort nicht. Du hast mir das Inter­net eingerichtet.”
Er kratzt sich am Kopf, denkt nach, streicht sich über die Wange, denkt noch ein­mal nach, sagt schliesslich:
“Aber ich habe dir doch den Ver­trag gege­ben. Da müsste es drinstehen.”
“Hast du nicht”, sage ich.
“Habe ich doch.”
Also Durch­sicht von unge­fähr 20 Akten­ord­nern. Kein Ver­trag mit der Tele­kom. Nir­gends. Schliess­lich Anruf beim “Pro­vi­der”. (Auch das ein Wort, das ich mitt­ler­weile in mei­nen Wort­schatz auf­ge­nom­men habe.)  G. erklärt sein Anlie­gen, hört zu, sagt:
“Aber das müs­sen Sie doch haben”, hört erneut zu, sagt schliesslich:
“In Got­tes Namen” und legt auf.
“Was soll jetzt in Got­tes Namen passieren?”
“Sie schi­cken uns ein neues Pass­wort zu.”
Plötz­lich schreit er auf, fasst sich an den Kopf, sagt:
“Die Idio­ten. Ich fasse es nicht.”
“Wen meinst du mit ‘die Idio­ten’?” frage ich zurück. G. deu­tet auf das sil­ber­graue Teil an der Wand, das jetzt mit vier Punk­ten blinkt. Ich ver­stehe immer noch nicht.
“Das wirst du gleich selbst sehen kön­nen”, sagt er. “Starte mal den Rechner.”
Nach zwei Minu­ten ist er hochgefahren.
“Und jetzt ver­such mal, ins Inter­net zu kommen.”
Ich gehe auf das Sym­bol, es kreist und kreist, län­ger als das Uni­ver­sum.  Schliess­lich erscheint die Mel­dung auf dem Bild­schirm: “Ver­bin­dung nicht möglich.”
“Was bedeu­tet das?” frage ich, den Kopf voll mit bösen Vorahnungen.
“Das bedeu­tet, dass sie dich abge­hängt haben.” Er zieht sein Handy aus der Tasche, schlägt im Tele­fon­buch nach und wählt die Num­mer der Tele­kom. Ich kann den merk­wür­di­gen Klin­gel­ton hören, dann ertönt erst ein­mal Musik. Zwi­schen­durch eine Auto­ma­ten­stimme: “Bitte haben Sie noch etwas Geduld.”
Zwan­zig Minu­ten spä­ter hat er einen Bera­ter erreicht. Einen wirk­li­chen Men­schen. Ich kann das Gespräch mit­hö­ren, da er das Tele­fon auf “Laut” gestellt hat. Aller­dings könnte er genauso gut ser­bo­kroa­tisch oder Hindi reden, dann würde ich nur unbe­deu­tend weni­ger ver­ste­hen. Es geht um eine bestimmte Seite auf die er gehen soll, dann könne er eine Mail von T-Online abru­fen. Aber genau das gehe doch gar nicht, weil wir ja nicht ins Inter­net kämen. Nein, ein Smart­phone habe er auch nicht.
“Ich habe doch eins”, rufe ich dazwi­schen, aber er bedeu­tet mir mit einer Geste, ich solle den Mund hal­ten. Dann legt er auf, ver­sucht, mir die Sache zu erklä­ren. Es gebe da ein E-Mail Pass­wort. Ob ich das hätte. Stolz wie Oskar sage ich, damit hole ich immer meine Mails ab.
Zehn Minu­ten spä­ter sit­zen wir bei ihm zuhause am Com­pu­ter, rufen die T-Online Seite auf, geben meine E-Mail Adresse ein, danach das Pass­wort; es erscheint eine Feh­ler­mel­dung. Erneu­ter Ver­such. Ob ich mir das Pass­wort auch rich­tig gemerkt hätte, fragt G.
Müh­sam unter­drü­cke ich mei­nen Stolz und sage, Zah­len seien eine mei­ner vie­len Stär­ken. Schliess­lich erneu­ter Anruf bei der Tele­kom. Ja, natür­lich hät­ten sie auch das E-Mail Pass­wort geän­dert. Das sei so üblich. Nein, er könne ihm das Pass­wort nicht auf sei­nen Rech­ner schi­cken. Schliess­lich sei er ja nicht der Besit­zer des Anschlus­ses, um den es gehe. Es tue ihm furcht­bar leid, aber ein Tech­ni­ker könne auch nicht kom­men. Sie könn­ten zwar einen schi­cken, aber der kenne das Pass­wort nicht. Das könn­ten sie dem Besit­zer des Anschlus­ses nur persönlich…
Was G. danach gesagt hat, möchte ich lie­ber nicht wiederholen.

Sams­tag
Immer noch kein Inter­net und keine E-Mail. Dabei hat G. wirk­lich sein Bes­tes getan.
Habe mich zusam­men­reis­sen müs­sen, damit ich nicht bei der gerings­ten Klei­nig­keit das HB-Männ­chen spiele.

Diens­tag
Das Rou­ter Pass­wort ist per Post gekom­men. G. hat mir den Anschluss neu ein­ge­rich­tet. Ich habe das Gefühl, dass er wütend auf mich ist. “Du soll­test dir end­lich mal ein E-Mail Konto auf dei­nem i-phone ein­rich­ten las­sen. Dann pas­sie­ren sol­che Dinge auch nicht mehr.”
Ich hätte ihn am liebs­ten gefragt, ob ich schuld sei. Die Frage habe ich run­ter­ge­schluckt. Statt­des­sen habe ich ihm eine Fla­sche Arma­gnac geschenkt.
Ein wenig schien ihn das wie­der zu versöhnen.

Okto­ber
Habe das Hand­buch fürs i-phone von vorne bis hin­ten gele­sen und dann ver­sucht, ein E-Mail Konto ein­zu­rich­ten. Weiss nicht wie viele Ver­su­che ich unter­nom­men habe. War in drei T-Punk­ten, aber beim Kenn­wort kam immer die­selbe Fehlermeldung.

Drei Tage später
Ich habe G. mein i-phone geschenkt. Er hat sogar Danke gesagt.

Ges­tern
In der  Nacht, als ich nicht schla­fen konnte, über­fiel mich Weh­mut. Mein altes schwar­zes Tele­fon fiel mir ein, das mir über so viele Jahre gute Dienste geleis­tet hat. Mor­gens wusste ich, was ich tun musste. Also ging ich als ers­tes, noch vor der Dienst­be­spre­chung ins Hei­mat­mu­seum. Natür­lich hatte es noch nicht offen. Glück­li­cher­weise wohnt Herr Hopp in der Woh­nung über dem Museum. Er war sogar noch zuhause. Ich musste 50 Euro als Spende geben, sonst hätte ich es nicht wie­der­be­kom­men. Es täte ihm in der Seele weh, sagte Herr Hopp.
Zuhause steckte ich den Ste­cker in die Dose und hob den Hörer ab. Ein Sum­men ertönte. Dann legte ich den Hörer behut­sam wie­der auf die Gabel.
Man muss zu sei­nen Irr­tü­mern stehen. ♦


Bernd Giehl

Geb. 1951 in Marienberg/D, Stu­dium der Theo­lo­gie in Mar­burg, ver­schie­dene lite­ra­ri­sche und theo­lo­gi­sche Publi­ka­tio­nen, lebt als evang. Pfar­rer in Nauheim

Lesen Sie im Glarean Maga­zin auch die
Para­bel von Bernd Giehl: Die Zeitungsente

…sowie die Satire von
Rai­ner Wed­ler: Ein Mann muss…

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