Ayelet Gundar-Goshen: Wo der Wolf lauert (Roman/Thriller)

… überall ein wenig fremd, nicht nur in Amerika” (S. 291)

In Amerika ist “alles besser”?

von Isa­belle Klein

Mit “Wo der Wolf lau­ert” lie­fert die Schrift­stel­le­rin Aye­let Gun­dar-Gos­hen ein Buch mit Mehr­wert, vol­ler Denk­an­stöße und psy­cho­lo­gi­scher Raf­fi­nesse. Der Thril­ler kommt nur lang­sam in Fahrt, dafür aber umso nach­drück­li­cher. Zugleich wird das feine Psy­cho­gramm einer Mut­ter nach­ge­zeich­net, die nicht los­las­sen kann und für alles Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien braucht. Ihre Pro­bleme rei­chen weit zurück – auch im gelob­ten Land der “unbe­grenz­ten Mög­lich­kei­ten”. Und sie ver­schwin­den trotz Pri­vi­le­gien wie viel Geld und viel Zeit nicht…

Eines ist sicher: In Gun­dar-Gos­hens neuem Roman wird uns, leise und sehr ein­dring­lich, fast wie in Watte gepackt (pas­send zu dem sehr gelun­ge­nen, in “Art Deco” gehal­te­nen Buch-Cover) die Pro­ble­ma­tik der Fami­lie Schus­ter, bestehend aus Mut­ter Lil­ach, Vater Michael und dem puber­tie­ren­den Sohn Adam, ver­deut­licht. Hei­mat­los und doch ver­bun­den, geflo­hen vor omni­prä­sen­ter Gewalt in Israel – und nun in der gleich­för­mig-ober­fläch­li­chen Freund­lich­keit (oder bes­ser: Ver­lo­gen­heit) des Ame­ri­can Way of Life eingebunden.

Die alltäglich-belanglose Leere

Ayelet Gundar-Goshen: Wo der Wolf lauert, Roman, Kein & Aber VerlagUnd so sind aus den Emi­grier­ten schnell die ame­ri­ka­ni­sier­ten Lila’s gewor­den: Michael und Adam (der sich wei­gert, in der Öffent­lich­keit Hebrä­isch zu spre­chen). In Palo Alto leben sie den Cali­for­nian Dream des Sili­con Val­ley, als das ruhige Idyll durch den Anschlag auf die dor­tige Syn­agoge, bei dem ein jun­ges Mäd­chen stirbt, aus der Bahn gewor­fen wird.
In vie­len all­täg­li­chen, ver­meint­lich belang­lo­sen Details offen­bart sich die Leere und die Trau­rig­keit, ja die per­fek­tio­nis­ti­sche Getrie­ben­heit, die Lila ein­fängt und nicht mehr los­lässt. Auch die Ängste sind omni­prä­sent: Die Angst, allein zu sein; Angst, nicht alles rich­tig zu machen; Die Angst, Ziel eines erneu­ten Anschlags zu wer­den, Angst; und die Angst um das ein­zige (in Watte gepackte) Kind.

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Ret­tung naht in Form von Uri, einem Waf­fen­bru­der Micha­els, der den Sohn Adam in der alten Kampf­kunst Kravat, einer Art mar­tia­li­schem Sur­vi­val­trai­ning, unter­wei­sen soll. Und so nimmt ein Gesche­hen an Fahrt auf, das eine Kette von erschüt­tern­den Ereig­nis­sen aus­löst. Begin­nend mit dem Tod Jamals, eines Mit­schü­lers Adams; Lil­ach ist gezwun­gen, ihre heile Watte-Welt zu über­den­ken und ihren Sohn wirk­lich ken­nen­zu­ler­nen; weg vom gelang­weil­ten, nach Per­fek­tio­nis­mus stre­ben­den Haus­frau­en­da­sein, mit gemein­nüt­zi­ger Arbeit im Altenheim.
Damit wird Trai­ner Uri, Adams neues Idol, unver­zicht­ba­rer Bestand­teil des Schus­ter­schen Lebens, mit weit­rei­chen­den Folgen.

Psychologisch stimmig unterbaut

Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen - Glarean Magazin
“Wun­der­bar meta­phern­rei­che Sprach­welt”: Schrift­stel­le­rin Aye­let Gundar-Goshen

Wäh­rend Main­stream-Thril­ler häu­fig an Action, rasan­ten Turns und Twists, Bru­ta­li­tät und einem Zuviel von allem (außer von Sub­stanz) kran­ken, kre­iert Gun­dar-Gos­hen ein psy­cho­lo­gisch unter­bau­tes, stim­mi­ges und nicht über­la­de­nes Grund­ge­rüst, das nicht nur atmo­sphä­risch dicht ist und von Rück­blen­den lebt, die nach und nach Lilas Pro­bleme offen­ba­ren, son­dern auch einen unaus­lot­ba­ren Fort­gang des Gesche­hens bereit­stellt. Kein Wun­der, dass dabei alle Figu­ren aus dem Vol­len schöp­fen: Autorin Aye­let Gun­dar-Gos­hen ist stu­dierte Psy­cho­lo­gin. Hinzu kommt ihr Stu­dium von Film und Dreh­buch, frü­here Werke wur­den auch bereits ver­filmt. So liest sich auch die­ser Roman wie ein Skript: Lang­sam, leise, ein­drück­lich sieht man die Orte vor dem inne­ren Auge ent­ste­hen, ahnt, wie stim­mungs­voll der Film sein wird.

Wider den American Way of Life

The American Way of Life - Glarean Magazin
Der “Ame­ri­can Way of Life” in den 1940er Jahren

Wo der Wolf lau­ert”, und das tut er an vie­len Stel­len, ist ein Werk vol­ler Kon­flikte, die, tief ver­deckt, nach und nach empor­schwe­ben: Kon­flikte der Gewalt, der Herkunft/Staatsangehörigkeit, der Reli­gion. Und ebenso ist das Buch voll von Dicho­to­mien wie bei­spiels­weise Heimatland/Herkunftsland oder Opfer/Täter. Dabei ver­schwim­men Gren­zen und wer­den Lebens­wirk­lich­kei­ten ein­ge­fan­gen, ohne kon­stru­iert zu wir­ken. Weit und doch eng – die Enge der prü­den und ober­fläch­li­chen US-Gesell­schaft bzw. des Ame­ri­can Way of Life, in dem alles wun­der­bar und toll sei. Frei/gefangen: Frei durch die Abwe­sen­heit von Krieg und Gewalt, gefan­gen in der prü­den Enge der Gesellschaft.

Alles ist möglich

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Und so zwie­ge­spal­ten alle in die­sem Buch sind, so herr­lich offen arbei­tet die Autorin mit Moti­ven, Schuld­zu­wei­sun­gen und Fol­gen. Klar ist, dass alles und zugleich nichts in Stein gemei­ßelt ist. Alles ist mög­lich, vie­les wird offen­ge­las­sen, ein ein­fa­ches Ja oder Nein wird sie uns auch am Ende nicht geben.
So ver­weilt man gerne mit dem Buch in der Hand. Taucht in den Kokon einer ruhi­gen, pri­vi­le­gier­ten Welt der gelang­weil­ten und ängst­li­chen Lila ein – und in die schnör­kel­lose, wun­der­bar meta­phern­rei­che Sprach­welt der Autorin, die vol­ler kom­ple­xer Sach­ver­halte und Figu­ren ist. Alles in allem ein lite­ra­ri­sches Kleinod für jeden, der die Hast und Wucht des Main­streams satt hat und sich ein­zu­las­sen ver­mag auf jede Menge Abgründe und unaus­lot­bare Rea­li­tä­ten. Last but not least ist der Roman auch eine nette kleine Demon­tage des Ame­ri­can Way of Life… ♦

Aye­let Gun­dar-Gos­hen: Wo der Wolf lau­ert (Roman/Thriller) – 344 Sei­ten, Kein & Aber Ver­lag, ISBN 978-3-0369-5849-1

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