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Frei von Armageddon-Rhetorik
von Jakob Krajewsky
Der Schriftsteller Friedrich Hirschl wurde 1956 in Passau geboren, studierte Philosophie und Theologie, erhielt 2015 den Kulturpreis des Landkreises Passau und lebt auch dort. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Lyrik, mittlerweile sind acht Bücher von ihm erschienen, sein jüngstes ist der Lyrik-Band “Ein Rest von Blau”.
Aktuelle Lyrik hat es nicht leicht in diesen Tagen. Nur bei Prominenz wie Erich Fried, Wolf Wondraschek oder Peter Handke war dies ein anerkanntes Genre. Heute dominiert “Poetry Slam” überall – und der Rap, der manische Sprechgesang mit massiver Musikübertönung. Auch nicht schlecht, doch das ist nichts wirklich Neues und Aufregendes mehr.
Deshalb wieder zurück in die Zukunft mit der Alten Schule. Friedrich Hirschl ist eine lokale Dichtergröße im Raum Passau. Natur, Landschaft und Reiseerlebnisse sind seine Themen. Seine Welt ist noch unverdorben und frei von der endzeitlichen politischen Rhetorik eines Armageddon, das uns täglich durch die wahnwitzige Propaganda unserer Weltpolitiker aus und in den Gazetten, dem Telespektakel auf allen Kanälen ereilt und uns ständig in Augen und Ohren springt. Einem schrecklichen Hirnschauspiel gleich, wie in den 1980er Jahren mit 99 Luftballons, die – Luftblasen gleich – platzen können.
Die Gestade des All-Tages
Bei Hirschl herrscht Heimat, Bodenständigkeit, und es erscheinen die erfrischenden Gestade des All-Tags. Hier in seiner Lyrik wird Unverdorbenheit gesät. Erholung ist möglich. Seine Eingebungen sind nicht einem nervigen und zwanghaften Kehrreim unterworfen, sondern gestalten sich frei, wie sinniges Geisteswirken im Federkleid des Seins auf den Wogen und in den Gedanken-Winden der Betrachtenden. Hier wird das Schreckliche entschärft und bekommt einen naturalistischen, unkritischen, zuweilen banalen Touch:
Raketen
Die Bäume
Raketen
Die Sonne
Kräftig genug
Hat
Den Startknopf
Gedrückt
Schon schießen sie
In den Himmel

Gemeint sind natürlich Bäume, die Raketen gleich in den Himmel wachsen, jedoch ohne Bedrohung für die Menschheit – im Gegenteil. Und doch schwingt etwas Unheimliches mit. Lyrik muss deklamiert, rezitiert, ja gesungen werden. Das Lied als gelebtes Wort, so erscheint es auch bei Hirschl in seinem “Wolkenbilderbuch”:
Der Himmel ein Wolkenbilderbuch –Ein Buch für Groß und Klein – Heute nach den grauen Seiten – der letzten Tage – Aufgeschlagen eine blaue – Hell bebildert – Ein Bilderrätsel mit einem kräftigen Schuss Sonne – Den Schweiß treibt es mir auf die Stirn
Aufs Existenzielle zurückgeführt
Doch wird die Leserschaft vom Autor auch wieder auf das Existentielle zurückgeführt. Der Band ist in mehrere Sektionen eingeteilt, hier ein paar Themen-Kreise: Wiese, Baum, Strauch brechen in grünen Jubel aus (S. 9ff.) – Schwalben schießen durch die Häuserschluchten (S. 25ff.) – Eben noch spielten sie heiter (S. 45ff.) – “Dein Gesicht ganz rot von den vielen Sonnenküssen” (S.73ff.) – Schon stolperte ich über dein Lächeln (S.89ff.) – Wolken jagen über uns hinweg (S.103ff.) u.a.
Auch Liebe und Tod ereilen den dichtenden Hirschl gedanklich – die Liebe als ein Spiel im Dunkeln der würfelartigen Häuser:
Die Häuser dort – dunkle Würfel – Die Nacht – hat Lust – auf ein Spiel – Ich bin dabei – Schon leuchten viele Augen auf
Die manisch anmutende Erotik in nächtlichen menschlichen würfelartigen Behausungen, in den Ansiedlungen des Körpers, entspringt einem saftigen und enervierenden Empfinden. Für Haikus sind Hirschls Gedichte eindeutig zu lang. Doch haben sie etwas von dem Sprachduktus dieser asiatischen Geisteswelten. Märchenhaft und mystisch.
Metaphysische Welten
Auch die metaphysische Welt des studierten Theologen kündigt sich sanft an, denn “das Himmelsauge zwinkert mir zu”, so heißt es in “Frühlingsrausch”. Vielleicht erscheint es trivial, doch erinnert die Poesie von Hirschl auch in der Rubrik “Bahnreisen” an Werbetexte für eine rollende Institution, die wir nach dem 9-Euro-Ticketing alle mehr oder weniger schätzen. Wie heißt es in Hirschls “Bahnreise”:
Zum ersten Mal – fahre ich diese Strecke – Schaue im Bann des Neuen – fortwährend aus dem Fenster – Wie in einem Film – ziehen Landschaften an mir vorüber – Werbeunterbrechungen – gibt es keine – nur gelegentlich – rauscht ein Zug vorbei
Wir als Betrachtende schauen auf die vorbeirollenden Landschaften, sehen hinaus, dabei rollen wir tatsächlich an den Landschaften mit dem lyrischen Ich wie in einem Film vorbei. Sehr treffend gibt Hirschl die gespiegelte Illusion des Im-Zug-Sitzenden und des beobachtenden, staunenden Betrachters wider.
Überraschende Momente
Der Einband des 192 Seiten starken Buches aus der Edition Lichtung ist natürlich in einem “Rest von Blau” gehalten. Das betr. Bild wurde von Bernadette Maier aus Vilshofen entworfen. Apropos: Ein paar Bilder oder Zeichnungen mehr im Buch hätten gutgetan.
Doch Worte sind ja Miniaturen des Geistes des Schreibenden. Und darum: Ein rundum lesens- und hörenswerter Lyrik-Band mit überraschenden Momenten:
Gesichter sehe ich auf den Baumkörpern entlang der Straße
In sich gekehrte gelassene ernste
Manche machen mir Angst.
Friedrich Hirschl: Ein Rest von Blau – Gedichte, 192 Seiten, Edition Lichtung, ISBN 9783941306530
Lesen Sie im GLAREAN MAGAZIN zum Thema Lyrik auch über die Schweizer Literaturschrift TÄXTZIT (“Textzeit” – Band 12)