Das Komponisten-Porträt: Andrew Lloyd Webber

Von Jesus bis Evita

von Walter Eigenmann.

Bereits als Neun­jäh­ri­ger soll der am 22. März 1948 im eng­li­schen West­mins­ter als Sohn des Pro­fes­sors für Musik­theo­rie & Kom­po­si­tion am Royal Col­lege of Music Wil­liam S. Lloyd-Web­ber gebo­rene Andrew Lloyd Web­ber ein Thea­ter­stück für Kin­der geschrie­ben haben. 1971 gelang ihm mit der (umstrit­te­nen, das Neue Tes­ta­ment eigen­wil­lig inter­pre­tie­ren­den) Rock­oper “Jesus Christ Super­star” der erste Welt­erfolg. Nach und nach kamen mit “Evita” (1978), “Cats” (1981), “Star­light Express” (1984) wei­tere Musi­cal-Hits auf die inter­na­tio­na­len Show-Büh­nen – alle mit durch­schla­gen­dem Erfolg.
Heute dürfte Lloyd Web­ber (nicht zuletzt dank eines effi­zi­ent im Hin­ter­grund wir­ken­den Text- und Song­wri­ter-Teams sowie einer per­fekt funk­tio­nie­ren­den PR-Maschi­ne­rie) der berühm­teste (und reichste) U-Kom­po­nist aller Zei­ten sein.

Aufwändige Inszenierung mit Lichteffekten und exqusitem Outfit

Andrew Lloyd-Webber (*1948)
Andrew Lloyd-Web­ber (*1948)

Alle Web­ber-Musi­cals leben von einer auf­wän­di­gen Insze­nie­rung mit effekt­vol­ler Licht­re­gie und kost­spie­li­gen Kos­tü­men. Dar­über hin­aus stel­len sie teil­weise hohe Ansprü­che an die tän­ze­ri­schen, gesang­li­chen und schau­spie­le­ri­schen Fähig­kei­ten der Dar­stel­ler. For­mal sind sie meist nach dem kon­ven­tio­nel­len Mus­ter der klas­si­schen “Num­mern-Revue” gestrickt, wobei die Stoffe ent­we­der lite­ra­ri­sche Vor­la­gen adap­tie­ren (T.S. Eliot bei “Cats”, G. Leroux beim “Phan­tom”) oder auf eige­nen Dreh­bü­chern – Web­bers “Lieb­lings­tex­ter” sind Tim Rice und Richard Stil­goe – basieren.

Eines der meistaufgeführten Musik-Bühnenstücke der Welt: Andrew Lloyd-Webbers "Cats"
Eines der meist­auf­ge­führ­ten Musik-Büh­nen­stü­cke der Welt: Andrew Lloyd-Web­bers “Cats”

Musi­ka­lisch ist der erfolgs­ver­wöhnte Musi­cal-König mit allen Was­sern gewa­schen, und die Palette sei­ner Stil­mit­tel ist für einen Unter­hal­tungs-Kom­po­nis­ten erstaun­lich breit. Vom akkor­disch ein­fa­chen Lie­bes­du­ett­chen bis zum dis­so­nant-mar­tia­li­schen Orches­ter­tutti, von der lyri­schen Solo-Arie bis zum rocki­gen “Cho­rus Line” zie­hen seine (gele­gent­lich durch­aus kit­schi­gen Herz-Schmerz-) Stü­cke sämt­li­che Aus­drucks­re­gis­ter des moder­nen Bühnen-Entertainments.

Populär-süsslicher Abstecher in die “Klassik”

1985 kam mit dem “Requiem” sogar ein (melo­disch teils betont populär-“süβlicher”, des­halb geschmack­lich auch hef­tig umstrit­te­ner) Abste­cher in die “Klas­sik” hinzu. Das gross­an­ge­legte Werk (nach der latei­ni­schen Toten­messe) wurde in der New Yor­ker Tho­mas-Kathe­drale urauf­ge­führt – immer­hin mit dem renom­mier­ten Eng­lish Cham­ber Orches­tra unter Lorin Maa­zel sowie Pla­cido Dom­ingo und (Web­bers Ex-Ehe­frau) Sarah Bright­man in den Solo-Parts.

Requiem - Lloyd-Webber - Uraufführung - Glarean Magazin
Urauf­füh­rung des Requi­ems 1985 mit Dom­ingo und Bright­man unter Lorin Maazel

Gewiss bie­dert sich hier Lloyd-Web­ber ganz unver­hoh­len ein­mal mehr mit melo­di­scher Ein­gäng­lich­keit und har­mo­nisch leicht nach­voll­zieh­ba­rer Sim­pli­zi­tät bei einem “Klassik”-Publikum an, das in ers­ter Linie weder musik­ge­schicht­li­che Pro­gress­si­vi­tät noch sti­lis­ti­sche Kom­ple­xi­tät, son­dern schlicht Unter­hal­tung mit einem klei­nen woh­li­gen Schuss “Ewig­keits­schauer” sucht.
Doch gleich­zei­tig ist man­chen Tei­len des Wer­kes eine gewissse Auf­rich­tig­keit des Ges­tus’ und eine zuwei­len durch­aus anrüh­rige Nai­vi­tät des reli­giö­sen Aus­drucks nicht abzu­spre­chen. Es ist wir­kungs­volle Musik, die zwar nur bedingt in die grosse Tra­di­tion einer mehr­hun­dert­jäh­ri­gen Messe-Ver­to­nung zu zäh­len ist, die sich qua­li­ta­tiv aber in ihrer klang­li­chen Viel­falt und auch zuwei­len expe­ri­men­tel­len Instru­men­ten­be­hand­lung doch wie­der deut­lich von ande­ren “pop­pi­gen” Ver­schnit­ten des latei­ni­schen Requiem-Ritus abhebt.

Zwischen Schein und Sein, zwischen Kitsch und Kunst

  Der welt­weite, nun schon seit 35 Jah­ren anhal­tende Erfolg des mehr­fach preis­ge­krön­ten Musi­cal-Schöp­fers Sir Andrew Lloyd-Web­ber kann nicht allein auf roman­ti­schen Kuss-Sze­nen, krea­ti­ven Syn­the­zi­ser-Klän­gen, gigan­ti­schen Licht-Orgien oder mil­lio­nen­schwe­ren Saal-Bau­ten beru­hen. Lloyd-Web­ber, das ist auch eine Traum­fa­brik. Kein ande­rer Show-Kom­po­nist vor ihm hat die moderne Wider­sprüch­lich­keit zwi­schen “Schein und Sein”, aber auch “Kitsch und Kunst” so psy­cho­lo­gisch raf­fi­niert, musi­ka­lisch viel­fäl­tig und gleich­zei­tig sze­nisch vir­tuos auf die gros­sen Show­büh­nen der inter­na­tio­na­len Musik-Szene gebannt. Das ist der Grund, warum man einige der bes­ten Stü­cke des A. Lloyd-Web­ber auch noch in den nächs­ten 50 Jah­ren auf den wich­ti­gen Spiel­plä­nen der Welt antref­fen dürfte. ♦

Lesen Sie im Glarean Maga­zin zum Thema Messe-Ver­to­nung auch über Frank Mar­tin: Messe für Dop­pel­chor (CD)

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