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53 Bekenntnisse zu Beethoven
von Walter Eigenmann
Im kommenden Jahr 2020 begeht die Musikwelt einmal mehr ein Jubiläum der Superlative, nämlich das 250. Geburtsjahr von Ludwig van Beethoven. Die Musikforscher werden sich überschlagen mit neuen Analysen der Werke des “Titanen”, die Labels werden ihre alt-verstaubten Gesamtaufnahmen seiner Sonaten und Sinfonien aus ihren Vinyl-Gräbern schaufeln, die Mono- und Biographen zum x-sten Male die Entstehungsgeschichte von “Für Elise” aufkochen, die Merchandise-Industrie ihre T-Shirts mit “Ode an die Freude” oder “Eroica” drauf in die Kleiderläden bugsieren, und es wunderte nicht, wenn auch die Film-Regisseure den einen oder anderen neuen Beethoven-Streifen ins Kino hievten.
Kein Zweifel besteht jedenfalls darüber, dass die Konzertsäle bald weltweit überquellen werden vor lauter Beethoven. Denn für den Kult um solche ausholenden, extrem dominanten Jahrhundert-Genies wie Beethoven ist unsere 2.0-Welt wie geschaffen. Ob heutzutage derartige Jubiläen einer solch singulären Erscheinung wie Beethoven allerdings auch nur ansatzweise gerecht werden können, oder ob’s bei den üblichen pietätvollen Häppchen in den Social Medias bleibt, muss je am Einzelergebnis solcher “Erinnerungsarbeit” festgemacht werden. Immerhin sind allenthalben regelrechte Monster-Zyklen angekündigt im Beethoven-Jahr 2020, wie beispielsweise bei der deutschen Beethoven-Jubiläums-GmbH (BTHVN 2020).
Zitaten-Schatz der Zeitgenossen
Eine Möglichkeit, zumindest skizzenhaft den Einfluss Beethovens seinerzeit und heute zu umreissen, ist jene, die der Verlag “Edition-Momente” beschritt mit seinem neuen Musik-Kalender 2020 unter dem Titel “Beethoven und ich”, nämlich jene Leute zu Worte kommen zu lassen, die professionell und unvermittelt mit dem Menschen Beethoven und seinem Werk befasst waren oder sind: Seine (komponierenden oder interpretierenden) Zeitgenossen, seine heutigen Realisierenden in den Orchestern und Kammerensembles, kurzum jene Musik-Verständigen, die an ihm in den Konzertsälen, Plattenstudios und Bücherstuben unmöglich vorbeikamen und noch immer nicht vorbeikommen.
Hymnen und Erinnerungen im Wochentakt

Beginnend mit dem ersten Januar-Blatt und dem legendären Beethoven-Konzert, das der Pianist Arturo Benedetti Michelangeli 1942 in Rom gab, bis hin zur letzten Dezember-Woche bzw. zum Zitat des Cellisten Pablo Casals, das Beethovens 9. Sinfonie als “Wunder” verherrlicht, bindet der Kalender auf 53 Wochenblättern einen eindrucksvollen Strauss von Erinnerungen, Gesprächen, Bekenntnissen, Zitaten, Bildern, Fotos, Zeichnungen, Notizen und Anekdoten von Claudio Arrau und Leonard Bernstein oder Johannes Brahms über Sergiu Celibidache oder Clara Haskil bis hin zu Gustav Mahler, Gioacchino Rossini oder Günter Wand.
Ob Komponisten oder Dirigenten oder Instrumentalisten – sie alle zollen einem ganz grossen der menschlichen Kulturgeschichte ihren Respekt, und nicht immer ist endgültig klar, ob die Verehrung einem Künstler oder nicht doch eher einem Gott gilt… Womit wir wieder glücklich im Musik-Olymp und bei den Podesten gelandet sind, auf die solche Exemplarischen halt – erst recht aus so grosser Zeitdistanz – immer noch gerne gestellt werden.
Beeindruckendes Puzzle über einen Giganten
Ungeachtet aller Glorifizierung verdichtet diese facettenreiche Kalender-Sammlung aber durchaus zahlreiche Puzzle-Stücke zu einer eindrücklichen Gesamtschau, die sich dem Menschen Beethoven und seinem Werk unterhaltsam, reichhaltig, vielseitig, ja schillernd, und teilweise beeindruckend nähert.
Der Kalender kommt layouterisch sehr ästhetisch daher, mit intelligent ausgewählten Bezügen, seien diese direkt-musikalischer oder “nur” biographischer Natur, und mit sehr ansprechendem, teils unbekanntem Bild-Material. ausserdem fällt verdienstvoll ins Auge: Die 60-blättrige Anthologie versammelt nicht nur männliche Beethoven-Adepten, sondern auch zahlreiche Frauen mit ihren bedeutungsvollsten Beiträgen, musikalischen Bezügen, und ja: menschlichen Beziehungen über und zu Beethoven. Namentlich seien nur Fanny Hensel (Komponistin), Jenny Lind (Sopranistin) oder Myra Hess (Pianistin) hervorgehoben.
Informativer und ästhetischer Tour d’Horizon
Ein jeder der Kalender-Tage 2020 ist über den je ganzseitigen Fokus hinaus mit den entspr. Geburts- bzw. Todeszahlen von hunderten weiterer Musik-Berühmtheiten aus vergangener und jüngster Zeit garniert.
Alles in allem ein Musik-Kalender, der weniger als hübscher Memory-Wandschmuck taugen will denn als ästhetischer und informativer Tour d’Horizon über einen Komponisten, der Musikgeschichte geschrieben hat wie kein zweiter – und seit 250 Jahren ausstrahlt bis in unsere Tage hinein. ♦
Edition Momente: Der Musik-Kalender 2020 – Beethoven und ich, 60 Blätter, ISBN 978-3-0360-3020-3
Lesen Sie im Glarean Magazin zum Thema auch über
Karl-Heinz Ott: Rausch und Stille – Beethovens Sinfonien
… sowie als grafische Ehrerbietung den neuen künstlerischen Scherenschnitt von Simone Frieling: Ludwig van Beethoven
Weitere Beiträge über Beethoven im Internet:
- Ludwig van Beethoven
- Superstar Beethoven
- Die vielen Frauen des Ludwig van Beethoven
- Beethoven Pastoral Project
- Beethoven, launischer Titan
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Interessante Rezension. Besten Dank! Bin zwar kein Freund dieser Hype-Gedenkfeiern. Haben doch immer einen Touch Kommerz. Zumindest in der Klassik-Welt. Aber zuweilen auch ein Grund, sich wieder mit einer Grösse näher zu beschäftigen. Aber ist zu befürchten, dass im Schatten Beethovens andere vergessen werden: 100. Geburtsjahr von Janacek. 100. Todesjahr von Max Bruch. 100. Geburtsjahr von Ravi Shankar u.v.a. Trotzdem, man ist gespannt, was da alles so kommt 2020 betr. Beethoven. Bonn ist jedenfalls schon mächtig im Startloch… 🙂
A. S. (Bonn)