Pavel-Haas-Quartet: Prokofiew – Streichquartette 1 & 2

Seltene gehörte Kammermusik – mit Verve gespielt

von Michael Magercord

Nun sind es schon drei CDs, die das Pra­ger Pavel-Haas-Quar­tett ein­ge­spielt hat, und das inner­halb von nur vier Jah­ren. Benannt haben die vier jun­gen Musi­ker Vero­nika Jarus­kova (Vio­line), Eva Karova (Vio­line), Pavel Nikl (Brat­sche) und Peter Jaru­sek (Cello) ihre Künst­ler­ge­mein­schaft nach dem tsche­chisch-jüdi­schen Kom­po­nis­ten Pavel Haas, der in den 20er Jah­ren der begab­teste Schü­ler von Leos Janacek war, und der im Alter von nur fünf­und­vier­zig Jah­ren 1944 in Ausch­witz ermor­det wurde.

Pavel-Haas-Quartett: Prokofiev - String Quartets Nos 1 & 2 - Sonata for Two Violins (Supraphon)Auf den bei­den ers­ten, hoch­ge­lob­ten Ein­spie­lun­gen des Pavel-Haas-Quar­tetts befan­den sich aus­schliess­lich Streich­quar­tette des Namens­ge­bers und sei­nes Meis­ters, aller­dings waren mit die­sen fünf Wer­ken sämt­li­che Kom­po­si­tio­nen der bei­den für diese Instru­men­ten-For­ma­tion erschöpft. Was nun? Ihre Wahl für die dritte CD fiel auf Ser­gej Pro­ko­fiew, und es war eine gute. Aller­dings hat der rus­si­sche Ton­set­zer nur zwei Streich­quar­tette geschrie­ben, so dass sein Duo für zwei Vio­li­nen die Ein­spie­lung kom­plet­tie­ren konnte, womit das Kam­mer­mu­sik-Repor­toire die­ses Kom­po­nis­ten für diese Instru­mente eben­falls aus­ge­schöpft ist.

Musiknote als politische Tat im Stalinismus

Pro­ko­fiew steht immer ein wenig im Schat­ten des fünf­zehn Jahre jün­ge­ren Dimi­tri Schost­a­ko­witsch, und das zu Recht und Unrecht zugleich. Beide gal­ten als unge­wollte Prot­ago­nis­ten der sowje­ti­schen Musik, beide hat­ten unter dem star­ken kul­tur­po­li­ti­schen Inter­esse Sta­lins zu lei­den, der der klas­si­schen Musik – durch­aus als ihr Ken­ner – eine unge­heure Wir­kung zumass. Es mag heu­te­zu­tage selt­sam anmu­ten, dass Dik­ta­to­ren glau­ben konn­ten, eine Sym­pho­nie oder gar ein Streich­quar­tett könnte ihre Macht gefähr­den. Jede aufs Papier gesetzte Note war immer auch eine poli­ti­sche Tat, womit beide Kom­po­nis­ten auf ihre Weise umzu­ge­hen versuchten.

Ummäntelung der innerlichen Zerrissenheit zur Meisterschaft gebracht

Als ungewollter Protagonist der
Als unge­woll­ter Prot­ago­nist der “Sowjet-Musik” im Schat­ten von Schost­a­ko­witsch ste­hend: Ser­gej Pro­ko­fiew (1891-1953)

Als unge­woll­ter Prot­ago­nist der “Sowjet-Musik” im Schat­ten von Schost­a­ko­witsch ste­hend: Ser­gej Pro­ko­fiew (1891-1953)Schostakowitsch ent­wi­ckelte unter dem Zwang der poli­ti­schen Über­hö­hung kul­tu­rel­len Aus­drucks die Über­le­bens­tech­nik der Ummän­te­lung sei­ner inner­li­cher Zer­ris­sen­heit zu einer bis­lang uner­reich­ten Meis­ter­schaft. Durch die Schaf­fung von bestän­dig auf­stre­ben­den Sequen­zen riss sich jedem, der es hören wollte, der Abgrund um so tie­fer auf. Der eher schlichte und – wie etwa der Cel­list Mst­is­lav Rostro­po­witsch sagt – offene und naive Mensch Pro­ko­fiew ver­barg seine Befind­lich­kei­ten gar nicht erst und ver­schaffte sich auf diese Weise seine Frei­räume. Seine dadurch etwas unver­fro­rene Her­an­ge­hens­weise liess Werke ent­ste­hen, die ande­ren – nicht zuletzt auch Schost­a­ko­witsch – als Ideen­spen­der grosse Dienste leis­ten soll­ten, und das selbst in der von ihm nur gele­gent­lich geüb­ten Kammermusik.

Den beethovenschen Vorgaben nachgeeifert

Prokofiew als Ideenspender für andere Sowjet-Komponisten: Manuskript-Anfang der 7. Sinfonie
Pro­ko­fiew als Ideen­spen­der für andere Sowjet-Kom­po­nis­ten: Manu­skript-Anfang der 7. Sinfonie

Pro­ko­fiew als Ideen­spen­der für andere Sowjet-Kom­po­nis­ten: Manu­skript-Anfang der 7. Sin­fo­nie­Der junge Pro­ko­fiew ver­brachte 18 Jahre zunächst in Ame­rika und dann in Frank­reich, bevor er 1936 in die Sowjet­union zurück­kehrte. Sein ers­tes Streich­quar­tett ent­stand 1930 noch in den USA, das Vio­li­nen-Duo zwei Jahre spä­ter in Paris, das zweite und letzte Streich­quar­tett schliess­lich im Herbst 1941 in einer Künst­ler­ko­lo­nie fern der Front im Nord­kau­ka­sus, wohin Sta­lin alle mass­geb­li­chen Kom­po­nis­ten beor­dert hatte und Werke zur Erbau­ung der vom “Gros­sen Vater­län­di­schen Krieg” geschun­de­nen Bevöl­ke­rung schrei­ben liess.

Pavel-Haas-Streichquartett in concert - Glarean Magazin
Pavel-Haas-Streich­quar­tett in concert

Zwi­schen Donald Duck und Ser­gei Pro­kof­jew: CD-Pro­mo­tion des jun­gen Pavel-Haas-Streich­quar­tet­tes bei You­tube­Das erste Streich­qua­rettt war eine Auf­trags­ar­beit für die Library of Con­gress in Washing­ton, und hätte dort durch­aus in die Lehr­buch-Abtei­lung ein­ge­reiht wer­den kön­nen, ent­spricht ihre Form doch ganz und gar den klas­si­schen beet­ho­ven­schen Vor­ga­ben für das Genre. Das Vio­li­nen-Duo sollte der Her­aus­for­de­rung trot­zen, ein Werk für diese Beset­zung zu schaf­fen, das zehn bis fünf­zehn Minu­ten dau­ert und – wie der Meis­ter betonte – trotz­dem nicht lang­weilt. Und schliess­lich steht das Kabar­di­ni­sche Streich­quar­tett für die moderne Umset­zung der sta­lin­schen Kriegs-Kul­tur-Direk­tive: Macht echte Volks­mu­sik! Jedem der drei Sätze liegt ein Lied des Kau­ka­sus­völk­chens zugrunde, das in der unmit­tel­ba­ren Umge­bung der Kom­po­nis­ten-Kolo­nie lebte, ent­spre­chend rauh, doch hoch­dy­na­misch und ebenso lyrisch ist die Musik.

Exaktes und pointiertes Musizieren

Das Pavel-Haas-Quartett hat mit der Auswahl dieser leider nur selten gespielten Prokofiew-Stücke seine bislang interessanteste CD vorgelegt. Die vier jungen Musiker gehen sehr engagiert zu Werke, bei aller Verve bleiben sie aber immer exakt und pointiert.
Das Pavel-Haas-Quar­tett hat mit der Aus­wahl die­ser lei­der nur sel­ten gespiel­ten Pro­ko­fiew-Stü­cke seine bis­lang inter­es­san­teste CD vor­ge­legt. Die vier jun­gen Musi­ker gehen sehr enga­giert zu Werke, bei aller Verve blei­ben sie aber immer exakt und pointiert.

Das Pavel-Haas-Quar­tett hat mit der Aus­wahl die­ser lei­der nur sel­ten gespiel­ten Stü­cke seine bis­lang inter­es­san­teste CD vor­ge­legt. Die vier jun­gen Musi­ker gehen ja immer sehr enga­giert zu Werke. Man­che Kri­ti­ker mei­nen gar die Fun­ken sprü­hen oder die Fet­zen flie­gen zu sehen, und das selbst auf CD-Ein­spie­lun­gen. Bei aller Verve blei­ben sie immer exakt und poin­tiert, und alles kommt schnör­kel­los und direkt vom Stu­dio ins Wohn­zim­mer. Man­ches Mal wünschte man sich viel­leicht vor allem im zwei­ten Streich­quar­tett, dass der ein oder andere Höhe­punkt des an Höhe­punk­ten rei­chen Wer­kes nicht bis zum letz­ten aus­ge­spielt und durch eine blosse Andeu­tung in noch höhere, näm­lich unhör­bare Höhen getrie­ben wor­den wäre. Doch dann würde es nicht mehr unbe­dingt Musik von Ser­gej Pro­ko­fiew sein, son­dern schon fast wel­che – wenn auch im umge­kehr­ten Sinne – von Dimi­tri Schostakowitsch… ♦

Ser­gej Pro­ko­fiew: Streich­quar­tette Nr. 1&2 / Sonate für 2 Vio­li­nen, Pavel-Haas-Quar­tett, Supra­phon SU 3957-2

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