Neuronale Forschung mit japanischen und westlichen Musikern

Östliche und westliche Musiker-Gehirne im Vergleich

von Walter Eigenmann

Arbei­ten die Gehirne von japa­ni­schen Klas­sik-Musi­kern anders als jene von west­li­chen oder von Nicht­mu­si­kern? Eine neue Stu­die unter­suchte die spe­zi­fi­schen Arten neu­ro­na­len Ver­hal­tens bei den Teil­neh­mern, wenn sie unge­wohn­ten Rhyth­men und nicht-rhyth­mi­schen Melo­die-Mus­tern aus­ge­setzt waren. Aus­ge­bil­dete Musi­ker zeig­ten im Ver­gleich zu Nicht­mu­si­kern eine grös­sere Fähig­keit zur Rhyth­mus-Vor­her­sage – mit sub­ti­le­ren Unter­schie­den zwi­schen denen, die in japa­ni­scher oder west­li­cher klas­si­scher Musik aus­ge­bil­det waren. Diese For­schung könnte Aus­wir­kun­gen haben auf wei­tere Stu­dien über den kul­tu­rel­len Ein­fluss auf das Ler­nen und die Gehirn­ent­wick­lung überhaupt.

Musik ist all­ge­gen­wär­tig und unver­zicht­bar in unse­rem täg­li­chen Leben. Musik kann uns beloh­nen, uns trös­ten und uns emo­tio­nal befrie­di­gen”, sagt Pro­jekt-Assis­tenz­pro­fes­sor Tat­suya Dai­koku vom Inter­na­tio­na­len For­schungs­zen­trum für Neu­ro­in­tel­li­genz der Uni­ver­si­tät Tokio. “Es ist also keine Über­ra­schung, dass die Wir­kung von Musik auf das Gehirn gut erforscht ist. Viele Stu­dien kon­zen­trie­ren sich jedoch auf west­li­che klas­si­sche Musik, Pop, Jazz usw., wäh­rend unsere Stu­die die erste ist, die neu­ro­nale Mecha­nis­men bei Prak­ti­kern der japa­ni­schen klas­si­schen Musik, bekannt als Gagaku-Musik­stil, unter­sucht”.

Japanische Musik ohne regelmässiges Taktmuster

Musik ohne regelmässiges Taktmuster: Das japanische Rhythmus-Instrument Binzasara
Musik ohne regel­mäs­si­ges Takt­mus­ter: Das japa­ni­sche Rhyth­mus-Instru­ment Binzasara

Viele japa­ni­sche Auf­füh­rungs­künste, wie z.B. im Noh- oder Kabuki-Thea­ter, beinhal­ten Musik, die nicht unbe­dingt einem regel­mäs­si­gen Takt­mus­ter folgt, wie dies bei der west­li­chen klas­si­schen Musik typi­scher­weise der Fall ist. Das heisst, die japa­ni­sche klas­si­sche Musik dehnt sich manch­mal aus oder zieht Beats ohne mathe­ma­ti­sche Regel­mäs­sig­keit zusam­men. Die­ses Zeit­in­ter­vall wird oft als MA bezeich­net – ein wich­ti­ger Begriff in der gesam­ten japa­ni­schen Kul­tur ist.

Dai­koku und sein For­schungs­part­ner, Assis­tenz­pro­fes­sor Masato Yumoto von der Gra­du­ier­ten-Schule für Medi­zin, unter­such­ten, wie ver­schie­dene Grup­pen von aus­ge­bil­de­ten Musi­kern und Nicht­mu­si­kern auf unter­schied­li­che Rhyth­mus­mus­ter reagier­ten. Die Idee war, her­aus­zu­fin­den, wie die musi­ka­li­sche Aus­bil­dung das sta­tis­ti­sche Ler­nen, die Art und Weise, wie unser Gehirn sequen­zi­elle Infor­ma­tio­nen – in die­sem Fall Rhyth­men – inter­pre­tiert und anti­zi­piert, beein­flus­sen könnte.

Rhythmus-Lernen in der linken Gehirn-Hemisphäre

Hirnströme von Musikern untersucht: Magnetoenzephalographie
Hirn­ströme von Musi­kern unter­sucht: Magnetoenzephalographie

Die For­scher zeich­ne­ten die Hirn­ak­ti­vi­tät der Teil­neh­mer direkt auf, indem sie eine Tech­nik namens Magnet-Enze­pha­logra­phie ver­wen­de­ten, bei der magne­ti­sche Signale im Gehirn unter­sucht wer­den. Anhand der Daten konn­ten Dai­koku und Yumoto fest­stel­len, dass das sta­tis­ti­sche Ler­nen der Rhyth­men in der lin­ken Hemi­sphäre des Gehirns der Teil­neh­mer statt­fand. Und, was wich­tig ist: Es gab ein höhe­res Akti­vi­täts­ni­veau bei den­je­ni­gen mit musi­ka­li­scher Aus­bil­dung, sei es in der japa­ni­schen oder der west­li­chen klas­si­schen Musik.

Wir erwar­te­ten, dass Musi­ker im Ver­gleich zu Nicht­mu­si­kern ein star­kes sta­tis­ti­sches Ler­nen von unge­wohn­ten Rhyth­mus­se­quen­zen auf­wei­sen wür­den. Dies wurde in frü­he­ren Stu­dien beob­ach­tet, die sich mit Reak­tio­nen auf unbe­kannte Melo­dien befass­ten. Also war dies an sich keine sol­che Über­ra­schung”, sagte Dai­koku. “Was aber wirk­lich inter­es­sant ist, ist dass wir Unter­schiede in den neu­ro­na­len Reak­tio­nen zwi­schen den­je­ni­gen fest­stel­len konn­ten, die in japa­ni­scher oder west­li­cher klas­si­scher Musik aus­ge­bil­det wurden”.

Gehirnentwicklung bei unterschiedlichen Erziehungskulturen

Diese Unter­schiede zwi­schen japa­ni­schen und west­li­chen klas­si­schen Musi­kern sind offen­bar viel sub­ti­ler und zei­gen sich in der neu­ro­na­len Ver­ar­bei­tung von Kom­ple­xi­tät im Rhyth­mus höhe­rer Ord­nung. Obwohl es nicht der Fall ist, dass die eine oder andere Kul­tur bes­ser oder schlech­ter als die andere abschnei­det, impli­ziert diese Erkennt­nis, dass unter­schied­li­che kul­tu­relle Erzie­hung und Bil­dungs­sys­teme einen spür­ba­ren Ein­fluss auf die Gehirn­ent­wick­lung haben können.

Japanische Musikerin mit der Bambusflöte Shakuhachi - Glarean Magazin
Japa­ni­sche Musi­ke­rin mit der Bam­bus­flöte Shakuhachi

Diese For­schung ist Teil eines grös­se­ren Puz­zles, das wir erfor­schen wol­len – das der Unter­schiede und Ähn­lich­kei­ten zwi­schen den Spra­chen und der Musik der Kul­tu­ren, und wie sie das Ler­nen und die Ent­wick­lung beein­flus­sen”, sagte Dai­koku. “Wir unter­su­chen auch die Musik als Mit­tel zur Behand­lung von Ent­wick­lungs­stö­run­gen wie etwa Sprach­stö­run­gen. Ich per­sön­lich hoffe, dass das Inter­esse an klas­si­scher japa­ni­scher Musik wie­der erwacht; viel­leicht wird diese Stu­die die­je­ni­gen, die mit sol­cher Musik nicht ver­traut sind, dazu inspi­rie­ren, die­sen wich­ti­gen Teil der japa­ni­schen Kul­tur­ge­schichte zu hören und zu schätzen”. ♦

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… sowie zum Thema Musik-Psy­cho­lo­gie: Klang und Timing – Das rhyth­mi­sche Zen­trum des Klangs

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